OGH 1Ob111/01g

OGH1Ob111/01g29.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei M*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Daniel Charim, Mag. Wolfgang Steiner und Mag. Anton Hofstetter, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufkündigung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. Dezember 2000, GZ 11 R 371/00f-10, womit das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 11. September 2000, GZ 14 C 1392/00i-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 12.195,-- (darin S 2.032,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei kündigte der beklagten Partei zum 31. 12. 2000 ein in der Geschäftsebene eines Hauses befindliches Geschäftslokal (samt mitgemieteten Kraftfahrzeugabstellplätzen) unter Geltendmachung des Kündigungsgrunds des § 30 Abs 2 Z 9 MRG auf. Sie habe die "Einheiten" in der Geschäftsebene des Hauses erworben, um dort ein modernes Einkaufszentrum zu errichten. Die Verwirklichung dieses Ziels erfordere die völlige Neuvermietung der zur Zeit bestehenden Bestandobjekte, die baulich gänzlich umgestaltet bzw erweitert werden müssten. Für die geplanten und erforderlichen Umgestaltungsmaßnahmen werde das aufgekündigte Geschäftslokal benötigt; dringender Eigenbedarf der klagenden Partei liege vor.

Die beklagte Partei wendete ein, dass die klagende Partei das Bestandobjekt nicht für sich selbst, sondern zur Weitervermietung an Dritte benötige. Eine wirtschaftliche Notsituation der klagenden Partei sei ebensowenig erkennbar wie die von ihr unterstellte Tatsache, dass das von der beklagten Partei betriebene Geschäft in einem zu errichtenden Einkaufszentrum nicht geduldet werden könne. Der von der klagenden Partei geltend gemachte Bedarf bestehe gerade nicht an den Bestandräumlichkeiten der beklagten Partei, sondern vielmehr erst an künftig zu schaffenden, umgestalteten und erweiterten Räumen.

Das Erstgericht hob die mit Beschluss vom 27. 6. 2000 ausgesprochene Aufkündigung auf. Das Bestreben der klagenden Partei, in den durch Aufkündigung frei werdenden Räumen ein Einkaufszentrum zu errichten, ziele lediglich auf das Erlangen wirtschaftlicher Vorteile ab. Dies könne eine Aufkündigung gemäß § 30 Abs 2 Z 9 MRG aber nicht rechtfertigen. Es liege kein gravierender Nachteil vor, der einer existentiellen Bedrohung der klagenden Partei nahe käme. Die Aufkündigung diene lediglich der Anhebung des Wohlstands der klagenden Partei, nicht aber der Behebung bzw Verhinderung eines erheblichen Missstandes.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die klagende Partei habe gar nicht behauptet, dass die Inanspruchnahme der Bestandräumlichkeiten der beklagten Partei notwendig sei, weil sonst ihre wirtschaftliche Existenz bedroht wäre. Rein wirtschaftliche Interessen seien nicht als besondere, eine Eigenbedarfskündigung rechtfertigende Umstände anzusehen. Es mangle an der für den Eigenbedarf geforderten Dringlichkeit. Erwerbe jemand Bestandobjekte im Wissen um deren Vermietung, dann sei eine Aufkündigung nicht mit der Begründung berechtigt, dass die zur Gründung eines neuen Unternehmens zu verwirklichenden Unternehmensziele für die Existenz des Erwerbers der Objekte notwendig seien. Selbst unter Zugrundelegung eines "gemäßigteren Verständnisses" der in der bisherigen Rechtsprechung verankerten Begriffe "Notstand" und "Existenzgefährdung" sei eine Eigenbedarfskündigung in einem solchen Fall nicht statthaft.

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Bis in die jüngste Vergangenheit vertrat der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass Eigenbedarf gemäß § 30 Abs 2 Z 8 und 9 MRG jeweils einen Notstand im Sinne von unabweislicher Notwendigkeit voraussetze, den vorhandenen Zustand so bald wie möglich durch Aufkündigung des bestehenden Mietverhältnisses zu beseitigen (MietSlg 49.387; 45.429/23; 39.467; 37.453 uva). In der in JBl 2000, 452 veröffentlichten Entscheidung 4 Ob 167/99h trug das Höchstgericht den in der Lehre geäußerten erheblichen Bedenken gegen die restriktive Rechtsauffassung zur Eigenbedarfskündigung nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG Rechnung; es führte aus, dass ein gemäßigteres Verständnis der in der bisherigen Rechtsprechung verankerten Begriffe "Notstand" und "Existenzgefährdung" geboten sei.

Der diesem Erkenntnis zu Grunde liegende Sachverhalt ist allerdings von dem hier zur Entscheidung anstehenden grundverschieden. Dort ging es darum, dass der Eigentümer einer Wohnung in erster Linie sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses heranziehen dürfe und nicht auf eine nicht in seinem Eigentum stehende Wohnmöglichkeit verwiesen werden müsse. Daraus folgerte der 4. Senat, dass bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs jede Art der Benötigung des Bestandgegenstands zu berücksichtigen sei, die sich für den Vermieter aus einem wichtigen persönlichen oder wirtschaftlichen Bedürfnis ergebe, das nur durch die Benützung des gekündigten Wohnobjekts befriedigt werden könne. Im vorliegenden Fall hingegen erwarb die klagende Partei erst (neu) Eigentum an mehreren Geschäftslokalen, um im Wege deren baulichen Umgestaltung zu einem modernen Einkaufszentrum eine völlige Neuvermietung der bestehenden Bestandobjekte vornehmen und daraus wirtschaftlich Kapital schlagen zu können.

Auch wenn im Sinne der jüngsten Rechtsprechung dem zu § 30 Abs 2 Z 8 und 9 MRG von der bisherigen Rechtsprechung herausgearbeiteten Notstands- und Existenzgefährdungsbegriff ein gemäßigteres Verständnis zu unterstellen ist, ist eine Aufkündigung wegen Eigenbedarfs in einem Fall wie dem hier vorliegenden nicht berechtigt, kann doch nicht davon gesprochen werden, dass der Vermieter das Geschäftslokal für sich selbst dringend benötigte. Abgesehen davon, dass die klagende Partei eine Neuvermietung der Bestandräumlichkeiten nach deren baulichen Umgestaltung anstrebt und den Mietgegenstand daher gar nicht für sich selbst benötigt, etwa um dort selbst ein Unternehmen zu betreiben, also nur von dem vom Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 9 MRG nicht geschützte Bestreben, die eigene wirtschaftliche Lage zu verbessern (Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20 Rz 7 zu § 30), bestimmt ist, wurden schon bisher - und daran ist festzuhalten - im Fall der Neugründung eines Unternehmens ganz besondere Umstände gefordert, die es dem Vermieter unzumutbar erscheinen ließen, das erst zu eröffnende Geschäft an anderer Stelle als in den in Bestand gegebenen Geschäftsräumlichkeiten zu betreiben (MietSlg 51.380/13; 45.429/23; 39.467; RdW 1987, 408); solche Umstände liegen indes nicht vor.

Es mangelt aber auch an dem für eine Eigenbedarfskündigung essentiellen Erfordernis, dass der Bedarf an den aufgekündigten Räumen selbst bestehen muss, so dass von einem Eigenbedarf des Vermieters nicht gesprochen werden kann, wenn das Gebäude, in dem sich der Mietgegenstand befindet, ganz oder teilweise abgetragen bzw baulich entscheidend umgestaltet werden soll, was einer Vernichtung bzw erheblichen Veränderung des Mietgegenstands gleichkäme (vgl MietSlg 32.352; Würth-Zingher aaO Rz 46 zu § 30).

Schließlich darf nicht übersehen werden, dass die Bestandobjekte bewusst und in Kenntnis der Vermietung erworben wurden, um in Verfolgung eigener wirtschaftlichen Interessen neue Mietobjekte zu schaffen. Dem neuen Eigentümer dieser Lokale trotzdem die Möglichkeit der Kündigung wegen eines von ihm behaupteten - in Wahrheit gar nicht vorliegenden - Eigenbedarfs zu eröffnen, liefe der gebotenen Interessenabwägung zuwider, hat er doch einen solchen "Bedarf" bewusst - und damit in nicht schützenswerter Weise (vgl MietSlg 49.386) - selbst herbeigeführt.

Dem Hinweis der klagenden Partei auf die Ausführungen Michael Bydlinskis in RZ 1988, 102 ("Zur Eigenbedarfskündigung bei der Geschäftsraummiete") ist zu erwidern, dass auch dieser Autor bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden die Möglichkeit einer Eigenbedarfskündigung verneint. So führt er aus, dass eine Kündigung des Mietverhältnisses durch den Vermieter, der bei Einbeziehung eines weiteren Objekts seinen geschäftlichen Erfolg beträchtlich erhöhen könnte, selbst dann nicht möglich sei, wenn er dem Mieter ein Ersatzobjekt zur Verfügung stellen könnte, in dem dieser keinen Einnahmeverlust hinnehmen müsste oder sogar mehr verdienen könnte. Auch bei großzügiger Auslegung könne man nämlich in einem solchen Fall wohl regelmäßig nicht davon sprechen, dass der Vermieter den Mietgegenstand dringend benötige (aaO 104).

Räumte man der klagenden Partei die Möglichkeit der Eigenbedarfskündigung im vorliegenden Fall ein, so würde dies bedeuten, dass eine Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 9 MRG - wie die beklagte Partei richtig erkennt - immer schon dann berechtigt wäre, wenn der Vermieter das Bestandobjekt auf andere Weise besser verwerten könnte. Damit würde der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 9 MRG des Merkmals "dringend" entkleidet und praktisch eine unbeschränkte Kündigungsmöglichkeit geschaffen werden.

Der Revision der klagenden Partei ist daher ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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