OGH 9ObA28/01k

OGH9ObA28/01k25.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Zörner und Dr. Andreas Linhart als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Franz R*****, Kraftfahrer, *****, vertreten durch Dr. Thaddäus Schäfer und Mag. Peter Prechtl, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei F*****GesmbH, *****, vertreten durch Dr. Hansjörg Mader und Mag. Robert Mader, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 90.394,72 brutto sA (Revisionsinteresse der klagenden Partei: S 35.617,34 sA zuzüglich S 9.960,- netto; Revisionsinteresse der beklagten Partei: S 13.445,73), über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2000, GZ 13 Ra 41/00b-57, womit über Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Mai 2000, GZ 45 Cga 227/96d-49, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 810,24 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 135,04 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten als Fahrer beschäftigt. Seine Tätigkeit umfasste den Transport von Flugpassagieren mit Fahrzeugen der Beklagten von Innsbruck oder anderen Orten zum Flughafen München und zurück.

Zwischen den Streitteilen war vereinbart, dass der Kläger pro Fahrt netto S 400,-, für eine Stehstunde am Münchner Flughafen S 40,- und darüber hinaus an pauschalem Spesenersatz S 57,- erhalten sollte. Darüber hinausgehende Leistungen (Zustellungen, Passagiertransporte zu Orten abseits der Fahrtroute) sollten mit S 80,- netto pro Stunde entlohnt werden. Die Fahrtdauer in eine Fahrtrichtung betrug durchschnittlich 2 1/2 Stunden, die restliche halbe Stunde auf die veranschlagte Durchschnittszeit von drei Stunden pro Fahrt wurde zur Reinigung des Fahrzeugs oder für sonstige Tätigkeiten verwendet. Im Zusammenhang mit der Rückfahrt war der Fahrer verpflichtet, sich zwanzig Minuten vor Ankunft des ersten auf seiner Liste stehenden Flugzeugs am Schalter der Beklagten am Flughafen München einzufinden. Häufig kam es vor, dass Flugzeuge Verspätung hatten und die Abfahrt vom Flughafen München später stattfand, als vorher geplant. In der Zeit zwischen dem Eintreffen am Schalter und der tatsächlichen Abfahrt verrichteten die Fahrer diverse Arbeiten (Abholungen, Zustellungen etc). In der Zeit zwischen der Ankunft am Flughafen und dem der Rückfahrt vorgelagerten Einfinden am Schalter der Beklagten waren die Fahrer berechtigt, das Flughafengebäude - teilweise sogar mit dem Dienstfahrzeug - zu verlassen, etwa um in der Umgebung einen Badesee aufzusuchen oder einkaufen zu gehen.

Am 1. 6. 1996 verweigerte der Kläger die Durchführung der für ihn vorgesehenen Fahrt mit der Begründung, dass diese Fahrt mit insgesamt 17 Stunden zu lang sei. Tatsächlich betrug die voraussichtliche Dauer dieser Fahrt - einschließlich der Stehzeit am Flughafen München - ca. 13 bis 14 Stunden. Aufgrund dieser Weigerung wurde der Kläger entlassen.

Soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, vertrat das Berufungsgericht dazu folgende Rechtsauffassung:

Die Stehzeiten des Klägers - also die Zeit von der jeweiligen Ankunft am Münchner Flughafen bis zum Eintreffen am Schalter zwanzig Minuten vor der Ankunft des ersten Flugzeugs - sei nur insoweit als Arbeitszeit anzusehen, als nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages vier tatsächlich nicht geleistete Fahrstunden pro Woche auf die Stehstunden anzurechnen seien. Im Übrigen sei die Stehzeit der freien Disposition des Klägers unterlegen; sie falle daher - da auch keine Arbeitsbereitschaft bestanden habe - nicht unter den Arbeitszeitbegriff des § 2 AZG.

Dessen ungeachtet sei die Stehzeit in die Einsatzzeit gemäß § 16 Abs 1 AZG einzubeziehen. Diese Einsatzzeit umfasse die zwischen zwei Ruhezeiten anfallende Arbeitszeit sowie die Ruhe- und die Lenkpausen. Die Stehzeit sei nicht als Ruhezeit iS des § 11 Abs 1 AZG und auch nicht als Lenkpause iS des § 15 Abs 1 AZG zu werten. Da § 16 AZG dem Arbeitnehmer eine ununterbrochene Ruhezeit im Sinn des § 12 AZG von der Beendigung der Tagesarbeitszeit bis zum Beginn der nächsten Tagesarbeitszeit gewähren solle, sei dessen ungeachtet davon auszugehen, dass der objektive Tatbestand eines Verstoßes gegen die Bestimmungen über die zulässige Einsatzzeit immer dann vorliege, wenn die Zeit zwischen Beginn und Ende der Tagesarbeitszeit das festgesetzte Ausmaß überschreite. Die Art der Verwendung der arbeitsfreien Zeit sei ohne Belang. Aus der somit gebotenen Einbeziehung der Stehzeit in die Einsatzzeit folge, dass die Einsatzzeit am 1. 6. 1996 zwölf Stunden überschritten und damit gegen die zwingende Bestimmung des § 16 Abs 1 AZG verstoßen habe. Damit sei aber die Arbeitsverweigerung des Klägers weder schuldhaft noch pflichtwidrig gewesen, weshalb seine Entlassung ohne wichtigen Grund erfolgt sei.

Rechtliche Beurteilung

Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es ausreicht, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Der vom Kläger behauptete Mangel des Berufungsverfahrens (keine Erledigung der in der Berufung erhobenen Beweisrüge) liegt nicht vor. Anders wäre dies nur dann, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisrüge überhaupt nicht auseinandergesetzt hätte (RIS-Justiz RS0043162; zuletzt 8 ObA 212/00k). Geht aber - wie hier - aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils hervor, dass das Berufungsgericht seiner Pflicht, die Beweiswürdigung des Erstgerichtes zu überprüfen, nachgekommen ist, kann - unabhängig davon, ob dabei wirklich auf jedes einzelne Argument des Beschwerdeführers eingegangen wurde - von einem Mangel des Berufungsverfahrens keine Rede sein (RIS-Justiz RS0043162; RS0043268; zuletzt 8 ObA 212/00k). Hier hat sich das Berufungsgericht ausführlich mit der Beweiswürdigung des Erstgerichtes auseinandergesetzt. Ob die dabei angestellten Überlegungen richtig oder fehlerhaft sind, fällt in den Bereich der irrevisiblen Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0043371; zuletzt 8 ObA 212/00k).

Dass die Stehzeiten des Klägers - soweit sie nicht nach dem Arbeitsvertrag anders zu beurteilen sind - nicht als Arbeitszeit iS des § 2 AZG zu beurteilen sind, trifft entgegen der dagegen vom Kläger vorgebrachten Einwände zu. Der Kläger stützt seinen gegenteiligen Standpunkt mit Sachverhaltsbehauptungen, die von den Vorinstanzen gerade nicht als erwiesen angenommen wurden. Nach dem festgestellten Sachverhalt konnte der Kläger über die in Rede stehende Zeit nach seinem Belieben disponieren; er musste sich in dieser Zeit in keiner Weise für seinen Arbeitgeber bereit halten und konnte auch ihm genehmen Freizeitaktivitäten nachgehen. Diese Zeit ist daher - gleichgültig ob man sie als Ruhepause nach § 11 AZG, als Lenkpause nach § 15 AZG, als Wartezeit oder als Freizeit qualifiziert - keine Arbeitszeit (DRdA 1994, 53; RIS-Justiz RS0051919).

Aber auch die von der Beklagten bekämpfte Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, wonach diese Stehzeiten dessenungeachtet in die Einsatzzeit iSd § 16 AZG einzubeziehen sind, ist richtig.

Da die Arbeitszeit von Lenkern nicht nur von Lenkpausen, sondern oft auch durch andere Pausen unterbrochen wird, würde die erlaubte Tagesarbeitszeit oft erst lange nach ihrem Beginn enden und die tägliche Ruhezeit entsprechend später beginnen. Um dem entgegenzuwirken, hat das AZG den Begriff der "Einsatzzeit" eingeführt und diese ebenfalls - soweit hier von Interesse mit 12 Stunden (§ 16 Abs 2 AZG) - begrenzt. Sie umfasst nach § 16 Abs 1 AZG "die zwischen zwei Ruhezeiten anfallende Arbeitszeit und die Arbeitszeitunterbrechungen". Zur Arbeitszeit zählen nicht nur Lenkzeiten, sondern auch sonstige Arbeitszeiten des Lenkers, inklusive Zeiten der Arbeitsbereitschaft. Zu den Arbeitszeitunterbrechungen gehören insbesondere Lenk- und sonstige Ruhepausen, aber auch vorgezogene Teile einer Ruhezeit, wenn sie iSd § 15a Abs 3 AZG geteilt wurde. Es kommt nicht auf die zwingend vorgeschriebenen Mindestunterbrechungen an; auch längere Pausen zählen zur Einsatzzeit (Grillberger, AZG2 Anm 1 zu § 16 unter Hinweis auf VwGH, 20. 9. 1985, Zl 84/11/0139 = ARD 3743/6/85).

Damit ist klar, dass die hier in Rede stehende Arbeitszeitunterbrechung - mag man sie nun als Ruhepause oder als Arbeitsunterbrechung anderer Art qualifizieren - in die Einsatzzeit einzurechnen ist. Nur auf diese Weise kann dem klaren Wortlaut, aber auch dem Zweck der die Einsatzzeit normierenden Bestimmung des § 16 AZG entsprochen werden. Wieviel Zeit dem Lenker nach Beendigung der Einsatzzeit an Ruhezeit zur Verfügung steht, ist hingegen ohne Bedeutung; das Gesetz normiert eine ziffernmäßig bestimmte Obergrenze, die durch die Dauer der nachfolgenden Ruhezeit nicht beeinflusst wird.

Dass die EWG-VO 3820/85 den Begriff der Einsatzzeit nicht kennt, trifft zu, ist aber ohne Belang, weil das AZG gegenüber dieser Verordnung - soweit es strengere Bestimmungen trifft als diese - den Vorrang hat (Grillberger, AZG**2 Anm 3.2 zu § 13).

Dem Berufungsgericht ist daher beizupflichten, dass die dem Kläger am Entlassungstag erteilte Anordnung eine mehr als 12-stündige Einsatzzeit bewirkt hätte und damit gegen die zwingende Bestimmung des § 16 AZG verstoßen hat. Weisungen, die die Leistung einer gegen das AZG verstoßenden Einsatzzeit zum Gegenstand haben, sind ungültig und brauchen daher vom Arbeitnehmer nicht befolgt werden. Daher kann die Verweigerung der Befolgung einer solchen Weisung keinen Entlassungsgrund verwirklichen (vgl WBl 1999, 275 zum vergleichbaren Fall der Verweigerung der Leistung von nach dem AZG unzulässigen Überstunden).

Die vom Berufungsgericht auf der Grundlage seiner vom Obersten Gerichtshof gebilligten Rechtsauffassung zur Ermittlung der Ansprüche des Klägers angestellten Berechnungen werden nur vom Kläger und auch von diesem nur insofern bekämpft, als er jede Überschreitung der 12-stündigen Einsatzzeit als Überstundenleistung qualifiziert wissen will. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 6 Abs 1 AZG Überstundenarbeit dann vorliegt, wenn die Grenze der nach den §§ 3 bis 5, 5a oder 14 Abs 2 AZG zulässigen wöchentlichen Normalarbeitszeit oder die tägliche Normalarbeitszeit überschritten wird, die sich auf Grund der Verteilung der wöchentlichen Normalarbeitszeit ergibt. Die Begrenzung der (auch Arbeitsunterbrechungen umfassenden) Einsatzzeit verfolgt völlig andere Zielsetzungen und ist für den Begriff der Überstundenarbeit ohne Relevanz.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Beide Parteien haben die Kosten der jeweils gegnerischen Revisionsbeantwortung zu ersetzen. Nach Aufrechnung der beiderseitigen Kostenersatzansprüche ergibt sich der im Spruch ersichtliche Zuspruch an die Beklagte.

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