OGH 9ObA8/01v

OGH9ObA8/01v11.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Werner Dietschy und Ferdinand Rodinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Eugen L*****, Maschinenbediener, *****, vertreten durch Dr. Paul Sutterlüty ua, Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die beklagte Partei C*****GmbH, *****, vertreten durch Dr. Bertram Grass und Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen S 128.532 netto und S 17.110,85 brutto sA (Revisionsinteresse S 121.878 netto sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Oktober 2000, GZ 15 Ra 97/00b-12, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 31. Juli 2000, GZ 35 Cga 228/99x-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.112,- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.352,- Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1. 11. 1991 bis zum 31. 12. 1997 als Maschinenbediener in Liechtenstein bei einem dort ansässigen Unternehmen beschäftigt. Dieses Unternehmen ist mit der Beklagten (die früher einen anderen Firmenwortlaut hatte) gesellschaftsrechtlich verflochten. Im Jahr 1997 entschloss sich der bisherige Arbeitgeber des Klägers, den Produktionsteil seines Betriebs, in dem der Kläger tätig war, aus- und in das Unternehmen der Beklagten in Österreich einzugliedern. Seither wurde dieser Produktionsteil im Betriebsgebäude der Beklagten in Österreich weitergeführt. Der Kläger stimmte dem Wechsel zu und arbeitete nunmehr als Arbeitnehmer der Beklagten in Österreich. Mit Schreiben vom 10. 5. 1999 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. 6. 1999 auf.

Aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu seinem liechtensteinischen Arbeitgeber zahlte der Sozialfonds für das Gewerbe im Fürstentum Liechtenstein dem Kläger unter Hinweis darauf, dass dieser "den Wirtschaftsraum Liechtenstein/Schweiz endgültig verlassen" habe, SFR 53.977,08 aus. Diese Zahlung erfolgte im Rahmen der "2. Säule" eines allfälligen Pensionsanspruchs des Klägers.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Frage, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Abfertigung hat. Der Kläger begründet den von ihm behaupteten Anspruch mit dem Vorliegen eines Betriebs-(teil-)überganges, der dazu führe, dass von einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis und damit von einer mehr als fünfjährigen Beschäftigungsdauer auszugehen sei.

Die Beklagte bestritt den behaupteten Abfertigungsanspruch. Zu einem liege kein Betriebsübergang im Sinne des Gesetzes vor. Zum anderen sei dem liechtensteinischen Recht eine Abfertigung im Sinne des österreichischen Rechts fremd, sodass der Kläger durch seine in Liechtenstein zurückgelegte Arbeitszeit keine Anwartschaft auf den Abfertigungsanspruch erworben habe. Die Beklagte könne daher auch durch einen Betriebsübergang keine entsprechenden Verpflichtungen übernommen haben.

Beide Vorinstanzen verneinten den vom Kläger behaupteten Abfertigungsanspruch.

Das Berufungsgericht vertrat dazu folgende Rechtsauffassung:

Nach dem hier noch anzuwendenden § 44 Abs 1 IPRG sei mangels einer Rechtswahl nach § 11 Abs 1 IPRG auf Arbeitsverträge das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Für die Beurteilung des Arbeitsverhältnisses des Klägers sei das AVRAG maßgebend, dem eine territoriale Begrenzung nicht zu entnehmen sei und das daher auch im Fall eines grenzüberschreitenden Betriebsübergangs anzuwenden sei. Die mit dem AVRAG umgesetzte Betriebsübergangsrichtlinie 77/187/EWG solle dem Arbeitnehmer im Falle eines Betriebsübergangs die Möglichkeit sichern, sein Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu denselben Bedingungen fortzusetzen, wie sie mit dem Veräußerer vereinbart waren. Demgemäß bestimme § 3 Abs 1 AVRAG, dass im Falle eines Betriebsübergangs der Erwerber als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Der Gesetzgeber ordne damit an, dass der Erwerber sämtliche Rechte und Pflichten, wie sie in der Person des Vorgängers bestanden hätten, übernehme. Den Erwerber träfen jedoch weder zusätzliche Beschränkungen noch weitergehende Verpflichtungen. Das Gesetz schütze nur den bereits erworbenen "Besitzstand" des übernommenen Arbeitnehmers. Da die Betriebszugehörigkeit für sich allein noch keine Rechte begründe, müsse der neue Betriebsinhaber die beim Veräußerer zurückgelegten Dienstzeiten nur dann gegen sich gelten lassen, wenn daraus zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits Pflichten, die von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängen, resultiert hätten. Er habe daher auch (Abfertigungs-) Anwartschaften nur in dem Umfang gegen sich gelten zu lassen, in dem diese zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits bestanden hätten.

Hier sei nicht mehr strittig, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Übergangs keine Anwartschaft auf Zahlung einer Abfertigung bzw. einer Abgangsentschädigung nach § 1173a Art 62 des liechtensteinischen ABGB gehabt habe. Die vom Kläger beim liechtensteinischen Arbeitgeber zurückgelegte Dienstzeit sei daher für den Anspruch auf Abfertigung nach § 2 Abs 1 ArbAbfG iVm § 23 AngG nicht anzurechnen, weil diese Anrechnung eine Schlechterstellung des inländischen Erwerbers des Betriebsteils im Vergleich zum ausländischen Veräußerer bedeuten würde. Dafür spreche auch § 6 Abs 2 AVRAG, zumal ein Regress des Erwerbers nach § 896 ABGB wegen des Fehlens eines fiktiven Anspruchs gegen den Veräußerer nicht möglich sei. Zum gleichen Ergebnis gelange man im Übrigen bei Anwendung der korrespondierenden Bestimmung des § 1173 Art 43 des liechtensteinischen ABGB. Für die Abfertigung entscheidend seien daher nur die bei der Beklagten zurückgelegten Arbeitszeiten, die aber keinen Abfertigungsanspruch rechtfertigten.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, dass der Kläger auch unter der Annahme eines dem § 3 AVRAG zu unterstellenden Betriebsübergangs keinen aus der in Liechtenstein zurückgelegten Vordienstzeit abgeleiteten Abfertigungsanspruch hat, ist zutreffend. Es reicht daher insofern aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Die in der Revision zitierten Belegstellen, denen zu entnehmen ist, dass für die Beurteilung des Abfertigungsanspruchs im Falle eines Betriebsübergangs nach § 3 AVRAG die beim bisherigen Arbeitgeber zurückgelegten Dienstzeiten als beim Übernehmer zugebracht anzusehen seien, betreffen sämtlich den Regelfall, dass die beim bisherigen Arbeitgeber zurückgelegten Arbeitszeiten auch diesem gegenüber als abfertigungswirksam anzurechnen gewesen wären. Mit dem hier zu beurteilenden Sonderfall, dass der Arbeitnehmer gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber durch die bei ihm zurückgelegten Dienstzeiten keine Anwartschaftsrechte erworben hat, setzen sie sich nicht auseinander. In diesem besonders gelagerten Fall ist - wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf die von ihm zitierte Rechtsprechung des EuGH aufgezeigt hat - der auch vom Revisionswerber hervorgehobene Zweck sowohl der Betriebsübergangsrichtlinie als auch der §§ 3 ff AVRAG zu beachten, den Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang durch Wahrung seiner gegenüber dem Veräußerer erworbenen Ansprüche vor einem Rechtsverlust zu schützen. Den Arbeitnehmern wird die Möglichkeit eingeräumt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu denselben Bedingungen fortzusetzen, wie sie mit dem Veräußerer vereinbart waren (siehe bereits die vom Berufungsgericht zitierten Belegstellen, z.B. EuGH Slg 1998, 2559; Slg 1988, 3057). Hingegen ist es nicht Zweck der Richtlinie, dem Arbeitnehmer durch den Betriebsübergang Rechte aus der beim bisherigen Arbeitgeber zurückgelegten Tätigkeit zu verschaffen, die ihm gegenüber diesem nicht erwachsen sind und auch nicht bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erwachsen wären. Entgegen der Meinung des Revisionswerbers steht der Wortlaut der Richtlinie diesem Ergebnis nicht entgegen: In deren Art 3 Abs 1 wird vielmehr ausdrücklich normiert, dass "die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis ... auf Grund des Übergangs auf den Erwerber" übergehen. Nichts anderes gilt für § 3 AVRAG, der normiert, dass im Falle eines Betriebsübergangs der neue Inhaber des Betriebs "als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnisse" eintritt. Hier hat aber der Revisionswerber durch seine beim bisherigen Arbeitgeber zurückgelegte Dienstzeit gegenüber diesem keinerlei abfertigungsrechtlich relevante Rechtsposition erworben, sodass eine solche durch den Betriebsübergang nicht - nunmehr gegenüber dem neuen Inhaber - begründet werde konnte.

Dementsprechend vertritt auch das BAG - wie ebenfalls schon das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat - zu § 613a BGB die Rechtsauffassung, dass der Erwerber eines Betriebes nicht verpflichtet ist, bei der Gewährung und Berechnung von Versorgungsleistungen aufgrund einer eigenen Versorgungszusage diejenigen Beschäftigungszeiten anzurechnen, welche die übernommenen Arbeitnehmer bei dem Veräußerer des Betriebes zurückgelegt haben. Auch das BAG geht dabei davon aus, dass der Erwerber (nur) in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen einstehen muss, die zur Zeit des Betriebsinhaberwechsels bestehen; das Gesetz schütze den bereits erworbenen Besitzstand der übernommenen Belegschaft (NJW 1980, 416).

Da somit der im Revisionsverfahren noch strittige Anspruch des Klägers auch bei Bejahung der Anwendbarkeit von Betriebsübergangsrichtlinie und AVRAG nicht zu Recht bestehen kann, erübrigt es sich, zu den dazu vom Berufungsgericht angestellten Überlegungen Stellung zu nehmen.

Da sich das hier erzielte Ergebnis unzweifelhaft aus Wortlaut und Sinn der Betriebsübergangsrichtlinie und aus der zu deren Intentionen ergangenen Rechtsprechung des EuGH ergibt, ist im Sinn der "acte clair"-Theorie eine Anrufung des EuGH entbehrlich (RdW 2000/81).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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