OGH 2Ob186/00t

OGH2Ob186/00t29.3.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Salzburg, 1201 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, 2.) Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, und 3.) Tiroler Gebietskrankenkasse, 6020 Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2, alle vertreten durch Dr. Ludwig Hoffmann, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, gegen die beklagte Partei Gerhard M*****, vertreten durch Dr. Dieter Brandstätter, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, wegen 1.) insgesamt S 1,843.970,32 sA und 2.) Feststellung (Streitwert: S 300.000,--), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 11. April 2000, GZ 1 R 48/00v-30, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 30. Dezember 1999, GZ 12 Cg 68/98z-5, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die ordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, dem Beklagten zu Handen dessen Vertreters die nachfolgend angeführten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen:

a) die erstklagende Partei S 19.889,53 (darin S 3.314,92 an USt)

b) die zweitklagende Partei S 3.859,16 (darin S 643,19 an USt)

c) die drittklagende Partei S 5.937,17 (darin S 989,53 an USt).

Text

Begründung

Im August 1995 war die Firma M***** beauftragt, am F*****berg Kanalisierungsarbeiten durchzuführen. Dieses Unternehmen zog ihrerseits die Firma S*****, ein Erdbewegungsunternehmen, als Subunternehmer zu diesen Arbeiten bei.

Am 23. 8. 1995 waren der Beklagte als Dienstnehmer der Firma S***** als Baggerfahrer sowie Sieghard P***** und Werner T*****, beide Dienstnehmer der Firma M*****, mit Rohrverlegungsarbeiten betraut. Derartige Arbeiten hatten diese drei Personen auf der Baustelle, die vom öffentlichen Verkehr abgesperrt war, seit ungefähr einem Monat verrichtet. Der Beklagte und Sieghard P***** hatten auch schon früher auf anderen Baustellen in gleicher Konstellation derartige Rohrverlegungsarbeiten durchgeführt. Sie waren ein eingespieltes Team.

Der Arbeitsverlauf der Kanalrohrverlegungen ging stets so vor sich, dass der Beklagte zunächst mit dem Bagger den Graben aushob, P***** und T***** sodann die Sohle im Graben verlegten und das zu verlegende Rohr am Baggergreifarm befestigten. Dieses wurde dann mit dem Bagger in den Graben gehoben und dort von T***** oder P***** eingerichtet. In der Folge wurde der Graben wieder aufgefüllt. Bei diesen Arbeiten musste der Beklagte ebenso wie im Falle des Verrutschens der am Baggergreifarm befestigten Rohre mit dem Bagger vor- und zurückfahren, was P***** auch bekannt war.

Auf Grund einer Baubesprechung verließ P***** am Unfallstag während der Arbeit den eigentlichen Arbeitsbereich, um danach wieder zu jenem Bereich zurückzukehren, in dem der Beklagte und T***** weiterhin Kanalverlegungsarbeiten durchführten. Als P***** wieder zum Arbeitsbereich zurückkehrte, nahm dieser wahr, dass am Greifarm des Baggers ein Rohr angehängt war, mit dem sich der Bagger vorwärts zu jener Stelle bewegte, wo das Rohr in den Graben hineinzuhieven war. P***** sah weiters, dass der Bagger zum Stillstand kam.

Während P***** ursprünglich talseits am Bagger vorbeigehen wollte, um zur etwa 20 bis 30 m vor dem Bagger gelegenen Jausenstelle zu gelangen, entschloss er sich plötzlich, die Straße zu queren, um auf der anderen Seite am Bagger, an dessen Heck und Seiten jeweils Warntafeln mit dem Hinweis eines Verbotes des Aufenthaltes im Gefahrenbereich montiert waren, vorbeizugehen. P***** querte dann die Straße einen halben bis einen Meter hinter dem Bagger. Währenddessen setzte der Beklagte mit dem Bagger auf Grund eines am Baggergreifarm verrutschten Rohres mit sehr langsamer Geschwindigkeit etwa einen halben Meter zurück. Unmittelbar vor Beginn des Rückwärtsfahrens hatte dieser sowohl in den rechten als auch linken Außenspiegel ohne Wahrnehmung einer Gefahr geschaut. Eigens umgedreht hatte sich der Beklagte nicht, weil die Sicht auf den unmittelbaren Bereich hinter dem Bagger durch den Schwenkarm des Baggers genommen war. Ein mögliches Queren einer Person im hinteren Baggerbereich wäre für den Beklagten nur bei gleichzeitigem Verrenken des Körpers und des Kopfes für einen Bruchteil einer Sekunde wahrnehmbar gewesen. Ein Einweiser für den Beklagten war weder auf der gegenständlichen Baustelle noch früher auf anderen Baustellen angestellt. Der Beklagte wurde jeweils durch Zurufe oder Pfiffe anwesender Arbeiter auf Gefahrenmomente aufmerksam gemacht.

Beim Rückwärtsfahren wurde P***** vom Bagger erfasst, niedergestoßen und schließlich an den Beinen von einer Kette des Baggers überrollt.

Sieghard P***** wurde dadurch schwer verletzt (Polytrauma), sodass ihm beide Beine amputiert werden mussten. Er ist seither zu 100 % invalid.

Die klagenden Parteien, bei denen der verletzte P***** pflichtversichert war, begehrten vom Beklagten die Zahlung von insgesamt S 1,843.970,32 sowie die urteilsmäßige Feststellung, dass der Beklagte für alle künftigen Pflichtleistungen, die die drei klagenden Parteien aus Anlass dieses Arbeitsunfalles an P***** zu erbringen hätten, insofern ersatzpflichtig sei, als diese Leistungen im Schaden Deckung fänden, den Sieghard P***** ohne Berücksichtigung der Legalzession nach § 332 ASVG gegenüber dem Beklagten geltend zu machen berechtigt sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ausgehend vom oben dargestellten Sachverhalt führte es rechtlich aus, dass der Beklagte mangels Nichthinzuziehens eines Einweisers objektiv gegen § 143 Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl 1994/340, einer Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB, verstoßen habe und diesem daher die Beweislast für die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens bzw das rechtmäßige Alternativverhalten obliege. Dieser Beweis sei dem Beklagten nicht gelungen. Den Verletzten treffe insofern ein gravierendes Mitverschulden als dieser ohne Notwendigkeit die Straße im unmittelbaren Gefahrenbereich trotz des Wissens, dass der Bagger auch bei angehängter Last fallweise rückwärts fahre, überquert habe. Das Verschulden des Beklagten sei im Hinblick auf das Überwiegen des Verschuldens des Verletzten vernachlässigbar. Es bestehe somit kein Schadenersatzanspruch des Verletzten (und bei den klagenden Parteien Pflichtversicherten) gegenüber dem Beklagten und daher auch kein Regressanspruch der klagenden Parteien nach § 332 ASVG. Dem Beklagten komme die Haftungsbefreiung des § 332 Abs 5 lit a ASVG zugute, weil er auf Grund einer gemeinsamen wirtschaftlichen Tätigkeit mit dem Verletzten im Betrieb des Arbeitgebers des Verletzten eingegliedert gewesen sei und diesen kein grobes Verschulden an diesem Unfall treffe.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes in der Hauptsache und sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand in Ansehung der zweitklagenden Partei S 260.000,-- übersteige (in Ansehung der übrigen Kläger übersteigt schon der geltend gemachte Kapitalbetrag jeweils S 260.000,--) und die ordentliche Revision zulässig sei.

Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, dass der Begriff der Eingliederung, wie er aus § 332 Abs 5 lit a ASVG folge, nur in faktischer Hinsicht verstanden werden könne. Es sei daher auf das eigentliche Zusammenwirken der Arbeiter und nicht auf rechtliche Beziehungen zwischen den Arbeitern und ihren Arbeitgebern oder auf allfällige Weisungsrechte abzustellen. Auf Grund der Feststellungen sei von einer Eingliederung im Sinne der oben zitierten Bestimmung auszugehen, weil der Verletzte und der Beklagte eine gemeinsame Tätigkeit entwickelt und einen gemeinsamen Arbeitserfolg beabsichtigt hätten. Den Beklagten treffe auch aus den schon vom Erstgericht angeführten Gründen kein grobes Verschulden. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung und der objektive Verstoß gegen ein Schutzgesetz alleine ließen einen Schluss auf eine grobe Fahrlässigkeit nicht zu.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zu der Frage, unter welchen Umständen § 332 Abs 5 lit a ASVG zur Anwendung komme, wenn der Schädiger in einem fremden Betrieb in der Art eines eigenen Arbeitnehmers eingegliedert sei, keine ausreichende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von sämtlichen klagenden Parteien erhobene Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig.

Der Oberste Gerichtshof ist nach § 508a Abs 1 ZPO bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO gebunden und kann sich gemäß § 510 Abs 3 ZPO bei der Zurückweisung einer ordentlichen Revision auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Arbeitskameraden iSd § 332 Abs 5 ASVG müssen nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (ZAS 1977, 21; EvBl 1979/44; RIS-Justiz RS0084993) nicht notwendigerweise Dienstnehmer desselben Dienstgebers sein; die Sonderregel, die den Regress des Sozialversicherungsträgers ausschließt, greift auch dann ein, wenn die am Haftpflichtfall Beteiligten nur im selben Betrieb eingegliedert sind (Neumayr in Schwimann, ABGB2 Rz 155 zu § 332 ASVG). Dass das Berufungsgericht eine solche "betriebliche Eingliederung" in der Art eines eigenen Arbeitnehmers (vgl dazu Neumayr aaO Rz 24 zu § 333 ASVG und die dort angeführte Judikatur) angenommen hat, beruht auf den Umständen des konkreten Einzelfalles, der keine Verallgemeinerungen zulässt. Eine - im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmende - Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht dabei nicht unterlaufen.

Die ordentliche Revision war daher wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass die Kosten der Revisionsbeantwortung als der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienlich zugesprochen werden können. Hinsichtlich der entsprechenden Quoten (erstklagende Partei 67 %; zweitklagende Partei 13 %; drittklagende Partei 20 %) kann auf die Berufungsentscheidung verwiesen werden.

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