OGH 9ObA325/00k

OGH9ObA325/00k28.2.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Rudolf Grammer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Sahin A*****, Kraftfahrer, ***** vertreten durch Dr. Wolfgang Hochsteger und andere, Rechtsanwälte in Hallein, gegen die beklagte Partei S***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf und andere, Rechtsanwälte in Peuerbach, wegen S 67.779,10 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. August 2000, GZ 12 Ra 138/00a-16, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. Februar 2000, GZ 20 Cga 178/99-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.871,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 811,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 18. 1. 1999 bis 9. 7. 1999 bei der beklagten Partei als Kraftfahrer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Arbeitnehmerkündigung.

Der Kläger begehrt von der beklagten Partei bereits abgerechnete Entgelte für Juni und Juli 1999 mit der Begründung, dass die Auszahlung der gebührenden Entgelte mit der unrichtigen Behauptung, der Kläger habe Tachographenscheiben nicht abgegeben, zurückbehalten werde.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe vereinbarungs- und weisungswidrig Tachographenscheiben für den Zeitraum vom 26. 6. bis 9. 7. 1999, welche die Beklagte zur Überprüfung der Lohnansprüche benötigt hätte, nicht abgegeben. Die Lohnansprüche des Klägers für Juni und Juli 1999 seien daher nicht fällig. Zufolge einer mit dem Kläger getroffenen Vereinbarung habe die Beklagte das Recht, die Entgelte bis zur Vorlage der Tachographenscheiben ein- bzw zurückzubehalten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf noch folgende Feststellungen:

Der Kläger übergab während seines Arbeitsverhältnisses die in seinem Fahrzeug verwendeten Tachographenscheiben jeweils an Verantwortliche der Beklagten. Ob die Originaltachographenscheiben für den Zeitraum vom 26. 6. bis 9. 7. 1999 in den Besitz der beklagten Partei gelangten, kann nicht festgestellt werden. Fotokopien derselben legte der Kläger im Verfahren mit Schriftsatz vom 11. 1. 2000 vor. Die Lohnzahlungen an den Kläger erfolgten monatlich im Nachhinein. In der Lohnabrechnung für Juni 1999 berechnete die Beklagte für den Kläger Entgelte von S 50.222,58 brutto, in der für Juli 1999 von S 17.556,52 brutto; sie zahlte diese Beträge aber nicht aus.

Das Erstgericht vertrat dazu folgende Rechtsauffassung:

Nach Art VIa Punkt 24h des Kollektivvertrages habe der Lenker die Schaublätter ("Tachographenscheiben"), die er nicht mitzuführen hat, unverzüglich dem Arbeitgeber auszufolgen. Ein Lohnzurückbehaltungsrecht des Arbeitgebers für den Fall des Zuwiderhandelns gegen diese Vorschrift sei nicht normiert. Nur wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht nicht erfülle, sei der Arbeitgeber nicht verhalten, Entgelt zu leisten. Es bestehe kein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitgebers an Entgelt, selbst wenn dem Kläger die Nichtabgabe der Tachographenscheiben vorgeworfen werden könnte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es sprach überdies aus, dass die ordentliche Revision nach § 46 Abs 1 ASGG zulässig sei.

Wenn auch Zurückbehaltungsrechte durch Parteienvereinbarung begründet werden könnten, sei für den Bereich des Arbeitsrechts eine solche Vereinbarung insoweit nichtig, als gegen zwingende Normen verstoßen werde. Im Kollektivvertrag sei kein Lohnrückbehaltungsrecht vorgesehen. Hingegen setzten lohngestaltende Vorschriften ein unabdingbares Entgelt fest. Es verstoße gegen die Grundwertungen des Arbeitsrechts, den fälligen Lohn zurückzubehalten. Dies vor allem dann, wenn - wie hier - keine Pflicht zur Rechnungslegung durch den Arbeitnehmer bestehe, die Voraussetzung für die Berechnung des Entgelts wäre und die Auszahlung hiedurch nicht unzumutbar sei. Die Vorlage der Tachographenscheiben sollte nämlich nicht der Bemessung des Entgelts, sondern lediglich der Überprüfung der Leistungsberichte des Klägers dienen, nach welchen die Entgeltberechnung ohnehin vorgenommen wurde. In diesem Fall bestehe lediglich eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Abgabe der Tachographenscheiben, nicht jedoch zur Rechnungslegung mittels der Originaltachographenscheiben.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Feststellungen über ein vertragliches Recht auf Rückbehaltung von verdientem Arbeitsentgelt erachtete das Berufungsgericht deshalb nicht für rechtserheblich, weil eine solche (bestrittene, Seite 39) Vereinbarung, auch wenn sie getroffen worden wäre, ohnehin nicht zulässig sei. Damit trug es auch der bereits in der Klage erhobenen und später wiederholten ausreichend deutlichen und keiner weiteren Substantiierung bedürftigen Einwendung des Klägers Rechnung, dass ein Zurückbehaltungsrecht weder im Kollektivvertrag noch in den Gesetzen normiert sei (S 3, 23) und sohin ein Rückbehaltungsrecht kein die Fälligkeit zustehender Arbeitsentgelte hindernder Rechtsgrund sei.

Das Berufungsgericht gab weiters zutreffend den Standpunkt der maßgeblichen Literatur wieder, dass dem Arbeitgeber selbst bei nicht ordnungsgemäßer Erbringung der Arbeitsleistung ein Entgeltrückbehaltungsrecht nicht zusteht und er nur unter bestimmten Voraussetzungen mit Gegenforderungen aufrechnen kann (Adler/Höller in Klang2 V, 271; Krejci in Rummel, ABGB3 Rz 53, 54 zu § 1154 ABGB; Binder in Schwimann, ABGB2 Rz 51 zu § 1052; Schwarz/Löschnigg Arbeitsrecht8, 395; Jabornegg, Zurückbehaltungsrecht und Einrede des nicht erfüllten Vertrages 194; Mazal, Zurückbehaltung von Arbeitslohn DRdA 1993, 62 f ua). Die Judikatur verneinte bereits ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitgebers an Arbeitsentgeltforderungen des Arbeitnehmers zur Sicherung einer Endabrechnung (Arb 11.250). Der vorliegende Fall ist ähnlich gelagert (vgl auch Arb 8768). Es verstößt geradezu gegen die Grundwertungen des Arbeitsrechts, einen (teilweisen) Verzicht auf Arbeitnehmerrechte durch "Retorsion" zu erzwingen (Arb 11.412 = DRdA 1996/29 [Pfeil]). Selbst wenn ein Zurückbehaltungsrecht vereinbart ist, vermag dieses die relativ zwingende Fälligkeitsbestimmung des § 1154 Abs 3 ABGB (Krejci aaO Rz 1 zu § 1154 ABGB; Pfeil in Schwimann aaO Rz 1 zu § 1154), wonach bereits verdientes Entgelt mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird, nicht zu umgehen.

Schon aus diesem Grunde besteht der Anspruch des Klägers auf verdientes, im Nachhinein auszuzahlendes Entgelt für Juni und Juli 1999 zu Recht. Auch wenn die Vorlage der Tachographenscheiben nach Art VIa des Kollektivvertrages für das Güterbeförderungsgewerbe eine (gesondert durchzusetzende) Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag ist, so entspricht diese Verpflichtung weder einer Rechnungslegungspflicht (Arb 8116), noch berührt die Verletzung dieser Pflicht die gesetzliche Fälligkeit der Arbeitnehmerforderung (Arb 8768) oder bedingt die Möglichkeit, erst dadurch die Arbeitnehmerforderung berechnen zu können. Dazu waren die Leistungsberichte ausreichend. Dem Arbeitgeber steht lediglich zur Erzwingung von Aufklärungen über dienstliche Vorkommnisse, so etwa zur Überprüfung der Leistungsberichte, die mit der Entgeltberechnung nicht in einem konditionalen Pflichtenzusammenhang stehen, ein Zurückbehaltungsrecht nicht zu (Jabornegg aaO, 194; Krejci aaO Rz 54 zu § 1154 ABGB).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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