OGH 8ObS22/01w

OGH8ObS22/01w22.2.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter MR Mag. Georg Genser und Helmuth Prenner als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Thomas M*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr. Thomas Stampfer, Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Bundessozialamt Steiermark, Babenbergerstraße 35, 8021 Graz, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17 - 19, 1011 Wien, wegen S 18.863,-- Insolvenz-Ausfallgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. September 2000, GZ 7 Rs 195/00a-13, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Mai 2000, GZ 33 Cgs 282/98m-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 2. 6. 1973 geborene Kläger, der zunächst vom 17. Juli 1989 bis 31. August 1990 Angestellter der I***** GesmbH war, absolvierte vom 2. April 1991 bis 1. Oktober 1994 eine 3 1/2jährige Lehre bei der Konkursmasse C***** S*****. Vom 2. Oktober 1994 bis zumindest 31. Juli 1995 stand der Kläger dort in einem Angestelltenverhältnis. Der Betrieb, in dem der Kläger arbeitete, wurde in der Folge von der C***** Holding AG übernommen. Das Dienstverhältnis des Klägers zur C***** Holding AG begann am 1. August 1995. Am 27. Oktober 1995 unterzeichneten der Vertreter der C***** Holding AG und der Kläger eine ab 1. Oktober 1995 gültige "Dienstvertragsänderung", deren Punkt 3. lautet:

"Vordienstzeiten im Ausmaß von...51... Monaten werden bei der Bemessung des Urlaubsausmaßes, der Entgeltfortzahlungsfristen bei Krankheit und Unglücksfall, der einzuhaltenden Kündigungsfrist sowie der Abfertigung voll angerechnet."

Mit Beschluss des Landesgerichts für ZRS Graz vom 30. April 1997, 26 S 331/97i, wurde über das Vermögen der C***** Holding AG das Konkursverfahren eröffnet. Das Dienstverhältnis des Klägers endete am 29. Juli 1997 durch dessen berechtigten vorzeitigen Austritt.

Über Antrag des Klägers vom 5. August 1997 wurde ihm Insolvenz-Ausfallgeld von S 185.748,-- zuerkannt, darunter eine Abfertigung in Höhe von S 37.725,--, das entspricht zwei Monatsentgelten. Mit Bescheid vom 27. Oktober 1998 wurde der darüber hinausgehende Antrag des Klägers auf Leistung von weiteren S 18.863,-- für einen dritten Monatsbezug an Abfertigung abgelehnt.

Dagegen richtet sich die Klage mit dem (eingeschränkten) Begehren auf Zuspruch der abgelehnten Leistung in der unstrittigen Höhe von S 18.863,--. Der Berechnung der Abfertigung seien nicht nur die 24 Monate von 1. 8. 1995 bis 29. Juli 1997 zuzüglich drei Monate fiktiver Kündigungsfrist (30. Juli 1997 bis 29. Oktober 1997) zugrunde zu legen, sondern auch die 51 vertraglich vereinbarten Monate. Somit müsse auch die Lehrzeit des Klägers eingerechnet werden, da sonst ein Lehrling bei der Anrechnung von Vordienstzeiten benachteiligt würde.

Die beklagte Partei wandte dagegen ein, dass die dem Abfertigungsanspruch zugrunde zu legenden Vordienstzeiten die 3 1/2jährige Lehrzeit nicht mit umfassten. Lehrzeiten seien nur dann für die Abfertigung in Anschlag zu bringen, wenn das bei demselben Dienstgeber zurückgelegte Dienstverhältnis einschließlich der Lehrzeit mindestens sieben Jahre gedauert habe. Der Kläger weise jedoch höchstens eine Dienstzeit in der Gesamtdauer von 6 1/2 Jahren = 78 Monaten (51 + 27 Monate) auf. Die einzelvertragliche Besserstellung des Klägers ändere nichts an dem Ergebnis, weil der Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld nur die gesetzlichen Abfertigungsansprüche umfasse.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe selbst unter Einrechnung der gesamten Vordienstzeit von 51 Monaten weniger als sieben Jahre bei dem selben Dienstgeber zurückgelegt, so dass gemäß § 23 Abs 1 AngG die Lehrzeit in der Dauer von 42 Monaten für die Höhe der Abfertigung nicht zu berücksichtigen sei. Eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten sei für die Höhe der gesicherten (gesetzlichen) Abfertigungsansprüche unmaßgeblich. Die völlig unzweifelhafte Formulierung der Anrechnungsbedingungen für Lehrzeiten lasse keinen Spielraum für die vom Kläger gewünschte Auslegung, dass eine Person, die eine Lehre absolviert habe, nicht schlechter gestellt sein könne als jemand, der keine Lehre absolviert habe.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und führte aus, dass Abfertigungen, die nach ihrer Höhe und nach der Anzahl ihrer Raten über den gesetzlichen Mindeststandard hinausgingen, nicht gesichert seien. Durch eine einzelvertragliche Regelung, die in Widerspruch zu § 23 Abs 1 zweiter Satz AngG stehe, könne eine Erhöhung der Abfertigung zu Lasten der beklagten Partei nicht stattfinden. In dieser Bestimmung liege auch keine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von Lehrlingen. Es komme nur der Umstand zum Ausdruck, dass sich der volle Wert einer in einem Betrieb genossenen Lehrlingsausbildung für den Dienstgeber erst nach mehreren Jahren herauszustellen pflege.

Die ordentliche Revision sei im Hinblick auf die (möglicherweise) teilweise widersprüchliche Judikatur zuzulassen, ob auf eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten zurückgehende Abfertigungsansprüche nach dem IESG gesichert seien.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Klägers ist zulässig, weil die Frage, ob eine von der Bestimmung des § 23 Abs 1 Satz 2 AngG abweichende einzelvertragliche Anrechnung von Lehrzeiten zu nach dem IESG gesicherten höheren Abfertigungsansprüchen führen kann, bisher nicht vom Höchstgericht entschieden wurde und sich durch die IESG-Novelle 1997 keine hier relevanten Änderungen der Rechtslage ergeben (8 ObS 323/99d).

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits vor der Anwendbarkeit des IESG in der Fassung des IRÄG 1997 wiederholt ausgesprochen, dass der Anspruch auf Abfertigung nach dem Wortlaut des - durch das IRÄG 1997 nicht geänderten - § 1 Abs 4a IESG nur in dem dem gesetzlichen Ausmaß entsprechenden Umfang gesichert ist (RIS-Justiz RS0076822; kritisch Holzer/Reissner/Schwarz, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz4 [1999], 194). Diese Überlegungen wurden aber nicht generell auf eine vereinbarte Vordienstzeitenanrechnung übertragen (8 ObS 21/94 = WBl 1995, 160). Eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten ist nach der hier - auf Grund der Konkurseröffnung am 30. 4. 1997 - anzuwendenden Rechtslage vor dem IRÄG 1997 unter Bedachtnahme auf die in § 1 Abs 3 Z 2 IESG vorgesehenen Ausschlüsse an sich zulässig (8 ObS 236/99k). Zur Vermeidung von Manipulationen kann sie aber nur so weit beachtlich sein, als es sich um solche Zeiten handelt, die den in § 23 AngG genannten, für die Bemessung des Abfertigungsausmaßes maßgeblichen Zeiten entsprechen. In diesem Sinn fordert die Rechtsprechung, dass solche Zeiten - wenn auch nicht beim selben Arbeitgeber - tatsächlich zurückgelegt worden sein müssen; außerdem dürfen sie zur Vermeidung von Doppelanrechnungen nicht bereits bei früheren Beendigungsansprüchen berücksichtigt worden sein (8 ObS 21/94 = WBl 1995, 160; 8 ObS 73/97m; 8 ObS 236/99k). Durch das IRÄG 1997 wurden diese Kriterien vom Gesetzgeber in § 3 Abs 3 Satz 2 IRÄG festgeschrieben.

Nach § 23 AngG sind Lehrzeiten, die bei demjenigen Arbeitgeber zurückgelegt wurden, den der gesetzliche Abfertigungsanspruch trifft, nur unter bestimmten Voraussetzungen anzurechnen: das Dienstverhältnis einschließlich der Lehrzeit muss mindestens sieben Jahre ununterbrochen gedauert haben; die Lehrzeit allein begründet keinen Abfertigungsanspruch.

Diese Ausnahme für Lehrzeiten lässt sich zunächst mit dem Zweck der Abfertigung als Teilhabe am Unternehmenserfolg begründen. Bei der Arbeit des auszubildenden Lehrlings steht der Lerneffekt und nicht die Arbeitsleistung im Vordergrund. Daneben muss berücksichtigt werden, dass der Lehrling während seiner Ausbildungszeit sehr weitgehenden Bestandschutzvorschriften unterliegt, so dass auch der Zweck der Abfertigung, den Arbeitgeber vor übereilten Kündigungen zu bewahren, nicht greift. Schließlich ist das Lehrverhältnis immer befristet und endet daher mit dem Ablauf der vereinbarten Dauer der Lehrzeit, weshalb es bei jeder Beendigung der Lehrzeit (nach zumindest drei Jahren) zu einem Abfertigungsanspruch des Lehrlings käme, wenn er nicht anschließend an die Lehrzeit im selben Unternehmen weiterbeschäftigt wird. Dies widerspräche dem Sinn der Abfertigung, eine Treueprämie oder eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes zu sein (Kirschbaum, Das System des österreichischen Abfertigungsrechts, in: Runggaldier [Hrsg], Abfertigungsrecht [1991], 17 [29]).

Rechnet ein Dienstgeber tatsächlich zurückgelegte Lehrzeiten für die Bemessung einer Abfertigung an, handelt es sich bei dem darauf beruhenden Abfertigungsanspruch nicht um einen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden; vielmehr ist er als freiwillige Leistung zu qualifizieren, die nicht nach dem IESG gesichert ist. Neben dem § 23 Abs 1 Satz 3und 4 AngG spricht auch § 152 ABGB für eine Differenzierung zwischen wirksam anrechenbaren tatsächlich zurückgelegten Beschäftigungszeiten als Arbeiter bzw Angestellter einerseits und tatsächlich zurückgelegten Lehrzeiten andererseits, die bei einzelvertraglicher Anrechnung nicht generell zu einem nach dem IESG gesicherten Anspruch führen können. Während ein mündiger Minderjähriger Dienstverträge grundsätzlich allein schließen kann, bedarf es für den Abschluss von Lehr- und Ausbildungsverträgen, mit denen sich der Minderjährige (auch) zu Dienstleistungen verpflichtet, der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Daraus erhellt, dass bei einem Lehr- oder sonstigen Ausbildungsvertrag Umstände, die über die Dienstleitsungserbringung hinaus gehen, eine wesentliche Rolle spielen. Aus Sicht des Lehrherrn ist die Wertigkeit von Lehrzeiten damit anders zu beurteilen als die Qualifikation sonstiger Beschäftigungszeiten. Ihre Anrechnung kommt nach der gesetzlichen Wertung des § 23 AngG nur in Betracht, wenn der vormalige Lehrling über die Lehrzeit hinaus insgesamt eine längere ununterbrochene Verweildauer beim Lehrherrn aufweisen kann.

Vermag aber eine bei einem Arbeitgeber tatsächlich zurückgelegte Lehrzeit einen Abfertigungsanspruch nur bei einer längeren Gesamtmindestdauer des Dienstverhältnisses (nach § 23 AngG sieben Jahre einschließlich Lehrzeit) zu begründen, würde es einen Wertungswiderspruch bedeuten, würde die bei einem anderen Arbeitgeber zurückgelegte Lehrzeit allgemein als potenziell anrechenbare Vordienstzeit behandelt. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass auch auf der Grundlage des § 3 Abs 1 AVRAG kein einheitliches Dienstverhältnis (vom 2. April 1991 bis 29. Juli 1997) angenommen werden kann, weil der Erwerb eines Betriebes aus einer Konkursmasse nach § 3 Abs 2 AVRAG nicht zum Eintritt des Erwerbers in die bestehenden Arbeitsverhältnisse gemäß § 3 Abs 1 AVRAG führt (siehe SZ 70/168 und EuGH 7. 2. 1985, Rs 135/83 - Abels, Slg 1985, 469 zu Art 1 Abs 1 der Richtlinie (EWG) 77/187).

Darauf, welchen Wert der die Vordienstzeitenanrechnung vereinbarende Arbeitgeber den Lehrzeiten beimisst, kann es nicht ankommen, weil für die Qualifizierung der nach dem IESG gesicherten Ansprüche Lehrzeiten nach der beschriebenen gesetzlichen Wertung nicht generell als "tatsächlich zurückgelegte Beschäftigungszeiten" anzusehen sind.

Den Unterinstanzen ist daher darin beizupflichten, dass es sich trotz der getroffenen Vereinbarung über die Anrechnung von Vordienstzeiten bei der vom Kläger zurückgelegten Lehrzeit nicht um eine für die Berechnung der konkreten Abfertigungshöhe zu berücksichtigende Zeit handelt, zumal der Kläger einschließlich der laut Vereinbarung anzurechnenden Vordienstzeiten insgesamt nur eine 6 1/2jährige und somit nicht zumindest eine siebenjährige Dienstzeit aufweist, wie sie von § 23 AngG gefordert wird.

Da der Kläger nur Anspruch auf Insolvenzausfallgeld für eine Abfertigung im Ausmaß von zwei Monatsentgelten hat, ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeitserwägungen rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht.

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