Spruch:
Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 30. März 2000, AZ 23 Bs 437, 457, 482/99, 85/00, verletzt § 144a Abs 1 StPO.
Text
Gründe:
Im Strafverfahren gegen Andreas W***** wegen "§§ 146 ff StGB" und andere Beschuldigte, AZ 24b Vr 8683/99 (später fortgesetzt unter AZ 5b Vr 8663/99, Hv 6678/99) des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, erließ die Untersuchungsrichterin über Antrag der Staatsanwaltschaft (S 3c bis 3e/I des Antrags- und Verfügungsbogens, ergänzt am 15. Oktober 1999, S 3i/I) mit auf § 144a StPO gestützten Beschlüssen vom 18. Oktober 1999 (ON 31/II, berichtigt mit Beschluss vom 27. Oktober 1999, ON 45/II), vom 25. Oktober 1999 (ON 43/II) und vom 25. November 1999 (ON 76/III) einstweilige Verfügungen gegen die Beschuldigten Andreas und Helga W***** zur Sicherung der Abschöpfung der Bereicherung gemäß § 20 Abs 1 StGB. Im aus dieser Strafsache am 23. Dezember 1999 gemäß § 57 StPO ausgeschiedenen Verfahren (S 3bb verso v/I), AZ 24b Vr 11036/99 (später fortgesetzt unter AZ 12c E Vr 11036/99, Hv 1720/00) des selben Gerichts gegen Helga W***** und eine andere Beschuldigte wegen "§§ 164 f StGB", wurde mit Beschluss der Untersuchungsrichterin vom 9. Februar 2000 (ON 55/III) eine weitere (gleichlautende) einstweilige Verfügung gegen Helga W***** erlassen.
Das Oberlandesgericht Wien hob diese einstweiligen Verfügungen teils in Stattgebung dagegen eingebrachter Beschwerden, teils aus deren Anlass mit Beschluss vom 30. März 2000, AZ 23 Bs 437, 457, 482/99, 85/00 (= ON 133/IV des erstgenannten Verfahrens und ON 65/III des zweiten), ersatzlos auf. In der Begründung führte der Gerichtshof zweiter Instanz im Wesentlichen aus, Voraussetzung für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 144a Abs 1 StPO sei unter anderem "die Annahme (in der Bedeutung nahezu vorliegender Sicherheit: Bertel-Venier Strafprozessrecht6 Rz 515) des Nichtvorliegens der Ausschlussgründe der §§ 20a, c StGB" (S 9 der Beschwerdeentscheidung). Die Frage der Zulässigkeit einer die Abschöpfung der Bereicherung sichernden einstweiligen Verfügung stelle sich in jenen Fällen, in denen zum Zeitpunkt der Antragstellung das voraussichtliche Unterbleiben eines solchen Sanktionsausspruchs zu ersehen sei. Nach der ratio legis solle insbesondere auf die Interessen des Geschädigten abgestellt werden, aus welchem Grund die Subsidiarität der Abschöpfung der Bereicherung hinter den Ersatzansprüchen normiert worden sei.
Die Vorgangsweise des Erstgerichts - so argumentiert das Oberlandesgericht weiter - führe zum Ergebnis, dass Staatsanwalt und Strafgericht zum Wahrer der Interessen des Privatbeteiligten würden, indem eine einstweilige Verfügung nur beantragt und erlassen werde, um dem bekannten Geschädigten, der voraussichtlich einen Zuspruch im Adhäsionsverfahren erhalten werde, die Sicherung seiner Ansprüche zu gewährleisten. Dem könne schon deshalb nicht beigetreten werden, weil die einstweilige Verfügung jedenfalls im Urteilszeitpunkt, wenn dem Antrag auf Abschöpfung der Bereicherung zufolge Zuspruchs an den Privatbeteiligten nicht entsprochen werde, wegen Wegfalls ihrer Voraussetzungen aufzuheben wäre (§ 144a Abs 5 StPO) und demgemäß dem Täter wiederum die freie Verfügungsgewalt über sein Vermögen zukäme. Sohin könne die einstweilige Verfügung für den Privatbeteiligten keine Sicherungsfunktion erfüllen; habe er doch insoweit selbst für die Sicherung - allenfalls durch eine einstweilige Verfügung nach den §§ 378 ff EO - Sorge zu tragen (S 11 ff).
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. Jänner 2000, GZ 5b Vr 8663/99-106, wurde Andreas W***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und zu einer 4 1/2-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Dieses Urteil umfasst auch Zusprüche an zwei Privatbeteiligte.
Im (seinerzeit) ausgeschiedenen und zu 12c EVR 11036/99, Hv 1720/00 fortgesetzten Verfahren wurde am 17. Februar 2000 gegen Helga W***** wegen des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 2 und 3 StGB sowie gegen eine weitere Beschuldigte Strafantrag gestellt (ON 57/III). Eine Hauptverhandlung ist nach der Aktenlage noch nicht anberaumt.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht steht - wie der Generalprokurator in der dagegen gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß § 144a Abs 1 StPO hat der Untersuchungsrichter, wenn der Verdacht der unrechtmäßigen Bereicherung besteht und anzunehmen ist, dass diese Bereicherung nach § 20 StGB abgeschöpft werden wird, auf Antrag des Staatsanwalts zur Sicherung einer solchen Anordnung eine einstweilige Verfügung zu erlassen, wenn zu befürchten ist, dass andernfalls die Einbringung gefährdet oder wesentlich erschwert würde.
Die danach für eine einstweilige Verfügung erforderliche Annahme, dass durch ein Urteil im Strafverfahren, in einem Unterbringungsverfahren oder in einem selbstständigen Verfahren (§§ 443, 445, 446 StPO) die Bereicherung abgeschöpft werden wird, ist Ergebnis einer Bewertung der zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag des Staatsanwalts gegebenen Verdachtslage. Ein auf dieser Basis bejahter Anspruch des Staates auf Sicherung der Abschöpfung nach § 144a StPO (§ 20 StGB) wäre zwar im Fall eines bereits bestehenden Abschöpfungshindernisses (fallbezogen einer zivilrechtlich schon sichergestellten Anspruchsbefriedigung iSd § 20a StGB) zu verneinen, wird jedoch nicht dadurch verwirkt, dass möglicherweise in Zukunft ein Abschöpfungshindernis eintreteten könnte. Im Übrigen findet die vom Oberlandesgericht vertretene gegenteilige Rechtsansicht in der zitierten Literaturstelle (Bertel/Venier Strafprozessrecht6 Rz 515), wonach als eine der (vier) Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung verlangt wird, dass Ausschlussgründe (§ 20a StGB) nach dem bestehenden Verdacht (gemeint: gegenwärtig) nicht vorliegen, keine Stütze. Zudem kann der Untersuchungsrichter in der Regel kaum vorhersehen, inwieweit nach Durchführung der Hauptverhandlung die Ergebnisse des Strafverfahrens an sich oder nach einfachen zusätzlichen Erhebungen ausreichen werden, um Ersatzansprüche verläßlich beurteilen zu können (vgl § 366 Abs 2 StPO). Die Möglichkeit künftiger Adhäsionserkenntnisse hat daher bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung außer Betracht zu bleiben.
Der vom Beschwerdegericht abgelehnte Begleiteffekt hinwieder, dass eine einstweilige Verfügung nach § 144a StPO im Ergebnis dem Geschädigten nützen kann, ist keineswegs unerwünscht. Anderes ist aus Wortlaut und Zweck der Regelung, namentlich aus dem im bekämpften Beschluss herangezogenen § 144a Abs 5 StPO, nicht abzuleiten. Demnach kann der vom Gerichtshof zweiter Instanz angenommene Sinn dem Gesetz nicht unterstellt werden.
Aus den dargelegten Gründen war daher der Beschwerde Folge zu geben und die Gesetzesverletzung bloß festzustellen, ihr aber antragsgemäß keine konkrete Wirkung zuzuerkennen, weil sie ohne Nachteil für die Beschuldigten war und überdies die erörterte Provisorialmaßnahme gegen Andreas W***** zufolge des rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens (AZ 5b Vr 8663/99, Hv 6678/99) nicht mehr offensteht.
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