Spruch:
Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 14. Juli 2000, AZ 23 Bs 114/00, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 477 Abs 1 iVm § 489 Abs 1 StPO.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. Jänner 2000, GZ 8b E Vr 10771/99-8, wurde Dr. Heimo K***** (strafantragskonform) des Vergehens der falschen Beurkundung und Beglaubigung im Amt nach § 311 StGB schuldig erkannt, weil er am 22. September 1999 in Wien als Amtsarzt, sohin als Beamter, in einer öffentlichen Urkunde, nämlich in einem hinsichtlich Alexander V***** nach § 8 Abs 2 FührerscheinG erstatteten Gutachten, dessen Ausstellung in den Bereich seines Amtes fiel, eine Tatsache mit dem Vorsatz, dass die Urkunde im Rechtsverkehr, nämlich in einem Verwaltungsverfahren zum Beweise einer Tatsache gebraucht werde, fälschlich beurkundet hat, indem er in dem Befund des Gutachtens Blutdruck- und Pulswerte anführte, die auf keiner Messung beruhten, sondern frei erfunden waren, und das Gutachten unterfertigte.
Aus Anlass des nur vom Angeklagten gegen das Ersturteil erhobenen Rechtsmittels (Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe) hob das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 14. Juli 2000, AZ 23 Bs 114/00 (= ON 13 des Strafaktes) diesen Schuldspruch und demzufolge auch den Strafausspruch in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 10 StPO auf (§§ 477 Abs 1, 489 Abs 1 StPO) und verwies die Sache (ohne Eingehen auf das Berufungsvorbringen) zum Zweck der Überprüfung, ob der inkriminierte Sachverhalt allenfalls das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB verwirkliche, zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Das Oberlandesgericht Wien sah sich - gestützt auf Rechtsprechung und Lehre zum sogenannten Verschlimmerungsverbot - zu dieser amtswegigen Veranlassung berechtigt, weil eine strengere Bestrafung des Angeklagten selbst im Fall eines in Betracht kommenden Schuldspruchs wegen des Verbrechens nach § 302 Abs 1 StGB ausgeschlossen sei.
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil des Oberlandesgerichtes Wien verletzt, wie der Generalprokurator in seiner deswegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, zum Nachteil des Verurteilten das Gesetz. Ihm liegt eine Verwechslung des - eine Ausnahme von der grundsätzlichen Bindung des Berufungsgerichtes an die Beschwerdepunkte darstellenden - Gebotes amtswegigen Vorgehens zu Gunsten des Angeklagten mit dem Verbot der reformatio in peius zu Grunde:
Das gemäß §§ 477 Abs 2, 489 Abs 1 StPO auch im Einzelrichterverfahren geltende Verschlimmerungsverbot (das sich für das kollegialgerichtliche Verfahren ua aus der vom Oberlandesgericht Wien zitierten Bestimmung des § 290 Abs 2 StPO ergibt) steht zwar, weil es nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes nur den Sanktionenbereich betrifft, der amtswegigen Wahrnehmung eines Subsumtionsfehlers (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) nicht entgegen. Letztere kommt jedoch dem klaren Gesetzswortlaut (§§ 477 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 489 Abs 1 StPO) zufolge nur in Betracht, wenn sich die unrichtige Anwendung des Strafgesetzes zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat; ist dies nicht der Fall, bleibt es bei dem im ersten Satz des § 477 Abs 1 StPO determinierten Grundsatz der Beschränkung des Berufungsgerichtes auf die Beschwerdepunkte. Dass vorliegend die erstgerichtliche Subsumierung des festgestellten Sachverhalts unter den Vergehenstatbestand nach § 311 StGB im Vergleich zu dem nach Auffassung des Oberlandesgerichtes Wien indizierten (nach den Konstatierungen des Erstgerichtes als nicht verwirklichten) Verbrechen nach § 302 Abs 1 StGB für den Angeklagten wegen der geringeren Strafdrohung des § 311 StGB nicht nachteilig war und demzufolge die gesetzliche Grundlage für eine amtswegige Urteilsaufhebung fehlte, ist evident. Dem Oberlandesgericht Wien stand bei der gegebenen Fallgestaltung nur die Möglichkeit offen, die Berufung (wegen Nichtigkeit und Schuld) des Angeklagten zu verwerfen oder ihr Folge zu geben und in der Sache selbst zu erkennen oder die Verfahrenserneuerung in erster Instanz anzuordnen. Einen dem Angeklagten zum Vorteil gereichenden (allfälligen) Rechtsirrtum durfte es mangels Relevierung seitens der Anklagebehörde hingegen nicht zum Anlass der Urteilsaufhebung, ohne auf die Berufung einzugehen, machen. Nur im Fall der Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils aus einem anderen - vom Berufungswerber geltend gemachten oder zu seinen Gunsten von Amts wegen wahrzunehmenden - Grund hätte das sodann in der Sache selbst erkennende Gericht das Urteil nach der eigenen rechtlichen Überzeugung zu schöpfen (Mayerhofer StPO4 § 477 E 2).
Der Beschwerde war daher Folge zu geben.
Ungeachtet der aus dem Spruch des Urteils des Gerichtshofes zweiter Instanz ersichtlichen unrichtigen Anwendung des formellen Rechts hat der Spruch der Entscheidung des Oberlandesgerichtes aufrecht zu bleiben, weil der Angeklagte durch den Wegfall eines ihn schuldig sprechenden Urteils jedenfalls besser gestellt ist, als durch die Wiederherstellung des Schuldspruchs, über dessen Rechtsrichtigkeit nur mehr im Rahmen des ausgeführten Rechtsmittels zu entscheiden wäre.
Im zweiten Rechtsgang, für den angesichts der mit dieser Entscheidung festgestellten Unzulässigkeit des vom Berufungsgericht erteilten Auftrags keine Bindungswirkung an die Rechtsansicht des Oberlandesgerichtes besteht, wird auf das Verbot der reformatio in peius zu achten sein, wonach der Angeklagte im gesamten Sanktionenbereich nicht schlechter gestellt werden darf, als durch das Urteil im ersten Rechtsgang.
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