OGH 7Ob270/00g

OGH7Ob270/00g6.12.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** W*****, vertreten durch Dr. Peter Rudeck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei KR Dr. J*****, vertreten durch Schuppich, Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, infolge des Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 15. Juni 2000, GZ 39 R 550/99t-111, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 6. August 1999, GZ 45 C 7/90x-105, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Aufhebungsbeschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Der Berufung der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters die mit S 19.059,-- (darin enthalten S 3.176,50 an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 15.705,-- (darin enthalten S 2.287,50 an USt und S 1.980,-- an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ *****, KG ***** mit dem Objekt "M***** S*****". Schon die Mutter des Beklagten schloss im Jahr 1916 mit der Klägerin einen Bestandvertrag hinsichtlich des Unternehmens, das bis Beginn des Zweiten Weltkrieges gut ging. Bedingt durch die kriegerischen Ereignisse und deren Folgen war es ab dem Jahr 1943 bis 1948 geschlossen. Im Jahr 1949 schloss die Mutter des Beklagten mit der Klägerin neuerlich einen bis 1960 befristeten Bestandvertrag ab, dabei wurde ein umsatzabhängiger Bestandzins vereinbart. Die Räumlichkeiten der M***** waren kriegsbedingt völlig ausgeräumt. Betriebseinrichtung war nicht vorhanden. Zwischen 1947 und 1949 wurden die Räumlichkeiten renoviert, wobei die Mutter des Beklagten umfangreiche Instandsetzungsarbeiten durchführte wie zB hinsichtlich der Innenausstattung, der Fenster und auch der Fußböden. Nach dem Tod der Mutter trat der Beklagte (ca 1955 bis 1957) in den Bestandvertrag seiner Mutter ein. Die Parteien schlossen im Jahr 1961 einen (neuen) bis 31. 12. 1979 befristeten Bestandvertrag, am 18. 6. 1980 einen weiteren bis 31. 12. 1989 befristeten Bestandvertrag. Zum zuletzt genannten Bestandvertrag steht fest, dass eine Betriebspflicht sowie ein Bestandzins in der Höhe von 8 % vom Bruttoumsatz, mindestens S 70.000.-- jährlich, vereinbart wurde. Die M***** ist mit einer Heizanlage ausgestattet, die für die Beheizung im Winter nicht geeignet ist. Sie ist aus diesem Grund seit Jahrzehnten während der Wintermonate geschlossen. Die Gastgewerbekonzession wurde mit verpachtet. Die M***** im S***** ist ein saisonaler Randlagenbetrieb im "K*****". Höchstens ein Drittel der Gäste zählt zur sogenannten "Laufkundschaft", wenigstens zwei Drittel sind Stammkunden.

Die Klägerin begehrt die Räumung des näher bezeichneten Bestandgegenstandes mit der Begründung, der Bestandvertrag habe mit 31. 12. 1989 geendet, der Beklagte benütze seither, obwohl er zur Übergabe aufgefordert worden sei, den Bestandgegenstand titellos und daher widerrechtlich. Der Vertrag weise sämtliche Merkmale eines Pachtvertrages auf, insbesondere die Betriebspflicht, die Abhängigkeit des Bestandzinses vom Umsatz und die Mitverpachtung der Konzession. Die Klägerin habe dem Beklagten sehr wohl eine organisierte Erwerbsgelegenheit mit sämtlichen für die Unternehmensführung notwendigen Betriebsmitteln samt Kundenstock zur Verfügung gestellt.

Der Beklagte wendet ein, dass das mit seiner Mutter begründete Bestandverhältnis nach wie vor bestehe, es habe sich nicht um eine Unternehmenspacht gehandelt, sondern in Wahrheit um eine Geschäftsraummiete, die den Bestimmungen des M(R)G unterliege und daher nicht befristet sei. Von einer Unternehmenspacht könne schon deshalb keine Rede sein, weil zu Beginn des Mietverhältnisses, nachdem der Zweite Weltkrieg zu Ende gewesen sei, kein lebendes Unternehmen in der M***** vorhanden gewesen sei. Die M***** im S***** sei an keinem exklusiven Standort gelegen. Bei Abschluss des Bestandvertrages im Jahr 1980 sei dem Beklagten weder bekannt noch bewusst gewesen, dass es sich bei dem mit der Klägerin bereits bestehenden Vertragsverhältnis um ein unbefristetes Hauptmietverhältnis handle. Er habe nie die Absicht gehabt, eine Beendigung eines schon ursprünglich unbefristeten Bestandverhältnisses herbeizuführen, er sei vielmehr in Unkenntnis der Rechtslage gewesen.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu dem Ergebnis, dass das vorliegende Bestandverhältnis als Pachtvertrag zu qualifizieren sei. Dafür spräche die mitverpachtete Gastgewerbekonzession für den Standort zum Zwecke der Betriebsführung eines Gastgewerbes in Form eines Cafe-Restaurants, der umsatzabhängige Bestandzins sowie die Betriebspflicht. Die Instandsetzungsarbeiten seien im Interesse der Familie des Beklagten gelegen gewesen, da die M***** in der Zwischenkriegszeit ein gut laufendes Unternehmen gewesen sei.

Das Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil auf. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien deswegen nicht als Pacht zu beurteilen sei, weil die Klägerin der Rechtsvorgängerin des Beklagten nach dem Zweiten Weltkrieg kein lebendes Unternehmen überlassen habe. Die Rechtsvorgängerin des Beklagten habe nach einer fünfjährigen Stilllegung den zerstörten Bestandgegenstand mit erheblichem Aufwand erst betriebsfähig machen müssen. Die kriegs- bzw nachkriegsbedingte Unterbrechung des Betriebes beeinträchtige die Existenz eines lebenden Unternehmens nur dann nicht, wenn diese kurzfristig sei und dem Bestandnehmer zumindest teilweise gewisse zum Betrieb erforderliche Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Die M***** im S***** sei kein exklusiver Standort, sodass infolge der ca fünfjährigen Unterbrechung des Betriebes ein bestehender Kundenstock nicht übergeben worden sei. Ausgehend von dieser Rechtsansicht vermisse das Berufungsgericht noch Feststellungen des Erstgerichtes zu den näheren Umständen der Vertragsabschlüsse zwischen den Streitteilen, nachdem der Beklagte bereits in den Bestandvertrag seiner Mutter eingetreten sei.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof gemäß § 519 Abs 1 Z 2 iVm § 502 Abs 1 ZPO aus der Überlegung zu, dass es von der vom Obersten Gerichtshof bereits in der Entscheidung vom 11. 10. 1994 zu 1 Ob 548/94 (Verfahren zwischen denselben Parteien gerichtet auf Räumung des Bestandobjektes "K*****") geäußerten Rechtsansicht abgewichen sei.

Die Klägerin bekämpft den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes und begehrt die Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens, in eventu den Beschluss des Berufungsgerichtes aufzuheben und ihm die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Der Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerin ist zulässig, da das Berufungsgericht - wie es selbst erkannt hat - von den vom Obersten Gerichtshof bereits dargelegten Grundsätzen, insbesondere in seiner Entscheidung 1 Ob 548/94 (MietSlg 46.093/25), erheblich abging, und auch berechtigt.

Für die Unterscheidung zwischen Geschäftsraumiete und Unternehmenspacht lassen sich nach ständiger Rechtsprechung keine allgemein gültigen Regeln aufstellen, sondern es kommt stets auf die Gesamtheit aller erheblichen Umstände des Einzelfalles (GesRZ 1992, 44; MietSlg 41.080 ff; SZ 58/8 = MietSlg 37.125/7; 6 Ob 608/92 uva;

Würth in Rummel3, Rz 2 zu § 1091 ABGB mwN) und auf die Zweckbestimmung der Bestandsache bei Vertragsabschluß bzw auf die dem Bestandnehmer eingeräumten Befugnisse an (MietSlg 7.034; 4 Ob 249/97;

1 Ob 255/97z; 6 Ob 293/98a; RIS-Justiz RS 0031183; Binder in Schwimann2, Rz 8 zu § 1091 ABGB).

Ein Unternehmenspachtvertrag liegt im allgemeinen dann vor, wenn ein sogenanntes "lebendes Unternehmen", also eine organisierte Erwerbsgelegenheit mit allem, was zum Begriff des "good will" gehört, übergeben wird und das Unternehmen als rechtliche und wirtschaftliche Einheit fortbesteht (GesRZ 1992, 44; MietSlg 41.080 ff, 40.114; SZ 58/8; RS 0020398; uva; Würth aaO). Neben den Räumlichkeiten ist dies das, was für den Betrieb des in Bestand gegebenen Unternehmens und dessen wirtschaftlichen Fortbestand notwendig ist, somit die Betriebsmittel, wie die Geschäftseinrichtung und das Warenlager, der Kundenstock und die Gewerbeberechtigung, allenfalls das erforderliche Personal. Das bedeutet allerdings nicht, daß im Einzelfall alle diese Merkmale gleichzeitig zutreffen müssen, um Unternehmenspacht annehmen zu können. So kann das Warenlager gänzlich fehlen, die Gewerbeberechtigung vom Bestandnehmer selbst zu besorgen oder der Kundenstock nur klein sein (GesRZ 1992, 44; MietSlg 41.080, 40.110 uva; Binder aaO Rz 17 mwN). Fehlt es an einzelnen für die Überlassung eines Unternehmens zu dessen Betrieb typischen Merkmalen - wie hier - so ist entscheidend, ob die dafür maßgeblichen Elemente im Einzelfall überwiegen, welchen Elementen die größere wirtschaftliche Bedeutung zukommt (GesRZ 1992, 44; JBl 1989, 310; SZ 58/8; MietSlg 32.162/23; 6 Ob 608/92 uva).

Im vorliegenden Fall steht im Vordergrund, dass die M***** im S***** vor der kriegsbedingten Betriebsunterbrechung ein gut eingeführtes Unternehmen war, dessen Gäste mindestens zwei Drittel Stammkunden waren, und dass im Bestandvertrag zwischen der Mutter des Beklagten und der Klägerin von 1949 ein Pachtzins vereinbart wurde, der einen Prozentsatz vom Bruttoumsatz betrug.

Ein maßgebliches Indiz für die Verpachtung eines lebenden Unternehmens ist im Allgemeinen, dass der vereinbarte Pachtzins in einem Verhältnis zur Höhe des Umsatzes steht (1 Ob 583/91, RS0020586). Weiteres wesentliches Kriterium für die Annahme eines Pachtvertrages ist das Vorliegen der Betriebspflicht (MietSlg 42.082, 41.080 ff, 40.110, SZ 58/8, MietSlg 46.093/25, 10 Ob 11/00s uva), die auf einem erkennbaren wirtschaftlichen Interesse des Bestandgebers am (Weiter-) Bestehen und der Art des Betriebes beruht (MietSlg 39.100, SZ 58/8, MietSlg 46.093/25 ua). Die Betriebspflicht muss nicht ausdrücklich vereinbart werden, sondern kann sich auch aus den Umständen ergeben (MietSlg 17.132, MietSlg 37.775/7, RS0020351). Aus der Vereinbarung eines vom Umsatz abhängigen Bestandzinses ergibt sich schlüssig auch die Vereinbarung einer Betriebspflicht, da sonst die Bezahlung des Bestandzinses bzw. dessen Höhe im Belieben des Bestandnehmers stünde, was ohne weitere Anhaltspunkte nicht angenommen werden kann.

Das Interesse der Klägerin an der - wenn auch nur saisonalen - Betriebspflicht liegt hier klar auf der Hand, soll doch den Parkbesuchern wie bisher auch in diesem Teil des S***** ein Gastronomiebetrieb zur Verfügung stehen. Weiters wurde das Gebäude, wenn auch ohne Einrichtungsgegenstände und nur mit nackten Wänden, der Bestandnehmerin übergeben. Die Notwendigkeit von Investitionen durch den Bestandnehmer spricht nicht gegen das Vorliegen eines Pachtverhältnisses (JBl 1993, 590, MietSlg 46.093/25). Für die Annahme eines Pachtvertrages wurde auch die Beibehaltung des bisherigen Unternehmensgegenstandes gewertet, sichert diese doch die Kontinuität des fortgeführten Geschäftsbetriebs (6 Ob 106/99b).

Entgegen der u.a. von der Entscheidung 1 Ob 548/94 abweichenden Rechtsansicht des Berufungsgerichtes spricht auch die vorübergehende Stilllegung nicht gegen die Annahme eines lebenden Unternehmens. Die vorübergehende kriegsbedingte Stilllegung eines Unternehmens berührt nach der Rechtsprechung die Existenz eines vorhandenen Unternehmens nämlich grundsätzlich nicht (MietSlg 9144, MietSlg 21.136, RS0010037, 1 Ob 548/94). Auch sonst hindert die vorübergehende Stilllegung des Unternehmens nicht die Annahme einer Unternehmenspacht, wenn ein wieder zu aktivierender Kundenstock vorhanden ist (6 Ob 106/99b, 10 Ob 11/00s).

Im gegenständlichen Fall steht daher der Umstand, dass die M***** nicht in einer exklusiven Lage situiert, sondern ein saisonaler Randlagenbetrieb ist, der Beurteilung des Bestandvertrages als Pachtverhältnis nicht entgegen. Gerade Stammkunden sind ein zu aktivierender Kundenstamm, werden sie doch bei Besserung der politischen und wirtschaftlichen Lage das gewohnte Unternehmen am bekannten Standort im S***** wieder aufsuchen. Der Kundenstock für den Traditionsbetrieb war daher potentiell vorhanden. Nach der Gerichtserfahrung können die im Jahre 1949 herrschenden Verhältnisse, unter denen es zur neuerlichen Verpachtung eines in der Vorkriegszeit florierenden Unternehmens an die Rechtsvorgängerin des Beklagten kam, nicht als Beurteilungsgrundlage für die heute herrschenden Beurteilungsmaßstäbe, was unter einem lebenden Unternehmen zu verstehen ist, herangezogen werden.

Der Bestandvertrag zwischen der Mutter des Beklagten und der Klägerin muss daher ebenso wie der dem Verfahren 1 Ob 548/94 zugrundeliegende Vertrag als (Unternehmens-) Pachtvertrag beurteilt werden. Der Umstand, dass auch eine Wohnung Gegenstand des Pachtvertrages ist, schadet nicht. Es wurde nämlich ein einheitlicher Vertrag über das Unternehmen und die in demselben Gebäude liegende Wohnung geschlossen, wobei der vertragliche Schwerpunkt eindeutig der Pachtvertrag hinsichtlich des Unternehmens ist. Die Wohnung kann bloß im Zuge der Betriebsführung benutzt werden und ist Zugehör zum verpachteten Unternehmen, sodass die Kündigungsschutzbestimmungen der Mietengesetze auf die Pächterwohnung nicht anzuwenden sind (MietSlg 15.231, MietSlg 22.321, RS 0020364).

Da also zwischen den Parteien nur ein befristeter Pachtvertrag bestanden hat und die Sache spruchreif ist, war die Entscheidung des Erstgerichtes wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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