OGH 4Ob275/00w

OGH4Ob275/00w28.11.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Alexander H*****, vertreten durch Dr. Erwin Kröll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 450.000 S), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Klägerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 11. September 2000, GZ 2 R 184/00a-14, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 27. Juni 2000, GZ 13 Cg 47/00z-4, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Kläger hat die Kosten des Sicherungsverfahrens vorläufig selbst zu tragen; der Beklagte hat die Kosten des Sicherungsverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger ist - ebenso wie die Schweißtechnische Zentralanstalt Wien - als Erstprüfstelle für Druckgeräte gemäß §§ 11, 12, 14, 17, 18 KesselG akkreditiert.

Der Beklagte ist Zivilingenieur für Maschinenbau. Er besitzt ein von der Schweißtechnischen Zentralanstalt Wien ausgestelltes europäisches Schweißingenieurzeugnis; er ist aber nicht als Erstprüfstelle im Sinne des Kesselgesetzes akkreditiert.

Am 30. 1. 1995 stellte die Schweißtechnische Zentralanstalt Wien für die D***** KG in T***** eine Bestätigung nach ÖNorm M 7812-1 aus. Die ÖNorm M 7812-1 regelt die Qualitätssicherung von Schweißarbeiten. Sie legt die Anforderungen an Betriebe fest, in denen Schweißarbeiten nach Güteklassen durchgeführt werden. Die Schweißtechnische Zentralanstalt Wien hielt in der Bestätigung fest, dass die D***** KG für das Anwendungsgebiet "Anlagenbau, Stahlbau, Kessel- und Behälterbau" und die Güteklasse 2 den Anforderungen nach ÖNorm M 7812-1 entspricht. Die Bestätigung war bis Jänner 1996 gültig. Am 9. 6. 1996 verlängerte die Schweißtechnische Zentralanstalt Wien die Gültigkeit bis Jänner 1998. Die weitere Verlängerung bis Jänner 2001 nahm der Beklagte vor.

Der Kläger begehrt zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs, dem Beklagten zu untersagen, eine im Kesselgesetz einer Erstprüfstelle für Druckgeräte (§ 20 leg cit) vorbehaltene Prüftätigkeit anzubieten oder durchzuführen. Die D***** AG erzeuge Kessel (= Druckbehälter) und sei somit ein "Herstellerbetrieb" im Sinne des § 14 KesselG. Die Gültigkeit der Bestätigung über die Prüfung nach ÖNorm M 7812-1 hätte nur eine Erstprüfstelle verlängern dürfen. Der Beklagte sei dazu nicht berechtigt gewesen. Sein Gesetzesverstoß begründe sittenwidriges Handeln im Sinne des § 1 UWG.

Der Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen. Die Bestätigung der Schweißtechnischen Zentralanstalt Wien habe mit dem Kesselgesetz nichts zu tun. Die Gültigkeit einer Bestätigung nach ÖNorm M 7812-1 könne auch der Beklagte als Zivilingenieur für Maschinenbau und Inhaber des europäischen Schweißingenieurzeugnisses verlängern.

Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung. Die D***** AG erzeuge Druckbehälter im Sinne des Kesselgesetzes. Ihr Qualitätssicherungssystem sei durch eine Erstprüfstelle zu bewerten und in regelmäßigen Zeitabständen zu überwachen. Der Beklagte sei dazu nicht berechtigt.

Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Bestätigung der Schweißtechnischen Zentralanstalt Wien nehme auf das Kesselgesetz nicht Bezug, sondern beziehe sich nur auf die ÖNorm M 7812-1. Die Prüfung nach ÖNorm M 7812-1 umfasse zwar Teilbereiche der in § 14 KesselG geregelten Überwachung, nicht aber den gesamten Bereich. Sie könne daher die Bewertung und Überwachung von Herstellerbetrieben nach § 14 KesselG nicht ersetzen. In der Bestätigung werde auch weder ausdrücklich noch schlüssig auf das Kesselgesetz Bezug genommen. Die Schweißtechnische Zentralanstalt Wien weise weder auf ihre Akkreditierung als Erstprüfstelle nach § 20 KesselG hin noch führe sie das Bundeswappen, wozu sie gemäß § 4 AkkreditierungsG berechtigt wäre. Weder die Schweißtechnische Zentralanstalt Wien noch der Beklagte hätten demnach Tätigkeiten ausgeübt, die einer Erstprüfstelle vorbehalten wären. Als Zivilingenieur für Maschinenbau und Inhaber des europäischen Schweißingenieurzeugnisses sei der Beklagte berechtigt, die Prüfbestätigung nach ÖNorm M 7812-1 auszustellen und zu verlängern.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt fehlt; der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Der Kläger macht geltend, dass die Prüfung nach ÖNorm M 7812-1 einen Teilbereich der Prüfung nach § 14 KesselG umfasse. Auch sie könne daher nur von einer Erstprüfstelle vorgenommen werden. Der Kläger verweist dazu auf § 20 Abs 1 Satz 2 KesselG, wonach eine Erstprüfstelle für Druckgeräte in Sonderfällen einzelne Prüfaufgaben an andere geeignete, akkreditierte Prüfstellen vergeben darf. Nach § 20 Abs 1 Satz 1 KesselG muss eine Erstprüfstelle für die Durchführung von Erstprüfungen, Druckprüfungen und Dichtheitsprüfungen über geeignete Räumlichkeiten, Einrichtungen und Ausstattungen für zerstörungsfreie und zerstörende Prüfungen für Werkstoffe und Bauteile und über eine EDV-gestützte Vorprüfungsstelle verfügen sowie ein Qualitätssicherungssystem betreiben. Sie muss auch den in § 20 Abs 2 und 3 KesselG festgesetzten weiteren Anforderungen entsprechen, um die Akkreditierung als Erstprüfstelle für Druckgeräte zu erhalten.

§ 14 KesselG regelt die Überprüfung der Qualitätssicherungssysteme von Betrieben, die Druckbehälter erzeugen: Die Bewertung und Überwachung eines Herstellerbetriebs hat die Kontrolle der Fertigungs- und Prüfeinrichtungen, der fachlichen Qualifikation des Personals und der Organisation der Qualitätssicherung zu umfassen. Ein Betrieb, der Kessel erzeugt, beschäftigt immer auch Dienstnehmer, die Schweißarbeiten durchführen. Die Anforderungen an das Fachpersonal und die Einrichtungen von Betrieben, in denen Schweißarbeiten der Güteklassen 1 bis 4 durchgeführt werden, sind in der ÖNorm M 7812-1 festgelegt.

Die ÖNorm M 7812-1 betrifft demnach einen Teilbereich, der auch nach § 14 KesselG zu prüfen ist. Nach § 20 Abs 1 Satz 2 KesselG dürfen auch Teilprüfungen nur durch geeignete, akkreditierte Prüfstellen vorgenommen werden. Dies steht im Einklang mit Punkt 4.1 der ÖNorm M 7812-1, wonach "Prüfstellen" die "in den jeweils maßgebenden gesetzlichen Vorschriften genannten Stellen" sind.

Auch die Prüfung nach ÖNorm M 7812-1 darf demnach nur von einer als Erstprüfstelle akkreditierten Prüfstelle vorgenommen werden, sofern es sich beim geprüften Betrieb um einen Herstellerbetrieb im Sinne des Kesselgesetzes handelt. Herstellerbetrieb in diesem Sinne sind alle Betriebe, die (ua) Druckbehälter erzeugen (§ 3 KesselG).

Nur eine Erstprüfstelle war demnach berechtigt, die Gültigkeit der von der Schweißtechnischen Zentralanstalt ausgestellten Bestätigung nach ÖNorm M 7812-1 zu verlängern, sofern die D***** AG (jedenfalls auch) Druckbehälter herstellt. Das Erstgericht hat festgestellt, dass die D***** AG Erzeugerin von Druckbehältern im Sinne des Kesselgesetzes ist; der Beklagte hat diese Feststellung im Rekurs bekämpft. Das Rekursgericht hat die Rüge letztlich unerledigt gelassen, weil es der Auffassung war, dass der Sicherungsantrag auch dann abzuweisen wäre, wenn die D***** AG Druckbehälter im Sinne des Kesselgesetzes erzeugt. Dieser Auffassung ist - wie oben dargelegt - nicht zu folgen. Es muss daher geprüft werden, ob der Beklagte die Feststellung über die Erzeugung von Druckbehältern durch die D***** AG wirksam bekämpfen konnte. War seine Rüge unwirksam, so kann bereits in der Sache entschieden werden.

Der Beklagte hat in der Äußerung zum Sicherungsantrag das Vorbringen des Klägers nicht bestritten, dass die D***** AG Kessel (Druckbehälter) erzeuge und daher ein Herstellerbetrieb im Sinne des § 14 KesselG sei. Er hat auch nicht vorgebracht, die Gültigkeit der Bestätigung zu einem Zeitpunkt verlängert zu haben, als die D***** AG noch keine Druckbehälter hergestellt habe. Er hat somit die Behauptung des Klägers insoweit schlüssig als richtig zugestanden (§§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 267 Abs 1 ZPO; SZ 55/116 ua). Erst in der - im Sicherungsverfahren nicht zu berücksichtigenden - Klagebeantwortung hat er bestritten, dass die D***** AG dem Kesselgesetz unterliegende Druckbehälter herstelle. Sein Vorbringen im Rekurs, dass die D***** AG keine vom Kesselgesetz erfassten Druckgeräte erzeuge, ist im Sicherungsverfahren eine unzulässige Neuerung. Darauf ist daher nicht weiter einzugehen; vielmehr ist auf der Grundlage der vom Erstgericht getroffenen Feststellung zu entscheiden.

Danach ist die D***** AG ein Herstellerbetrieb im Sinne des Kesselgesetzes. Die Gültigkeit der Bestätigung nach ÖNorm M 7812-1 durfte daher unabhängig davon nur von einer als Erstprüfstelle akkreditierten Prüfstelle verlängert werden, ob in der Bestätigung auf das Kesselgesetz Bezug genommen wird. Die Bestätigung betrifft in jedem Fall einen Bereich, dessen Prüfung nach §§ 14, 20 KesselG einer als Erstprüfstelle akkreditierten Prüfstelle vorgehalten ist. Es kann den Beklagten daher nicht entlasten, dass in der Bestätigung jeder Hinweis auf das Kesselgesetz fehlt. Das Kesselgesetz schreibt eine derartige Bezugnahme nicht vor. Eine Bestätigung erbringt auch dann den nach dem Kesselgesetz notwendigen Nachweis, wenn sie sich nur auf die ÖNorm M 7812-1 bezieht. Ihre Gültigkeit hätte gemäß §§ 14, 20 KesselG demnach nur von einer als Erstprüfstelle akkreditierten Prüfstelle verlängert werden dürfen; der Beklagte hat mit der Verlängerung der Gültigkeit gesetzwidrig gehandelt.

Ein Gesetzesverstoß begründet sittenwidriges Handeln im Sinne des § 1

UWG, wenn er subjektiv vorwerfbar ist und einen sachlich nicht

gerechtfertigten Vorsprung vor den gesetzestreuen Mitbewerbern

verschafft. Subjektiv vorwerfbar ist ein Gesetzesverstoß, wenn die

Auffassung über die Bedeutung der verletzten Norm durch das Gesetz

nicht so weit gedeckt ist, dass sie mit gutem Grund vertreten werden

kann (stRsp SZ 56/2 = EvBl 1983/49 = ÖBl 1983, 40 - Metro-Post;

ecolex 1994, 181 = ÖBl 1994, 17 - Contact; ÖBl 1996, 145 = WBl 1996,

501 - Forstpflanzen).

§ 14 KesselG lässt in Verbindung mit § 20 Abs 1 Satz 2 KesselG keine Auslegung zu, aus der sich die Berechtigung eines Zivilingenieurs für Maschinenbau und Inhabers des europäischen Schweißingenieurzeugnisses, der nicht als Erstprüfstelle akkreditiert ist, zur Verlängerung einer Bestätigung nach ÖNorm M 7812-1 für einen Herstellerbetrieb im Sinne des Kesselgesetzes ergeben könnte. Nach dem insoweit klaren Wortlaut darf nur eine als Erstprüfstelle akkreditierte Prüfstelle die Qualitätssicherungssysteme erstmalig prüfen und in regelmäßigen Zeitabschnitten überwachen. Die Auffassung des Beklagten, zu einer Verlängerung der Gültigkeit der als Teilprüfung zu wertenden Bestätigung nach ÖNorm M 7812-1 berechtigt gewesen zu sein, weil er als Zivilingenieur für Maschinenbau das europäische Schweißingenieurzeugnis besitzt, kann nicht mit guten Gründen vertreten werden.

Dass der Gesetzesverstoß des Beklagten geeignet war, ihm einen sachlich nicht gerechtfertigten Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern zu verschaffen, liegt auf der Hand. Der Beklagte hat sich damit eine Befugnis angemaßt, deren Inhaber über besondere Einrichtungen verfügen muss und deren Erwerb demnach regelmäßig mit Aufwendungen verbunden ist.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.

Der Ausspruch über die Kosten des Klägers beruht auf § 393 Abs 1 EO; jener über die Kosten des Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.

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