OGH 1Ob220/00k

OGH1Ob220/00k28.11.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Ivo Greiter, Dr. Franz Pegger, Dr. Stefan Kofler, Dr. Christian Zangerle, Dr. Norbert Rinderer, Dr. Herwig Frei und Dr. Georg Huber, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 309.504 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. April 2000, GZ 14 R 215/99m-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 23. Juli 1999, GZ 31 Cg 33/98w-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit S 14.490 (darin S 2.415 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei begehrte aus dem Titel der Amtshaftung die Zahlung von S 309.504. Sie sei Haftpflichtversicherer eines Unternehmens, das von einem anderen Unternehmen auf Zahlung eines Transportschadens geklagt worden sei. Dieses Klagebegehren sei vom Landesgericht Wels abgewiesen worden; das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht habe dem Klagebegehren dagegen großteils stattgegeben. Dieses Berufungsgericht habe die ordentliche Revision mit der Begründung nicht zugelassen, dass von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht abgewichen worden sei und demnach die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorlägen. Da die im Anlassverfahren klagende Partei mit Exekutionsführung gedroht habe, habe die hier klagende Partei als Versicherer des im Anlassverfahren beklagten Unternehmens den urteilsmäßig zugesprochenen Betrag von S 309.504 bezahlt. Die von der im Anlassverfahren beklagten Partei erhobene Revision sei erfolgreich gewesen, das Klagebegehren sei vom Obersten Gerichtshof abgewiesen worden. Die Aufforderung zur Rückzahlung des bereits bezahlten Betrags habe keinen Erfolg gehabt, weil über das Vermögen der im Anlassverfahren klagenden Partei der Konkurs eröffnet worden sei. Die vom Oberlandesgericht Linz vertretene Rechtsansicht sei unvertretbar gewesen, vor allem sei auch die ordentliche Revision in unvertretbarer Weise nicht zugelassen worden. Dies habe zur Vollstreckbarkeit des Berufungsurteils im Anlassverfahren geführt; dadurch sei der hier klagenden Partei der eingeklagte Schaden entstanden.

Die beklagte Partei wendete ein, die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Linz sei vertretbar gewesen. Überdies hätte die im Anlassverfahren beklagte Partei mit der dort klagenden Partei vereinbaren müssen, dass vor Zahlung des zuerkannten Betrags die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs abgewartet werde; es wäre auch möglich gewesen, nach Einleitung eines Exekutionsverfahrens einen Aufschiebungsantrag gemäß § 42 Abs 1 Z 2a EO zu stellen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Anlassverfahren habe "ihre zentrale Basis" darin, dass das dort klagende Unternehmen keine Verfügungsbefugnis über das Frachtgut begründet habe. Nun sei "aber nicht unbedingt als denknotwendige Schlussfolgerung aus den Sachverhaltsfeststellungen rechtlich abzuleiten, dass der Empfänger am Frachtgut keine Verfügungsbefugnis erlangt" habe, "wenn er zunächst die Instandsetzung des beschädigten Transportguts verlangt" habe. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz sei nicht mit einem "solchen klaren Verstoß gegen Denkgesetze behaftet, dass von einer unvertretbaren Rechtsansicht gesprochen werden" könne.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts im klagsstattgebenden Sinn ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es stellte unter anderem ergänzend fest, das Oberlandesgericht Linz habe bei seiner Entscheidung im Anlassverfahren die ordentliche Revision nicht zugelassen, weil zu den für die Lösung des Falls entscheidenden Rechtsfragen eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege, von der das Berufungsgericht nicht abgewichen sei. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, der beanstandeten Entscheidung sei zuzugestehen, dass ein durchgehender Frachtbrief als Voraussetzung für die Anwendung des Kapitels VI der CMR nicht unmittelbar dem Gesetzestext zu entnehmen sei und sich auch nicht aus dem Kommentar Straubes zum HGB ergebe. Es bestehe aber dazu umfangreiche höchstgerichtliche Rechtsprechung, was auch für die Berechtigung des Empfängers, vertragliche Ersatzansprüche wegen Beschädigung des Ladeguts zu stellen, gelte. Dem Oberlandesgericht Linz könne zwar für dessen zur Entscheidung über die Aktivlegitimation der klagenden Partei im Anlassverfahren vertretenen Rechtsansicht deren Vertretbarkeit nicht abgesprochen werden. Dabei könnten jedoch jene Argumente, mit denen die beklagte Partei die Vertretbarkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Anlassverfahren untermauern wolle, nicht herangezogen werden, weil der Rechtsträger einen Anspruch wegen unvertretbarer Gesetzesauslegung nicht dadurch abwehren, dass anstelle einer unvertretbaren eine zwar objektiv unrichtige, aber vertretbare Ansicht gesetzt werde. Jedenfalls unvertretbar sei aber die Begründung der Entscheidung über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision, weil die umfangreiche höchstgerichtliche Judikatur zum Kapitel VI CMR der vom Oberlandesgericht Linz vertretenen Rechtsansicht widerspreche. Da sich das im Anlassverfahren zur Entscheidung berufene Gericht zweiter Instanz auch "zum Begriff" "Empfänger" gemäß Art 13 CMR mit der höchstgerichtlichen Judikatur nicht in voller Übereinstimmung befunden habe, erweise sich auch in diesem Punkte der Ausschluss der ordentlichen Revision mit der vom Oberlandesgericht Linz verwendeten Begründung als unvertretbar. Ein Verstoß gegen die Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG liege nicht vor, weil "die Nichtzahlung einer vollstreckbaren Forderung" kein Rechtsmittel darstelle, und es einem seriösen Wirtschaftsunternehmen auch nicht zumutbar sei, eine Exekution in Kauf zu nehmen.

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Allein der Umstand, dass die der Entscheidung zugrunde liegende Rechtsansicht vertretbar sein mag, rechtfertigt für sich noch nicht die Schlussfolgerung, dass auch der Ausspruch über die Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision vertretbar sein müsse. Gemäß § 500 Abs 2 Z 3 ZPO hat das Berufungsgericht unter bestimmten Voraussetzungen, die im Anlassverfahren gegeben waren, auszusprechen, ob die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist oder nicht. Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Die Revisionswerberin bestreitet nicht, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung im Anlassverfahren von umfangreicher höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen ist, sich jedenfalls mit dieser Judikatur nicht in voller Übereinstimmung befand. Sie bestreitet auch nicht, dass das Berufungsgericht im Anlassverfahren die ordentliche Revision deshalb nicht zuließ, weil es eine Abweichung seiner Entscheidung von der für die Lösung des Falls entscheidenden oberstgerichtlichen Judikatur als nicht gegeben erachtete. Weicht das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab oder liegt eine uneinheitliche Rechtsprechung vor, so kommt schon nach dem Wortlaut des § 502 Abs 1 ZPO der Lösung dieser der Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsfrage zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zu, so dass das Gericht zweiter Instanz im Anlassverfahren die ordentliche Revision jedenfalls hätte zulassen müssen. Das Berufungsgericht ging im Anlassverfahren offenbar, aber irrigerweise davon aus, dass es in Übereinstimmung mit der Judikatur des Obersten Gerichtshofs entschieden habe. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision ist, zieht man die im Anlassverfahren vom Obersten Gerichtshof zu 1 Ob 170/97z zitierten Entscheidungen in Betracht, nicht nur unrichtig, sondern auch unvertretbar.

Auf die Vertretbarkeit der Sachentscheidung kommt es im vorliegenden Fall somit gar nicht an, ist doch der Schaden der klagenden Partei darauf zurückzuführen, dass das Berufungsurteil im Anlassverfahren angesichts des Ausspruchs des Gerichts zweiter Instanz über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision trotz Anfechtung vollstreckbar war (§ 505 Abs 4 ZPO), wegen der Exekutionsandrohung Zahlung geleistet wurde und die Rückzahlung des Klagsbetrags nicht mehr durchgesetzt werden konnte, weil die im Anlassverfahren klagende Partei mittlerweile in Konkurs verfallen war.

Eine Verletzung der Rettungspflicht im Sinne des § 2 Abs 2 AHG liegt nicht vor:

Gemäß § 2 Abs 2 AHG besteht der Ersatzanspruch nicht, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hätte abwenden können. Wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat, kann die Möglichkeit, die Zahlung einer vollstreckbaren Forderung hinauszuschieben, selbst bei weiter Auslegung des Rechtsmittelbegriffs nicht als Rechtsmittel im Sinne des § 2 Abs 2 AHG aufgefasst werden und auch kein Mitverschulden iSd § 1304 ABGB begründen. Im Übrigen ist es einer Partei, die eine vollstreckbare Entscheidung gegen sich hat, nicht zumutbar, ein Exekutionsverfahren über sich ergehen zu lassen, um dann erst im Zuge dieses Verfahrens die Aufschiebung der Exekution zu erwirken. Soweit die beklagte Partei schließlich die Auffassung vertritt, die klagende Partei wäre verpflichtet gewesen, nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz im Anlassverfahren Kontakt mit der dort klagenden Partei aufzunehmen, um diese zum Zuwarten mit der Durchsetzung des Urteils bis zur Erledigung der außerordentlichen Revision zu bewegen, ist sie darauf zu verweisen, dass der Rechtsvertreter der im Anlassverfahren klagenden Partei etwa zwei Wochen nach der Urteilsfällung durch das Berufungsgericht die Zahlung des zugesprochenen Betrags begehrte und kurze Zeit darauf sogar die Exekutionsführung androhte (S 7 des Berufungsurteils). Selbst bei weitester Auslegung des Rechtsmittelbegriffs im § 2 Abs 2 AHG kann in der Tatsache, dass die klagende Partei nach der Androhung der Exekutionsführung Zahlung leistete, keine Verletzung der ihr nach § 2 Abs 2 AHG obliegenden Rettungspflicht erblickt werden. Die klagende Partei hat durch die Zahlung kein Verhalten gesetzt, das ihr als Mitverschulden am Zustandekommen des Schadens anzulasten wäre; der Vorwurf der beklagten Partei, die klagende Partei habe sich dadurch gegenüber den eigenen Gütern sorglos verhalten, weil sie eine vollstreckbare Forderung bezahlt habe, ist demgemäß nicht stichhältig.

Der Revision der beklagten Partei ist deshalb ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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