OGH 2Ob46/00d

OGH2Ob46/00d23.11.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Heinrich R*****, vertreten durch Dr. Heinz Pratter, Rechtsanwalt in Leibnitz, gegen die beklagten Parteien

1. Walter W*****, und 2. Renate W*****, beide *****, vertreten durch Dr. Johann Grasch, Rechtsanwalt in Leibnitz, wegen Feststellung und Räumung (Streitwert S 1,350.000,--), über die Revisionsrekurse der klagenden Partei gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 1. Juni 1999, GZ 2 R 78/99d-27, sowie vom 17. Dezember 1999, GZ 2 R 192/99v-34, womit 1. der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 26. März 1999, GZ 39 Cg 82/97a-24, abgeändert wurde, und 2. der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 27. September 1999, GZ 39 Cg 82/97a-29, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der ordentliche Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichtes vom 1. Juni 1999 wird zurückgewiesen.

Die Rekursbeantwortung der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichtes vom 17. Dezember 1999 wird nicht Folge gegeben.

Die Rekursbeantwortung der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit seiner am 17. Juni 1997 eingebrachten Klage begehrte der Kläger von den Beklagten als den Käufern einer Liegenschaft wegen Nichtzahlung des vereinbarten Kaufpreises die Aufhebung des Kaufvertrages vom 29./30. 7. 1996 sowie die Übergabe der Liegenschaft und die Herausgabe eines Rangordnungsbeschlusses, wobei er sein Begehren mit insgesamt S 1,350.000 bewertete. Diese Klage wurde mit der Aufforderung, innerhalb einer vierwöchigen Frist die Klagebeantwortung zu erstatten, am 4. Juli 1997 dem Erstbeklagten durch Hinterlegung und am 3. Juli 1997 der Zweitbeklagten zu eigenen Handen zugestellt. Da die Beklagten keine Klagebeantwortung erstatteten, fällte das Erstgericht auf Antrag des Klägers am 22. September 1996 ein der Klage stattgebendes Versäumungsurteil. Dieses Versäumungsurteil wurde den beiden Beklagten nicht wirksam zugestellt: Die vorgenommene Ersatzzustellung an die an der gleichen Abgabestelle wohnende Maria W***** (die dann die Schriftstücke noch vor Kenntnisnahme durch die Beklagten zusammen mit dem Altpapier wegwarf) war mangelhaft, weil Maria W***** einerseits die Annahme der Gerichtspost verweigerte und andererseits infolge ihres hohen Alters, ihrer drastisch herabgesetzten Sehkraft und ihrer Krankheit keine taugliche Ersatzempfängerin war. Beide Beklagten erhielten von dem gegen sie erlassenen Versäumungsurteil erstmals am 30. September 1997 durch die Zustellung der (auf Grund des Versäumungsurteils ergangenen) Exekutionsbewilligung Kenntnis.

Mit ihrem am 20. 1. 1998 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragten die Beklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erstattung des Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil und erhoben Widerspruch und zugleich Nichtigkeitsberufung nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO.

Der Wiedereinsetzungsantrag wurde rechtskräftig wegen Verspätung zurückgewiesen; die Nichtigkeitsberufung wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom 23. Februar 1999 verworfen.

Mit ihrem am 16. März 1999 eingebrachten Schriftsatz ON 23 beantragten die Beklagten die Zustellung des Versäumungsurteils vom 22. September 1997.

Das Erstgericht wies diesen Zustellungsantrag mit der Begründung ab, dass die Beklagten nach Kenntnisnahme vom Versäumungsurteil am 30. Dezember 1997 bereits alle dagegen zu Gebote stehenden Rechtsmittel und Rechtsbehelfe konsumiert hätten und daher nicht die Zustellung des bereits bekämpften Versäumungsurteiles mit dem Ziel einer neuerlichen Bekämpfung begehren könnten.

Das Rekursgericht hob mit Beschluss vom 1. Juni 1999 diese Entscheidung auf, bewilligte den Antrag auf Zustellung des Versäumungsurteils vom 22. September 1997 und trug dem Erstgericht die Zustellung einer Ausfertigung des Versäumungsurteils auf und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Die Ersatzzustellung des Versäumungsurteils vom 22. September 1997 sei unwirksam. Die Zustellung als hoheitliche Übermittlung von Geschäftsstücken verfolge das Ziel, ein Geschäftsstück dem jeweiligen Adressaten zukommen zu lassen. Die Heilung eines Zustellungsmangels setze daher die einwandfreie Feststellung voraus, dass das zuzustellende Schriftstück dem Empfänger zugekommen sei. Andere Vorgänge wie eine bloße Akteneinsicht, die Möglichkeit einer Behebung des Schriftstücks oder eine bloße Kenntnis eines Inhaltes ersetze die Zustellung nicht. Mangels Feststellbarkeit eines tatsächlichen Zukommens des Versäumungsurteils an die Beklagten hätten sie Anspruch auf ordnungsgemäße Zustellung an sie. Das Erstgericht werde eine Entscheidung über den noch nicht erledigten Widerspruch nachzuholen haben.

Die Zulassung des ordentlichen Revisionsrekurses beruhe auf der Überlegung, dass nach den in der Judikatur festgehaltenen und dem vorliegenden Beschluss zugrundegelegten Regeln die Zustellung einer Gerichtsentscheidung beliebig lange beantragt werden könnte, wenn die Entscheidung nur bisher nicht formell ordnungsgemäß zugestellt worden sei, selbst wenn die betroffene Partei von ihrem Inhalt Kenntnis haben müsse oder sich von ihrem genauen Inhalt ohne besondere Mühe Kenntnis verschaffen könne. In der Konsequenz könne daher ein zufällig aufgetretener und nicht sanierter Zustellmangel ohne zeitliche Schranke (wie sie etwa für einen Wiedereinsetzungsantrag gelte, der eine ähnliche Funktion wie der vorliegende Zustellantrag habe) zur Prozessverschleppung eingesetzt werden. Hiezu fehle es an einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

In der Folge wies das Erstgericht den Widerspruch als verspätet zurück, weil schon der Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist als verspätet zurückgewiesen worden sei.

Diesen Beschluss behob das Rekursgericht mit Entscheidung vom 17. Dezember 1999 und trug dem Erstgericht die gesetzmäßige weitere Behandlung des Widerspruchs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.

Da im vorliegenden Fall das Versäumungsurteil den Beklagten noch nicht wirksam zugestellt worden sei, diese aber den Anspruch auf eine solche Zustellung hätten, habe dies zur Folge, dass der Widerspruch zwar wirksam erhoben werden konnte, dass die Frist dafür noch nicht abgelaufen sei. Dagegen spreche auch nicht die vom Erstgericht ins Treffen geführte Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages, dieser sei, wie rechtskräftig feststehe, verspätet. Das bedeute aber nicht, dass damit auch die Versäumung der Frist, die durch die Wiedereinsetzung saniert werden sollte, feststehe. Es sei nur ein Akt anwaltlicher Vorsicht gewesen, nach Kenntnis vom Versäumungsurteil infolge der Zustellung des Exekutionsbewilligungsbeschlusses mehrere Rechtsmittel bzw die Rechtsbehelfe gegen das Versäumungsurteil zu kumulieren. Dadurch, dass die Beklagten neben dem Widerspruch auch einen Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist eingebracht hätten, könnten sie nicht schlechter gestellt werden, als wenn sie nur einen Widerspruch eingebracht hätten. Wenn nun der Widerspruch für sich allein als fristgerecht zu beurteilen sei, könne nichts Anderes dadurch gelten, dass der Wiedereinsetzungsantrag verspätet gewesen sei. Da die Frist für den Widerspruch mangels wirksamer Urteilszustellung noch gar nicht zu laufen begonnen habe, sei der Widerspruch auch nicht verspätet. Das Rekursgericht verkenne nicht die gegen die ausgesprochene Behebung des angefochtenen Beschlusses wegen des prozessverzögernden Effekts möglichen Einwände, die es selbst in seiner Vorentscheidung angeführt und dort zum Anlass für die Zulassung des Revisionsrekurses genommen habe, weshalb auch bei diesem Beschluss die Zulassung eines Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof angezeigt sei.

Gegen diese Beschlüsse richten sich die Revisionsrekurse des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

1. Zum Rekurs gegen den Beschluss vom 1. Juni 1999:

Dieser Beschluss wurde dem Klagevertreter am 18. August 1999 zugestellt, der dagegen erhobene Revisionsrekurs am 21. September 1999 zur Post gegeben.

Der Revisionsrekurs ist verspätet.

Der Revisionsrekurswerber vermeint allerdings, dass der abändernde Beschluss des Rekursgerichtes, mit welchem der Antrag auf Zustellung des Versäumungsurteils bewilligt und dem Erstgericht diese Zustellung aufgetragen wurde, in Analogie zu § 521a ZPO in einem zweiseitigen Rekursverfahren anfechtbar sei.

Dieser Aufassung kann nicht gefolgt werden. Das Rekursverfahren ist auch nach der ZVN 1983 überall dort, wo nicht Gegenteiliges angeordnet ist, einseitig (Kodek in Rechberger Rz 1 zu § 521a mwN); nur in den im Gesetz besonders aufgezählten Ausnahmefällen ist eine Rekursbeantwortung zulässig und beträgt die Rekursfrist vier Wochen (§ 521 ZPO). Das zweiseitige Rekursverfahren ist gemäß § 521a ZPO für einen Rekurs gegen einen Endbeschluss, einen Aufhebungsbeschluß nach § 519 Abs 1 Z 2 oder einen Beschluss, mit dem eine Klage nach Eintritt der Streitanhängigkeit zurückgewiesen oder ein Antrag auf Zurückweisung der Klage verworfen worden ist, vorgesehen. Eine Erweiterung auf andere, nicht im § 521a ZPO genannten Fälle ist nur dann möglich, wenn die Rekurse sich gegen Beschlüsse wenden, die in der Hauptsache entscheiden, oder über die Zulässigkeit des Verfahrens absprechen (Fasching LB2 Rz 1966). Keiner dieser Fälle liegt im angefochtenen Beschluss vor. Das Rekursverfahren ist daher einseitig. Der Revisionsrekurs des Klägers gegen den Beschluss vom 1. Juni 1999 war als verspätet zurückzuweisen, weil der Revisionsrekurs erst nach Ablauf der 14-tägigen Rechtsmittelfrist zur Post gegeben wurde. Mangels Vorliegens eines zweiseitigen Rekursverfahrens war auch die Revisionsrekursbeantwortung zurückzuweisen.

2. Zum Revisionsrekurs gegen den Beschluss vom 17. Dezember 1999:

Wie das Gericht zweiter Instanz zutreffend ausgeführt hat, wurde das Versäumungsurteil vom 22. September 1997 den Beklagten bisher nicht wirksam zugestellt (vgl RIS-Justiz RS0083731, RIS-Justiz RS006064), weil auch die bloße Kenntnisnahme von der Erlassung der Entscheidung die Zustellung nicht ersetzt (5 Ob 756/80). Wurde aber das Versäumungsurteil den Beklagten noch nicht wirksam zugestellt, dann war der Widerspruch rechtzeitig erhoben worden, weshalb das Rekursgericht zutreffend dem Erstgericht ein weiteres Verfahren über die Behandlung des Widerspruchsgrundes aufgetragen hat. Die vom Rekursgericht als rechtserheblich bezeichnete Frage über die Möglichkeit der Prozessverschleppung stellt sich hier jedenfalls nicht, weil - wovon das Rekursgericht selbst ausgeht - die Erhebung des Widerspruchs infolge mangelhafter Zustellung des Versäumungsurteils jedenfalls als rechtzeitig anzusehen war.

Die Revisionsrekursbeantwortung war ebenfalls zurückzuweisen, weil wie schon vorher ausgeführt, ein zweiseitiges Rekursverfahren hier nicht vorgesehen ist.

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