OGH 10ObS58/00b

OGH10ObS58/00b24.10.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter DI Gustav Poinstingl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Winfried Kmenta (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Vojka J*****, vertreten durch Dr. Adalbert Laimer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. November 1999, GZ 8 Rs 230/98x-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2. Februar 1998, GZ 23 Cgs 176/97h-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 4. 3. 1936 geborene Klägerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, hat in Österreich seit 1969 75 Beitragsmonate und 1 Ersatzmonat, insgesamt sohin 76 Versicherungsmonate erworben. Mit Bescheid vom 9. 6. 1997 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 5. 9. 1996 auf Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit mit der Begründung ab, dass die Wartezeit nicht erfüllt sei (Stichtag 1. 10. 1996).

Dagegen richtet sich die vorliegende Klage.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Wartezeit wäre am Stichtag 1. 10. 1996 erfüllt, wenn die Klägerin am Stichtag im Zeitraum der letzten 240 Kalendermonate erworben hätte oder bis zum Stichtaf mindestens 180 Beitragsmonate vor dem Stichtag mindestens 120 Versicherungsmonate vorlägen oder bis zum Stichtag und/oder nach dem 31. 12. 1955 mindestens 300 (Beitrags- oder)Versicherungsmonate vorlägen. Da die Klägerin insgesamt nur 76 Versicherungsmonate, davon 75 Beitragsmonate, erworben habe, sei die Wartezeit nach keiner Variante erfüllt. Da das ehemalige Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit am Stichtag 1. 10. 1996 nicht mehr anzuwenden sei, könnten jugoslawische Versicherungszeiten nicht berücksichtigt werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und trat der Rechtsansicht des Erstgerichts bei. Ob und in welcher Fassung ein Sozialversicherungsabkommen auf einen Fall anzuwenden sei, richte sich nach der Rechtslage am Stichtag; an diesem (1. 10. 1996) sei das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit aber bereits außer Kraft getreten gewesen.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Zutreffend haben bereits die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass die Klägerin zum Stichtag 1. 10. 1996 die Wartezeit für die begehrte vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht erfüllt. Das nach dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien vorerst weiter angewendete Abkommen über Soziale Sicherheit vom 19. November 1965 in der Fassung des Zusatzabkommens vom 19. März 1979 und des zweiten Zusatzabkommens vom 11. Mai 1988 wurde von der Republik Österreich gemäß seinem Art 48 zum 30. September 1996 gekündigt (BGBl 1996/345). Dies hatte zur Folge, dass das Abkommen durch Kündigung außer Kraft getreten ist und im Verhältnis zur Bundesrepublik Jugoslawien seit 1. 10. 1996 im Bereich der Sozialen Sicherheit keine bilateralen Beziehungen mehr bestehen (RIS-Justiz RS0110568). Ein neues Abkommen über Soziale Sicherheit mit der Bundesrepublik Jugoslawien wurde bisher noch nicht ratifiziert. Die Frage, ob und in welcher Fassung ein Sozialversicherungsabkommen auf einen konkreten Fall Anwendung zu finden hat, ist ausgehend von der Rechtslage am Stichtag zu prüfen (SSV-NF 7/46 ua; RIS-Justiz RS0076166). Da der für einen Leistungsanspruch der Klägerin in Betracht kommende Stichtag (1. 10. 1996) bereits nach dem Außerkrafttreten des AbkSozSi-Jugoslawien liegt, kann sich die Klägerin zur Erfüllung der Wartezeit nicht mit Erfolg auf die Bestimmungen dieses Abkommens berufen (10 ObS 302/98d; 10 ObS 20/99k; 10 ObS 20/00i).

Soweit die Revisionswerberin einen Anspruch auf Berücksichtigung von in Jugoslawien erworbenen Verbesserungszeiten daraus ableitet, dass in Art 49 des AbkSozSi-Jugoslawien eine Regelung für den Fall des Außerkrafttretens dieses Abkommens getroffen worden sei, nach der während der Geltung des Abkommens erworbene Anwartschaften und Beitragsmonate in Jugoslawien auch nach der Kündigung des Abkommens anzurechnen seien, kann ihr nicht beigepflichtet werden.

Art 49 AbkSozSi-Jugoslawien lautet:

"(1) Im Falle des Außerkrafttretens dieses Abkommens bleiben alle in Anwendung seiner Bestimmungen erworbenen Leistungsansprüche aufrecht.

(2) Die Anwartschaften aus den Zeiten, die vor dem Außerkrafttreten zurückgelegt worden sind, werden durch das Außerkrafttreten nicht berührt; ihre Wahrung für den späteren Zeitraum wird durch Vereinbarung oder mangels einer solchen Vereinbarung durch die für den beteiligten Versicherungsträger geltenden Rechtsvorschriften bestimmt."

Hieraus lässt sich für den Standpunkt der Klägerin nichts ableiten. Denn weder hat sie bereits Leistungsansprüche in Anwendung der Bestimmungen des AbkSozSi-Jugoslawien erworben, die gemäß Art 49 Abs 1 AbkSozSi-Jugoslawien aufrecht bleiben könnten, noch ist ihr (derzeit) damit gedient, dass die Anwartschaften aus den Zeiten, die vor dem Außerkrafttreten zurückgelegt worden sind, durch das Außerkrafttreten des Abkommens per 30. 9. 1996 nicht berührt werden (Art 49 Abs 2 erster Halbsatz AbkSozSi-Jugoslawien). Ihre Wahrung für den späteren Zeitraum wird nämlich durch eine (erst auszuhandelnde) Vereinbarung bestimmt (Art 49 Abs 2 zweiter Halbsatz AbkSozSi-Jugoslawien); eine derzeitige Vereinbarung (vgl ähnliche Regelungen in den AbkSozSi-Irland [Art 23 Abs 4], AbkSozSi-USA [Art 27 Abs 3], AbkSozSi-Kanada [Art 27 Abs 4] ua) ist bisher allerdings nicht zustandegekommen. Mangels einer solcher Vereinbarung kann die Wahrung für den späteren Zeitraum nur durch die für den beteiligten Versicherungsträger geltenden Rechtsvorschriften bestimmt werden (Art 49 Abs 2 zweiter Halbsatz AbkSozSi-Jugoslawien); in den für den beteiligten (österreichischen) Versicherungsträger geltenden Rechtsvorschriften findet sich aber derzeit keine Grundlage für die Berücksichtigung der jugoslawischen Versicherungszeiten der Klägerin bei der Beurteilung der Wartezeit.

Der Anspruch auf Leistung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 222 Abs 1 Z 1 lit e ASVG) ist an die allgemeine Voraussetzung geknüpft, dass die Wartezeit durch Versicherungsmonate im Sinne des § 235 Abs 2 ASVG erfüllt ist (§ 235 Abs 1 ASVG). Für die Wartezeit sind (von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen) die Versicherungsmonate aller Zweige der Pensionsversicherung - zu ergänzen wäre: nach dem ASVG (Teschner/Widlar, ASVG § 235 Anm 2) - zu berücksichtigen (§ 235 Abs 2 ASVG; ob und inwieweit Beitrags- und Ersatzmonate aus der Pensionsversicherung nach dem GSVG und BSVG mit zu berücksichtigen sind, bestimmt sich nach § 251a ASVG; Teschner/Widlar, ASVG § 235 Anm 2).

Die von der Klägerin angestrebte Zusammenrechnung der von ihr in Österreich erworbenen Versicherungszeiten mit jenen in Jugoslawien hat eine entsprechende positiv-rechtliche Regelung zur Voraussetzung; eine solche Regelung fehlt derzeit jedoch im Verhältnis zur Bundesrepublik Jugoslawien (10 ObS 20/00i). Die Zusammenrechnung der beiderseitigen Versicherungszeiten zur Erfüllung der Wartezeit für den Erwerb eines Leistungsanspruches kommt daher derzeit nicht in Betracht (vgl Siedl/Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Allgemeiner Teil - Pensionsversicherung 81).

Bei den mit der Bundesrepublik Jugoslawien geführten Regierungsverhandlungen wurde aber Einvernehmen darüber erzielt, dass - mit Ausnahme der Familienbeihilfe - durch den umgehenden Abschluss eines neuen Sozialversicherungsabkommens ein lückenloser sozialversicherungsrechtlicher Schutz der Versicherten zu gewährleisten ist. Es wird daher durch eine positiv-rechtliche Norm in einem neuen Abkommen sicherzustellen sein, dass dieses Abkommen rückwirkend ab 1. 10. 1996 in Kraft tritt (vgl Linka, Kündigung einiger Abkommen über Soziale Sicherheit durch die Republik Österreich in SozSi 1996, 763; BMAS 24.930/3-4/97 vom 4. 3. 1997 in ARD 4825/9/97; SozSi 1999, 635 f; 10 ObS 20/00i). Zur Sicherstellung dieser rückwirkenden Anwendung wurde allen in Betracht kommenden Versicherungsträgern die praktische Anwendung des bisherigen Abkommens (ohne den Bereich der Familienbeihilfe) empfohlen (vgl Linka/Siedl, Österreich-Mazedonisches Abkommen über Soziale Sicherheit, AbkSozSi 1998, 430 [431]; 10 ObS 20/00i).

Auf Grund der dargelegten Erwägungen musste die Revision ausgehend von der derzeit bestehenden Rechtslage erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit liegen nicht vor und wurden auch nicht dargetan.

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