Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.358,15 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 893,03, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 16. 6. 1999 ereignete sich auf der Süßenbrunner Hauptstraße auf der Höhe der Einmündung der Pehamgasse ein Verkehrsunfall, an dem ein von der Klägerin gelenkter und gehaltener Geländewagen und ein vom Erstbeklagten gelenktes und gehaltenes, bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversichertes Motorrad beteiligt waren.
Die Klägerin begehrt den Ersatz ihrer Reparaturkosten mit der Begründung, sie habe die Süßenbrunner Hauptstraße in Fahrtrichtung Wien befahren und beabsichtigt, nach links in die Pehamgasse einzubiegen. Sie habe sich links eingeordnet und den Blinker gesetzt. Ein im Gegenverkehr kommender LKW-Lenker habe vor der Kreuzung angehalten um ihr das Einbiegen zu ermöglichen. Daraufhin sei sie losgefahren und über die Gegenfahrbahn nach links eingebogen. Der Erstbeklagte habe die entgegenkommende angehaltene Kolonne rechts über einen markierten Parkstreifen überholt, weshalb ihn das Alleinverschulden am Unfall treffe.
Die Beklagten wendeten ein, das Alleinverschulden treffe die Klägerin, weil der Erstbeklagte zulässigerweise an der Kolonne rechts vorbeigefahren sei. Die Klägerin habe seinen Vorrang missachtet. Sie erhoben eine Gegenforderung in der Höhe von S 44.000.
Das Erstgericht erachtete die Klagsforderung samt gesetzlicher Zinsen für berechtigt, nicht hingegen die Gegenforderung und gab dem Klagebegehren im Wesentlichen statt.
Dabei wurden folgende Feststellungen getroffen:
Die Süßenbrunner Hauptstraße weist im Unfallsbereich zwischen den Randsteinen eine Fahrbahnbreite von rund 9 m auf. Die Pehamgasse mündet in Fahrtrichtung Wien gesehen von links in annähernd rechtem Winkel in die Süßenbrunner Hauptstraße. Der Mündungstrichter ist rund 12 m breit, vor und nach diesem Einmündungstrichter beginnt nach etwa weiteren 2 m eine Bodenmarkierung, die einen Parkstreifen markiert. Die Parkstreifen sind etwa 2 m breit und weisen als Abgrenzung zur verbleibenden Fahrbahn eine unterbrochene weiße Begrenzungslinie auf. In Fahrbahnlängsrichtung gesehen wird der Beginn und das Ende der Parkstreifen jeweils durch eine durchgehende weiße Begrenzungslinie (quer zur Fahrtrichtung) angezeigt. In Fahrtrichtung Wien gesehen ist der Parkstreifen nach der Einmündung der Pehamgasse rund 21 m lang, dann folgt eine Unterbrechung des Parkstreifens über rund 5 m, worauf ein weiterer Parkstreifen von rund 5 m Länge folgt. Die Fahrbahnbreite der Süßenbrunner Hauptstraße beträgt im Bereich der Einmündung der Pehamgasse ohne den Parkstreifen rund 7 m. In deren Mitte verläuft eine Leitlinie, weshalb jeder Richtungsfahrstreifen rund 3,5 m breit ist.
Der Verkehrsunfall ereignete sich kurz nach 17.00 Uhr, es herrschte Tageslicht, die Fahrbahn war trocken. Die Klägerin befuhr die Süßenbrunner Hauptstraße in Fahrtrichtung Wien und beabsichtigte nach links in die Pehamgasse einzubiegen. Der Erstbeklagte fuhr in die Gegenrichtung und beabsichtigte die Kreuzung mit der Pehamgasse geradeaus zu übersetzen. Es herrschte starkes Verkehrsaufkommen und Kolonnenverkehr in beiden Fahrtrichtungen. Die Klägerin setzte vor der Einmündung der Pehamgasse den linken Fahrtrichtungsanzeiger und ordnete sich mit ihrem Fahrzeug zur Fahrbahnmitte hin ein, wo sie im Einmündungsbereich der Pehamgasse in leichtem Schräg-Links-Zug zum Fahrbahnverlauf der Süßenbrunner Hauptstraße ihr Fahrzeug zum Stillstand brachte. Im Gegenverkehr hielt ein Sattelschlepper vor der Einmündung der Pehamgasse an, worauf auch die hinter ihm nachfolgende Kolonne zum Stillstand kam. Der Lenker des Sattelschleppers gab der Klägerin ein Handzeichen, wonach sie vor seinem Fahrzeug nach links in die Pehamgasse einfahren könne. Die Klägerin fuhr normal beschleunigend aus der Stillstandsposition mit Linkseinschlag in Richtung Pehamgasse los und überquerte mit dem Fahrzeug die Gegenfahrbahn. Mittlerweile hatte der in der Kolonne dem Sattelschlepper nachfolgende Erstbeklagte sein Motorrad nach rechts ausgelenkt um die stehenbleibende Kolonne rechts zu überholen. Er befuhr dazu den unverparkten Parkstreifen vor (in seiner Fahrtrichtung gesehen) der Einmündung der Pehamgasse, wobei er eine Geschwindigkeit von rund 20 km/h einhielt. Als er in den Kreuzungsbereich einfuhr, überfuhr er auch die quer zur Fahrtrichtung angebrachte Parkstreifenbegrenzung. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Fahrzeug der Klägerin bereits in Bewegung gesetzt. In weiterer Folge hätte der Erstbeklagte sein Fahrzeug im Kreuzungsbereich wieder nach links lenken müssen, weil der Parkstreifen nach der Einmündung der Pehamgasse verparkt war. So weit kam es jedoch nicht, weil er zuvor mit der rechten Frontecke des Fahrzeuges der Klägerin kollidierte. Beiden Lenkern war bis knapp vor der Kollision die gegenseitige Sicht durch die rechte Frontecke des stehenden Sattelschleppers genommen. Das Fahrzeug der Klägerin legte bis zur Kollision eine Strecke von ca 4 m in rund 4 Sekunden zurück. Erst auf den letzten 1 bis 1,5 m Fahrstrecke vor der Kollision war das Fahrzeug der Klägerin für den Erstbeklagten erkennbar. Es war somit nicht wesentlich länger als eine Sekunde vor der Kollision für den Erstbeklagten auffällig. Anderseits hatte die Klägerin aus ihrer Sitzposition noch schlechtere Sicht auf das Motorrad, weil die Front ihres Fahrzeuges schon früher in das Blickfeld des Erstbeklagten kam als umgekehrt die Klägerin das Motorrad sehen konnte. Beide Fahrzeuglenker reagierten prompt mit einer Vollbremsung.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Erstbeklagte habe beim Vorbeifahren an der angehaltenen Kolonne zur Gänze einen Parkstreifen im Sinne des § 25 Abs 3 BodenmarkierungsV benützt. Das Befahren des Parkstreifens sei zwar zulässig gewesen, doch habe sich der Erstbeklagten auf einer untergeordneten Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO bewegt. Er sei daher gegenüber dem Fließverkehr benachrangt gewesen und hätte gemäß § 19 Abs 7 StVO den Vorrang des links einbiegenden Fahrzeuges der Klägerin nicht verletzen dürfen. Es treffe daher den Erstbeklagten das Alleinverschulden.
Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, die Revision sei zulässig.
Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, gemäß § 25 Abs 3 BodenmarkierungsV seien Parkstreifen am Fahrbahnrand oder innerhalb der Fahrbahn einer Straße oder eines Platzes angeordnete Flächen, auf denen Fahrzeuge in einer Reihe aufgestellt werden könnten. Gemäß § 26 Abs 1 BodenmarkierungsV seien Bodenmarkierungen auf Parkflächen so auszuführen, dass die beste Ausnutzung des vorhandenen Platzes gewährleistet und die Zu- und Abfahrt leicht möglich sei. Gemäß Abs 3 leg cit seien die Bodenmarkierungen in weißer Farbe auszuführen. Solle die Zufahrt zu Parkflächen oder das Verlassen derselben in bestimmten Abschnitten verboten sein, so sei die weiße Abgrenzungslinie durch eine Sperrlinie zu ersetzen. Gemäß Abs 4 leg cit seien die Abgrenzungen von Parkflächen und Abstellflächen innerhalb derselben sowie deren Unterteilung durch nicht unterbrochene Linien mit Strichbreiten von 10 bis 12 cm zu kennzeichnen.
Gemäß Abschnitt II der BodenmarkierungsV seien die in § 5 beschriebenen Sperrlinien Längsmarkierungen, weshalb die am Beginn und Ende des Parkstreifens quer angebrachten durchgehenden weißen Linien keine Sperrlinien seien. Es handle sich dabei auch nicht um Haltelinien, weil diese mindestens 30 cm breit sein müssten. Das Argument der Klägerin, den Erstbeklagten treffe deshalb das Alleinverschulden, weil er eine Sperrlinie überfahren habe, sei unrichtig.
Bei der abgegrenzten Fläche am rechten Fahrbahnrand vor der Kreuzung mit der Pehamgasse handle es sich um einen Parkstreifen, weil er im Sinne der §§ 25, 26 der BodenmarkierungsV gekennzeichnet gewesen sei. Dieser Parkstreifen sei Teil der Straße, aber kein Fahrstreifen. Dessen ungeachtet sei aber dem Erstbeklagten nicht der Vorrang gemäß § 19 Abs 5 StVO zugestanden. Gemäß § 19 Abs 6 StVO seien nämlich Fahrzeuge, die von Parkplätzen kämen, gegebenüber Fahrzeugen im Fließverkehr benachrangt. Dieser Nachrang beziehe sich auch auf einen entgegenkommenden Linksabbieger, weil sich dieser im Fließverkehr befinde. Parkstreifen seien nicht für den Durchzugsverkehr bestimmt, weil sie keine Fahrstreifen seien. Es sei daher derjenige, der einen Parkstreifen mit der vollen Breite seines Fahrzeuges durchfahre, gemäß § 19 Abs 6 StVO gegenüber dem Fließverkehr benachrangt. Da der Parkstreifen kein Fahrstreifen sei, sei der Erstbeklagte trotz des Rechtsfahrgebotes gemäß § 7 StVO nicht verpflichtet gewesen, nach rechts auf diesen auszuweichen. Die Voraussetzungen des § 17 Abs 4 StVO, wonach an Fahrzeugen, die gemäß § 18 Abs 3 StVO anhielten, vorbeigefahren werden dürfe, seien nicht gegeben, weil dies nur dann zulässig sei, wenn wenigstens zwei Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung vorhanden seien. Dies sei nicht der Fall. Überdies hätten die Regeln der §§ 17 Abs 4, 18 Abs 3 StVO keinen Einfluss auf die Vorrangregeln.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil sich Unfälle wie der hier zu beurteilende durchaus häufig ereignen könnten und, soweit überblickbar, keine explizite höchstgerichtliche Judikatur zur Frage bestehe, ob ein Fahrzeuglenker, der mit der gesamten Breite seines Fahrzeuges einen nicht verparkten Fahrstreifen durchfahre, gemäß § 19 Abs 6 StVO benachrangt sei.
Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.
Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Parteien nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig aber nicht berechtigt.
Die beklagten Parteien vertreten in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, die Entscheidung des Berufungsgerichtes widerspreche der Entscheidung ZVR 1986/26, wonach ein Kfz-Lenker, der an einem zum Einbiegen nach links eingeordneten Fahrzeug rechts unter Überschreitung der Begrenzungslinie und Mitbenützung der an die Fahrbahn angrenzenden Abstellfläche vorbeifahre, nicht aus einer untergeordneten Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO komme. Dieser Entscheidung liege ein Sachverhalt zugrunde, der dem hier zu beurteilenden vergleichbar sei. Dem Erstbeklagten, der den Parkstreifen beim Vorbeifahren am Sattelschlepper nach § 17 Abs 1 letzter Satz StVO benützt habe, komme aufgrund der Tatsache, dass er nach wie vor Teilnehmer am fließenden Verkehr gewesen sei, Vorrang gegenüber der Lenkerin des Klagsfahrzeuges zu.
Hiezu wurde erwogen:
Rechtliche Beurteilung
Parkstreifen - es handelt sich dabei um Parkflächen im Sinne des § 22 der Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr BGBl 1995/848 über Bodenmarkierungen (BodenmarkierungsV) - sind Flächen am Rand oder innerhalb der für den fließenden Verkehr bestimmten Fahrbahn einer Straße oder eines Platzes, die der Aufstellung von Fahrzeugen in einer Reihe dienen (§ 22 Z 2 BodenmarkierungsV). Gemäß § 23 Abs 1 BodenmarkierungsV sind Bodenmarkierungen für Parkflächen so auszuführen, dass die beste Ausnützung des vorhandenen Platzes gewährleistet und das Zu- und Abfahren leicht möglich ist. Die Abgrenzungen von Parkflächen zu allein für den Fließverkehr bestimmten Fahrbahnteilen sind, wenn es die Verkehrsverhältnisse oder die örtlichen Gegebenheiten erforderten, in Bereichen, in denen die Zufahrt erlaubt sein soll, durch Begrenzungslinien (§ 8 Abs 3 BodenmarkierungsV) zu kennzeichnen (§ 23 Abs 3 BodenmarkierungsV). Begrenzungslinien sind unterbrochene Längsmarkierungen in weißer Farbe, die die Fahrbahn oder den allein für den fließenden Verkehr bestimmten Teil der Fahrbahn von anderen Verkehrsflächen abgrenzen (§ 8 Abs 3 BodenmarkierungsV). Beim Längsparken muss die den Beginn oder das Ende eines Parkstreifens anzeigende Markierungslinie, gemessen in der Fahrbahnrichtung, vom nächsten Schnittpunkt der Gehsteigkanten oder vergleichbarer Einrichtungen mindestens 5 m entfernt sein (§ 23 Abs 7 BodenmarkierungsV). Bei diesen Markierungslinien handelt es sich nicht um Sperrlinien, weil letztere nicht unterbrochene Längsmarkierungen sind (§ 6 BodenmarkierungsV).
Daraus folgt, dass es sich bei der vom Erstbeklagten benützten Fläche um einen Parkstreifen im Sinne des § 22 Z 2 BodenmarkierungsV handelt, der entsprechend § 23 BodenmarkierungsV auch gekennzeichnet war.
Ein derartiger Parkstreifen ist Teil der Fahrbahn im Sinne des § 2 Abs 1 Z 2 StVO (ZVR 1990/143; MGA, StVO10, Rz 6 zu § 2; vgl auch ZVR 1998/45). Dieser Teil der Fahrbahn dient aber dem Aufstellen von Fahrzeugen in einer Reihe (§ 22 Z 2 BodenmarkierungsV), es handelt sich dabei um eine nicht für den fließenden Verkehr bestimmte "andere" Verkehrsfläche im Sinne des § 8 Abs 3 BodenmarkierungsV. Ein derartiger Parkstreifen ist einem Parkplatz vergleichbar, weshalb gemäß § 19 Abs 6 StVO Fahrzeuge im fließenden Verkehr Vorrang gegenüber Fahrzeugen hben, die von einer derartigen Fläche kommen (aA MGA StVO10, Rz 6 zu § 2, allerdings mit unzutreffender Berufung auf ZVR 1986/26, welche Entscheidung eine - durch eine Begrenzungslinie von der Fahrbahn abgetrennte - Zu- und Abfahrt einer Autobushaltestelle, wenngleich in der Begründung von einer "Abstellfläche" die Rede ist betraf).
Daraus folgt, dass der Erstbeklagte gemäß § 19 Abs 6 StVO benachrangt war und ihn das Alleinverschulden an dem Unfall trifft.
Der Entscheidung ZVR 1986/26 liegt, wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, auch hinsichtlich des Befahrens der benachbarten Verkehrsfläche ein anderer Sachverhalt zugrunde. Dort wurde die an die Fahrbahn angrenzende, durch eine Begrenzungslinie abgetrennte Verkehrsfläche nicht zur Gänze und nicht zum Durchfahren, sondern lediglich (teilweise) beim (erlaubten) Vorbeifahren nach § 17 Abs 1 letzter Satz StVO benutzt. Anders als im Fall dieser Entscheidung hat der Erstbeklagte den Parkstreifen aber zur Gänze durchfahren und ist somit von einer untergeordneten Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO gekommen. Außerdem lag kein Fall des § 17 Abs 1 letzter Satz StVO vor, weil die stehende Kolonne, an der er rechts vorbeigefahren ist nicht zum Linsabbiegen eingeordnet war und die Fahrzeuge auch nicht den linken Blinker eingeschaltet hatten.
Der unberechtigten Revision war deshalb keine Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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