OGH 15Os111/00

OGH15Os111/007.9.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. September 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lackner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Arman M***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall und Abs 3 erster Fall SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Ashot D***** sowie über die Berufung des Angeklagten Arman M***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 23. Feber 2000, GZ 8 Vr 2795/99-68, und dessen Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten Ashot D***** auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche und andere Entscheidungen enthält, wurden die Angeklagten Arman M***** (zu A I.), Ashot D***** (zu A I. und E) des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall und Abs 3 erster Fall SMG (wobei - von den Prozessparteien ungerügt - das subjektive Tatelement der "Gewerbsmäßigkeit" im historischen Sachverhalt des Schuldspruchs A I. nicht angeführt ist [US 2], wohl aber bei der rechtlichen Subsumtion [US 3] und in den Entscheidungsgründen [US 10, 15 f]) sowie beide Angeklagten (zu II.) des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG und der Angeklagte D***** überdies der Vergehen (zu C) nach § 28 Abs 1 SMG und (zu D) nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG schuldig erkannt.

Danach hat der Angeklagte Ashot D***** (Arman M***** hat keine Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen)

A) den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift

I. in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit Arman M***** als unmittelbarer Täter

1. in Verkehr gesetzt, indem sie

a) am 16. September 1999 in Graz einem verdeckten Ermittler eine Kokainprobe von ca 0,5 Gramm übergaben,

b) am 19. September 1999 in Graz einem verdeckten Ermittler eine weitere Kokainprobe überließen und

c) am 19. September 1999 in Thal einem verdeckten Ermittler 222 Gramm Kokain (130 +/- 3,5 Gramm Reinsubstanz) übergaben;

II. von einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt an bis zum 19. September 1999 in Graz und anderen Orten erworben und besessen, indem sie Kokain und Canabisprodukte an sich brachten (und zumindest teilweise konsumierten); darüber hinaus

Ashot D***** allein

C) den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte in einer großen

Menge (§ 28 Abs 6 SMG) mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er am 19. September 1999 in Thal 1300,6 Gramm Haschisch (mit 96 +/- 9,2 Gramm THC Reinsubstanz) zwecks Weiterveräußerung in einem Baumstrunk versteckte;

D) von einem nicht feststellbaren Zeitpunkt an bis zum 19. September 1999 in Thal und anderen Orten, wenn auch nur fahrlässig, unbefugt eine genehmigungspflichtige Schusswaffe, nämlich eine Pistole der Marke Star, Kaliber 9 mm, besaß;

E) von März 1998 bis 19. September 1999 in Graz und anderen Orten den

bestehenden Vorschriften zuwider gewerbsmäßig weiteres Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt, indem er an Silvana M***** 400 Gramm Kokain zum Grammpreis von 800 S sowie etwa 150 Gramm Haschisch zum Grammpreis von 55 S veräußerte.

Dagegen richtet sich die vom Angeklagten Ashot D***** aus Z 1, 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Die auf den zuerst genannten Nichtigkeitsgrund (Z 1) gestützte Rüge versagt.

Im Verlauf der Hauptverhandlung gab die Zeugin Silvana M***** eingangs ihrer Vernehmung an, sie sei in der Woche vorher vom Landesgericht für Strafsachen Graz infolge ihrer voll geständigen Verantwortung in der eigenen Strafsache rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Im Anschluss daran lehnte der Verteidiger des Beschwerdeführers "zumindest den Vorsitzenden und auch den beisitzenden Richter" ab, "weil die Vorkenntnisse des Senates im Sinne des § 68 StPO einer untersuchungsrichterlichen Tätigkeit entsprechen, in dem Strafverfahren gegen Silvana M***** sich der Senat Kenntnis von Beweisen und Beweismitteln verschafft hat, die der Verteidigung nicht zur Verfügung stehen und darüber hinaus aber eine Meinung vorgefasst worden ist, was sich aus dem Strafakt gegen Silvana M***** ergibt" (S 365).

Der Gerichtshof fasste hierauf gemäß § 238 StPO zulässig (Mayerhofer StPO4 § 74 E 8, § 281 Z 4 E 10) und zutreffend den Beschluss auf Abweisung dieses Antrages infolge Nichtvorliegens eines Ausschließungsgrundes und etwaigen Befangenheitsgrundes (ebenso S 365), sodass für den Rechtsmittelwerber auch aus der Sicht einer Verfahrensrüge (Z 4) unter der Annahme, dass ein solcher erfolgloser Antrag einen Vertagungsantrag in sich begreift, nichts zu gewinnen ist.

Im Übrigen ist weder der Aktenlage noch der Beschwerde ein Hinweis dafür zu entnehmen, dass das erkennende Gericht über "Vorkenntnisse aus einem Verfahren, an welchem der Angeklagte Ashot D***** nicht beteiligt war", verfügt hätte (die Mängelrüge bringt dies deutlich zum Ausdruck: "..., sodass anzunehmen ist, ..."), denen zufolge das Tatgericht - nach Meinung des Rechtsmittelwerbers - als "nicht gehörig besetzt" und nicht als "unparteiisch" im Sinne eines "fair trial" anzusehen wäre. Ebensowenig legt die Beschwerde konkret dar, inwiefern ein (von ihr bloß unsubstantiiert behaupteter) Verfahrensvorsprung in den Schuldspruch II und E des Urteilssatzes eingeflossen ist.

Der weitere Einwand hinwieder, in den Entscheidungsgründen sei zum Schuldspruch E kein einziges Beweismittel aus "diesem" (ersichtlich gemeint: dem urteilsgegenständlichen) Verfahren angeführt, übergeht, dass das Schöffengericht die hiezu getroffenen Feststellungen auf die sicherheitsbehördlichen Erhebungen (vgl Nachtragsanzeige ON 2 im einbezogenen Akt ON 58) und auf die (den Angeklagten belastenden) Aussagen der Zeugen Silvana Mühlbacher (S 366 ff) stützt (US 11, 14 f).

Als nichtig (Z 4) rügt der Beschwerdeführer die (entgegen der Vorschrift des § 238 Abs 2 StPO ohne Ersichtlichmachung der Gründe im Hauptverhandlungsprotokoll erfolgte) Abweisung des von seinem Verteidiger gestellten Antrages, "den Zeugen P***** [Verfasser des Berichtes über die verdeckt geführten Ermittlungen - ON 19] zu beauftragen, die Sprachkenntnisse der Informationsquelle dem Gerichte mitzuteilen, weil bei entsprechender Berichterstattung über die Sprachkenntnisse der Informationsquelle deutlich wird, dass Komunikationsschwierigkeiten mit dieser Informationsquelle bestanden haben und daher unrichtig an den VE [verdeckten Ermittler] über die Vorgänge laut ON 19 berichtet worden ist, weil sich in Wirklichkeit alles so zugetragen hat, wie der Zweitangeklagte es dargestellt hat, somit Ashot D***** weder Mittäter noch Täter in welcher Form auch immer hinsichtlich des Vorwurfs in der Anlageschrift 15 St 771/99 ON 43 ist" (S 360 f).

Abgesehen davon, dass im Verfahren weder der Nichtigkeitswerber selbst noch der Mitangeklagte M***** oder der verdeckte Ermittler Hinweise auf allfällige Sprachschwierigkeiten gaben (vgl etwa S 355, 360 f), die ins Treffen geführten "Komunikationsschwierigkeiten" somit auf bloßen Vermutungen des Verteidigers beruhen, wird diese Behauptung dadurch schlagend widerlegt, dass der dem Schuldspruch A I. zugrundeliegende Kokain-Deal, worauf sich die Beschwerde bezieht, tatsächlich durchgeführt worden ist. Seiner Bedeutung nach zielt der abgelehnte Antrag somit unzulässigerweise auf einen Erkundungsbeweis.

Daher wurde der Angeklagte D***** durch die Abweisung des gestellten Beweisantrages in seinen Verteidigungsrechten nicht verkürzt.

Soweit die (ohnehin nur selbst beweiswürdigenden und spekulativen) sonstigen Beschwerdeausführungen über das (für die Relevanzprüfung allein ausschlaggebende) Vorbringen zur Antragstellung im Verfahren erster Instanz hinausgehen, müssen sie als verspätet vorgebracht auf sich beruhen.

Die gegen den Schuldspruch E des Urteilssatzes gerichtete Mängelrüge (Z 5) schlägt fehl. Denn der exakte Anfangs- und Endzeitpunkt der Suchtgiftverkäufe des Angeklagten an Silvana M***** betrifft fallbezogen keinen entscheidenden (also weder für die Unterstellung der Tat unter das Gesetz noch für die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes maßgebenden) Umstand. Dies umso weniger, als der Verurteilung eben jene anklagegegenständlichen Suchtgiftmengen (400 Gramm Kokain und 150 Gramm Haschisch) zugrundeliegen, die von der Beschwerde insoweit unbekämpft gelassen werden (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 18, 26; zum Wesen der Aktenwidrigkeit: E 185).

Demnach haftet dem bekämpften Schuldspruch auch der formelle Begründungsmangel nicht an.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der auf "die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung" zielenden Beschwerdeanträge (S 413) - als offenbar unbegründet gemäß § 285d Abs 1 Z 2 StPO bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Daraus folgt, dass die Entscheidung über die Berufungen und die implizierte Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) in die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Graz fällt (§ 285i StPO).

Die in der gemäß § 35 Abs 2 StPO zur Stellungnahme der Generalprokuratur erstatteten Äußerung vertretene Ansicht des Beschwerdeführers, er habe nach Art 6 EMRK einen Rechtsanspruch auf eine öffentliche mündliche Verhandlung, bei der er selbst vor Gericht erscheinen könne, um seine Verteidigungsrechte auszuüben, weshalb vorliegend in einem öffentlichen Gerichtstag über seine Nichtigkeitsbeschwerde zu verhandeln und er zu diesem Gerichtstag vorzuführen sei, um selbst zu seiner Verteidigung Erklärungen abzugeben, ist verfehlt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat wiederholt -

insbesondere im Zusammenhang mit dem Nichtigkeitsverfahren vor dem

österreichischen Obersten Gerichtshof - ausgesprochen, dass eine

öffentliche Verhandlung vor dem Rechtsmittelgericht nicht

erforderlich ist, wenn in erster Instanz eine solche stattgefunden

hat und die Beweiswürdigung des Erstgerichtes nach innerstaatlichen

Bestimmungen durch das Rechtsmittelgericht nicht zu prüfen ist

(Urteil vom 22. Februar 1996, Nr 59/1994/506/588 = ÖJZ 1996, 430;

Urteil vom 29. Februar 1996, Nr 50/1994/497/579 = ÖJZ 1996, 675

jeweils mit Zitaten von Vorjudikatur; Frowein/Peukert EMRK-Komm2 Art 6 RN 95, 118; 15 Os 115/97).

Hiezu kommt, dass gemäß § 285d Abs 1 Z 2 iVm § 285c Abs 1 StPO eine sich auf die im § 281 Abs 1 Z 1 bis 8 und 11 StPO angegebenen Nichtigkeitsgründe stütztende Nichtigkeitsbeschwerde bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückgewiesen werden kann, wenn der Generalprokurator oder der Berichterstatter einen darauf zielenden Antrag stellt und der Obersten Gerichtshof einstimmig erachtet, dass die Beschwerde, ohne dass es einer weiteren Erörterung bedarf, als offenbar unbegründet zu verwerfen sei. Diese Fallkonstellation ist hier gegeben.

Davon zu unterscheiden ist jedoch das in Art 2 Abs 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK statuierte, vom Beschwerdeführer im aktuellen Fall auch in Anspruch genommene Recht, das verurteilende Erkenntnis erster Instanz von einem übergeordneten Gericht nach-(über-)prüfen zu lassen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte