OGH 2Ob156/99a

OGH2Ob156/99a2.8.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kurt Dieter G*****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei ***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Walter Breitwieser und Mag. Paul Max Breitwieser, Rechtsanwälte in Wels, wegen S 330.000 s.A. und Feststellung (Streitwert S 50.0000) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 10. Februar 1999, GZ 6 R 210/98i-13, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 18. August 1998, GZ 1 Cg 138/98h-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 18. 6. 1995 ereignete sich gegen 03.00 Uhr morgens im Ortsgebiet von Edt bei Lambach ein Verkehrsunfall, bei dem der bei der beklagten Partei haftpflichtversicherte PKW Renault Espace von der Fahrbahn abkam und gegen eine Lagerhalle prallte. Bei diesem Unfall wurde der im Fahrzeug befindliche Kläger schwer verletzt. Ein weiterer Fahrzeuginsasse wurde dabei getötet.

Der Kläger begehrt Schmerzengeld von S 330.000 sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle nachteiligen Folgen aus dem Verkehrsunfall vom 18. 6. 1995 bis maximal S 12 Mio. Er brachte dazu vor, Beifahrer in dem verunfallten Fahrzeug gewesen zu sein. Lenker sei der bei diesem Unfall getötete Walter L***** gewesen. Halter des Fahrzeuges sei seine Gattin gewesen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei alleiniger Halter bzw gemeinsam mit seiner Ehegattin Halter des Unfallfahrzeuges gewesen. Er habe das Fahrzeug selbst gelenkt bzw könne nicht nachweisen, dass das Fahrzeug vom anderen Fahrzeuginsassen gelenkt worden sei. Der auf die Bestimmungen des EKHG gestützte Schadenersatzanspruch sei daher nicht gegeben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es ging davon aus, dass nicht mehr feststellbar sei, ob der Kläger oder Walter L***** das Fahrzeug zum Unfallszeitpunkt gelenkt habe.

Zur Haltereigenschaft des Klägers gab es nachstehende weitere Feststellungen:

Zum Unfallszeitpunkt war der Kläger als Koch im Gastgewerbe im Betrieb seiner Ehefrau angestellt. Zum Betriebsvermögen der Gastwirtschaft der Ehefrau gehörte unter anderem auch ein PKW Renault Espace. Dieses von der Ehefrau des Klägers angekaufte und aus steuerlichen Gründen in deren Betriebsvermögen geführte Fahrzeug war auf ihren Namen zugelassen. Die Ehefrau des Klägers war auch Versicherungsnehmer des Haftpflichtversicherungsvertrages. Be- und genutzt wurde das Fahrzeug gleichteilig vom Kläger bzw von seiner Ehefrau. Das Fahrzeug wurde dabei sowohl für private Zwecke als auch für beruflich veranlasste Fahrten verwendet. Der Kläger und seine Ehefrau besaßen je einen eigenen Schlüssel für das Fahrzeug. Die mit dem Betrieb verbundenen Kosten wurden - je nach Benützung - teils vom Kläger, teils von seiner Ehefrau getragen. Beide waren berechtigt, über das Fahrzeug zu verfügen.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, dass der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau Mithalter und Insasse des Unfallfahrzeuges gewesen sei. Als solche stehe er näher zum Beweis als die abwesende Mithalterin, weshalb nicht die Lenkereigenschaft des Klägers die rechtshindernde, sondern die Nichtlenkereigenschaft die rechtserzeugende Tatsache sei und daher vom Kläger zu beweisen gewesen wäre, dass er nicht selbst Lenker gewesen sei.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes teilte es die Rechtsmeinung des Erstgerichtes, dass bei Würdigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen zum Betrieb die Merkmale, die für die Haltereigenschaft wesentlich seien, auch beim Kläger in so großer Zahl und so gegeben seien, dass dieser ebenfalls als Mithalter anzusehen sei. Zur Frage des Ausschlusstatbestandes des § 3 Z 3 EKHG führte es aus, dass in den Entscheidungen 2 Ob 28/84 und ZVR 1989/114 ausgesprochen worden sei, dass es Sache eines bei einem Verkehrsunfall Geschädigten sei, zu beweisen, dass die Bestimmungen des EKHG auf ihn anwendbar seien; Unklarheiten darüber, ob er Lenker oder Fahrgast des verunglückten Fahrzeuges gewesen sei, gingen demnach zu Lasten des Geschädigten. Von dieser Rechtsansicht sei der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 2 Ob 86/98f (= JBl 1998, 724 = ZVR 1999/132) abgegangen. Danach treffe für das Vorliegen der in § 3 EKHG genannten Ausschlusstatbestände die Beweislast den Betriebsunternehmer oder den Halter. Der Kläger sei nicht nur geschädigter Insasse im Fahrzeug gewesen, sondern auch Mithalter des Fahrzeuges. Dieser stehe als Insasse des Fahrzeuges jedenfalls näher zum Beweis der Tatsache dafür, dass das Fahrzeug nicht von ihm gelenkt worden sei, als die abwesende Mithalterin.

Die ordentliche Revision sei zur Weiterentwicklung der Rechtsprechung zur Beweislast des Ausschlusstatbestandes des § 3 Z 3 EKHG für zulässig zu erklären.

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Stattgebung des Klagebegehrens hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft. Er liegt nicht vor, was nicht weiter zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass nach der älteren Rechtsprechung (2 Ob 28/84 und ZVR 1989/114) es Sache des bei einem Verkehrsunfall Geschädigten war zu beweisen, dass die Bestimmungen des EKHG auf ihn anwendbar seien. Unklarheiten darüber, ob er Lenker oder Fahrgast des Unfallfahrzeuges war, gingen daher zu Lasten des Geschädigten. In der Entscheidung 2 Ob 86/98f (= JBl 1998, 724 = ZVR 1999/132) hat sich der erkennende Senat ausführlich mit der Frage der Beweislastverteilung bei Berufung auf den Ausnahmetatbestand des § 3 Z 3 EKHG auseinandergesetzt und ist zur Auffassung gekommen, dass die bisherige Rechtsprechung, dass es Sache des geschädigten Klägers sei, zu beweisen, dass er nicht im Sinn des § 3 Z 3 EKHG bei Betrieb des Kraftfahrzeuges tätig gewesen sei, im konkreten Fall nicht aufrecht erhalten werden könne. Für das Vorliegen der im § 3 EKHG genannten Ausschlusstatbestände treffe die Beweislast Betriebsunternehmer oder Halter. Auf die Frage, ob der auf Schadenersatz klagende Insasse eines Kraftfahrzeuges gegenüber dem Halter, der beim Unfall nicht im Fahrzeug gesessen sei, zum Beweis seiner Nichtlenkereigenschaften näher sei als der Halter zum Beweis von dessen Lenkerschaft, weshalb dann der Kläger den Beweis der Nichtlenkereigenschaft antreten müsse, müsse nicht eingegangen werde. Dabei sei zu berücksichtigen, dass im referierten Fall Halter und Insasse eines verunglückten Fahrzeuges die beklagte Partei war.

Nach den in der Entscheidung 2 Ob 86/98f dargelegten Grundsätzen, muss jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Normen behauptet und beweisen. In den Fällen der Haftung ohne eigenes Verschulden des Ersatzpflichtigen muss der Geschädigte neben Schaden und Verursachung die weiteren Voraussetzungen beweisen, an die das Gesetz die Haftung knüpft; bei Ansprüchen nach dem EKHG muss der Geschädigte nachweisen, dass die Schädigung beim Betrieb des Fahrzeuges erfolgte. Hingegen muss der Halter (und die für ihn haftende Haftpflichtversicherung) die für ihn günstige Ausnahme des § 3 Z 3 EKHG beweisen, um die für ihn nachteilige Gefährdungshaftung abzuwenden. Tritt der Halter aber als Kläger mit der Behauptung auf, nicht Lenker gewesen zu sein, der Unfall sei vielmehr von einem mitversicherten berechtigten Lenker verschuldet worden, und will er von seiner Haftpflichtversicherung Entschädigung, dann liegt dieses Interesse an der Ausnahme bei der beklagten Haftpflichtversicherung, die nach den dargestellten Grundsätzen die Beweislast für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes trifft. Der Käger ist hier (nur) Mithalter, weshalb die zweite Mithalterin (die Ehefrau des Klägers) und deren Haftpflichtversicherung (die Beklagte) das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes zu beweisen hätten.

Der Rechtsansicht Fuciks (Die objektive Beweislast besonders im Haftpflichtprozess RZ 1990, 54 ff [58]) der jedenfalls im Fahrzeug befindliche Geschädigte stehe näher zum Beweis als der abwesende Halter, weshalb nicht die Lenkereigenschaft des Klägers die rechtshindernde, sondern die Nichtlenkerschaft die rechtserzeugende Tatsache und daher vom Kläger zu beweisen sein, dass er selbst nicht Lenker gewesen sei, kann nicht gefolgt werden. Eine Verschiebung der Beweislast aus dem Grund der "Nähe zum Beweis" kann nur ausnahmsweise bei der Klärung von Tatfragen, die tief in die Sphäre der anderen Partei hineinführen, eintreten (SZ 60/218; 4 Ob 1638/95 mwN). Dass der Geschädigte Insasse des verunglückten Fahrzeuges war, der Halter hingegen nicht, reicht allein noch nicht aus, um eine Verschiebung der oben dargestellten Beweislast zu wirken.

Es ist daher davon auszugehen, dass die beklagte Versicherung den ihr obliegenden Beweis der Lenkerschaft des Klägers und sohin den Ausnahmetatbestand des § 3 Z 3 EKHG nicht erbracht hat, weshalb sie nach den Regeln der Gefährdungshaftung für den Unfall einzustehen hat.

Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zur Höhe des geltend gemachten Anspruches zu treffen haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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