OGH 10ObS5/00h

OGH10ObS5/00h27.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf und die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und DDr. Wolfgang Massl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Lolitta R*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Weitergewährung der Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Oktober 1999, GZ 8 Rs 131/99t-47, womit infolge und aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. April 1999, GZ 25 Cgs 64/96f-43, teilweise bestätigt und teilweise als nichtig aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor; diese Beurteilung bedarf nach § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO keiner Begründung. Die Feststellung oder Nichtfeststellung bestimmter Tatsachen resultiert aus der freien Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann (Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 1 zu § 503; SSV-NF 7/12 ua; RIS-Justiz RS0043320, RS0043414).

Im Urteil des Erstgerichtes finden sich alle für die rechtliche Beurteilung der Sache erforderlichen Feststellungen. Die Entscheidungsgrundlage ist vollständig; Feststellungsmängel infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung liegen nicht vor. Das Berufungsgericht verneinte im Ergebnis zurecht einen Anspruch der Klägerin auf Weitergewährung der Invaliditätspension. Zur Frage der Therapierbarkeit der der seinerzeitigen Leistungsgewährung zu Grunde liegenden psychischen Erkrankung bedarf es jedoch folgender ergänzender Klarstellung:

Vorauszuschicken ist, dass gemäß § 99 Abs 1 ASVG eine laufende Leistung zu entziehen ist, wenn die Voraussetzungen des Anspruches auf sie nicht mehr vorhanden sind und der Anspruch nicht bereits ohne weiteres Verfahren erlischt. Die Leistungsentziehung setzt nach ständiger Rechtsprechung eine wesentliche, entscheidende Veränderung in den Verhältnissen voraus, wobei für den anzustellenden Vergleich die Verhältnise im Zeitpunkt der Leistungszuerkennung mit den Verhältnissen im Zeitpunkt der Leistungsentziehung in Beziehung zu setzen sind. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse kann unter anderem in der Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen oder geistigen Zustandes oder in einer Besserung der Arbeitsfähigkeit infolge Gewöhnung und Anpassung an den Leidenszustand liegen. Ist der Leistungsbezieher durch diese Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt wieder einsetzbar, ist auch eine Leistungsentziehung sachlich gerechtfertigt. Nicht gerechtfertigt ist eine Leistungsentziehung, wenn nachträglich festgestellt wird, dass Leistungsvoraussetzungen von vornherein gefehlt haben. Haben die objektiven Grundlagen für eine Leistungszuerkennung keine wesentliche Änderung erfahren, so steht die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung entgegen. An dieser Änderung fehlt es regelmäßig dann, wenn bestimmte Leistungsvoraussetzungen nie vorhanden waren. Hier ist Rechtssicherheit vor Rechtmäßigkeit zu reihen (SSV-NF 1/27, 1/43, 2/43, 4/149, 6/17, 7/2, 10/110 ua, zuletzt 10 ObS 56/00h mwN).

Im vorliegenden Fall gingen die Tatsacheninstanzen davon aus, dass die am 8. 5. 1956 geborene Klägerin bei der seinerzeitigen Gewährung der Invaliditätspension ab August 1981 an depressiven Stimmungsschwankungen mit Nervosität, Reizbarkeit, Unruhe und Schlafstörungen litt und demzufolge nicht in der Lage war, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Zum Zeitpunkt der Entziehung der Invaliditätspension lag eine Besserung infolge Stabilisierung des psychischen Gesundheitszustandes unter Wegfall der depressiven Verstimmung und Schwankungen vor, sodass nicht mehr von einer rezidivierend auftretenden depressiven Grundhaltung gesprochen werden kann. Die Klägerin ist nunmehr zufolge Besserung ihres psychischen Gesundheitszustandes in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen auszuüben, wobei jedoch dauerndes Sitzen oder Stehen durch Ausgleichsbewegungen unterbrochen werden soll. Ausgeschlossen sind Nass-, Putz- und sonstige Arbeiten mit vermehrten Geruchsstoffen, die zu einer übermäßigen Verschmutzung führen können, sowie Arbeiten mit forciertem Arbeitstempo, Akkord-, Fließband- und Nachtarbeiten. Bei diesem Leistungskalkül kann die keinen Berufsschutz genießende Klägerin noch eine ganze Reihe von im Ersturteil festgestellten Verweisungstätigkeiten ausüben (§ 255 Abs 3 ASVG).

Die Revisionswerberin bestreitet nun gar nicht, dass sie ab der Entziehung der Leistung in der Lage wäre, einer regelmäßigen Beschäftigung nachzugehen, sondern argumentiert nur mehr dahin, dass sie schon zum Zeitpunkt der Gewährung der Invaliditätspension ab August 1981 zufolge Therapierbarkeit ihrer psychischen Erkrankung im Rahmen eines drei- bis sechsmonatigen Krankenstandes nicht invalid gewesen sei. Da die Voraussetzungen für eine Invaliditätspension von Anfang an gefehlt hätten, sei auch keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten, sodass die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung entgegenstehe.

Der Revisionswerberin ist einzuräumen, dass das Verfahren Anhaltspunkte für eine medikamentöse Therapierbarkeit von Depressionen binnen 3 bis 6 Monaten ergeben hat, wobei allerdings den Feststellungen des Erstgerichtes nicht eindeutig entnommen werden kann, ob dies schon für den Zeitpunkt der Gewährung der Invaliditätspension im Jahre 1981 zu gelten hat. Die fehlende Klärung dieser Frage steht jedoch der Erledigung der Sache nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass die Duldungspflichten vom Versicherten verlangen, sich bestimmten ärztlichen Untersuchungen oder Heilbehandlungen zu unterziehen. Der Zweck besteht darin, das durch die Sozialversicherung zu tragende Risiko möglichst gering zu halten. Die Duldungspflichten können als Ausdruck des auch im Sozialversicherungsrecht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben angesehen werden, der es dem Versicherten gebietet, die Interessen der anderen Versicherten in zumutbarer Weise zu wahren. Der Versicherte hat sich demnach einer zumutbaren Operation oder Behandlung zu unterziehen (SSV-NF 2/33, 4/23, 6/29 ua). Dabei ist aber zu beachten, dass nur eine schuldhafte, also eine zumindest leicht fahrlässige Verletzung der Duldungs- oder Mitwirkungspflicht des Versicherten, der sich einer zumutbaren Behandlung zu unterziehen hat, zum Verlust des Anspruches führt (SSV-NF 4/23, 6/13, 6/14, 10/26, 11/6 ua). Für eine schuldhafte Verletzung der Duldungs- und Mitwirkungspflicht der Klägerin liegen aber im Vorliegenden keine Anhaltspunkte vor. Es steht daher nicht fest, dass die Leistungsvoraussetzungen von vornherein gefehlt haben. Da die Klägerin wegen Besserung ihres psychischen Gesundheitszustandes wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar ist, wurde die Invaliditätspension zu Recht entzogen (§ 99 Abs 1 ASVG).

Der unbegründeten Revision der Klägerin war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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