OGH 1Ob111/00f

OGH1Ob111/00f30.5.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Dr. Prückner als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Klaus B*****, infolge Revisionsrekurses des Sachwalters Anton B*****, vertreten durch Dr. Hanns Forcher-Mayr, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 22. März 2000, GZ 51 R 60/00y-20, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Kufstein vom 29. Februar 2000, GZ 4 P 32/99w-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Betroffene erlitt bereits als zweijähriges Kind bei einem Verkehrsunfall schwerste Verletzungen, unter anderem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, und es besteht bei ihm ein mittelgradiges posttraumatisches organisches Psychosyndrom.

Bereits 1973 brachte der Betroffene gegen den Lenker und den Haftpflichtversicherer des am Unfall beteiligten Fahrzeugs eine Klage auf Feststellung ein, dass ihm der Lenker und der Haftpflichtversicherer zur ungeteilten Hand für alle Schäden, die ihm aus dem Verkehrsunfall vom 11. 9. 1972 entstanden sind und entstehen werden, voll ersatzpflichtig seien. Diesem Klagebegehren wurde mit Urteil des Erstgerichts vom 28. 1. 1975 rechtskräftig stattgegeben.

Der Sachwalter beantragte nunmehr die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Klagsführung gegen den Lenker des Unfallfahrzeugs, den Haftpflichtversicherer und den ehemaligen Klagsvertreter in dem Verfahren, in dem das Feststellungsurteil erwirkt worden war. Der Lenker und der Haftpflichtversicherer sollen auf Zahlung von S 5,127.699,70 sA (Schadenersatz von S 4,830.000 wegen 1973 bis 1999 erbrachter Betreuungsleistungen, Verdienstentgang für die Jahre 1998 und 1999 von S 266.413, S 6.556,20 Fahrtkosten und S 24.730,50 für ein Behindertenfahrrad) in Anspruch genommen werden; gegenüber dem drittbeklagten Rechtsanwalt soll die Feststellung erwirkt werden, dass er dem Kläger anstelle des Halters des am Unfall beteiligten PKWs zur ungeteilten Hand mit dem Lenker und dem Haftpflichtversicherer für alle Schäden hafte, die ihm aus dem Verkehrsunfall vom 11. 9. 1972 entstanden seien und entstehen werden. Der belangte Rechtsanwalt habe es unterlassen, auch gegen den Halter des Fahrzeugs ein Feststellungsurteil zu erwirken; er habe es aber auch unterlassen, eine Abgeltung der Familienbetreuungsleistungen (durch die Eltern des Klägers) bei den Haftenden durchzusetzen. Der Lenker habe auf das Aufforderungsschreiben des Betroffenen nicht reagiert, die zweitbeklagte Partei habe die Zahlung mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass die zur Verfügung stehende Versicherungssumme bereits erschöpft sei. Ein gegen den Halter des Fahrzeugs ergangenes Feststellungsurteil würde den Betroffenen in die Lage versetzen, seine gesamten Schadenersatzforderungen - auch gegen den Halter - durchzusetzen; auf Grund der Zahlungsverweigerung der zweitbeklagten Partei könne nämlich die weitere Durchsetzung der dem Betroffenen zustehenden Schadenersatzansprüche gefährdet sein.

Das Erstgericht genehmigte die Klagsführung des Betroffenen gegen den Lenker und den Haftpflichtversicherer, versagte aber der Klagserhebung gegen den Rechtsanwalt die Genehmigung mit der Begründung, dass die Zahlungsverpflichtung der zweitbeklagten Partei nach dem in Rechtskraft erwachsenen Feststellungsurteil nicht auf die Haftpflichtversicherungssumme beschränkt sei und daher die Klagsführung gegen den Rechtsanwalt unter Berücksichtigung des Prozesskostenrisikos nicht dem Wohl des Betroffenen diene.

Das Rekursgericht bestätigte die - im Ausspruch über die erteilte Genehmigung unangefochten gebliebene - erstinstanzliche Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands S 260.000 übersteige; der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig. In Anbetracht der Schwere der Verletzung des Betroffenen wäre zwar eine Klagsführung auch dem Halter gegenüber geboten gewesen; es werde auch nicht die Ansicht des Sachwalters geteilt, dass der Haftpflichtversicherer angesichts des gegen ihn ergangenen Feststellungsurteils betragsmäßig unbeschränkt hafte. Dennoch liege eine Klagsführung gegen den Rechtsanwalt unter Berücksichtigung des Kostenrisikos nicht im Interesse des Betroffenen. Dieser könne nämlich nur entweder mit dem gegen den Haftpflichtversicherer gerichteten Begehren oder mit dem gegen den seinerzeitigen Klagsvertreter angestrengten Feststellungsbegehren durchdringen.

Der Revisionsrekurs des Sachwalters ist zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Dem Pflegschaftsgericht obliegt die Prüfung, ob eine beabsichtigte Klagsführung im wohlverstandenen Interesse des Pflegebefohlenen liegt oder daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Vermögensnachteil droht, etwa durch Belastung mit Prozesskosten (4 Ob 200/97h; EFSlg 87.888; 1 Ob 623/90). Tatsächlich erweist sich die beabsichtigte Klagsführung gegen den Rechtsanwalt angesichts der zu erwartenden Belastung mit Prozesskosten als nicht im Interesse des Betroffenen gelegen:

Der Sachwalter meint, der Rechtsanwalt hafte deshalb zur ungeteilten Hand mit dem Lenker und dem Haftpflichtversicherer des Unfallsfahrzeugs für alle aus dem Unfall resultierenden Schäden, weil er es unterlassen habe, auch gegen den Fahrzeughalter klagsweise vorzugehen; dies sei ihm als Fehler anzulasten, wofür er unter Anwendung des Sorgfaltsmaßstabs des § 1299 ABGB hafte. Eine schadenersatzrechtliche Haftung des Rechtsanwalts trete aber nur dann ein, wenn ein Schaden bereits entstanden ist oder dessen Entstehung konkret droht, wobei für Letzteres die Einbringung einer Feststellungsklage tatsächlich die richtige Vorgangsweise darstellte. Der Betroffene hat unter anderem gegen den Haftpflichtversicherer bereits 1975 ein Feststellungsurteil erwirkt, mit dem die volle und unbeschränkte Ersatzpflicht des Versicherungsunternehmens für alle aus dem Verkehrsunfall vom 11. 9. 1972 entstandenen und noch entstehenden Schäden ausgesprochen wurde. Im Vorverfahren wurde weder das gegen den Haftpflichtversicherer gerichtete Begehren auf den "Rahmen der Versicherungssumme" eingeschränkt, noch vom Versicherer in dieser Richtung ein Einwand erstattet. Demgemäß erging das Feststellungsurteil auch gegen diesen ohne betragliche Beschränkung, also ohne den üblichen und auf Grund des § 63 Abs 1 KFG aF durchaus möglichen und zulässigen Passus, dass die Zahlungspflicht des Haftpflichtversicherers mit der Versicherungssumme beschränkt sei. Dieses Urteil muss der Haftpflichtversicherer gegen sich gelten lassen; den Mangel der Begrenzung auf die Versicherungssumme kann er in einem nachfolgenden Verfahren nicht mehr geltend machen (vgl JBl 1999, 810; ZVR 1999/100; JBl 1997, 100; ZVR 1995/96; SZ 50/79). Dies bedeutet aber, dass der Haftpflichtversicherer dem Betroffenen ohnehin für alle aus dem Unfall resultierenden Schäden - und zwar ohne Beschränkung auf die Versicherungssumme - voll ersatzpflichtig ist. Der Weigerung des Haftpflichtversicherers, diesem Feststellungsurteil entsprechend Schadenersatz zu leisten, könnte der Betroffene mit entsprechenden rechtlichen Maßnahmen (Erhebung einer Leistungsklage, wie sie auch von ihm beabsichtigt ist) begegnen. Dass der Haftpflichtversicherer aus anderen Gründen (Zahlungsunfähigkeit oder Ähnliches) nicht zahlen würde oder könnte, hat der Sachwalter nicht einmal behauptet; es fehlt hiefür auch jeglicher Anhaltspunkt. Demnach ist die Entstehung eines Schadens, die für eine Haftung des Rechtsanwalts wegen der Unterlassung der Klagsführung gegen den Fahrzeughalter erforderlich wäre, nicht nachgewiesen und auch nicht wahrscheinlich. Schon deshalb ist eine Genehmigung der Klagsführung nicht zu erteilen, weil - selbst bei Vorliegen eines anwaltlichen Kunstfehlers - mit einem Prozessverlust gerechnet werden müsste.

Die Klagsführung wäre aber auch aus einem anderen Grund nicht zu genehmigen:

Der Betroffene begehrt die Feststellung der Haftung des Rechtsanwalts für alle bereits entstandenen Schäden, also unter anderem auch für den von ihm behaupteten Betreuungsaufwand in den Jahren 1973 bis 1999 im Betrag von S 4,830.000. Nach ständiger Rechtsprechung unterliegt der Anspruch auf Ersatz der Kosten einer Pflegeperson der dreijährigen Verjährungsfrist - was im Übrigen auch bei dem gegen den Lenker und den Haftpflichtversicherer eingebrachten Klagsentwurf zu berücksichtigen wäre -, und zwar ungeachtet eines bereits vorliegenden Feststellungsurteils (JBl 1999, 185; ZVR 1998/128; ZVR 1994/40; Schubert in Rummel, ABGB2 Rz 7 zu § 1489). Dies bedeutet, dass das gegen den Rechtsanwalt beabsichtigte Klagebegehren auch in dieser Hinsicht für den Betroffenen nachteilige Kostenfolgen nach sich zöge, was die Genehmigung der Klagsführung verbietet. Das Gericht könnte aber die Klage nur genehmigen oder nicht genehmigen, sie aber nicht in irgendeiner Richtung abändern (vgl Pichler in Rummel aaO Rz 16 zu § 154).

Das Vorbringen im Rechtsmittel, der Rechtsanwalt habe - für den Fall der Verjährung der für die Betreuung geltend gemachten Ansprüche - dafür zu haften, dass nicht regelmäßig Geldersatz verlangt worden sei, ist unstatthaft. Im Klagsentwurf wurde dieser haftungsbegründende Umstand zwar geltend gemacht, doch kam der Sachwalter im Rekurs gegen die erstinstanzliche Entscheidung auf diesen Haftungsgrund nicht mehr zurück. Eine im Rekursverfahren unterbliebene oder nicht gehörig ausgeführte Rüge kann aber nach ständiger Rechtsprechung vor dem Revisionsrekursgericht nicht mehr nachgeholt werden.

Dem Revisionsrekurs ist ein Erfolg zu versagen.

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