OGH 1Ob118/00k

OGH1Ob118/00k30.5.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Dr. Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1) Ilse B*****, und 2) B***** B***** Gesellschaft m. b. H., beide *****, beide vertreten durch Dr. Gerd Tschernitz, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Josef W*****, vertreten durch Dr. Franz Müller-Strobl und Dr. Robert Kugler, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Vertragsaufhebung (Streitwert 100.000 S) infolge ordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 3. Dezember 1999, GZ 1 R 225/99d-32, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 6. Juli 1999, GZ 15 C 682/98w-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Ersturteil wie folgt zu lauten hat:

"Der Vertrag der Streitteile vom 12. Juli 1996 sowie deren darauf beruhender gerichtlicher Vergleich vom 23. Dezember 1996 zur AZ 20 C 2934/96f des Bezirksgerichts Klagenfurt werden - letzterer in seinen materiellrechtlichen Wirkungen - aufgehoben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien je zur Hälfte die mit insgesamt 39.346,92 S (darin 6.024,32 S Umsatzsteuer und 3.201 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu bezahlen."

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, den klagenden Parteien je zur Hälfte die mit insgesamt 24.192,76 S (darin 2.045,46 S Umsatzsteuer und 11.920 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstklägerin und der Beklagte waren von 1988 bis Juni 1996 Lebensgefährten. Sie unterstützte ihn während der Lebensgemeinschaft "in jeder Hinsicht, insbesondere aber finanziell", wenngleich es bereits seit 1992 immer wieder Beziehungskrisen gab. Die Erstklägerin war dem Beklagten "stets psychisch ausgeliefert und vermochte sich, obschon sie ihre triste Lage erkannt hatte, einfach nicht zu helfen". Sie wurde von ihm auch körperlich misshandelt.

Der Beklagte, der während der Lebensgemeinschaft mit Waren aller Art handelte, hatte bereits 1979 erfolgreich die Bilanzbuchhalterprüfung abgelegt. Deshalb betraute ihn die Erstklägerin als Geschäftsführerin der zweitklagenden Partei von Beginn der Lebensgemeinschaft an mit der Besorgung deren Buchhaltung. Der Beklagte, der den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Buchhaltung angesichts seiner Kenntnisse und Fähigkeiten nicht gewachsen war, erledigte die Buchhaltungsarbeiten nur "sporadisch", weshalb gegen die Erstklägerin während der Lebensgemeinschaft einige Finanzstrafverfahren durchgeführt wurden. Überdies waren gegenüber der Finanzbehörde immer wieder "Ungereimtheiten und Unregelmäßigkeiten aufgrund der Buchhaltungsunterlagen ... aufzuklären". Zumindest seit 1994 hatte der Beklagte Umsatzsteuervoranmeldungen "nicht ordnungsgemäß erarbeitet". Solche Meldungen konnten daher "nie pünktlich erstattet werden". Der Erstklägerin war die Unzulänglichkeit der Arbeit des Beklagten bekannt. Das verdeutlichte sie auch gegenüber einem Rechtsanwalt, den sie "ersucht" hatte, sie in den Finanzstrafverfahren zu vertreten. Überdies hatte sie mehrmals versucht, die Buchhaltungsarbeiten durch einen Steuerberater besorgen zu lassen. Im Zusammenhang damit wurde sie auf die Unzulänglichkeit der Arbeit des Beklagten hingewiesen. Dessen "unzureichenden Vorarbeiten" bewirkten, dass der jeweils beauftragte Steuerberater seine Tätigkeit schon "nach kurzer Zeit" wieder einstellte. Daraufhin übernahm wiederum der Beklagte alle Buchhaltungsaufgaben. 1994 war er in Haft. Für diesen Zeitraum hatte die Erstklägerin keinen Dritten mit der Erledigung der Buchhaltungsarbeiten beauftragt.

Als die Lebensgemeinschaft scheiterte, führte die Finanzbehörde bei der zweitklagenden Partei gerade eine Betriebsprüfung durch, die vom 7. 3. 1996 bis zum 31. 7. 1996 andauerte. Fragen des Prüfers konnte die Erstklägerin "mangels betrieblicher Versiertheit und mangels Kenntnis der Buchhaltungsunterlagen" nicht beantworten. Welche Folgen unaufgeklärte Sachverhalte haben werden, wusste die Erstklägerin nicht. Auf eine Schlussbesprechung verzichtete sie. Sie ersuchte jedoch den Beklagten, "allfällige offene Fragen und Unklarheiten gegenüber dem Betriebsprüfer aufzuklären sowie auch allenfalls benötigte Unterlagen auszufolgen". Über mögliche Konsequenzen einer allenfalls unterbleibenden Mitwirkung des Beklagten wusste sie nicht Bescheid. Der Beklagte erklärte sich zur Mitwirkung nur gegen bestimmte vertragliche Zusagen der Erstklägerin und der zweitklagenden Partei in Schriftform bereit. Schon vorher hatte er die Erfüllung von "Wünschen" der Erstklägerin immer wieder von der Befriedigung "eigener Forderungen abhängig gemacht", weshalb sie "diverse Unterschriften" für ihn leistete. Die Erstklägerin suchte wegen des Ansinnens des Beklagten mehrmals Rat bei ihrem Rechtsanwalt, der ihr von einer Vertragsunterfertigung ausdrücklich abriet. Angesichts ihrer damaligen "psychischen Belastung" schloss die Erstklägerin mit dem Beklagten am 12. 7. 1996 aber dennoch einen von diesem "aufgesetzten" und für fünf Jahre unkündbaren Vertrag im eigenen und im Namen der zweitklagenden Partei. Oberhalb der Unterschrift der Erstklägerin findet sich in Fettdruck folgender Vermerk:

"Ich ... (die Erstklägerin) ... unterfertige diesen Vertrag im vollen Besitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte, ohne Zwang und Furcht."

Die Echtheit deren Unterschrift wurde notariell beglaubigt. Die Erstklägerin wusste bei Unterfertigung, dass der Beklagte außerstande sein werde, die "im Vertrag festgeschriebenen Leistungen" zu erbringen. Der Vertrag ist ein umfangreiches Elaborat. Danach hatte der Beklagte die "laufende Buchhaltung" der zweitklagenden Partei, die "Monatsabschlüsse" samt den "Auswertungen für die Banken" und die "jährlichen Bilanzen" zu erstellen. Außerdem wurden ihm die Besorgung der "organisatorischen" Betriebsbelange und das "Marketing" übertragen. Er sollte seine Leistungen monatlich - nach im Vertrag geregelten Entlohnungsansätzen - abrechnen. Die Erstklägerin sollte gegen den Rechnungsbetrag mit Forderungen aus für ihn bezahlten Mietzinsen aufrechnen. Ein Saldo zugunsten des Beklagten sollte jeweils am 10. des Folgemonats zur Zahlung fällig sein.

Der Beklagte erfüllte die übernommenen Vertragspflichten "von Anfang an vollkommen unzureichend und nur sporadisch". So erstattete er "keinerlei Umsatzsteuervoranmeldungen". Gegen Ende 1996 sagte er der Erstklägerin, er benötige einen "offiziellen Einkommensnachweis". Deshalb wolle er den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs. Darin sollten sich die klagenden Parteien verpflichten, ihm für die im Vertrag vom 12. 7. 1996 übernommenen Aufgaben ein "monatliches fixes Entgelt zu bezahlen". Damals war der Beklagte auch mit der Erstellung der Jahresbilanzen - so auch der für das Jahr 1995 - in Verzug. Die "Hausbank" der klagenden Parteien, bei der sie "einen erheblichen Kredit" aufgenommen hatten, wollte seinerzeit in das Rechnungswesen der zweitklagenden Partei Einblick nehmen, um deren wirtschaftlichen Lage, die - wie auch die der Erstklägerin - "äußerst schlecht" war, beurteilen zu können. Sie verlangte deshalb die Vorlage "der Jahresbilanzen", ohne allerdings bis zum 23. 12. 1996 angedroht zu haben, den Kredit bei Nichtgewährung der angestrebten Einsichtnahme sofort zur Zahlung fällig zu stellen. Die Erstklägerin hatte den Beklagten mehrmals aufgefordert, die Bilanzen herauszugeben bzw fertigzustellen, und verlangte von ihm schließlich, "die Bilanz für das Jahr 1995 endlich herauszugeben". Die Erfüllung dieses Ansinnens und anderer "Anliegen" der Erstklägerin - so etwa den Eintritt in den "von ihr für ihn abgeschlossenen Mietvertrag" - machte der Beklagte vom Abschluss des angestrebten gerichtlichen Vergleichs abhängig. Die Erstklägerin vertraute sich wiederum dem schon mehrmals genannten Rechtsanwalt an, der vom Abschluss eines solchen gerichtlichen Vergleichs "eindringlich" abriet und "einen derartigen Schritt der Erstklägerin ihr gegenüber als verrückt" bezeichnete. Dennoch schloss sie mit dem Beklagten am 23. 12. 1996 vor dem Bezirksgericht Klagenfurt zur AZ 20 C 2934/9f im eigenen und im Namen der zweitklagenden Partei folgenden (offenkundig prätorischen) Vergleich:

"1.) Die klagende Partei (Anm: hier der Beklagte) hat am 12. 7. 1996 mit den beklagten Parteien (Anm: hier den klagenden Parteien) hinsichtlich monatlich zu erbringenden buchhalterischen, organisatorischen Leistungen sowie hinsichtlich Marketingangelegenheiten einen Vertrag abgeschlossen.

Die beklagten Parteien verpflichten sich zur ungeteilten Hand auf diese Leistungen monatliche Akontozahlungen von 13.500 S der klagenden Partei zu bezahlen, beginnen(d) ab 1. 1. 1997 für die Dauer der Rechtswirksamkeit oben angeführten Vertrages nämlich bis Juli 2001. Die Monatszahlung ist bis zehnten eines jeden Monates zur Zahlung fällig und hat zu Handen der klagenden Partei oder auf eine von dieser bekanntgegebenen Zahlstelle zu erfolgen.

2.) Für den Fall des Zahlungsvezuges gelten 10 % Verzugszinsen p. a. als vereinbart."

Anlässlich dieses Vergleichs hat der Beklagte der Erstklägerin "einige Bilanzen ausgehändigt", die jedoch der kreditierenden Bank nicht genügten. Ab April 1997 betraute die "Erstklägerin" einen Steuerberater, der in der Folge ordnungsgemäße Bilanzen vorlegte. Dieser stellte schon zu Beginn seiner Tätigkeit fest, dass die Buchhaltung der Jahre 1995 und 1996 "einige Ungereimtheiten aufwies". Weitere Buchhaltungsjahre prüfte er nicht. Seinen Befund teilte er der Erstklägerin mit, die sich "angesichts mancher Missstände keineswegs überrascht" zeigte. Im Jänner und Februar 1997 erhielt der Beklagte den nach dem Vergleich vereinbarten Betrag. Ab März 1997 stellte die Erstklägerin die Zahlungen ein und erklärte ihm, dass er "keine weiteren Vertragleistungen mehr zu erbringen habe". Daraufhin beendete er seine Tätigkeit für "die klagende Partei mit März 1997" zur Gänze.

Die klagenden Parteien begehrten die Aufhebung der Verträge vom 12. 7. 1996 und 23. 12. 1996. Sie brachten vor, die Erstklägerin und der Beklagte seien Lebensgefährten gewesen. Während der Lebensgemeinschaft habe der Beklagte für die klagenden Parteien eine "buchhalterische und steuerberatende Tätigkeit" ausgeübt. Er habe vorgegeben, über die nötigen Kenntnise zu verfügen. Er habe von den klagenden Parteien mehr als 3 Mio S erhalten. Dennoch sei aber über dessen Vermögen der Konkurs eröffnet worden. Wegen der Auflösung der Lebensgemeinschaft habe der Beklagte "um seine ständige Einnahmequelle fürchten" müssen und vorgeschlagen, weiterhin "buchhalterische und bilanzmäßige Arbeiten" gegen eine fixe monatliche Entlohnung zu übernehmen. Er habe die Herausgabe wichtiger Unterlagen für ein "Finanzprüfungsverfahren" vom Abschluss eines solchen Vertrags abhängig gemacht. Zur Abwendung "erheblicher Steuernachzahlungen" und eines allfälligen Finanzstrafverfahrens hätten die klagenden Parteien den Vertrag vom 12. 7. 1996 - somit nach einer "Drohung" und aufgrund der "Ausübung von Zwang" - geschlossen. Später habe der Beklagte den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs "gleichen Inhaltes" zur Beschaffung eines Einkommensnachweises für eine "beabsichtigte Kreditaufnahme" verlangt. Auch diesem Ansinnen habe er durch die Erklärung Nachdruck verliehen, den klagenden Parteien dringend benötigte "Bilanzierungs- und Finanzunterlagen" sonst nicht herausgeben. Ein Schadenersatzanspruch sei nicht erwogen worden, weil dessen Erfüllung angesichts der finanziellen Situation des Beklagten nicht erwartbar gewesen sei. Auch der gerichtliche Vergleich vom 23. 12. 1996 sei daher unter Zwang zustande gekommen. Der Beklagte habe ferner einen wesentlichen Irrtum der klagenden Parteien über seine Fähigkeit zur Erbringung der vertraglichen Leistungen und seine - in Wahrheit nicht vorhandene - Befugnis für "Bilanzierungstätigkeiten" veranlasst. Er sei "auf Grund völliger Unfähigkeit eine Gefahr für die Unternehmen der klagenden Parteien" und habe die zugesagten Leistungen schon "objektiv" nicht erbringen können. Seit längerer Zeit leiste er keine Arbeiten mehr, weshalb die klagenden Parteien einen Steuerberater beauftragt hätten. Der Beklagte könne vertragliche Pflichten auch deshalb nicht mehr erfüllen, weil über ihn mit Urteil vom 19. Juni 1998 wegen strafbarer Handlungen nach den §§ 159, 161 StGB und § 114 ASVG eine Freiheitsstrafe von 12 Monaten - davon 4 Monate unbedingt - verhängt worden sei und er sich deren Vollziehung durch Flucht entzogen habe. Dennoch führe der Beklagte zur Hereinbringung der ihm nach seinen - unrichtigen - Behauptungen angeblich zustehenden "Werklöhne" Exekution gegen die klagenden Parteien.

Der Beklagte wendete ein, er habe alle "übernommenen Arbeiten stets zur vollsten Zufriedenheit und ohne jedwede Reklamation" erbracht. Die Erstklägerin sei immer im Besitz der Buchhaltungsunterlagen gewesen. 1995/1996 habe er die vertraglichen Leistungen, zu deren Erbringung er befähigt gewesen sei, nur deshalb bloß teilweise erfüllt, weil er von den klagenden Parteien "nur unzureichende und niemals vollständige Unterlagen" erhalten habe. Die Klagebehauptungen entbehrten auch sonst jeder Grundlage, habe er doch bei Abschluss der angefochtenen Verträge keinen Zwang ausgeübt, aber auch keinen Irrtum der klagenden Parteien veranlasst.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seiner Ansicht hat der Beklagte die klagenden Parteien beim jeweiligen Vertragsabschluss nicht in Irrtum geführt. Die Erstklägerin habe schon viel früher gewusst, dass der Beklagte zur Leistungserbringung unfähig sei. Seine Drohung, den klagenden Parteien erforderliche Unterlagen nur unter der Bedingung des Abschlusses der angefochtenen Verträge herauszugeben, sei rechtswidrig gewesen. Dennoch müsse aber die Vertragsanfechtung wegen "Furcht" gemäß § 870 ABGB erfolglos bleiben, weil das angedrohte Übel nicht so bedeutsam gewesen sei, dass seine Abwendung "durch die Abgabe der verlangten Willenserklärung als vernünftig und zweckmäßig" zu qualifizieren gewesen sei, habe doch die Erstklägerin nicht einmal erkannt, "welche Konsequenzen an die allfällige Nichtvorlage von Unterlagen und die Nichtabgabe von Erklärungen für sie geknüpft werden würden". Den klagenden Parteien hätten durch die vorläufige Nichtherausgabe bestimmter Unterlagen auch in deren Rechtsbeziehung zur Bank keine unmittelbaren Konsequenzen gedroht. Der vom Beklagten "offenbar veranlassten Furcht" sei daher nicht das für eine Vertragsanfechtung erforderliche Gewicht zuzubilligen. Somit habe aber eine Zwangslage gar nicht bestanden. Die klagenden Parteien hätten sich, als die Bank "dann offenbar tatsächlich die Fälligstellung des Kredites angedroht" habe, auch anders "zu helfen" gewusst und einen Steuerberater beauftragt. Somit seien die angefochtenen Verträge "lediglich ein Ausfluss eines zum damaligen Zeitpunkt trotz der bereits erfolgten Auflösung der Lebensgemeinschaft noch anhaltenden psychischen und allenfalls physischen Abhängigkeitsverhältnisses der Erstklägerin zum Beklagten, welches offenbar während der gesamten Dauer der Lebensgemeinschaft bestanden haben" müsse. Auch darin sei keine anfechtungstaugliche Zwangslage zu erblicken. Es müsse aber auch der Versuch der klagenden Parteien scheitern, das Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grund aufzulösen, seien doch Umstände, mit deren Eintritt bereits bei Vertragsabschluss zu rechnen gewesen sei, keine Auflösungsgründe. Das gelte auch für die strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten, weil das Strafverfahren schon 1996 eingeleitet worden und zumindest bei Abschluss des gerichtlichen Vergleichs bereits anhängig gewesen sei. Somit habe die Erstklägerin nach ihrem Wissensstand damit rechnen müssen, dass der Beklagte seine Vertragspflichten nicht werde erfüllen können. Weil die klagenden Parteien das Dauerschuldverhältnis überdies schon im März 1997 durch "einseitige Gestaltungserklärung" aufgelöst hätten, verbleibe kein Raum für ein Rechtsgestaltungsurteil.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht billigte es die Ansicht des Erstgerichts zur Vertragsanfechtung wegen Irrtums und Zwangs und führte ferner aus, dass die fortwährende Nichterfüllung von Vertragspflichten der Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund allenfalls zugrunde gelegt werden könne. Hätte sich der Beklagte der Vollziehung einer Freiheitsstrafe durch Flucht entzogen, so wäre die für ein Dauerschuldverhältnis notwendige Vertrauensbasis endgültig zerstört. Insofern sei eine Verfahrensergänzung jedoch entbehrlich, weil die klagenden Parteien einen Rechtsgestaltungsanspruch geltend gemacht hätten. Ein solcher Anspruch müsse erfolglos bleiben, weil die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund bereits mit dem Zugang der Auflösungserklärung eintrete. Ob die klagenden Parteien mit einem Feststellungsbegehren hätten durchdringen können, müsse nicht geprüft werden, sei doch ein solches Begehren nicht erhoben worden. Die Feststellung über die schon bewirkte Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund sei dem eingeklagten Rechtsgestaltungsanspruch gegenüber kein minus, sondern ein aliud. Es sei nicht erforderlich gewesen, die klagenden Parteien zu einer Klageänderung anzuleiten. Hätte indes eine Anleitungspflicht bestanden, so wäre deren Verletzung nur nach einer - hier unterbliebenen - Verfahrensrüge wahrzunehmen gewesen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die "Zulässigkeit eines Rechtsgestaltungsbegehrens sowie des Vorliegens eines minus oder eines aliud im Zusammenhang mit einer Klage, die sowohl Anfechtungsgründe wegen Irrtums und Zwanges als auch die Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grunde zum Gegenstand" habe, "von grundsätzlicher prozessualer Bedeutung" sei.

Die Revision ist, wie nachfolgend zu begründen sein wird, zulässig, wenngleich aus einem anderen als dem vom Gericht zweiter Instanz angeführten Grund; sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Eine Person wird durch die Ausübung rechtswidrigen Zwangs im Sinne des § 870 ABGB dann zum Vertragsschluss bestimmt, wenn das angedrohte Übel - also das Mittel zur Determinierung der Willensrichtung - oder der angestrebte Geschäftszweck unerlaubt sind oder wenn ein erlaubtes Mittel zur Erzielung eines erlaubten Zwecks wegen der den Einzelfall charakterisierenden besonderen Beziehung zwischen Mittel und Zweck unangemessen erscheint (Apathy in Schwimann, ABGB2 Rz 10 und 11 zu § 870; Rummel in Rummel, ABGB2 Rz 12 zu § 870 je mN aus der Rsp). Die Drohung muss eine "gegründete Furcht" auslösen, was nach der Größe und Wahrscheinlichkeit der Gefahr und der Leibes- und Gemütsbeschaffenheit des Bedrohten - also unter Heranziehung eines subjektiven Maßstabs - zu beurteilen ist (Apathy aaO Rz 13 zu § 870; P. Bydlinski, Grundzüge des Privatrechts4 Rz 472; Koziol, Grundriss I11 149; Rummel aaO Rz 15 zu § 870).

2. Im Lichte der soeben erläuterten Rechtslage bestimmte der Beklagte die klagenden Parteien zum Abschluss des Vertrags vom 12. 7. 1996 durch Verwendung eines rechtswidrigen Mittels, durfte er doch jedenfalls die ihm abverlangten Buchhaltungsunterlagen der zweitklagenden Partei samt den dazu erforderlichen Erläuterungen im Zusammenhang mit der finanzbehördlichen Betriebsprüfung angesichts seiner - bereits bestehenden - Vertragspflichten nicht zurückhalten. Zur Begründung der Mitwirkungspflicht bedurfte es also nicht erst des Abschlusses jenes Vertrags, den er den klagenden Parteien unter bewusster Ausnützung des Umstands abnötigte, dass ihm die Erstklägerin "stets psychisch ausgeliefert" war und die klagenden Parteien Steuernachteile im Falle unaufgeklärter Tatsachen des Rechnungswesens der zweitklagenden Parteien zu befürchten hatten.

Dagegen berufen sich die Vorinstanzen darauf, die Erstklägerin habe über mögliche (konkrete) Konsequenzen einer allenfalls unterbleibenden Mitwirkung des Beklagten im Rahmen der finanzbehördlichen Betriebsprüfung gar nicht Bescheid gewusst, weshalb - bei vernünftiger Betrachtung - keine Rede davon sein könne, die klagenden Parteien hätten durch den Abschluss des Vertrags vom 12. 7. 1996 ein bedeutsames Übel von sich abwenden wollen. Dieser Argumentation ist nicht beizutreten:

Wenngleich die Erstklägerin mögliche (konkrete) Konsequenzen eines auf einem unzulänglichen Rechnungswesen der zweitklagenden Partei beruhenden Betriebsprüfungsergebnisses nicht kannte, musste sie als Opfer der Unfähigkeit des Beklagten als Bilanzbuchhalter, derentwegen sie schon zuvor mehrere Finanzstrafverfahren auf sich hatte nehmen müssen, schon nach allgemeiner Lebenserfahrung - der Sache nach allerdings noch unbestimmte - Vermögensnachteile befürchtet haben, hätte sie doch sonst die Aufforderung an den Beklagten, dem Betriebsprüfer allenfalls erforderliche Unterlagen auszufolgen und allfällige Unklarheiten aufzuklären, überhaupt unterlassen können. Hervorzuheben ist dabei, dass die Frage nach der Rechtswidrigkeit des Zwangs anhand eines an der spezifischen Gemütslage der Erstklägerin orientierten subjektiven Maßstabs zu beantworten ist. Demnach erfüllt auch eine durch fachliche Unkenntnis verursachte und genährte, somit (noch) nicht konkretisierte Furcht vor unbestimmten, aber nachteiligen Konsequenzen eines Übels, das nicht notwendig später eintreten, sondern infolge der durch die Gemütsbeschaffenheit des Betroffenen bestimmten Zwangslage bloß möglich erscheinen muss, den Tatbestand des § 870 ABGB, wenn jemand - wie hier der Beklagte - eine solche Stimmungslage bewusst ausnützt, um anderen durch die rechtswidrige Verweigerung bestimmter Mitwirkungshandlungen einen rechtsgeschäftlichen Vorteil abzunötigen, der ihm sonst - wegen eines längst erwiesenen Mangels an fachlicher Qualifikation - nicht (mehr) eingeräumt worden wäre. Somit ist aber die Anfechtung des Vertrags vom 12. 7. 1996 durch die klagenden Parteien gerechtfertigt.

Gleiches gilt für die Anfechtung der materiellrechtlichen Wirkungen des gerichtlichen Vergleichs vom 23. 12. 1996. Die Weigerung des Beklagten, der "Hausbank" der klagenden Parteien Bilanzen der zweitklagenden Partei auszufolgen, sollten die klagenden Parteien die Übernahme einer weiteren vertraglichen Verpflichtung verweigern, war gleichfalls rechtswidrig. Die klagenden Parteien mussten gerade deshalb die Fälligstellung des Kredits befürchten, weil der Kreditgeberin die geforderte Einsicht in das Rechnungswesen der zweitklagenden Partei längere Zeit hindurch verwehrt blieb. Damit wurde die durch die ohnehin schon prekäre finanzielle Lage der klagenden Parteien verursachte wirtschaftliche Gefährdung noch erheblich verstärkt. Dabei fällt es nicht ins Gewicht, dass die Bank eine solche Maßnahme während der Verhandlungen mit dem Beklagten vor dem gerichtlichen Vergleich vom 23. 12. 1996 noch nicht angedroht hatte, lag doch die schließliche Fälligstellung des aushaftenden Kredits als eine in absehbarer Zeit notwendige Folge der angedrohten Weigerung des Beklagten nachgerade auf der Hand.

3. Sind die Verträge vom 12. 7. 1996 und 23. 12. 1996 wegen eines Mangels an der Wurzel nach § 870 ABGB erfolgreich anfechtbar und ist deshalb dem zutreffend erhobenen Rechtsgestaltungsbegehren (siehe dazu 10 Ob 2422/96s; SZ 53/150 [dort zur List] mwN; Apathy aaO Rz 14 zu § 870; Fasching, LB2 Rz 1106; Rechberger/Simotta, ZPR5 Rz 416) stattzugeben, stellt sich die Rechtsfrage, die das Berufungsgericht zur Zulassung der Revision bewog, gar nicht mehr. Wie sich aus den voranstehenden Erwägungen ergibt, ist das Rechtsmittel der klagenden Parteien vielmehr wegen erheblicher Fehlbeurteilung deren Rechts auf Vertragsanfechtung nach § 870 ABGB (auch) durch das Gericht zweiter Instanz im Interesse der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsicherheit nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig, überdies aber auch berechtigt, weil die Vorinstanzen den geltend gemachten Anfechtungsanspruch zu Unrecht verneinten.

4. Der Erfolg des Klagebegehrens im Revisionsverfahren erfordert eine neue Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz. Den klagenden Parteien sind die Kosten dieser Verfahren, aber auch jene des Revisionsverfahrens gemäß § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO zuzuerkennen, wobei sich die Kostensumme - nach den verzeichneten Kosten - aus dem Spruch dieser Entscheidung ergibt.

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