OGH 4Ob110/00f

OGH4Ob110/00f3.5.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Biao L*****, vertreten durch Mag. Werner Suppan, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. K***** GmbH & Co KG, 2. K***** GmbH, beide *****, beide vertreten durch Dr. Christian Ebert und Dr. Thomas Huber, Rechtsanwälte in Wien, wegen 70.000 S sA, infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2000, GZ 5 R 144/99d-26, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. April 1999, GZ 37 Cg 30/97h-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, den Beklagten die mit 6.695,04 S bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 1.115,84 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstbeklagte ist Medieninhaberin der "N*****"; die Zweitbeklagte ist persönlich haftende Gesellschafterin der Erstbeklagten.

Der Kläger ist Teilhaber eines Chinarestaurants. Er stand im Verdacht, den Koch seines Lokals ermordet zu haben. Am 17. 4. 1995 wurde er verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. In der Folge wurde gegen ihn Anklage wegen Mordes erhoben.

Am 19. 3. 1996 berichtete die "N*****" unter der Überschrift "Chinesen-Koch erschlagen und zerstückelt. Ankläger: 'Ein nahezu perfektes Verbrechen'" über die Hauptverhandlung wie folgt:

"'Der Mord an dem chinesischen Koch sollte das perfekte Verbrechen werden', sagt der Staatsanwalt im Wiener Landesgericht. 'Der Angeklagte hat die Leiche zerstückelt und in Müllcontainer verteilt.'

Doch dieses Verbrechen sei eben nur 'nahezu perfekt' gelungen, sozusagen 'ein Mord mit kleinen Fehlern'.

Als Biao L*****, Besitzer des Chinarestaurants 'Z*****' in der W*****, auf der Anklagebank Platz nimmt, hat er ein Lächeln auf den Lippen. Ballt siegessicher die Faust.

Und auch als Staatsanwalt Mag. G***** sein Eröffnungsplädoyer hält, ändert der Gesichtsausdruck des Chinesen sich nicht. Wie schauerlich die Vorwürfe auch sein mögen - L***** habe S***** (47), den Chefkoch seines Lokals, in dessen Wohnung erschlagen, die Leiche zerhackt, in Plastiksäcke gefüllt und in öffentliche Mistkübel geworfen. Im Glauben, der Inhalt würde in der Müllverbrennungsanlage landen.

Motiv: Ein Schuldschein über 250.000 S, der den Koch schon bald zum neuen Eigentümer des Restaurants hätte machen können.

'Doch der Angeklagte machte Fehler', sagt der Staatsanwalt. 'Wir haben ein Haar in der Dusche des Opfers gefunden, das mit 89prozentiger Sicherheit von Biao L***** stammt. Und einen Angestellten des Lokals, der bestätigt, L***** habe angerufen, um ihm mitzuteilen, Y***** hätte sich überraschend freigenommen. Das Gespräch wurde, so stellte die Post fest, aus der Wohnung des Opfers geführt.'

'Nicht schuldig!' kontert Biao L*****. 'Als dieses Telefonat geführt wurde, war ich im Kino.' Anwalt Dr. Peter P***** zückt eine Kinokarte vom Tag des Mordes: 'Hier ist der Beweis! Und was das gefundene Haar anlangt: 89prozentige Sicherheit bedeutet, dass noch 110 Millionen andere Chinesen als Täter in Frage kommen.'

Schließlich tritt jener Chinese in den Zeugenstand, der das Telefongespräch angenommen hat. Damals sei er hundertprozentig sicher gewesen, mit seinem Chef zu sprechen. 'Aber was', sagt er heute, 'ist schon hundertprozentig?'

Der Prozess geht weiter."

Der Bericht war mit einem Foto des Opfers und einem weiteren Bild illustriert, das den Kläger mit einem Justizwachebeamten zeigte, der mit am linken Arm des Klägers befestigten Handschellen hantierte. Der Bilduntertitel lautete: "Biao L***** soll den Koch seines Lokals ermordet und zerstückelt haben".

Das Bild des Klägers wurde im Verhandlungssaal vor Aufruf der Sache aufgenommen. Der Fotograf hatte weder den Kläger noch dessen Verteidiger um ihre Zustimmung ersucht. Der Kläger hat sich dem Fotografiertwerden nicht widersetzt, weil er wegen des Strafverfahrens sehr nervös war und auch nicht wusste, ob er dazu berechtigt gewesen wäre.

Die Fotos, nicht aber auch die Negative, wurden im Jänner 1997 dem Leiter der Rechtsabteilung der Beklagten übergeben. Was mit den Negativen, der Druckvorlage und den Repros geschehen ist, konnte nicht festgestellt werden. Die nicht verkauften Exemplare der "N*****" werden den Beklagten zurückgestellt und nach einem Jahr vernichtet. Je ein Stück von allen neun Bundesländerausgaben der "N*****" wird archiviert.

Während der Haft des Klägers führte seine Mutter das Lokal; nunmehr kümmert sich der Kläger um den Einkauf. Zur Zeit seiner Verhaftung gingen die Umsätze zurück, in der Folge stiegen sie wieder, fielen aber wieder deutlich, als über die Hauptverhandlung berichtet wurde. Die Medienberichterstattung führte zu negativen Reaktionen der Gäste. So hielt ein Gast dem Kläger vor, beim Mordprozess Glück gehabt zu haben.

Der beanstandete Artikel wurde Bekannten des Klägers in China gefaxt. Sie verstanden zwar den Text nicht, konnten aber aus der Abbildung erkennen, dass der Kläger vor Gericht stand.

Der Kläger begehrt 70.000 S sA. Er begehrt weiters, die Beklagten schuldig zu erkennen, sämtliche noch in ihrer Verfügungsgewalt befindlichen Vervielfältigungsstücke der Teile der Ausgaben der "N*****" vom 19. 3. 1996, die das Personenbildnis des Klägers enthalten, sowie die zur Vervielfältigung dieser Veröffentlichungen bestimmten Mittel (Repros, Filme, Negative, Abzüge usw.) zu vernichten und/oder unbrauchbar zu machen und dem Kläger darüber Nachweis zu erbringen. Die Bildnisveröffentlichung verletze seine berechtigten Interessen, weil er in Handschellen in der Hauptverhandlung gezeigt werde. Er habe der Bildnisveröffentlichung nicht zugestimmt. Seine Nachteile überstiegen die mit einer derartigen Urheberrechtsverletzung im allgemeinen verbundenen Nachteile bei weitem. Die Mordanklage wirke sich durch die Bildnisveröffentlichung trotz des rechtskräftigen Freispruchs weiterhin zu seinen Ungunsten aus. Die Beklagten hätten zumindest fahrlässig gehandelt. An angemessener Entschädigung nach § 87 Abs 2 UrhG stünden dem Kläger 70.000 S zu.

Die Beklagten beantragen, das Klagebegehren abzuweisen. Das Beseitigungsbegehren gehe ins Leere, weil Fotos, Repros udgl nicht mehr existierten. Eine Beeinträchtigung der Rechte des Klägers durch das gebundene Archivexemplar sei nicht zu befürchten. Der Kläger habe der Bildnisveröffentlichung zugestimmt; seine Interessen seien dadurch nicht über das normale Maß hinaus beeinträchtigt worden.

Das Erstgericht sprach dem Kläger - im ersten wie im zweiten Rechtsgang - 70.000 S sA zu und erkannte die Beklagten schuldig, sämtliche noch in ihrer Verfügungsgewalt befindlichen Vervielfältigungsstücke der Teile der Ausgaben der "N*****" vom 19. 3. 1996, die das Personenbildnis des Klägers enthalten, sowie die zur Vervielfältigung dieser Veröffentlichungen bestimmten Mittel (Repros, Filme, Negative, Abzüge usw.) zu vernichten und/oder unbrauchbar zu machen. Im Bericht werde zum Ausdruck gebracht, dass nur eine Verurteilung des Klägers den wahren Verhältnissen gerecht würde. Die Unschuldsvermutung werde nur in "äußerer Hinsicht" beachtet; der Bericht sei keine ausgewogene, objektive Darstellung. Die Abbildung des Klägers habe keinen zusätzlichen Informationswert. Sie zeige die linke Hand des Klägers in Handschellen und prangere ihn dadurch an. Die Beklagten hätten Bildgröße und Bildausschnitt (mit Handschellen und Bewachung) bewusst gewählt, um den Artikel besonders eindrucksvoll zu gestalten. Die Fesselung mit Handschellen lasse auf eine besondere Gefährlichkeit des Klägers und nicht nur auf die - im Artikel nicht erwähnte - Tatsache schließen, dass er aus der Untersuchungshaft vorgeführt wurde. Die Beeinträchtigung der Interessen des Klägers werde dadurch verstärkt, dass der Artikel Name und Alter des Klägers sowie die Bezeichnung seines Restaurants nenne. Eine Entschädigung von 70.000 S sei im Hinblick auf die schwerwiegende Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte des Klägers angemessen. Die Beklagten treffe ein Verschulden, weil ihre Angestellten es grundlos unterlassen hätten, die Einwilligung des Klägers einzuholen. Auch der - verschuldensunabhängige - Beseitigungsanspruch sei berechtigt. Die Beklagten hätten nicht bewiesen, dass sich die Negative, Druckvorlagen und Repros nicht mehr in ihrem Eigentum befinden. Der beanstandete Bildbericht sei auch in den Archivexemplaren unkenntlich zu machen.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Es könne nicht bezweifelt werden, dass der Bildbericht die Interessen des Klägers beeinträchtige. Seinen Interessen stehe jedoch ein überwiegendes Veröffentlichungsinteresse der Beklagten gegenüber. Das dem Kläger vorgeworfene Verbrechen habe das Interesse einer breiten Öffentlichkeit erweckt. Das Fortkommen des Klägers werde trotz seines nachfolgenden Freispruchs nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt. Die von ihm behaupteten Nachteile seien darauf zurückzuführen, dass er des Mordes angeklagt worden sei. Sie seien nicht erst durch den Pressebericht ausgelöst worden. Auch bei seinem Unterbleiben wären die Maßnahmen der Strafverfolgung und das dem Kläger angelastete Kapitalverbrechen der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben. Der Kläger gestehe selbst zu, dass schon anlässlich seiner Verhaftung Fotos von ihm veröffentlicht worden waren.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Klägers ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt fehlt; die Revision ist aber nicht berechtigt.

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung des § 78 UrhG die Wertungen des Medienrechts jedenfalls dort zu berücksichtigen, wo der gleiche Sachverhalt geregelt wird.

Erwachsenen, die eines Verbrechens verdächtig sind oder wegen eines

solchen verurteilt wurden, kommt der Identitätsschutz nach § 7a MedG

nur dann zu, wenn durch die Veröffentlichung ihr Fortkommen (unter

Bedachtnahme auf die Umstände der Tat sowie deren Verfolgung und

Bestrafung) unverhältnismäßig beeinträchtigt werden kann (§ 7a Abs 2

Z 2 MedG); fehlt diese Voraussetzung, dann ist nach § 7a Abs 1 MedG -

wegen des Zusammenhangs des (angeblichen) Verbrechens mit dem

öffentlichen Leben - ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit

an der Veröffentlichung des Bildes (und anderer Angaben zur

Identität) gegeben. In einem solchen Fall verletzt die

Bildnisveröffentlichung auch nicht die durch § 78 UrhG geschützten

berechtigten Interessen des Abgebildeten (SZ 70/183 = JBl 1998, 55 =

MR 1997, 302 = ÖBl 1998, 88 - Ernestine K.; MR 1998, 191 -

Prozessbericht ua).

§ 7a Abs 2 Z 2 MedG begründet für den Journalisten die Pflicht zur genauen Prüfung der Umstände (Brandstetter/Schmid, Kommentar zum Mediengesetz**2 § 7a Rz 24). Ob die mit der Bildnisveröffentlichung verbundene Preisgabe der Identität des Betroffenen dessen Fortkommen unverhältnismäßig beeinträchtigen kann, ist notwendigerweise nach den im Zeitpunkt der Bildnisveröffentlichung gegebenen Umständen zu beurteilen. Dabei ist auf den Verfahrensstand und die Konkretisierung des Tatverdachts, die Schwere (Strafbarkeit) der Tat, aber auch auf die Tatumstände und die berufliche und soziale Stellung des Verdächtigen Bedacht zu nehmen (Brandstetter/Schmid aaO; s auch Hager/Zöchbauer, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht4, 53 mwN). Je größer der Tatverdacht, je spektakulärer die Tat, desto geringer der Schutz des Betroffenen. Wer daher, wie der Kläger, eines spektakulären Verbrechens verdächtig ist und gegen den die Hauptverhandlung eröffnet wird, dessen Fortkommen wird nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt, wenn seine Identität durch eine Bildnisveröffentlichung bekannt wird, mag er auch als Betreiber eines Lokals durch die negative Publizität Einbußen erleiden. Seine Stellung als Lokalinhaber ist vielmehr auch ein Grund dafür, ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit zu bejahen, darüber informiert zu werden, welch schwerwiegender Verdacht gegen den Besitzer eines Restaurants erhoben wurde.

Aus der Verneinung einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Fortkommens im vorliegenden Fall folgt nicht, dass - wie der Kläger meint - Bild und Name eines Mordverdächtigen immer veröffentlicht werden dürften, ohne dass eine Interessenabwägung notwendig wäre. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls; diese können durchaus so beschaffen sein, dass die Bildnisveröffentlichung das Fortkommen des Abgebildeten unverhältnismäßig beeinträchtigt.

Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung liegt aber nicht schon dann vor, wenn der Verdächtige in der Folge freigesprochen wird. Ein der Bildnisveröffentlichung nachfolgender Freispruch ist kein Umstand, den das Medienunternehmen bei seiner Entscheidung, ob es ein Bild des Verdächtigen veröffentlichen solle, berücksichtigen könnte; er kann daher auch nicht in die Beurteilung einbezogen werden, ob die Bildnisveröffentlichung das Fortkommen des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigt und sein Interesse am Unterbleiben der Veröffentlichung daher ein allfälliges Veröffentlichungsinteresse überwiegt. Wäre, wie der Kläger geltend macht, eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Fortkommens immer dann zu bejahen, wenn der Abgebildete in der Folge freigesprochen wird, so wäre jede Veröffentlichung des Bildnisses eines noch nicht rechtskräftig Verurteilten mit dem Risiko verbunden, dessen berechtigte Interessen aus einem Grund zu verletzen, der noch gar nicht vorliegt und den das Medienunternehmen daher auch nicht berücksichtigen kann.

Die berechtigten Interessen des Abgebildeten werden jedoch dann verletzt, wenn der Abgebildete im Begleittext als bereits überführt dargestellt wird (JBl 1998, 55 = MR 1997, 302 = ÖBl 1998, 88 - Ernestine K.) oder wenn er auf erniedrigende Art abgebildet wird. Im vorliegenden Fall trifft keines von beidem zu:

Im Begleittext wird aus der Anklage zitiert und gleichzeitig klargestellt, dass es sich dabei um Ausführungen des Anklägers handelt. Es werden auch Umstände angeführt, die der Kläger zu seiner Verteidigung vorgebracht hat und die geeignet sind, den Tatverdacht zu entkräften. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass zwar gewichtige Indizien für die Schuld des Angeklagten sprechen, dessen Täterschaft aber noch keineswegs bewiesen ist.

Erniedrigend soll die Abbildung deshalb sein, weil dem Kläger auf dem Bild Handschellen angelegt oder abgenommen werden. Damit wird aber nur dokumentiert, dass der Kläger aus der - bei Mordverdacht bedingt-obligatorischen (§ 180 Abs 7 StPO) - Untersuchungshaft vorgeführt wurde. Eine Erniedrigung, die über die schon mit der Anklage wegen Mordes verbundene Beeinträchtigung hinausginge oder davon zu unterscheiden wäre, ist damit nicht verbunden.

Die Revision musste erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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