OGH 15Os39/00

OGH15Os39/0013.4.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Greinert als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Vahid B***** und einer weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Vahid B***** und Sejdefa B***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 1. Dezember 1999, GZ 14 Vr 678/99-57, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden beider Angeklagten sowie die Berufung des Angeklagten Vahid B***** wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz übermittelt.

Gemäß § 390a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Vahid B***** (zu I 1. bis 3.) und (seine Ehefrau) Sejdefa B***** (zu I 3.) des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB, Vahid B***** überdies (zu II) des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und (zu III) des Vergehens der versuchten Blutschande nach §§ 15, 211 Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie

I. ihren Kindern Fatima, Selvedina und Valdina B*****, die ihrer Fürsorge und Obhut unterstanden und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, körperliche und seelische Qualen zugefügt, und zwar

  1. 1. Vahid B***** zu einem nicht exakt feststellbaren Zeitpunkt um den
  2. 13. und 15. Juni 1999 in Seltzthal der Valdina B*****, indem er eine brennende Zigarette an ihrer rechten Hand und an ihrem rechten Unterarm ausdrückte;

2. Vahid B***** am 13. Juni 1999 in Seltzthal der Fatima, Selvedina und Valdina B*****, in dem er sie mit einem Ledergürtel schlug;

3. Vahid B***** zu nicht feststellbaren Zeitpunkten vor dem 13. Juli 1999 in Treglwang und Seltzthal Fatima, Selvedina und Valdina B***** durch Versetzen von Schlägen mit einem Gürtel und Selvedina B***** zusätzlich durch Hochziehen an den Haaren und Werfen auf ein Bett;

Sejdefa B***** von Anfang 1992 bis Juni 1999 in Tregelwang und Seltzthal in vielfachen Angriffen der Fatima, Selvedina und Valdina B***** durch Versetzen von Schlägen mit Ästen, Ruten, Stromkabeln und Ledergürteln sowie durch Versetzen von Tritten;

II. Vahid B***** von 1996 bis zum 1. Juni 1999 in Seltzthal wiederholt mit der unmündigen Fatima B***** (geboren am 2. Juni 1985) jeweils den Beischlaf und eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung, nämlich Analverkehr, unternommen;

III. Vahid B***** von 1996 bis zum 1. Juni 1999 in Seltzthal wiederholt seine Tochter Fatima B*****, mithin eine Person, mit der er in absteigender Linie verwandt ist, zum Beischlaf zu verführen versucht.

Gegen die sie treffenden Schuldsprüche richten sich (getrennt ausgeführte) Nichtigkeitsbeschwerden, welche Vahid B***** auf Z 4 und 5, Sejdefa B***** auf Z 4 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO stützen.

Keine der Beschwerden ist im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrügen (Z 4) versagen. Der vom Verteidiger des Erstangeklagten schriftlich gestellte (ON 53) und in der Hauptverhandlung wiederholte Antrag (S 59/II), dem sich der Verteidiger der Zweitangeklagten kommentarlos angeschlossen hatte (S 61/II), auf Einholung eines jugendpsychologischen Sachverständigengutachtens zur Klärung der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß die drei Kinder zur Übertreibung und Unwahrheit neigen, zielt schon nach seinem Inhalt bloß auf die Aufnahme eines unzulässigen Erkundungsbeweises ab (vgl hiezu näher: Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 88 ff). Die Beschwerdeführer legten bei Antragstellung aber auch keine im Verfahren hervorgekommene objektive Momente oder Gründe dafür dar, warum - nach ihrer Meinung - konkrete Bedenken gegen die Wahrnehmungs- oder/und Wiedergabefähigkeit der drei unmündigen Tatopfer bestanden haben sollten (Mayerhofer aaO E 113, 117; vgl US 23). Schließlich wurde im Verfahren erster Instanz nicht einmal behauptet, die Mädchen oder der - in der Hauptverhandlung anwesende - Vertreter des vorläufig obsorgeberechtigten Jugendamtes der Bezirkshauptmannschaft Liezen (ON 34, S 37 f/II) hätten die (zwingend erforderliche) Zustimmung zu einer solchen Untersuchung erteilt (Mayerhofer aaO E 121a; näher dazu: ÖJZ-LSK 1996/106-108 = JUS OGH St 1985; 15 Os 121/98 uam).

Durch die verweigerte Aufnahme dieses Beweises (S 65/II) wurden daher Verteidigungsrechte der Angeklagten nicht beeinträchtigt.

Soweit die Angeklagte Sejdefa B***** teils prozessual verspätet, teils aktenfremd erst in der Beschwerde rügt, das Erstgericht habe es "abgelehnt", die Rechtsfrage, nämlich die Zufügung körperlicher und seelischer Qualen durch Beiziehung eines psychologischen oder aber auch eines (von ihr gar nicht beantragten) gerichtsmedizinischen Sachverständigen zu überprüfen, ist dieses Vorbringen unbeachtlich (Mayerhofer aaO E 1, 4, 4g, 15; 27a; 40 f).

Mit der Behauptung in der lediglich den Urteilsspruch I 3. kritisierenden Mängelrüge (Z 5) des Angeklagten Vahid B***** hinwieder, er sei angeklagt und verurteilt worden, vor dem 13. Juni 1999 "in Tregelwang (also vor 1994)" bzw in Seltzthal die Kinder geschlagen zu haben, wird weder der geltend gemachte formelle, noch ein anderer Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 StPO dargetan (vgl Mayerhofer aaO § 281 Z 5 E 46, 53; § 281 Z 3 E 41). Ergibt sich doch aus den Entscheidungsgründen unmissverständlich, dass er vor dem 13. Juni 1999 Fatima zumindest einmal, Selvedina zweimal und Valdina einmal mit dem Ledergürtel geschlagen hat (US 17). Zu welcher Zeit dies geschehen ist, bleibt sowohl im Spruch als auch in den Gründen (sanktionslos) offen, wobei dem fehlenden exakten Tatort ebensowenig entscheidende Bedeutung zukommt (Mayerhofer § 260 E 31a f; § 281 Z 5 E 18).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) der Angeklagten Sejdefa B***** verfehlt mangels Orientierung am gesamten objektiven und subjektiven Urteilssachverhalt eine gesetzmäßige Ausführung.

Alle die für die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 92 Abs 1 StGB geforderten, von der auch darauf abstellenden (S 181 f) Beschwerde vermissten, von ihr jedoch prozessordnungswidrig übergangenen Feststellungen zum objektiven Tatbestandsmerkmal der körperlichen und seelischen Qualen trifft das Urteil ebenso deutlich und ausreichend wie jene zum Handeln mit (zumindest) dolus eventualis (US 17 ff, 24 f).

Angesichts der beinahe jede Woche erfolgten, somit ungewöhnlich zahlreichen Angriffe der Beschwerdeführerin gegen ihre drei Kinder über einen Zeitraum von mehr als sieben Jahren ist dem Erstgericht - dem Standpunkt der Strafberufung zuwider - bei Annahme der besonderen Erschwerungsgründe des "langen Deliktzeitraums" und der "vielfachen Tathandlungen" (US 29) kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (der Sache nach § 281 Z 11 zweiter Fall StPO) unterlaufen. Über die Stichhältigkeit und das Gewicht dieser Strafzumessungstatsachen wird demnach der Gerichtshof zweiter Instanz im Rahmen der Berufungsentscheidung zu befinden haben.

Die lediglich ein Argument der Beschwerde der Angeklagten Sejdefa B***** wiederholende Äußerung der Verteidigung (§ 35 Abs 2 StPO) ist nicht geeignet, eine Änderung der Rechtslage herbeizuführen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher teils als offenbar unbegründet, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Unterstellung der von Vahid B***** bis 1. Oktober 1998 (Inkrafttreten des SRÄG 1998, BGBl I 1998/153) an der unmündigen Fatima B***** verübten, dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen durch wiederholten Analverkehr unter § 206 Abs 1 StGB nF (II des Schuldspruchs) ist zwar verfehlt. Da aber dem Analverkehr jeweils (vgl US 20) auch ein rechtlich vollendeter Beischlaf nach § 206 Abs 1 StGB aF (Berührung der Geschlechtsteile; Leukauf/Steininger Komm3 § 206 RN 3) vorausging, die rechtsrichtige Subsumtion der bis 1. Oktober 1998 begangenen, dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlungen auf Grund anzuwendender Realkonkurrenz (Leukauf/Steininger aaO RN 12) das Hinzutreten des Verbrechens nach § 207 Abs 1 StGB aF bewirkt hätte und der Angeklagte auch nach dem 1. Oktober 1998 sowohl durch wiederholten Beischlaf als auch durch dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen das Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen gemäß § 206 Abs 1 StGB nF verwirklicht hat, besteht mangels Benachteiligung des Angeklagten durch den teilweise unterlaufenen Subsumtionsfehler kein Anlass für ein amtswegiges Vorgehen gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO.

Die vom Angeklagten Vahid B***** zudem ausgeführte "Berufung wegen Schuld", in der zum Schuldspruch I 3. auf das Vorbringen der Mängelrüge Bezug genommen, zum Schuldspruch II erneut die Abweisung des Beweisantrages auf Ablehnung eines jugendpsychologischen Gutachtens gerügt, die Glaubwürdigkeit der Zeugin Fatima B***** insgesamt in Zweifel gezogen und gemäß dem Grundsatz in dubio pro reo ein Freispruch von diesen zwei Anklagepunkten gefordert wird, war gleichfalls zurückzuweisen, weil ein derartiges Rechtsmittel gegen kollegialgerichtliche Urteile in den Verfahrensgesetzen nicht vorgesehen ist (§§ 280, 283 Abs 1 StPO) und auch aus der Sicht einer Tatsachenrüge (Z 5a) keine gesetzmäßige Ausführung dieses formellen Nichtigkeitsgrundes vorliegt.

Aus der Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerden folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Graz zur Entscheidung über die Berufungen (wegen Strafe) der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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