OGH 15Os31/00

OGH15Os31/0030.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. März 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Greinert als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Kurt M***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster und zweiter Fall StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 39 Vr 361/99 des Landesgerichtes Wiener Neustadt, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 5. Juli 1999, GZ 39 Vr 361/99-74, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 5. Juli 1999, GZ 39 Vr 361/99-74, verletzt im Schuldspruch B wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB Art 14 Abs 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957, BGBl 1969/320.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im bezeichneten Schuldspruch sowie demgemäß auch im Strafausspruch (mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und gemäß §§ 288 Abs 2 Z 3, 292 letzter SatzStPO in der Sache selbst erkannt:

Kurt M***** wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe von 1992 bis Ende 1994 in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit fahrlässig die Befriedigung seiner Gläubiger oder zumindest eines Teiles von ihnen insbesondere dadurch geschmälert oder vereitelt, dass er neue Schulden einging und alte Schulden bezahlte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Für das ihm nach dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruches weiterhin zur Last liegende Verbrechen des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster und (richtig: nur) zweiter Fall StGB wird Kurt M***** nach dem zweiten Strafsatz des § 148 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 23 Monaten verurteilt.

Gemäß § 43a Abs 3 StGB wird ein Teil der Freiheitsstrafe von 17 Monaten für eine Probezeit von drei Jahren beginnend mit 5. Juli 1999 bedingt nachgesehen.

Der Anspruch über die Vorhaftanrechnung wird aus dem Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt übernommen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt erhob am 28. Oktober 1998 gegen (den damals flüchtigen) Kurt M***** Anklage (ON 39) wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB (I und II) und der Vergehen der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB (III).

Am 17. November 1998 erließ der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Wiener Neustadt gegen den Angeklagten einen internationalen Haftbefehl (ON 40), dem die bezeichneten strafbaren Handlungen zugrunde lagen. Nachdem Kurt M***** am 7. März 1999 in der Bundesrepublik Deutschland festgenommen worden war (S 55 VII), bewilligte der Oberstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 27. April 1999 dessen Auslieferung nur im Umfang der im Haftbefehl angeführten Betrugstaten (Punkt I und II); hingegen stellte er die (Auslieferungs-)Entscheidung wegen des Tatkomplexes der fahrlässigen Krida (Punkt III) zur weiteren Sachverhaltsergänzung zurück (S 115 b und c VII). Am 14. Mai 1999 wurde Kurt M***** nach Österreich überstellt (ON 65).

Mit rechtskräftigem, auch Teilfreisprüche enthaltendem Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 5. Juli 1999, GZ 39 Vr 361/99-74, wurde er (überwiegend im Sinne der modifizierten - S 197, 199 VII - Anklage) nicht nur des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster und zweiter Fall StGB (A I und II), sondern auch des (von der Auslieferungsbewilligung nicht umfassten) Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB (B) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, von der gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil von 18 Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Den unbedingten Teil der Freiheitsstrafe von 6 Monaten verbüßte er vom 7. März bis 7. September 1999 (ON 83).

Letztlich hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 19. Oktober 1999 die Auslieferung des Kurt M***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida für unzulässig erklärt (nicht einjournalisiertes Nachhangstück der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 9. Februar 2000).

Wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend releviert, steht der Schuldspruch des Kurt M***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß Art 14 Abs 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957, BGBl 1969/320, welches im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland bei einer Auslieferung nach Maßgabe der beiderseitigen Vorbehalte und Erklärungen sowie unter Bedachtnahme auf den zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland am 31. Jänner 1972 abgeschlossenen Vertrag über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens und die Erleichterung seiner Anwendung (BGBl 1977/35) anzuwenden ist (Art 59 SDÜ), darf eine ausgelieferte Person wegen einer anderen vor der Übergabe begangenen Handlung als jener, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur dann verfolgt und abgeurteilt werden, wenn

a) der Staat, der sie ausgeliefert hat, zustimmt oder

b) die ausgelieferte Person, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem sie ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat, oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebietes dorthin zurückgekehrt ist.

Dieser Grundsatz der Spezialität der Auslieferung (vgl auch § 70 Abs 1 ARHG) stand als materiellrechtliches Verfolgungshindernis der Verurteilung des Angeklagten Kurt M***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida entgegen, weil sich die Auslieferungsbewilligung auf diese Tathandlungen nicht erstreckt hat und die Voraussetzungen, unter denen dennoch eine Strafverfolgung zulässig gewesen wäre, nicht erfüllt gewesen sind.

Das Urteil ist daher in seinem Schuldspruch B mit dem Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO behaftet. Die Gesetzesverletzung gereicht dem Angeklagten zum Nachteil, sodass der betroffene Schuldspruch (und demzufolge auch der Strafausspruch) aufzuheben und in diesem Umfang mit einem Freispruch vorzugehen war.

Bei der dadurch für den unberührt gebliebenen Schuldspruch wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster und (richtig: nur) zweiter Fall StGB notwendig gewordenen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend die zweifache Qualifikation zum Verbrechen des Betruges, als mildernd das reumütige Geständnis, den bisher ordentlichen Lebenswandel, die teilweise Schadensgutmachung und den Umstand, dass er sich seit der Tat durch mehrere Jahre wohlverhalten hat.

Unter Bedachtnahme auf diese Strafzumessungsgründe ist die verhängte Freiheitsstrafe schuld- und unrechtsangemessen.

Im Hinblick auf die Vielzahl der von gewerbsmäßiger Absicht getragenen Angriffe reicht die bloße Androhung der Vollziehung nicht aus, um den Angeklagten von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Die ausgesprochene Freiheitsstrafe konnte daher nicht zur Gänze, sondern nur im angeführten Teil bedingt nachgesehen werden.

Da das in Beschwerde gezogene Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt bereits in Rechtskraft erwachsen und damit die Probezeit in Gang gesetzt worden war, ist für den Beginn der mit drei Jahren bestimmten Probezeit - im Sinne des Verschlimmerungsverbotes gemäß §§ 290 Abs 1, 292 StPO - der Eintritt der Rechtskraft des Urteiles erster Instanz maßgeblich (SSt 56/79 = EvBl 1986/89 = RZ 1986, 32, 15 Os 11, 12/96 ua).

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