OGH 9Ob27/00m

OGH9Ob27/00m2.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Patrick T*****, geboren am 9. November 1989, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch den Unterhaltssachwalter Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie

21. Bezirk, 1210 Wien, Am Spitz 1, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. Oktober 1999, GZ 43 R 844/99g-104, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 27. Juli 1999, GZ 13 P 2026/95x-95, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Erstgerichtes vom 20. 2. 1990, ON 2, wurde die Obsorge über den Minderjährigen den mütterlichen Großeltern übertragen. Laut Beschluss vom 18. 12. 1997, ON 84, werden dem Kind für die Zeit vom 1. 2. 1998 bis zum 31. 1. 2001 monatliche Unterhaltsvorschüsse von S 2.040,- gewährt.

Auf Grund einer Mitteilung des Unterhaltssachwalters, für den Minderjährigen werde laufend Verwandtenpflegegeld gemäß § 27 Abs 6 Wr JWG (derzeit S 1.400,- monatlich) bezogen, stellte das Erstgericht von Amts wegen die dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse per 31. 10. 1998 ein.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es verwies auf die Entscheidung 7 Ob 5/99g (= ÖA 1999, 171), nach der eine Maßnahme der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht vorliege und somit die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Z 2 UVG erfüllt seien. Dass § 27 Abs 6 Wr JWG eine "Kannbestimmung" sei, ändere daran nichts, solange aufgrund einer "offensichtlichen Verwaltungsentscheidung" Pflegegeld gewährt werde. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil auch der gegenteilige Standpunkt vertretbar sei.

Der Revisionsrekurs des durch seinen Unterhaltssachwalter vertretenen Minderjährigen ist iSd § 14 Abs 1 AußStrG zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist in einer Vielzahl von nahezu zeitgleich ergangenen Entscheidungen von dem in der Entscheidung 7 Ob 5/99g eingenommenen Standpunkt abgegangen (7 Ob 289/99x, 1 Ob 243/99p; 2 Ob 273/99g; 6 Ob 243/99z uva). Auf Grund der seither vertretenen Rechtsauffassung ist von folgenden Überlegungen auszugehen:

Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Diese Einschränkung soll nach den Materialien (JAB, 199 BlgNR XIV. GP, 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder der Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt wird (RV, 172 BlgNR XVII. GP, 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird". Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit der Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach dieser Bestimmung ist jedenfalls, dass die Unterbringung "auf Grund einer Maßnahme" der Jugendwohlfahrtspflege (oder Sozialhilfe), somit einer entsprechende Anordnung mit Kostenfolgen erfolgt. So genügt es nach der Rechtsprechung nicht, dass bloß die Obsorge über ein Pflegekind nach § 186a ABGB auf Pflegeeltern übertragen, eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden (ÖA 1991, 22), sofern nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (so etwa § 14 Tir JWG LGBl 1991/18).

Wird jedoch - wie hier - ausschließlich aus dem Wohl des Kindes (§ 178a ABGB) entsprechenden familienbezogenen Erwägungen die Obsorge den Großeltern übertragen, liegt keine "Maßnahme der vollen Erziehung" nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht vor.

Entgegen der zu 7 Ob 5/99g vertretenen Auffassung liegt im Fall der Gewährung von Pflegegeld nach § 27 Abs 1 Wr JWG auch keine bescheidmäßige und damit der Rechtskraft fähige, einen Rechtsanspruch des Empfängers erledigende Pflegegeldzuerkennung. Während nämlich nach § 27 Abs 1 Wr JWG "Pflegeeltern" (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung - eine solche liegt nicht vor - auf Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten Pflegegeld gebührt, diesen also ausdrücklich ein Rechtsanspruch zuerkannt wird (so auch die Materialien zum Wr JWG, § 27, S 57), statuiert § 27 Abs 6 Wr JWG, dass (sonstigen) Personen, die mit den von ihnen betreuten Kindern bis zum dritten Grad verwandt oder verschwägert sind - unter welchen Personenkreis die Großeltern eines Kindes fallen - vom Magistrat unter Berücksichtigung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Pflegegeld bis zur Höhe des - auf Grund des § 27 Abs 5 Wr JWG durch Verordnung der Wiener Landesregierung festzusetzenden - Richtsatzes gewährt werden kann, somit kein Rechtsanspruch besteht (Materialien zum Wr JWG zu § 27 Abs 6).

Daraus folgt, dass den von den Ländern nach ihren jeweiligen Jugendwohlfahrtsgesetzen bloß auf Grund von "Kannbestimmungen" und damit ohne Rechtsanspruch gewährten Pflegegeldern kein bescheidmäßiger Zuweisungsakt zugrunde liegt. Im übrigen ist Leistungsempfänger nach § 2 Abs 1 UVG das Kind, nach § 27 Wr JWG die Pflegeperson.

Ob eine Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG erfolgen könnte, wenn auch eine rechtliche Verpflichtung des jeweiligen Landes zur Gewährung solcher Pflegegelder (wie etwa in Niederösterreich und in Tirol; siehe hiezu RZ 1997/28 und RZ 1994/10 = EFSlg 69.396) bestünde, muss hier nicht untersucht werden. Bloß freiwillig gewährte Zuschüsse welcher Art immer treffen den Jugendwohlfahrtsträger jedenfalls nur wirtschaftlich, aber eben nicht "nach der Rechtslage". Dass dies - je nach dem anzuwendenden Landesrecht - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, ist eine von den jeweiligen Landesgesetzgebern rechtspolitisch gewollte normative Ausgestaltung, deren Änderung der Gesetzgebung und nicht den ordentlichen Gerichten im Rahmen ihrer Rechtsprechung obliegt (vgl 1 Ob 78/99y; 7 Ob 224/99p). Die Gewährung eines Verwandtenpflegegeldzuschusses nach § 27 Abs 6 Wr JWG an die Großeltern stellt demnach keinen Grund zur Einstellung der dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dar.

In Stattgebung des Revisionsrekurses sind demnach die Entscheidungen der Vorinstanzen ersatzlos zu beheben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte