OGH 9Ob1/00p

OGH9Ob1/00p16.2.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. Dr. Hatto F*****, Wirtschaftstreuhänder und Steuerberater, ***** 2. Mag. Sylvia F*****, Wirtschaftstreuhänderin und Steuerberaterin, ebendort, beide vertreten durch Dr. Walter Derganz, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagten Parteien 1. Klaus F*****, Dienstnehmer, ***** 2. Andrea F*****, Hausfrau, ebendort, beide vertreten durch Dr. Felix Graf, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Feststellung und Unterlassung, über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 19. Oktober 1999, GZ 3 R 313/99y-11, womit über Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 11. Juni 1999, GZ 4 C 503/99f-5, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kläger sind je zur Hälfte bücherliche Eigentümer einer Reihe von Liegenschaften des Grundbuches R*****, darunter einer von ihnen instandgesetzten und mit einem Asphaltbelag versehenen Zufahrt von der S*****straße (im Volksmund "H*****weg" bezeichnet) bis zu ihrem Haus (Grundstück Nr 72). Die Beklagten sind seit 25. 4. 1996 je zur Hälfte Eigentümer des Grundstückes Nr 168 im Ausmaß von 114 m2 mit dem darauf errichteten alten Stickereilokal S*****straße 14. Dieses Bauwerk hatte nur eine einzige Türe und konnte nur durch diese an der Ostseite aus der Richtung des H*****weges betreten werden. Die Beklagten haben das alte Stickereilokal abgebrochen und ein Einfamilienhaus errichtet. Sie erhielten von Verwandten weitere Grundstücksflächen übereignet, sodass der Gutsbestand einschließlich des Stickereilokals nunmehr ein Ausmaß von 337 m2 umfasst.

Entgegen dem Willen der Kläger benützen die Beklagten den H*****weg als Zufahrt zu ihrem Einfamilienwohnhaus. Bis Mitte der 80er-Jahre wurde im Stickereigebäude ein Stickereibetrieb geführt, wobei die Beschäftigten wie auch die Zulieferer über den H*****weg zufuhren und zugingen. Seit den 50er-Jahren erfolgten die Zulieferungen auch mit Kraftfahrzeugen, wobei die LKW während der Be- und Entladung auf dem H*****weg abgestellt wurden. Auch die Beschäftigten der Stickerei, in der zeitweise mehrschichtig mit ca 6 bis 7 Angestellten gearbeitet wurde, kamen teilweise mit (Kraft-)Fahrzeugen. Diese Benützungspraxis wurde von den damaligen Eigentümern des H*****weges nicht bekämpft. Ab 1988 wurde das Stickereigebäude lediglich als Lagerplatz benützt. Bis dahin wurde je nach Bedarf zum Stickereilokal zugefahren. Die im Eigentum der Beklagten stehende Liegenschaft grenzt direkt an den H*****weg. Das Einfamilienhaus wird als Wohnstätte und nicht etwa als Geschäftsraum benützt.

Die Kläger begehren die Feststellung, dass den Beklagten kein Recht zustehe, die Liegenschaft Grundstück Nr 72 als Geh- und Fahrweg zu benützen und die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, die Liegenschaft Grundstück Nr 72 als Zufahrt zu ihrem Einfamilienhaus zu benützen.

Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klagebegehren. Es liege keine unzulässige Erweiterung des ersessenen Fahr- und Gehrechts vor. Ungeachtet der Vergrößerung der Liegenschaft der Beklagten als herrschendem Gut komme es zu keiner unzumutbaren Mehrbelastung.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Durch die Vergrößerung der herrschenden Liegenschaft sei zumindest derzeit eine erhebliche Mehrbelastung des dienenden Grundstückes auszuschließen. Mit einem gewerblichen Betrieb sei eine weit größere Belastung des dienenden Grundstückes verbunden als mit einem Wohngebäude.

Das Berufungsgericht hob über Berufung der klagenden Parteien das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 52.000, nicht jedoch S 260.000 übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Da Beweise zur Feststellung der Frequenz der Zufahrten in der Vergangenheit nicht aufgenommen worden seien, liege ein Verfahrensmangel vor, der die Aufhebung des angefochtenen Urteiles zur Folge habe. Die Frequenz der Benützung des dienenden Grundstückes sei entscheidend, weil allein durch die Vergrößerung des herrschenden Grundstückes eine erhebliche Mehrbelastung des dienenden Grundstückes nicht verwirklicht worden sei. Die Belastung im Zusammenhang mit einem Einfamilienhaus sei gegenüber der Belastung im Zusammenhang mit einem Gewerbebetrieb als geringfügiger einzustufen. Es stehe daher noch nicht fest, inwieweit eine unzulässige Ausdehnung bzw Erweiterung des Dienstbarkeitsrechtes durch die Änderung der Kulturgattung und der Bewirtschaftungsart gegeben sei. Intensität und Frequenz der Nutzung der Dienstbarkeitsfläche in der Vergangenheit und im Zusammenhang mit dem Einfamilienwohnhaus seien zur abschließenden rechtlichen Beurteilung festzustellen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Kläger mit dem Antrag, die Entscheidungen der Unterinstanzen dahin abzuändern, dass den Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise es unter Überbindung einer vom Berufungsgericht abweichenden Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes beim Aufhebungsbeschluss zu belassen.

Die beklagten Parteien stellen den Antrag, den Rekurs der Kläger als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Nach § 484 ABGB dürfen Servituten nicht erweitert werden; sie sind vielmehr, soweit es ihre Natur und der Zweck der Bestellung gestatten, einzuschränken. Der Umfang einer ersessenen Wegeservitut bestimmt sich danach, zu welchem Zweck das dienstbare Gut während der Ersitzungszeit verwendet wurde (3 Ob 114/97d). Nur in den durch den Verwendungszweck abgesteckten Grenzen kann der Berechtigte das ersessene Recht seinen Bedürfnissen entsprechend ausüben, wogegen bei erheblichen oder gar unzumutbaren Erschwernissen selbst wieder die Voraussetzungen der Ersitzung zutreffen müssten. Der Umfang der Wegeservitut richtet sich nach der Kulturgattung und der Bewirtschaftungsart des herrschenden Gutes im Zeitpunkt der Bestellung oder Ersitzung der Servitut. Kulturänderungen des herrschenden Gutes geben keinen Anspruch auf Ausdehnung eines Geh- und Fahrrechtes (6 Ob 333/97g). Die einmal eingeräumte Dienstbarkeit für die Bewirtschaftung einer bestimmten Fläche darf nicht um weitere herrschende Grundstücke ergänzt werden (SZ 69/135 mwN; 1 Ob 285/98h).

Die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, dass die Vergrößerung der Fläche des herrschenden Grundstückes nicht in jedem Fall zu einer unzulässigen Ausweitung einer zugunsten des ursprünglich herrschenden Grundstückes bestehenden Wegeservitut führt, steht mit der Entscheidung SZ 69/135 nicht im Widerspruch. Voraussetzung der Ausweitung der Servitut wäre, dass die für die Bewirtschaftung einer bestimmten Fläche eingeräumte Servitut um weitere herrschende Grundstücke erweitert wird. Naturgemäß führt die Bewirtschaftung weiterer herrschender Grundstücke zu einer Änderung des Benützungsumfanges eines Geh- oder Fahrrechtes und daher unter Umständen zu erheblichen oder gar unzumutbaren Erschwernissen, die aber wieder nur unter der Voraussetzung der Ersitzung zu dulden sind.

Der ersessene Gebrauch besteht nach dem vorliegenden und nach Ansicht des Berufungsgerichtes noch nicht vollständigen Feststellungen im Befahren teilweise mit LKW durch Zulieferer, die während der Be- und Entladung auf dem H*****weg abgestellt wurden, ferner im Befahren durch Beschäftigte teilweise mit Kraftfahrzeugen, wobei je nach Bedarf zugefahren wurde und in der Stickerei zeitweise mehrschichtig mit ca 6 bis 7 Angestellten gearbeitet wurde.

Das Recht, die dienende Sache zum Zwecke des Betriebes eines Stickereilokales zu begehen, durch Zulieferer und Bedienstete und wohl auch durch den Grundeigentümer selbst mit PKW und LKW zu befahren und diese zeitweise auch abzustellen, darf durch die Vergrößerung, die Änderung der Wirtschaftsart des herrschenden Grundstückes und sich daraus ergebender Beanspruchungen nicht ausgedehnt werden (6 Ob 333/97g). Ob jedoch eine Ausweitung der Beanspruchung des dienenden Grundstückes und des ersessenen, inhaltlich noch nicht endgültig feststehenden Rechtes durch die Änderung der Bewirtschaftungsart und der Vergrößerung des herrschenden Grundstückes erfolgte, kann erst durch genaue Feststellung des ersessenen Rechtes und der sich nun durch die Änderung der Bewirtschaftungsart ergebenden Beanspruchungen geklärt werden.

Es hat daher beim Aufhebungsbeschluss zu verbleiben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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