OGH 14Os178/99

OGH14Os178/9915.2.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Feber 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Mezera als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Nermin S***** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Wiener Neustadt vom 1. Oktober 1999, GZ 39 Vr 1.620/98-25, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Sperker, der Angeklagten und des Verteidigers Dr. Zerobin zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 7 (sieben) Jahre herabgesetzt.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Nermin S***** des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (I/1, 2) und des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat sie am 9. Dezember 1998 in Neunkirchen

I. dadurch versucht, Nachgenannte vorsätzlich zu töten, dass sie aus einer Gendarmeriepistole Glock 17

1. zwischen 12.00 Uhr und 12.15 Uhr einen Schuss gegen die Gendarmeriebeamten Revierinspektor Helmut E*****, Revierinspektor Franz L***** und Gruppeninspektor Karl V*****,

2. um ca 15.20 Uhr einen Schuss gegen den Chefinspektor L***** abgab;

II. dadurch versucht, die Justizwachebeamtin Claudia T***** und die zu I/1 genannten Gendarmeriebeamten mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich ihrer Verbringung in den Haftraum der geschlossenen Abteilung des Krankenhauses Neunkirchen zu hindern, dass sie wild um sich schlug, trat und sich loszureißen suchte.

In ihrer inhaltlich allein gegen den Schuldspruch wegen versuchten Mordes (I/1, 2) aus § 345 Abs 1 Z 6 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde behauptet die Angeklagte eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung, weil bei der Formulierung der beiden Hauptfragen der eine Tötungsabsicht in Abrede stellenden Verantwortung nicht Rechnung getragen worden sei; der "fehlende Bezug auf den zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Vorsatz" habe die Geschworenen, wie insbesondere deren den Schuldspruch zu I/2 betreffende Niederschrift verdeutliche, abgehalten, "sich mit der subjektiven Tatseite zu befassen".

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund liegt nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Weil der Allgemeine Teil des StGB grundsätzlich für alle strafbaren Handlungen des Besonderen Teiles und der strafrechtlichen Nebengesetze gilt (Art I Abs 1 StRAG), ist der Gesetzesbefehl des § 312 Abs 1 StPO dahin zu verstehen, dass dort, wo der Besondere Teil oder ein strafrechtliches Nebengesetz auf der subjektiven Tatseite keine vom Mindesterfordernis des § 5 Abs 1 zweiter Halbsatz (§ 7 Abs 1) StGB abweichenden Vorsatzformen oder allfällige zusätzliche Vorsatzerfordernisse (vgl dazu Leukauf/Steininger Komm3 § 7 RN 20 ff) verlangt, bedingter Vorsatz unterstellt wird, demnach in der Frage nach den gesetzlichen Merkmalen der strafbaren Handlung nicht ausdrücklich erwähnt zu werden braucht. Dies umso mehr angesichts der die Fragestellung ergänzenden Rechtsbelehrung, welche gemäß § 321 Abs 2 StPO gerade jene "gesetzlichen Merkmale" der strafbaren Handlung, die nach § 312 Abs 1 zweiter Satz StPO zur deutlichen Bezeichnung der Tat in die Frage aufzunehmen sind, "darzulegen", also zu erläutern hat, was hier geschehen ist.

So gesehen musste in den Hauptfragen nach Mordversuch das - gleichwohl gesetzliche - (Tatbestands-)Merkmal des Vorsatzes (§ 5 Abs 1 StGB) nicht angeführt werden (vgl Mayerhofer StPO4 E 21 ff zu § 312).

Der unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerde war sohin ein Erfolg zu versagen.

Das Geschworenengericht verurteilte Nermin S***** nach § 75 StGB zu 12 Jahren Freiheitsstrafe und wies sie gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein.

Bei der Strafbemessung wertete es die einschlägigen Vorstrafen, die Begehung der Taten während einer Strafhaft sowie das Zusammentreffen von strafbaren Handlungen gleicher und verschiedener Art als erschwerend; mildernd berücksichtigte es hingegen ein teilweises Geständnis, den geminderten Intellekt und den Umstand, dass es je beim Versuch geblieben ist.

Der auf Herabsetzung der Freiheitsstrafe gerichteten Berufung der Angeklagten kommt Berechtigung zu.

Die vom Erstgericht als erschwerend gewertete Delinquenz in der Strafzeit wird durch die psychische Belastung während des Strafvollzuges aufgewogen. Hingegen kommt die intellektuelle Unterbegabung der Angeklagten einem Schuldausschließungsgrund nahe (§ 34 Abs 1 Z 11 StGB). Dieser gewichtige zusätzliche Milderungsgrund und die Tatsache, dass Nermin S***** erst durch einen gravierenden Fehler eines Gendarmeriebeamten die Verfügungsgewalt über die Faustfeuerwaffe erlangte, gebietet die - wegen der zugleich verfügten Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB auch der momentanen Gefährlichkeit gerecht werdende - Herabsetzung der Freiheitsstrafe auf das im Spruch ersichtliche, unter der gesetzlichen Mindeststrafe (§ 41 Abs 1 Z 1 StGB) liegende Ausmaß.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.

Stichworte