OGH 6Ob9/00t

OGH6Ob9/00t20.1.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Marvin Gabriel S*****, in Obsorge der Mutter Marianna S*****, vertreten durch Dr. Gabriela Kaiser, Rechtsanwältin in Wien, wegen Festsetzung eines Besuchsrechts des Vaters, Herwig S*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 3. November 1999, GZ 45 R 754/99m-48, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 4. Oktober 1999, GZ 6 P 6/97z-45, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden als nichtig aufgehoben, die Entscheidung der ersten Instanz allerdings nur im abweisenden Teil.

Insoweit wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des am 8. 12. 1993 geborenen Kindes wurde 1996 geschieden. Die Obsorge steht der Mutter zu. 1997 schlossen die Eltern vor dem Jugendamt eine pflegschaftsgerichtlich genehmigte Vereinbarung, dass der Vater sein Kind alle 14 Tage von Samstag 8:00 Uhr bis Sonntag 21:00 Uhr sowie in der Zeit vom 25. 12. 1997 bis 10.1. 1998 besuchen kann.

Am 13. 8. 1999 beantragte der Vater die Festsetzung eines Besuchsrechts von vier Wochen im Juli eines jeden Jahres beginnend am ersten Samstag sowie ein Besuchsrecht zu Weihnachten eines jeden Jahres vom 26. 12. bis 31. 12. Der Vater brachte vor, das Kind sei im Sommer 1998 von Anfang Juni bis September bei den mütterlichen Großeltern in Ungarn gewesen und auch im Juli 1999 dorthin gebracht worden, wo es bis 30. 9. 1999 bleiben solle. Dadurch könne er sein Wochenendbesuchsrecht nicht ausreichend ausüben. Er beantrage, die Mutter zu ermahnen, dass er sein Wochenendbesuchsrecht im September 1999 ausüben könne (ON 39).

Das Erstgericht ermahnte die Mutter mit Beschluss vom 13. 8. 1999, dem Vater die Ausübung des festgesetzten Besuchsrechts zu ermöglichen, ohne der Mutter den Antrag des Vaters auf Einräumung eines vierwöchigen Besuchsrechts im Sommer sowie eines Besuchsrechts zu Weihnachten bekanntzugeben (ON 40).

Im Bericht des Jugendamts vom 27. 8. 1999 wird erwähnt, dass die Mutter bereit sei, dem Vater ein Besuchsrecht von zwei Wochen im Dezember 1999 einzuräumen, "auch im Juli 2000 ist dies möglich".

Der Vater erklärte zu diesem Bericht, dass er seinen Antrag vom 13. 8. 1999 auf gerichtliche Festsetzung des Besuchsrechts im Sommer und zu Weihnachten aufrechthalte.

Das Erstgericht setzte ohne weitere Erhebungen ein Urlaubsbesuchsrecht des Vaters für den Juli eines jeden Jahres in der Dauer von zwei Wochen und für die Weihnachtszeit vom 26. 12. bis 31. 12. fest und wies das Mehrbegehren des Vaters ab.

Die Mutter ließ diesen Beschluss unbekämpft.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und änderte den erstinstanzlichen Beschluss dahin ab, dass dem Besuchsrechtsantrag des Vaters zur Gänze stattgegeben wurde. Das Besuchsrecht solle den innigen Kontakt zwischen Vater und Kind ermöglichen. Die Einräumung eines Ferienbesuchsrechts diene der Intensivierung eines solchen Kontakts. Das Kind sei gerne bei seinem Vater und habe bereits im Juli 1999 einen zweiwöchigen Urlaub mit ihm verbracht. Es bestehen keine Bedenken gegen die Festlegung eines vierwöchigen Sommerurlaubsbesuchsrechts. Dadurch werde das Kind nicht von seiner gewohnten Umgebung "abträglich entwöhnt".

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Mutter die Abänderung dahin, dass der Beschluss des Erstgerichtes wieder hergestellt werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels verweist die Mutter auf die Rechtsprechung, die bei über sechsjährigen Kindern ein Urlaubsbesuchsrecht von zwei Wochen einräumt und steht auf dem Standpunkt, dass die Festsetzung eines vierwöchigen Besuchsrechts von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abweiche. Es kann dahingestellt bleiben, ob die von den Umständen des Einzelfalls abhängige Rechtsfrage tatsächlich eine erhebliche im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG ist (vgl 9 Ob 2024/96d), weil jedenfalls die von der Revisionsrekurswerberin gerügte Nichtigkeit infolge der Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt, was auch aus Anlass eines außerordentlichen Rechtsmittels wahrzunehmen ist.

Nach der Aktenlage wurde der Mutter der Antrag des Vaters und dessen Begründung nicht zugestellt. Auch aus dem Bericht des Jugendamts geht nicht hervor, dass die Mutter dort darüber in Kenntnis gesetzt worden wäre. Durch die Gewährung des rechtlichen Gehörs soll den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit gegeben werden, für sie vorteilhafte Tatsachen und Beweismittel vorzubringen (EFSlg 82.618). Der im Art 6 Abs 1 EMRK verankerte Grundsatz des rechtlichen Gehörs gilt auch im außerstreitigen Verfahren (SZ 69/20). Seine Verletzung bewirkt immer dann eine Nichtigkeit, wenn der Partei die Möglichkeit zu einer Stellungnahme genommen wurde (EFSlg 85.571 uva), nicht aber dann, wenn die Partei noch mit Rekurs wegen der Neuerungserlaubnis nach § 10 AußStrG Tatsachen und Beweismittel vorbringen hätte können (EFSlg 85.575). Diese Möglichkeit stand der Mutter hier jedenfalls dann nicht offen, wenn sie gegen den erstinstanzlichen Beschluss kein Rechtsmittel ergreifen wollte. Die vorbeugende Erhebung eines Rekurses zur Geltendmachung der Verletzung des Gehörs ohne gleichzeitige Bekämpfung der Entscheidung in merito hätte zu einer Zurückweisung des Rekurses wegen Fehlens eines Rechtsschutzinteresses führen müssen. Die Mutter ist erst durch die Rekursentscheidung beschwert. Bis dahin hatte sie keine Gelegenheit, zum weitergehenden Antrag des Vaters Stellung zu nehmen. Die gerügte Nichtigkeit der Entscheidungen der Vorinstanzen liegt vor.

Das Tatsachenvorbringen im Revisionsrekurs wird im zweiten Rechtsgang zu berücksichtigen sein.

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