Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Punkt 2.) der rekursgerichtlichen Entscheidung und der erstinstanzliche Beschluss ON 94 werden ersatzlos aufgehoben.
Text
Begründung
Die Minderjährige lebt seit ihrer Geburt im Haushalt der mütterlichen Großmutter; dieser kommt seit 11. Oktober 1990 auch die Obsorge zu. Der uneheliche Vater, der am 17. September 1993 in die Türkei abgeschoben wurde, ist auf Grund des erstinstanzlichen Beschlusses vom 8. September 1995 zur einer monatlichen Unterhaltsleistung von 1.600 S verpflichtet. Das Erstgericht bewilligte der Minderjährigen zuletzt mit Beschluss vom 30. März 1998 - an die mütterliche Großmutter auszuzahlende - Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für die Zeit vom 1. Mai 1998 bis 30. April 2001. Die mütterliche Großmutter bezieht seit 1. Juni 1999 "Verwandtenpflegegeld" nach § 27 Abs 6 Wiener JugendwohlfahrtsG 1990 (Wr JWG).
Das Erstgericht stellte mit Beschluss ON 94 von Amts wegen, erkennbar aus dem Grund des § 2 Abs 2 Z 2 UVG die der Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse ein, behob jedoch mit Beschluss ON 96, dem Rekurs der Minderjährigen folgend, selbst seinen Beschluss ON 94 ersatzlos. Über Rekurs des Bundes behob das Rekursgericht den Beschluss ON 96 ersatzlos (Punkt 1. seiner Entscheidung) und bestätigte, im Wesentlichen den Erwägungen der Entscheidung 7 Ob 5/99g (= ÖA 1999, 171) folgend, den Beschluss ON 94 (Punkt 2. seiner Entscheidung).
Rechtliche Beurteilung
Der von der zweiten Instanz zugelassene Revisionsrekurs der durch ihren Unterhaltssachwalter vertretenen Minderjährigen ist iSd § 14 Abs 1 AußStrG zulässig und auch berechtigt.
Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Diese Einschränkung soll nach den Materialien (JAB, 199 BlgNR XIV. GP, 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder der Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt werden, also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird" (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG in RpfSlgA 1999/2, 81 [83]). Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit der Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach dieser Bestimmung ist jedenfalls, dass die Unterbringung "auf Grund einer Maßnahme" der Jugendwohlfahrtspflege (oder Sozialhilfe), somit einer entsprechende Anordnung mit Kostenfolgen erfolgt (Neumayr aaO). So genügt es nach der Rspr nicht, dass bloß die Obsorge über ein Pflegekind nach § 186a ABGB auf Pflegeeltern übertragen, eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden (ÖA 1991, 22), sofern nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (so etwa § 14 Tir JWG LGBl 1991/18); (nur) in einem solchen Fall vermag dann konsequenter Weise auch die Unterlassung eines Antrags auf auf Gewährung von Pflegegeld den Unterhaltsvorschussanspruch nicht aufrecht zu erhalten (ÖA 1996, 127/UV 1991).
Wird jedoch die Obsorge der Mutter entzogen und - wie hier - auf die mütterliche Großmutter übertragen, dann liegt keine "Maßnahme der vollen Erziehung" nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht vor. Denn der Obsorgeübertragung liegen ausschließlich dem Wohl der Minderjährigen (§ 178a ABGB) entsprechende familienbezogene Erwägungen zu Grunde. Die Übernahme (eigentlich: der Verbleib) der Minderjährigen im Wohnungsverband ihrer mütterlichen Großmutter und deren rechtliche Gestaltung als Fall einer Obsorgeübertragung von der Mutter auf die mütterliche Großmutter war daher gerade keine "Maßnahme der vollen Erziehung", sollte doch eine solche durch die Belassung des Kindes innerhalb der Familie (im weiteren Sinn) geradezu vermieden werden. Die Minderjährige wurde somit nicht auf Grund einer Maßnahme der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht (§ 2 Abs 2 Z 2 UVG) untergebracht.
Entgegen der zu AZ 7 Ob 5/99g vertretenen Auffassung liegt hier auch keine bescheidmässige und damit der Rechtskraft fähige, einen Rechtsanspruch des Empfängers erledigende Pflegegeldzuerkennung vor. Während nämlich nach § 27 Abs 1 Wr JWG "Pflegeeltern" (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung - eine solche liegt nicht vor - auf Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten Pflegegeld gebührt, diesen also ausdrücklich ein Rechtsanspruch zuerkannt wird (so auch die Materialien zum Wr JWG, § 27, S 57), statuiert § 27 Abs 6 Wr JWG, dass (sonstigen) Personen, die mit den von ihnen betreuten Kindern bis zum dritten Grad verwandt oder verschwägert sind - unter welchen Personenkreis die Großmutter eines Kindes fällt - vom Magistrat unter Berücksichtigung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Pflegegeld bis zur Höhe des - auf Grund des § 27 Abs 5 Wr JWG durch Verordnung der Wiener Landesregierung festzusetzenden - Richtsatzes gewährt werden kann, somit kein Rechtsanspruch besteht (Materialien zum Wr JWG zu § 27 Abs 6). Diese rechtliche Ausgestaltung als nicht bescheidmäßiger Gewährungsakt der Privatwirtschaftsverwaltung entspricht im übrigen auch der Rspr des Obersten Gerichtshofs zum BundespflegegeldG BGBl 1993/110, wonach die Zuerkennung von Pflegegeldern in der Zeit bis zum 30. Juni 1995 (BGBl 1995/131) über die Stufe 2 hinaus mittels bloßer Mitteilungen (der gewährenden Pflegegeldträger) ebenfalls ohne Bescheidcharakter erfolgte; derartige, über der Stufe 2 liegende Pflegegelder wurden daher vom zuständigen Sozialversicherungsträger bloß als Träger von Privatrechten im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt (SSV-NF 10/110 uva). Daraus folgt, dass den von den Ländern nach ihren jeweiligen Jugendwohlfahrtsgesetzen bloß auf Grund von "Kannbestimmungen" und damit ohne Rechtsanspruch gewährten Pflegegeldern kein bescheidmäßiger Zuweisungsakt zugrundeliegt. Im übrigen ist Leistungsempfänger nach § 2 Abs 1 UVG das Kind, nach § 27 Wr JWG jedoch die Pflegeperson.
Ob eine Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG erfolgen könnte, wenn auch eine rechtliche Verpflichtung des jeweiligen Landes zur Gewährung solcher Pflegegelder (wie etwa in Niederösterreich und in Tirol; siehe hiezu RZ 1997/28 und RZ 1994/10 = EFSlg 69.396) bestünde, muß hier nicht untersucht werden. Bloß freiwillig gewährte Zuschüsse welcher Art immer treffen den Jugendwohlfahrtsträger jedenfalls nur wirtschaftlich, aber eben nicht "nach der Rechtslage". Dass dies - je nach dem anzuwendenden Landesrecht - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, ist eine von den jeweiligen Landesgesetzgebern rechtspolitisch gewollte normative Ausgestaltung, deren Änderung der Gesetzgebung und nicht den ordentlichen Gerichten im Rahmen ihrer Rspr obliegt (vgl 1 Ob 78/99y; 7 Ob 224/99p). Die Gewährung eines sogenannten Verwandtenpflegegeldzuschusses nach § 27 Abs 6 Wr JWG an die mütterliche Großmutter stellt demnach keinen Einstellungsgrund für die dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dar. Die in der Entscheidung 7 Ob 5/99g vertretene gegenteilige Auffassung kann daher nicht aufrecht erhalten werden (7 Ob 224/99p mwN und viele andere Folgeentscheidungen, auch anderer Senate).
Dem Revisionsrekurses ist demnach Folge zu geben und sind Punkt 2.) der Rekursentscheidung sowie der erstinstanzliche Beschluss ON 94 ersatzlos zu beheben.
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