OGH 1Ob258/99v

OGH1Ob258/99v21.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Dr. Prückner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Daniela S*****, geboren am *****, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch den Unterhaltssachwalter Magistrat der Stadt Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. Juni 1999, GZ 43 R 547/99f-81, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 17. Mai 1999, GZ 23 P 228/96d-72, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung

Die Minderjährige lebt seit November 1998 im Haushalt der Schwester ihrer Mutter. Das Erstgericht bewilligte der Minderjährigen zuletzt mit Beschluss vom 1. September 1998 (ON 53) einen - in der Folge an die Tante ausgezahlten - Unterhaltsvorschuss gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe von S 2.150,-- für die Zeit vom 1. Juli 1998 bis 30. Juni 2001. Die Tante bezieht seit 1. April 1999 Verwandtenpflegegeld nach § 27 Abs 6 Wiener JugendwohlfahrtsG 1990 (Wr JWG) in der Höhe von S 2.400,--.

Das Erstgericht stellte deshalb mit Beschluss vom 17. Mai 1999 (ON 72) von Amts wegen die der Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des Monats März 1999 ein.

Das Rekursgericht bestätigte, den Erwägungen der Entscheidung EFSlg

69.396 folgend, diesen Beschluss und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der durch ihren Unterhaltssachwalter vertretenen Minderjährigen ist iSd § 14 AußStrG zulässig und berechtigt.

a) Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Diese Einschränkung soll nach den Materialien (JAB, 199 BlgNR XIV. GP, 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder der Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt werden (RV, 172 BlgNR XVII. GP, 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird" (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG in RpffSlgA 1999/2, 81 [83]). Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit der Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach dieser Bestimmung ist jedenfalls, dass die Unterbringung "auf Grund einer Maßnahme" der Jugendwohlfahrtspflege (oder Sozialhilfe), somit einer entsprechende Anordnung mit Kostenfolgen erfolgt (Neumayr aaO). So genügt es nach der Rechtsprechung nicht, dass bloß die Obsorge über ein Pflegekind nach § 186a ABGB auf Pflegeeltern übertragen, eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden (ÖA 1991, 22), sofern nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (so etwa § 14 Tir JWG LGBl 1991/18); (nur) in einem solchen Fall vermag dann konsequenterweise auch die Unterlassung eines Antrags auf Gewährung von Pflegegeld den Unterhaltsvorschussanspruch nicht aufrecht zu erhalten (ÖA 1996, 127/UV 1991).

Wird jedoch die Obsorge - wie hier - faktische von der Tante der Minderjährigen ausgeübt, dann liegt keine "Maßnahme der vollen Erziehung" nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht vor. Einerseits ging die Initiative zu diesem Schritt nicht von der Jugendwohlfahrtsbehörde aus und wurde auch dem Pflegschaftsgericht lediglich zur Kenntnis gebracht, andererseits liegen der Vereinbarung zwischen Mutter und Tante über die vorläufige Übernahme der Obsorge ersichtlich ausschließlich dem Wohl des Minderjährigen (§ 178a ABGB) entsprechende familienbezogene Erwägungen zu Grunde (ON 64). Die Übernahme der Minderjährigen in den Wohnungsverband ihrer Tante war daher gerade keine "Maßnahme der vollen Erziehung", sollte doch eine solche durch die Belassung des Kindes innerhalb der Familie (im weiteren Sinn) geradezu vermieden werden. Die Minderjährige wurde somit nicht auf Grund einer Maßnahme der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht (§ 2 Abs 2 Z 2 UVG) untergebracht.

b) Entgegen der zu 7 Ob 5/99g vertretenen Auffassung liegt hier auch keine bescheidmässige und damit der Rechtskraft fähige, einen Rechtsanspruch des Empfängers erledigende Pflegegeldzuerkennung vor. Während nämlich nach § 27 Abs 1 Wr JWG "Pflegeeltern" (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung - eine solche liegt nicht vor - auf Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten Pflegegeld gebührt, diesen also ausdrücklich ein Rechtsanspruch zuerkannt wird (so auch die Materialien zum Wr JWG, § 27, S 57), statuiert § 27 Abs 6 Wr JWG, dass (sonstigen) Personen, die mit den von ihnen betreuten Kindern bis zum dritten Grad verwandt oder verschwägert sind - unter welchen Personenkreis auch die Schwester der Mutter des Kindes fällt - vom Magistrat unter Berücksichtigung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Pflegegeld bis zur Höhe des - auf Grund des § 27 Abs 5 Wr JWG durch Verordnung der Wiener Landesregierung festzusetzenden - Richtsatzes gewährt werden kann, somit kein Rechtsanspruch besteht (Materialien zum Wr JWG zu § 27 Abs 6). Diese rechtliche Ausgestaltung als nicht bescheidmäßiger Gewährungsakt der Privatwirtschaftsverwaltung entspricht übrigens auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum BundespflegegeldG BGBl 1993/110, wonach die Zuerkennung von Pflegegeldern in der Zeit bis zum 30. Juni 1995 (BGBl 1995/131) über die Stufe 2 hinaus mittels bloßer Mitteilungen (der gewährenden Pflegegeldträger) ebenfalls ohne Bescheidcharakter erfolgte; derartige, über der Stufe 2 liegende Pflegegelder wurden daher vom zuständigen Sozialversicherungsträger bloß als Träger von Privatrechten im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt (SSV-NF 10/110 uva).

Daraus folgt, dass den von den Ländern nach ihren jeweiligen Jugendwohlfahrtsgesetzen bloß auf Grund von "Kannbestimmungen" und damit ohne Rechtsanspruch gewährten Pflegegeldern kein bescheidmäßiger Zuweisungsakt zugrundeliegt.

Die vom Rekursgericht zur Begründung herangezogene Entscheidung des erkennenden Senats EFSlg 69.396 ist nicht vergleichbar, weil der dort anzuwendende § 28 Abs 3 NÖ JWG eine rechtliche Verpflichtung des Landes zur Gewährung solcher Pflegegelder normiert und zudem hier die geforderte weitere Voraussetzung der gerichtlichen Übertragung des Erziehungsrechts an die Pflegeperson fehlt. Ob diese Rechtsprechung aufrecht erhalten werden kann, muss daher nicht weiter geprüft werden. Bloß freiwillig gewährte Zuschüsse welcher Art immer treffen den Jugendwohlfahrtsträger jedenfalls nur wirtschaftlich, aber eben nicht "nach der Rechtslage". Dass diese - je nach dem anzuwendenden Landesrecht - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, ist eine von den jeweiligen Landesgesetzgebern rechtspolitisch gewollte normative Ausgestaltung, deren Änderung der Gesetzgebung und nicht den ordentlichen Gerichten im Rahmen ihrer Rechtsprechung obliegt (vgl 7 Ob 224/99p). Die Gewährung eines Verwandtenpflegegeldzuschusses nach § 27 Abs 6 Wr JWG an die die Minderjährige faktisch pflegende Tante stellt demnach keinen Einstellungsgrund für die dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dar. Die in der Entscheidung 7 Ob 5/99g vertretene gegenteilige Auffassung kann nicht aufrecht erhalten werden (vgl dazu auch 7 Ob 224/99p; 1 Ob 243/99p; 8 Ob 299/99z mwN ua).

In Stattgebung des Revisionsrekurses sind demnach die Entscheidungen der Vorinstanzen ersatzlos zu beheben.

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