OGH 9ObA218/99w

OGH9ObA218/99w15.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Senatsrat Dr. Kurt Scherzer und Erwin Macho als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Pharmazeutischer Reichsverband für Österreich, Organisation der angestellten Apotheker Österreichs, 1090 Wien, Spitalgasse 31, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte, in Wien, gegen den Antragsgegner Österreichischer Apothekerverband, Interessenverband der selbständigen Apotheker, 1091 Wien, Spitalgasse 31, vertreten durch DDr. Elisabeth Steiner und Dr. Daniela Witt-Dörring, Rechtsanwälte OEG in Wien, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Antrag auf Feststellung, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Es wird festgestellt, dass Art VI Abs 3 lit a des Kollektivvertrages für pharmazeutische Fachkräfte in öffentlichen Apotheken und Anstaltsapotheken Österreichs, soweit darin der Grundstundenlohn für Überstunden mit "1/160 der für pharmazeutische Fachkräfte im Volldienst zu entrichtende Gehaltskassenumlage" bzw.- idF der ab 1. 1. 1999 geltenden Gehaltstabelle - mit einem Fixbetrag normiert wird, rechtsungültig und daher wirkungslos ist.

Text

Begründung

Die Entlohnung der angestellten Apotheker erfolgt nach dem Gehaltskassengesetz 1959, BGBl 254/1959. Die nach diesem Gesetz ausgezahlten Bezüge decken jedoch Mehrdienstleistungen (insbes. Überstunden) oder sonstige kollektivvertraglich vereinbarte Bezugsanteile nicht ab. Gemäß § 14 Abs 1 Gehaltskassengesetz sind derartige Entgelte vom Dienstgeber selbst zu entrichten. Aus diesem Grund enthält der Kollektivvertrag der pharmazeutischen Fachkräfte in öffentlichen Apotheken und Anstaltsapotheken Österreichs (in der Folge: Kollektivvertrag) in seinem Art VI Bestimmungen über die Abgeltung von Mehrdienstleistungen. Nach Art VI Abs 3 lit a beträgt der "Grundstundenlohn für Mehrdienstleistungen ... 1/160 der für pharmazeutische Fachkräfte im Volldienst zu entrichtenden Gehaltskassenumlage". Diese Bestimmung bewirkt, dass jeder angestellte Apotheker für Mehrdienstleistungen - ungeachtet seines tatsächlich bezogenen Gehaltes - 1/160 der Gehaltskassenumlage (derzeit S 39.027,-) als Grundstundenlohn für Mehrdienste zuzüglich eines Zuschlages erhält. Bis 31. 12. 1998 betrug der Grundstundenlohn für Mehrdienste S 244,-; mit 1. Jänner 1999 wurde im Zuge einer Änderung der Gehaltstabelle "eine 5%ige Erhöhung der gem. Art VI Abs 3 lit a der Gehaltskassenumlage betragenden Grundstunde" vereinbart, die seither mit S 256 (für angestellte Apotheker) bzw. mit S 198 (für Dispensanten im Volldienst), zuzüglich eines Zuschlages, entlohnt wird.

Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass die in Art VI Abs 3 lit a des Kollektivvertrages für die Berechnung des Grundstundenlohnes für Mehrdienstleistungen der Apotheker vorgenommene Bezugnahme auf die für pharmazeutische Fachkräfte im Volldienst zu entrichtende Gehaltskassenumlage wegen Verstoßes gegen die zwingende Bestimmung des § 10 Abs 3 Arbeitszeitgesetz (AZG) nichtig sei. § 19a AZG ermächtige zwar die Kollektivvertragsparteien, im Kollektivvertrag abweichend von den §§ 2, 3, 5 Abs 1, 7 und 12 AZG besondere Regelungen über das Ausmaß der Wochenarbeitsleistung, über die Verlängerung der Arbeitszeit bei Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfs, über die Bewertung von Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit, über Ruhezeiten sowie über die Art und Höhe der Abgeltung dieser Zeiten zu treffen. Keine Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien bestehe jedoch hinsichtlich § 10 AZG. Diese Bestimmung normiere in ihrem Abs 3, dass der Berechnung des Zuschlages der auf die einzelne Arbeitsstunde entfallende Normallohn zugrunde zu legen sei. Zwar könne nach § 10 Abs 3 letzter Satz AZG durch Kollektivvertrag eine andere Berechnungsart vereinbart werden; dies ermächtige die Parteien des Kollektivvertrages aber nicht, den gesetzlichen Anspruch auf Überstundenvergütung - etwa im Wege einer abweichenden Regelung der Bemessungsgrundlage - einzuschränken. Eine derartige Einschränkung liege jedoch hier vor, weil eine große Anzahl von pharmazeutischen Fachkräften - jedenfalls mehr als drei - einen Normallohn beziehe, der über die Gehaltskassenumlage hinausgehe. Durch die beschriebene Berechnungsart seien diese Dienstnehmer Einbussen bei der Entlohnung ihrer Mehrdienste ausgesetzt.

Der Antragsgegner beantragte, das Feststellungsbegehren abzuweisen. Nach der zuletzt getroffenen Vereinbarungen der Kollektivvertragsparteien betrage der Grundstundenlohn seit 1. Jänner in Relation zur Gehaltskassenumlage in der Höhe von S 39.027,-- für vertretungsberechtigte Apotheker 1/152 der Gehaltskassenumlage, für Dispensanten 1/137 der Gehaltskassenumlage. Durch diese Vereinbarung sei dem Art VI Abs 3 des Kollektivvertrages derogiert worden, sodass sich der Antrag richtigerweise nicht gegen diese Bestimmung, sondern gegen die Gehaltstabelle richten müsste. Der somit maßgebende Überstundenteiler von 1/152 bzw 1/137 stelle eine Bevorzugung der Arbeitnehmer gegenüber der gesetzlichen Regelung dar, weil ausgehend von der nach dem Kollektivvertrag 40 Stunden betragenden Normalarbeitszeit ein Teiler von 1/173 heranzuziehen wäre. Ausgehend vom seit 1. Jänner geltenden Stundenentgelt von S 256,- würde sich auf der Grundlage des gesetzlich vorgesehenen Überstundenteilers von 1/173 eine Ausgangsbasis von S 44.288 errechnen; also ein Betrag, der um rund 7,5 % höher liege, als die Gehaltskassenumlage. Für Dispensaten ergebe sich sogar eine Differenz von 26,3 %. Dadurch sei die Bezugnahme auf die Gehaltskassenumlage entschärft; vielmehr sei die derzeitige Regelung für die Arbeitnehmer sogar günstiger als die gesetzliche Regelung. Da somit die vom Antragsteller angestrebte Nichtigerklärung der Bezugnahme auf die Gehaltskassenumlage mit dem Überstundenteiler eine untrennbare Einheit bilde, könne im übrigen - wenn überhaupt - nur die Nichtigkeit der gesamten Regelung festgestellt werden. Jedenfalls sei davon auszugehen, dass die Zahlungen der Apotheken für Überstunden in Summe gesehen dem Betrag entsprechen, der bei Wegfall der Bezugnahme auf die Gehaltskassenumlage zu zahlen wäre. Eine Benachteiligung ergäbe sich nur für solche Arbeitnehmer, die ein die Gehaltskassenumlage übersteigendes Gehalt verdienten; viele Arbeitnehmer profitierten hingegen von der derzeit bestehenden Regelung. Bezogen auf die gesamte Laufbahn eines Arbeitnehmers stelle die bestehende Regelung in jedem Fall eine Besserstellung dar. Diese Regelung sei daher nach dem Günstigkeitsprinzip zulässig. Im übrigen hätten es die Kollektivvertragspartner im Hinblick auf die ihnen in § 19a AZG erteilte Regelungsermächtigung in der Hand, die Normalarbeitszeit derart auszudehnen, dass keine Überstunden entstehen könnten. Da sie auf diese Weise die Überstundenentlohnung beeinflussen könnten, sei auch die in Rede stehende Vereinbarung zulässig.

Der Antragsteller hielt diesem Vorbringen in einer ergänzenden Stellungnahme entgegen, dass der tatsächliche Normallohn der rund

2.700 angestellten Apotheker wesentlich über der Gehaltskassenumlage, aber auch wesentlich über der vom Antragsgegner angeführten rechnerischen Ausgangsposition von S 44.288,- liege. Von der bekämpften Regelung sei daher die Mehrzahl der angestellten Apotheker Österreichs (jedenfalls mehr als 3) betroffen. Da die Normallöhne in Wahrheit um vieles höher seien, als die kollektivvertraglichen Mindestbezüge, seien in Wahrheit beinahe alle angestellten Apotheker bei der Überstundenentlohnung schlechter gestellt, als im AZG vorgesehen. Im übrigen stehe ein günstigerer als der gesetzliche Überstundenteiler als Ergebnis kollektivvertraglicher Verhandlungen keineswegs in untrennbarem Zusammenhang mit der Bezugnahme auf die Gehaltskassenumlage. Es sei notorisch, dass verschiedene Kollektivverträge alle möglichen (unter 1/173stel liegenden) Überstundenteiler vorsehen, wodurch eine vom AZG abweichende, für die Arbeitnehmer günstigere Überstundenentlohnung festgelegt werde.

Der Antragsgegner macht in einer "korrigierten" Stellungnahme neben seinen bisherigen Einwänden überdies geltend, dass der Antrag insofern zu weit sei, als sich Art VI Abs 3 lit a auf Mehrdienstleistungen beziehe, zu denen nicht nur Überstunden, sondern auch Bereitschaftsdienste zu zählen seien (Art VI Abs 1 lit b und c). Für letztere bestehe aber durchaus die Möglichkeit, eine Abgeltung in der getroffenen Form zu vereinbaren. Insofern könne von einer Nichtigkeit der in Rede stehenden Bestimmung nicht die Rede sein. Im übrigen räumt nunmehr auch die Antragsgegnerin ein, dass ein angestellter Pharmazeut zwar zu Beginn seiner Laufbahn mehr und dann gleich viel, in weiterer Folge aber weniger an Überstundenentlohnung enthalte, als dies nach dem AZG der Fall wäre. Auf die volle Zeit der Beschäftigung umgelegt, ergebe sich jedoch - annähernd gleiche Überstundenleistung über die Jahre vorausgesetzt - dass dem Arbeitnehmer ein dem AZG entsprechender Betrag gezahlt werde. Der Antragsgegner sei sich allerdings bewusst, dass ein derartig langer "Durchrechnungszeitraum" dem AZG fremd sei.

Der Feststellungsantrag ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Unstrittig ist, dass das AZG auf die vom hier zu beurteilenden Kollektivvertrag erfassten Arbeitsverhältnisse anzuwenden ist. § 19a AZG eröffnet zwar die Möglichkeit, für Arbeitnehmer, die als angestellte Apothekenleiter oder als pharmazeutische Fachkräfte in öffentlichen Apotheken und Anstaltsapotheken beschäftigt sind, durch Kollektivvertrag abweichend von den §§ 2, 3, 5 Abs 1, 7 und 12 besondere Regelungen über das Ausmaß der Wochenarbeitsleistung, über die Verlängerung der Arbeitszeit bei Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfes, über die Bewertung von Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit, über Ruhezeiten sowie über die Art und Höhe der Abgeltung dieser Zeiten zu treffen. Die hier maßgebende Bestimmung des § 10 AZG über die Überstundenvergütung ist aber von dieser erweiterten Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien nicht erfasst. Der Einwand des Antragsgegners, dass die Kollektivvertragsparteien die Höhe der Überstundenentlohnung auf andere Weise beeinflussen könnten, nämlich im Wege der ihnen nach § 19a AZG offenstehenden Möglichkeit, die Normalarbeitszeit so auszudehnen, dass keine Überstunden entstehen könnten, ändert daran nichts.

§ 10 AZG, der von der Rechtsprechung als unabdingbare Mindestnorm betrachtet wird (Arb 10.451; Arb 11.173), normiert in seinem Abs 3, dass der Berechnung des Zuschlages der auf die einzelne Arbeitsstunde entfallende Normallohn zugrunde zu legen ist. Zwar kann nach § 10 Abs 3 dritter Satz AZG durch Kollektivvertrag eine vom Gesetz abweichende "Berechnungsart" der Überstundenvergütung vereinbart werden, nicht aber der Vergütungsanspruch als solcher ausgeschlossen oder etwa im Wege einer abweichenden Regelung der Bemessungsgrundlage eingeschränkt werden (Arb 10.451; Arb 11.173). Nur für den Fall, dass im Kollektivvertrag über § 10 AZG hinaus Ansprüche festgelegt werden, ist es in diesem Umfang zulässig, eine von § 10 Abs 3 AZG abweichende Bemessungsrundlage für die Ermittlung der Überstundenentlohnung zu normieren, aber auch dann nur insofern, als dadurch der gesetzliche Mindestanspruch nicht unterschritten wird (Arb 11.173).

Im hier zu beurteilenden Fall ist aber nicht strittig, dass die Regelung des Art 6 Abs 1 des Kollektivvertrags, die entgegen § 10 Abs 3 AZG für die Berechnung des Überstundenentgeltes nicht auf den Normallohn, sondern auf einen Durchschnittswert abstellt, auch unter Berücksichtigung der mit 1. 1. 1999 erfolgten Änderung der Gehaltstabelle für einen keineswegs zu vernachlässigenden Teil der in Betracht kommenden Arbeitnehmer zu einer Unterschreitung des gesetzlichen Mindeststandards führt.

Dass ein anderer Teil der Arbeitnehmer - nämlich jene, die weniger verdienen als den angewendeten Durchschnittswert - durch die in Rede stehende Regelung bessergestellt sind als nach der gesetzlichen Regelung, vermag die Schlechterstellung jener Arbeitnehmer, für die dies nicht gilt, nicht zu rechtfertigen. Daran kann auch der Einwand des Antragsgegners nichts ändern, dass dem Arbeitnehmer über die volle Zeit der Beschäftigung vom ersten Eintritt in ein Arbeitsverhältnis zu einer Apotheke bis zur Pensionierung insgesamt an Überstundenentlohnung ein dem Arbeitszeitgesetz entsprechender Betrag ausgezahlt wird. Abgesehen davon, dass - wie der Antragsgegner selbst erkennt - ein derart langer "Durchrechnungszeitraum" dem Arbeitszeitgesetz fremd ist - kann dieser Einwand nämlich (wenn überhaupt) nur dann zutreffen, wenn die Überstundenleistung über die Jahre hinweg annähernd gleich bleibt. Das kann aber keineswegs unterstellt werden. Hat hingegen ein Arbeitnehmer in jüngeren Jahren (bei geringerem Normallohn) weniger oder keine Überstunden geleistet und daher nur wenig von der in diesen Jahren gegebenen Besserstellung profitiert, wird die Schlechterstellung, die sich daraus ergibt, dass er im fortgeschrittenen Alter wegen seines nun höheren Normallohnes durch die in Rede stehende Regelung benachteiligt wird, nicht wettgemacht. Die kollektivvertragliche Regelung der Überstundenentlohnung muss aber auch dem zuletzt beschriebenen Fall gerecht werden und daher auch für diesen Fall eine Verschlechterung gegenüber den günstigeren Ansprüchen nach § 10 AZG ausschließen. Da dies nicht der Fall ist, ist sie daher insoweit als mit zwingendem Gesetzesrecht in Widerspruch stehend nicht rechtsgültig und daher wirkungslos (Arb 10.809 uva).

Richtig ist aber der Einwand des Antragsgegners, dass sich Art VI Abs 3 lit a des Kollektivvertrages nicht nur auf Überstunden, sondern generell auf "Mehrdienstleistungen" iS des Kollektivvertrages bezieht. Die Vergütung für Bereitschaftsdienste ist aber nicht Gegenstand des Antrages, der sich ausschließlich mit der Überstundenentlohnung befasst, zur Vergütung für Bereitschaftsdienste aber keinerlei Vorbringen enthält. Dem war bei der Formulierung des Spruchs durch dessen Beschränkung auf die Überstundenentlohnung Rechnung zu tragen.

Im übrigen war zu beachten, dass Art VI Abs 3 lit a des Kollektivvertrages, soweit er sich auf Überstunden bezieht, eine Einheit bildet und daher insgesamt - also unabhängig davon, ob er im Einzelfall eine Benachteiligung bewirkt - ungültig ist. Gleiches gilt für den darin festgelegten Teiler (1/160) bzw. für den seit Jänner 1999 in der Gehaltstabelle normierten Fixbetrag, die ebenfalls Bestandteil der ungültigen Gesamtregelung sind und allein keine Wirksamkeit entfalten können. Dass es - wie die Antragstellerin meint - den Kollektivvertragspartnern freistehe, einen für die Arbeitnehmer günstigen Überstundenteiler zu vereinbaren, ist richtig; dass sie den hier in Rede stehenden Teiler auch im Bewusstsein der Ungültigkeit der verbleibenden Regelung vereinbart hätten, kann ihnen aber nicht unterstellt werden. Auch dieser Überlegung war daher bei der Formulierung des Spruchs Rechnung zu tragen.

Mit dieser Maßgabe war dem Antrag stattzugeben.

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