OGH 8ObA191/98s

OGH8ObA191/98s25.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Sekretär Josef Redl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat *****, vertreten durch Dr. Georg Grießer und Dr. Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 30.000,--), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 18. Februar 1998, GZ 7 Ra 372/97w-38, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 12. September 1997, GZ 28 Cga 174/96d-32, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt, daß das Urteil erster Instanz mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, daß es zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, es werde festgestellt:

1.) die beklagte Partei sei schuldig, ihren Arbeitnehmerinnen in der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter am Tag vor Feiertagen zwei Stunden entgeltliche Freizeit vor dem Ende der eigentlichen Normalarbeitszeit zu gewähren; und

2.) die beklagte Partei sei weiters verpflichtet, diese entgeltliche Freizeit auch ihren männlichen Arbeitnehmern im Bereiche der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter zu gewähren

wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 18.963,84 bestimmten Prozeßkosten (darin S 3.160,64 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.762,24 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 1.127,04 USt) und

die mit S 6.038,88 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin S 676,48 USt und S 1.980,-- Barauslagen) jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der klagende Betriebsrat begehrte die Feststellung, die beklagte Partei sei verpflichtet, ihren Dienstnehmerinnen sowie auch ihren (männlichen) Arbeitnehmern am Tage vor Feiertagen zwei Stunden entgeltliche Freizeit vor dem Ende der Normalarbeitszeit zu gewähren. Sie brachte hiezu vor, daß diese Vergünstigung jahrelang vorbehaltslos allen Dienstnehmerinnen ohne Widerrufsvorbehalt gewährt worden sei, seit 30. 4. 1996 werde sie den betroffenen Dienstnehmerinnen nicht mehr gewährt. Die (männlichen) Arbeitnehmer seien davor in unsachlicher Weise aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert worden, sodaß diese Vergünstigung auch den männlichen Arbeitnehmern zu gewähren sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Es sei keine vorbehaltslose Gewährung der Dienstfreistellung erfolgt und demnach auch kein Rechtsanspruch entstanden. Weiters sei eine noch weitergehende Begünstigung gewährt worden, weil von insgesamt 7 zwischen einen Feiertag und das Wochenende fallenden Freitagen 4 Tage wahlweise arbeitsfrei genommen werden könnten, sodaß diese Regelung anstelle der Freizeitgewährung von zwei Stunden am Tag vor dem Feiertag getreten sei, die die Doppelbelastung der Arbeitnehmerinnen als Hausfrauen vermindern sollte. Daher sei auch keine Diskriminierung der (männlichen) Arbeitnehmer gegeben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dabei ging es von folgenden Feststellungen aus:

Seit 1967 gewährte die beklagte Partei ihren Arbeitnehmerinnen an jedem vor einem Feiertag gelegenen Arbeitstag eine um zwei bzw früher eine um eineinhalb Stunden verkürzte Arbeitszeit. Einige Zeit hindurch galt diese Regelung auch für alleinstehende (männliche) Arbeitnehmer. Der Betriebsrat hat jedesmal vor einem Feiertag an das zuständige Organ der beklagten Partei ein ausdrückliches Ersuchen gestellt, über das sodann entschieden wurde. Der Grund dieser Freizeitgewährung war, daß Arbeitnehmerinnen aufgrund ihrer Doppelbelastung in Beruf und Haushalt die Möglichkeit erhalten sollten, Einkäufe für den Feiertag ohne Zeitdruck vorzunehmen. An solchen Tagen vor dem Feiertag wurden die Betroffenen vom Sekretariat angerufen, und ihnen mitgeteilt, daß sie früher gehen dürften. Die Arbeitnehmerinnen gingen nur dann früher, wenn sie angerufen worden waren. Es kam nie vor, daß sie ohne Anruf früher gingen. Der Anruf bezog sich immer nur auf den (einzelnen) bevorstehenden Feiertag.

Diese Regelung wurde nur in der Abteilung (des klagenden Betriebsrates) gehandhabt; die in anderen Fachgewerkschaften tätigen Arbeitnehmer sollten hievon nichts erfahren. Mit Rundschreiben Nr 3 vom 4.4.1995 wurde den Arbeitnehmern eine Vereinbarung zwischen der Unternehmensleitung und dem Zentralbetriebsrat bekanntgemacht, welche für die Jahre 1995 und 1996 die Begünstigung, von 7 zwischen einem Feiertag und dem Wochenende fallenden Freitagen 4 Tage wahlweise arbeitsfrei zu nehmen, enthielt. Ab 30.4.1996 wurde die Arbeitszeitverkürzung (2 Stunden) nicht mehr gewährt.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, aus der seinerzeitigen Freizeitgewährung seit 1967 sei kein Rechtsanspruch ableitbar, weil nur eine freiwillige, jederzeit widerrufliche Leistung vorgelegen habe, sodaß weder den weiblichen noch den männlichen Arbeitnehmern eine solche zusätzliche Freistellung gebühre.

Das Berufungsgericht gab der aus den Gründen der unvollständigen Tatsachenfeststellungen und unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Berufung der klagenden Partei im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Weiters erklärte es den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig.

Das Entstehen eines zusätzlichen Freizeitanspruches aufgrund einer betrieblichen Übung sei zu bejahen (ZAS 1988/7 und ZAS 1986/26, 209:

zusätzliche Freizeit am Allerseelentag bzw am Reformationstag für Arbeitnehmer evangelischen Bekenntnisses). Ein Widerrufsvorbehalt sei auch bei den jeweils über Antrag gewährten Arbeitszeitverkürzungen nicht erfolgt, sodaß diese betriebliche Übung zum Inhalt der Einzelarbeitsverträge der betroffenen Arbeitnehmerinnen geworden sei.

Die Rechtssache sei aber noch nicht spruchreif, weil die Auswirkungen der Neuregelung der zusätzlichen Freizeitgewährung mit Rundschreiben der beklagten Partei vom 4.4.1995 (Beil./1) auf diese Betriebsübung noch nicht beurteilt werden könnten; es sei nicht klar, ob die Rechte aus der vorausgehenden Betriebsübung befristet (für die Jahre 1995, 1996) oder unbefristet abgelöst werden sollten. Weiters fehlten konkrete Feststellungen zu den Auswirkungen der Betriebsübung auf männliche Arbeitnehmer. Die zusätzliche Freizeit sei zur Abgeltung der Doppelbelastung von Frauen durch Beruf und Haushaltsführung gewährt worden, sodaß ein sachliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber den männlichen Arbeitnehmern zu erwägen wäre. Es fehlten aber noch Feststellungen, ob, wieviele und welche männliche Arbeitnehmer hievon betroffen gewesen seien.

Der Rekurs sei zulässig, weil die eine Betriebsübung auf zusätzliche Freizeitgewährung bejahenden höchstgerichtlichen Entscheidungen schon über ein Jahrzent zurücklägen und aufgrund der geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse und der Öffnungszeiten eine "andere Grundlage zur betrieblichen Übung nicht ausgeschlossen werden könne".

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, ihn abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen.

Der klagende Betriebsrat beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Soweit das Berufungsgericht verschiedene, in der Berufung der klagenden Partei gerügte Umstände als ergänzungsbedürftig erachtete ist dem zu erwidern, daß es sich bei den Punkten 1.1 und 1.3 der Berufung um angebliche Feststellungsmängel handelt; der weitere Punkt

1.2 führt die Beweisrüge nicht gesetzmäßig aus, es fehlt die nähere Angabe, welche Feststellung bekämpft wird und welche Ersatzfeststellung aufgrund welcher Erwägungen getroffenen werden sollte (vgl dazu Kodek in Rechberger ZPO Rz 8 zu § 471); zu Punkt 1.4, es wäre den Arbeitnehmerinnen schon bei ihrem Eintritt eine zusätzliche Freizeitgewährung vor den Feiertagen zugesagt worden, fehlt es an einem entsprechenden Parteivorbringen in erster Instanz, das nicht durch "überschießende" Aussagen eines Zeugen ersetzt werden kann; zu Punkt 1.5 wird die rechtliche Beurteilung unter Berufung auf die Beurteilung des Erklärungsverhaltens des beklagten Arbeitgebers durch einen Zeugen bekämpft, während im Rahmen der Rechtsrüge zutreffend ausgeführt wird, daß es auf die rechtliche Einschätzung dieses Verhaltens durch die Arbeitnehmer nicht ankomme; und letztlich Punkt 1.6 faßt lediglich die vorausgehenden Punkte zusammen und wiederholt, daß ein Widerrufsvorbehalt unterblieben sei und daß das jeweilige Ansuchen um Freizeitgewährung eine bloße Formalität gewesen sei.

Zu Recht wendet sich der Rekurswerber gegen die Auffassung des Berufungsgerichtes, durch die regelmäßig auf Grund der Anfrage erfolgte Freizeitgewährung sei diese als betriebliche Übung zum Inhalt der Einzelarbeitsverträge geworden.

Eine vom Arbeitgeber durch regelmäßige, vorbehaltslose Gewährung bestimmter Leistungen an die Gesamtheit seiner Arbeitnehmer begründete betriebliche Übung kann, soweit sie seinen Willen, sich diesbezüglich für die Zukunft zu verpflichten, unzweideutig zum Ausdruck bringt, durch die - gleichfalls schlüssige (§ 863 ABGB) - Zustimmung der Arbeitnehmer zum Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge werden (DRdA 1981/3 [Spielbüchler] = ZAS 1980/21 [Mayer-Maly]; DRdA 1986/2 [Kerschner]; DRdA 1989/2 [W. Schwarz]; zuletzt 9 ObA 102/99m). Entscheidend ist, was die Arbeitnehmer bei sorgfältiger Würdigung dem Erklärungsverhalten des Arbeitgebers entnehmen konnten (DRdA 1980/16 [Kerschner]; DRdA 1989/2; zuletzt 9 ObA 167/99w). Zieht man in Betracht, dass der Betriebsrat jeweils ausdrücklich um die Gewährung der Freizeit ersuchte und dass die Arbeitnehmerinnen die jeweils nur für den betreffenden Tag erteilte telefonische Genehmigung des Arbeitgebers abwarteten, bevor sie früher gingen, dann sprach diese Vorgangsweise des Arbeitgebers deutlicher gegen seinen Willen, sich für die Zukunft zu verpflichten, als selbst ein ausdrücklicher Widerrufsvorbehalt in einer immer wieder verwendeten formularmäßigen Zustimmungserklärung. Andererseits setzten auch die Arbeitnehmerinnen, die jeweils die Zustimmung des Arbeitgebers abwarteten, obwohl die Inanspruchnahme der zusätzlichen Freizeit als Recht - anders als etwa im Falle der Gewährung zusätzlichen Entgeltes oder Urlaubs - nicht der Mitwirkung des Arbeitgebers bedurft hätte, kein Erklärungsverhalten, aus dem der Arbeitgeber auf ihren Willen schließen mußte, die zusätzliche Freizeit als ein von der vorherigen Zustimmung des Arbeitgebers unabhängiges arbeitsvertragliches Recht in Anspruch zu nehmen. Aus der bisherigen Gewährung zusätzlicher Freizeit durch die beklagte Partei kann daher ein einzelvertragliches Recht der Arbeitnehmerinnen auf diese Freizeit auch in Zukunft nicht erschlossen werden.

Mangels eines Rechtsanspruches der weiblichen Arbeitnehmer stellt sich die Frage der Gleichbehandlung gegenüber männlichen Arbeitnehmern, um eine geschlechtsspezifische Differenzierung bzw Diskriminierung zu vermeiden, nicht mehr. Es konnte daher sogleich in der Sache entschieden werden, ohne daß es der vom Berufungsgericht genannten Verfahrensergänzungen bedurfte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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