OGH 1Ob158/99p

OGH1Ob158/99p23.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Bichler & Zrzavy, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Österreichische Bundesbahnen, Wien 1, Elisabethstraße 9, vertreten durch Wolf Theiss & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 2,034.750 S) infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. Februar 1999, GZ 4 R 232/98m-12, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 31. August 1998, GZ 16 Cg 63/98h-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 25.518,81 S (darin 4.253,13 S USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Gegenstand des Rechtsmittels ist die Frage nach dem Bestehen des Prozesshindernisses der von den Vorinstanzen bejahten Streitanhängigkeit.

In zwei Verfahren vor dem Handelsgericht Wien in unterschiedlicher Parteirollenverteilung - klagende Partei im vorliegenden Rechtsstreit (Klageeinbringung am 18. Mai 1998, Klagezustellung am 26. Mai 1998) und beklagte Partei im Parallel-Rechtsstreit (Klageeinbringung am 12. Mai 1998, Klagezustellung am 22. Mai 1998) ist die Rechtsnachfolgerin der Österreichischen Verkehrsbureau GmbH (ÖVB), hier beklagte und dort klagende Partei (im folgenden nur beklagte Partei) sind die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) - ist folgender, von beiden Parteien übereinstimmend behaupteter Sachverhalt:

1946 brachte die damalige Österreichische Staatseisenbahnverwaltung der Republik Österreich (als Gesellschafterin) in das damalige ÖVB eine "Sacheinlage", bestehend aus der auf die Dauer ihres Bestands übertragenen ausschließlichen Berechtigung zur finanziellen Auswertung aller Möglichkeiten von Werbungen jeglicher Art auf bahneigenen Gründen, an und in Gebäuden sowie im Fuhrpark der Österreichischen Staatseisenbahnen (Bahnreklamemonopol), ein. Am 15. September 1965 schloss die Republik Österreich mit dem ÖVB zwei mit "Richtlinien" und "Werkvertrag" bezeichnete Verträge, mit denen nähere Bedingungen und Regelungen für die Auswertung dieses Bahnreklamemonopols festgesetzt wurden. Bei der 1987 erfolgten Umwandlung des ÖVB in die klagende Aktiengesellschaft wurde diese Sacheinlage übernommen. 1990 wurde die klagende Partei dadurch "privatisiert", dass der Bund als Alleinaktionär seine Aktien an Dritte verkaufte. 1992 wurden die ÖBB in den selbstständigen Rechtsträger Österreichische Bundesbahnen (ÖBB) ausgegliedert. Am 15. November 1996 erklärten die ÖBB, dass das Bahnreklamemonopol spätestens mit Ablauf des 1. Dezember 1996 nichtig und erloschen sei und ab dem 1. Jänner 1997 das Recht zur finanziellen Auswertung von Werbemöglichkeiten jeglicher Art auf bahneigenen Gründen, an und in Gebäuden sowie Fahrzeugen der ÖBB nur noch den ÖBB selbst zustehe. Die unterschiedlichen Standpunkte der Parteien betreffen neben gemeinschaftsrechtlichen Überlegungen im Zusammenhang mit Art 85 EGV (jetzt Art 81 idFd Amsterdamer Vertrags) im Wesentlichen die Frage, ob das Bahnreklamemonopol sacheinlagenfähig, bejahendenfalls ob die Sacheinlage "Bahnwerbung" einer Kündigung zugänglich sei. Die Kündigung der beiden Durchführungsvereinbarungen vom 15. September 1965 wurden hingegen von der klagenden Partei unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist akzeptiert.

Abgesehen von hier nicht relevanten Kostenbegehren lauten die beiden Feststellungs-Klagebegehren: "Festgestellt wird, dass die Rechte, die sich aus der Vereinbarung vom 8. 4. 1946, § 5 I)1)b) des Gesellschaftsvertrages der ... (Rechtsvorgängerin der klagenden Partei), die in § 7 b) der Satzung der Klägerin übernommen wurde, ergeben, wonach der Klägerin auf die Dauer ihres Bestandes die ausschließliche Berechtigung zur finanziellen Auswertung aller Möglichkeiten von Werbungen jeglicher Art auf bahneigenen Gründen, an und in Gebäuden, sowie am Fahrpark der Österreichischen Bundesbahnen eingeräumt wird, aufrecht sind" (vorliegendes Verfahren) bzw "Das der Beklagten eingeräumte 'Bahnreklamemonopol' samt allen Durchführungsvereinbarungen ist spätestens seit Ablauf des 31. 12. 1996 erloschen" (Parallel-Verfahren).

Die Vorinstanzen wiesen, einem Antrag der beklagten Partei folgend, die Klage wegen Streitanhängigkeit zurück, weil Identität der Parteien und des Anspruchs (identischer Sachverhalt und identische Begehren) gegeben seien und daher die Voraussetzungen des § 233 ZPO vorlägen.

Rechtliche Beurteilung

Der von der zweiten Instanz zugelassene Revisionsrekurs der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Gemäß § 233 Abs 1 ZPO hat die Streitanhängigkeit die Wirkung, dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gerichte ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf. Eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs angebrachte Klage ist auf Antrag (exceptio litis pendentis) - wie hier - oder von Amts wegen (§ 240 Abs 3 ZPO) zurückzuweisen. Trotz Streitanhängigkeit geführte Verfahren sind nichtig (SZ 44/81; JBl 1983, 91; MietSlg 46.645). Die Zurückweisung einer Klage wegen Streitanhängigkeit setzt zwei nacheinander streitanhängig gewordene Prozesse sowie die Identität der Parteien und Ansprüche in diesen beiden Prozessen voraus (3 Ob 501/85 ua; Holzhammer, Österreichisches Zivilprozessrecht2 191). Mit ihrer Überreichung bei Gericht, genauer mit deren Einlangen in der Einlaufstelle wird die Klage gerichtshängig (Rechberger in Rechberger, § 233 ZPO Rz 1 mwN) und mit ihrer Zustellung an den Beklagten wird das Prozessrechtsverhältnis dreiseitig und tritt das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit ein (Rechberger aaO Rz 4 f; Rechberger/Simotta, Grundriss des österreichischen Zivilprozessrechts4 Rz 527).

Streitanhängigkeit setzt Identität der Parteien und des Streitgegenstands voraus. Identität der Parteien liegt auch dann vor, wenn in beiden Prozessen - wie hier - dieselben Parteien in umgekehrten Parteirollen auftreten (ZfRV 1984, 145 [Konecny]; 9 ObA 73, 74/95 ua; Fürstl, Die neuen österreichischen Civilprocessgesetze 372; Petschek/Stagel, Der österreichische Zivilprozess 272; Rechberger aaO § 233 ZPO Rz 9; Holzhammer aaO 191). Die erforderliche Identität der Parteien ist demnach hier gegeben und wird im Rechtsmittel auch nicht in Zweifel gezogen.

Identität der Ansprüche ist dagegen gegeben, wenn sich aus vorgebrachten rechtserzeugenden Tatsachen und den daraus abgeleiteten Begehren ergibt, dass die Sachanträge in beiden Prozessen dasselbe Rechtschutzziel anstreben (stRspr: MietSlg 17.771; 3 Ob 501/85 uva; RIS-Justiz RS0039196; Fasching III 91), sodass für eine meritorische Entscheidung über die zweite Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (3 Ob 501/85; Fasching III 83). Im Vordergrund steht dabei die Wesensgleichheit des materiellen Anspruchs (SZ 70/261 mwN). Der später geltend gemachte Klageanspruch ist mit dem Anspruch der "Vorklage" identisch, wenn er durch die rechtskräftige Entscheidung des "Vorprozesses" ebenfalls abschließend rechtskräftig erledigt werden wird. Keine Identität der Ansprüche liegt dort vor, wo in einem Rechtsstreit der vorgebrachte Tatsachenkomplex nur zur rechtlichen Beurteilung der Vorfrage, im zweiten Rechtsstreit aber zur Beurteilung des Anspruchs in der Hauptsache selbst vorgebracht und erforderlich ist (3 Ob 501/85; Fasching III 92). Die Begehren müssen nicht identisch sein, es reicht aus, wenn das Begehren der einen Klage das genaue begriffliche Gegenteil der anderen darstellt (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1187). Identität besteht somit zwischen positiver und negativer Feststellungsklage in Ansehung desselben Rechtsverhältnisses (SZ 70/261; Fürstl aaO; Neumann aaO 903; Petschek/Stagel aaO 271; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1187; Holzhammer aaO 191; Rechberger aaO Rz 10; Rechberger/Simotta aaO Rz 530; vgl auch für den deutschen Rechtsbereich Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung21 § 261 dZPO Rz 61).

Im vorliegenden Fall strebt die klagende Partei inhaltlich die Feststellung an, die ihr vom Bund übertragene "Sacheinlage" des Bahnwerbungsmonopols komme ihr auch weiterhin zu, während die beklagte Partei aus demselben Sachverhalt die Feststellung anstrebt, das bis 31. Dezember 1996 bestehende Bahnwerbungsmonopols der klagenden Partei sei erloschen; insoweit ist ihre Negativfeststellung das genaue Gegenteil der von der klagenden Partei angestrebten positiven Feststellung. Dass im Begehren der klagenden Partei die beiden Durchführungsvereinbarungen des Bahnreklamemonopols vom 15. September 1965 nicht enthalten sind, ist unerheblich, hat doch die klagende Partei in ihrer Klage (ON 1 AS 19) deren Kündigung unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist akzeptiert. Eine stattgebende Erledigung des im vorliegenden Verfahren erhobenen Feststellungsbegehrens ist nach ebenso stattgebender Erledigung des im Parallel-Verfahren erhobenen Feststellungsbegehrens, das der klagenden Partei eingeräumte Bahnreklamemonopol sei spätestens seit 31. Dezember 1996 erloschen, ausgeschlossen.

Das Gericht muss, sobald es Kenntnis von der Streitanhängigkeit erlangt, den entgegen § 233 ZPO anhängig gemachten weiteren Sachantrag zurückweisen. Maßgebend ist dabei nur, ob zur Zeit der Entscheidung durch das Prozessgericht über die - hier erhobene - Einrede der Streitanhängigkeit ein zweiter Prozess (noch) anhängig ist, nicht aber der Zeitpunkt der abermaligen Klageanbringung oder die Zustellung der zweiten Klage an den Beklagten (Neumann, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen4 II 900 mwN in FN 5, 903). Steht zu diesem Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung - hier bei der Tagsatzung vom 26. August 1998, bei der der Erstrichter seinen Beschluss auf Klagezurückweisung verkündete - fest, dass im ersten Rechtsstreit bereits Streitanhängigkeit (hier am 22. Mai 1998) eingetreten ist, muss die zweite Klage, Identität der Parteien und des Streitgegenstands vorausgesetzt, zurückgewiesen werden, mag auch die erste Klage im Zeitpunkt der Einbringung der zweiten Klage noch nicht an den Beklagten zugestellt worden sein. Wenngleich diese Regelung nicht unmittelbar dem Wortlaut des Gesetzes entnommen werden kann, ergibt sie sich zweifelsfrei aus dem Zweck der Bestimmung des § 233 Abs 1 ZPO. Dieser wird darin erblickt, dass die Führung von Parallelprozessen kein Rechtschutzbedürfnis des Klägers befriedigt und vor allem auch im öffentlichen Interesse vermieden werden muss, weil sie überflüssigen Prozessaufwand und eine überflüssige Mehrfachbelastung der Gerichte nach sich zieht; darüber hinaus ist im Interesse der Rechtssicherheit die mehrfache Prozessführung über denselben Streitgegenstand auch deshalb abzulehnen, weil damit die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen verbunden ist (SZ 70/261 ua, zuletzt 3 Ob 107/99b; Neumann aaO 898; Fasching III 83 und Lehrbuch2 Rz 1183; Holzhammer aaO 190; Rechberger/Simotta aaO Rz 529). Diesem Gesetzeszweck würde es nicht gerecht werden, käme es darauf an, dass die Streitanhängigkeit im ersten Verfahren vor oder nach Einbringung der zweiten Klage eintrat. Die Bestimmung des § 233 Abs 1 ZPO ist demnach ungeachtet ihres Wortlauts im zweiten Satz, eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs angebrachte Klage sei auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen, nach dem Sinn und Zweck der Bestimmung so zu verstehen, dass es nur darauf ankommt, welche von zwei oder mehreren nacheinander eingebrachten Klagen zuerst ordnungsgemäß zugestellt wurde und damit zuerst den Eintritt der Streitanhängigkeit bewirkte. Mit ihrer (wirksamen) Zustellung verdrängt eine solche Klage unabhängig vom Zeitpunkt ihres Einbringens bei Gericht jede andere, bis dahin noch nicht zugestellte Klage mit identischen Parteien und identischem Streitgegenstand. § 233 Abs 1 zweiter Satz ZPO präzisiert somit entgegen der im Rechtsmittel vertretenen Auffassung nicht den ersten Satz der genannten Gesetzesbestimmung in zeitlicher Hinsicht, sondern bestimmt nur die Rechtsfolge des dort geregelten Tatbestands. Damit ist es bedeutungslos, dass die klagende Partei ihre (zweite) Klage nicht erst nach Zustellung der (ersten) Klage der beklagten Partei, sondern schon vorher bei Gericht überreichte. Die Klage der beklagten Partei wurde zuerst zugestellt.

Demnach kann dem Rechtsmittel kein Erfolg beschieden sein.

Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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