OGH 13Os142/99

OGH13Os142/993.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. November 1999 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jäger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Schukri B***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 28. Juni 1999, GZ 30 h Vr 11286/98-87, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben; es werden der Wahrspruch der Geschworenen zur Eventualfrage II und der darauf beruhende Schuldspruch aufgehoben und die Sache - unter Aufrechterhaltung des unberührt bleibenden Wahrspruches zur Hauptfrage sowie zur Eventualfrage I - zur neuen Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Schukri B***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien in der Nacht vom 17. auf den 18. Dezember 1998 dem Oliver Damien N***** durch einen Stich mit einem 22 cm langen Butterfly-Messer in die linke Brustkorbhälfte/Herzbereich, welcher eine Stichwunde ebendort zur Folge hatte, eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, wobei die Tat begangen wurde mit einem solchen Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist.

Gegen dieses Urteil richtet sich eine vom Angeklagten auf die Z 6, 7, 12 und 13 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, der (schon) aus dem zuerst bezeichneten Nichtigkeitsgrund Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Mit Recht rügt nämlich der Beschwerdeführer, der Schwurgerichtshof habe bei der Fragestellung an die Geschworenen die Bestimmung des § 313 StPO verletzt. Im Hinblick auf die in der Hauptverhandlung vorgebrachte Verantwortung (S 484 ff, 489, 491/I. Bd), in Notwehr, jedenfalls aber in Putativnotwehr gehandelt zu haben, wäre nämlich eine (primäre) Zusatzfrage nach Notwehr zu stellen gewesen, in welcher der Möglichkeit eines Notwehrausschlusses nach § 3 Abs 1 zweiter Satz StGB Rechnung zu tragen gewesen wäre. Für den Fall der Verneinung dieser primären Zusatzfrage, die entweder a) aus der Nichtannahme einer Notwehrsituation (§ 3 Abs 1 erster Satz StGB) oder auf der Annahme b) eines Notwehrexzesses (§ 3 Abs 2 erster Fall StGB) oder c) einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung (§ 3 Abs 2 zweiter Fall = Abs 1 zweiter Satz StGB) beruhen kann, wäre gegebenenfalls mit Bezug auf die zuerst angeführte Möglichkeit (a) eine weitere (subsidiäre) Zusatzfrage nach Putativnotwehr (§ 8 StGB) und im Hinblick auf die beiden anderen in Betracht kommenden Varianten (b,c) auch noch eine gleichfalls subsidiäre für den Fall der Verneinung einer Putativnotwehr aktuelle Zusatzfrage nach einer Tatbe- gehung aus asthenischen Effekten (§ 3 Abs 2 StGB) erforderlich gewesen, und für den Fall der Bejahung einer der beiden zuletzt bezeichneten subsidiären Zusatzfragen schließlich auch noch eine weitere Eventualfrage - hier nach fahrlässiger Körperverletzung - (Mayerhofer StPO4 § 314 E 64 ff, insb E 68b).

Der Verneinung einer Notwehrsituation in den Erwägungen (§ 331 Abs 3 StPO) anlässlich der Bejahung der Eventualfrage II (unter anderem mit dem Hinweis, dass der Angeklagte "außerdem flüchten konnte") liegt keine (der Beratung und Abstimmung zugängliche) entsprechende Frage zugrunde (s. § 325 Abs 1 StPO), geschweige denn eine darauf bezogene Rechtsbelehrung, und vermag daher das Unterbleiben der Fragestellung nicht zu sanieren. Weil ein durch die aufgezeigte Verletzung des § 313 StPO entstandener nachteiliger Einfluss auf die Geschworenen nicht ausgeschlossen werden kann, war der betreffende Wahrspruch (und das darauf beruhende Urteil) nichtig nach § 345 Abs 1 Z 6 StPO.

Zutreffend rügt die Beschwerde inhaltlich ebenfalls nach Z 6 (nominell verfehlt nach Z 7 und Z 12) das Unterbleiben einer Eventualfrage nach dem Verbrechen der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB:

Tatbildlich nach § 87 Abs 1 StGB ist die absichtliche Zufügung einer schweren Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs 1 StGB; dass die Körperverletzung aus einem der in § 84 Abs 2 StGB angeführten Umstände als schwer zu qualifizieren ist (aktuell § 84 Abs 2 Z 1 StGB), ist hingegen nicht ausreichend. Da nach dem Vortrag des gerichtsmedizinischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung die Verletzung des Tatopfers (aus medizinischer Sicht) noch als leicht einzustufen sind und auch kein Anhaltspunkt für eine 24 Tage übersteigende Dauer einer Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit vorliegen, ist - davon ausgehend - das Verbrechen nach § 87 Abs 1 StGB nicht vollendet und somit eine Eventualfragestellung gemäß § 314 Abs 1 StPO nach Versuch zur Eventualfrage II indiziert.

Weil die dargelegten gebotenen Fragen (Zusatz- und Eventualfragen) nicht gestellt wurden, waren in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Wahrspruch der Geschworenen zur Eventualfrage II sowie das darauf beruhende Urteil bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben und die Sache - unter Aufrechterhaltung des unberührt bleibenden Wahrspruches zur Hauptfrage sowie zur Eventualfrage I - zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht zurückzuverweisen (Mayerhofer StPO4, § 349 ENr 26 letzter Fall = 15 Os 75,76/93).

Demgemäß waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren Berufungen hierauf zu verweisen.

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