OGH 6Ob264/99p

OGH6Ob264/99p21.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marijan M*****, vertreten durch Dr. Gunther Gahleitner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K***** GmbH & Co KG, 2. M***** GesmbH & Co KG, ***** und 3. Andy K*****, alle vertreten durch Dr. Rudolf K. Fiebinger und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen (zuletzt) 147.292,96 S über den Rekurs der erstbeklagten und der drittbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 6. August 1999, GZ 4 R 16/99y-59, womit der gemäß § 508 Abs 1 ZPO gestellte Antrag der klagenden Partei und die damit verbundene ordentliche Revision zurückgewiesen wurden, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die erst- und die drittbeklagte Partei haben ihre Rekurskosten selbst zu tragen.

Die Rekursbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht gab im zweiten Rechtsgang dem auf § 1330 Abs 2 ABGB und § 78 UrhG gestützten Schadenersatzbegehren des Klägers insoweit statt, als es die erst- und die drittbeklagte Partei zur Zahlung des noch strittigen Betrages von 147.292,96 S verpflichtete. Hinsichtlich der zweitbeklagten Partei wies es das Klagebegehren (rechtskräftig) ab. Das gegen die erstbeklagte Partei gerichtete Begehren auf Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs war bereits im ersten Rechtsgang rechtskräftig abgewiesen worden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil sowohl in der Hauptsache als auch im Kostenpunkt. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig und der Revisionsrekurs (betreffend die Bestätigung der erstgerichtlichen Kostenentscheidung) jedenfalls unzulässig sei.

Die Ausfertigungen dieses Urteiles wurden den Parteienvertretern jeweils am 14. 6. 1999 zugestellt.

Mit am 22. 6. 1999 beim Berufungsgericht eingelangtem Antrag begehrten die beklagten Parteien die Zustellung eines "vollständigen" Urteiles, weil bei der zugestellten Ausfertigung die Seite 8 fehle.

Am 5. 7. 1999 wurde dem Vertreter der beklagten Parteien (und am 2. 7. 1999 dem Vertreter des Klägers) eine auch die Seite 8 der Urschrift enthaltende Urteilsausfertigung zugestellt. Aus den Rückscheinen ergibt sich, dass diese am 18. 6. 1999 verfügten Zustellungen vom Erstgericht veranlasst wurden.

Am 12. 7. 1999 gaben die erst- und die drittbeklagte Partei einen an das Berufungsgericht adressierten Schriftsatz mit dem Antrag gemäß § 508 Abs 1 ZPO auf Abänderung des Ausspruches über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision und mit einer ordentlichen Revision zur Post. Am 13. 7. 1999 verfügte das Berufungsgericht die Weiterleitung des Schriftsatzes an das Erstgericht, wo er am 15. 7. 1999 einlangte.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht den Antrag gemäß § 508 Abs 1 ZPO und die damit verbundene Revision wegen Verspätung zurück und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Mit der neuerlichen Zustellung der Urteilsausfertigung habe die Rechtsmittelfrist nicht neuerlich zu laufen begonnen, weil aus den Seiten 7 und 9 der zunächst zugestellten Urteilsausfertigung zu erkennen gewesen sei, dass auf Seite 8 nur der Inhalt des zugestellten Ersturteiles wiedergegeben worden sei, und zwar die im Ersturteil wörtlich wiedergegebene Mitteilung der Bundespolizeidirektion Wien vom 4. 5. 1992 und der Beginn der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes. Die Parteien hätten somit auch ohne Berichtigungsbeschluss keinen Zweifel über den Inhalt des Berufungsurteiles haben können. In einem solchen Fall bewirke die Zustellung der berichtigten Ausfertigung nicht, dass eine neuerliche Rechtsmittelfrist zu laufen beginne. Der mit der ordentlichen Revision verbundene Antrag gemäß § 508 Abs 1 ZPO sei gemäß § 508 Abs 2 leg cit beim Prozessgericht erster Instanz binnen vier Wochen einzubringen. Der vorliegende Schriftsatz sei aber nicht beim Erstgericht, sondern beim Berufungsgericht eingebracht worden. Für die Frage der Rechtzeitigkeit komme es daher nicht auf die Postaufgabe, sondern auf das Datum des Einlangens des Schriftsatzes beim zuständigen Gericht an. Ausgehend von der Zustellung des Berufungsurteiles am 14. 6. 1999 sei die vierwöchige Frist am 12. 7. 1999 abgelaufen, weshalb der am 15. 7. 1999 beim Erstgericht eingelangte Antrag verspätet sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Rekurs der erst- und der drittbeklagten Partei ist zulässig (6 Ob 118/98t; 6 Ob 93/99s); er ist aber nicht berechtigt.

Im Gesetz fehlt eine Regelung, welche Wirkung die Berichtigung eines Urteils auf den Lauf der Rechtsmittelfrist hat. Nach ständiger Rechtsprechung beginnt im Fall einer Berichtigung die Rechtsmittelfrist erst mit Zustellung der berichtigten Ausfertigung zu laufen, es sei denn, dass der Rechtsmittelwerber auch ohne Berichtigungsbeschluss keinen Zweifel über den wirklichen Inhalt des richterlichen Ausspruches haben konnte. Die zuletzt genannte Einschränkung soll eine missbräuchliche Verlängerung der Rechtsmittelfrist hintanhalten. Nur dann, wenn die Parteien erst durch die Berichtigung einer Entscheidung volle Klarheit über deren Inhalt erlangen, beginnt die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses zu laufen (1 Ob 392/97x mwN).

Der Oberste Gerichtshof hat zwar bereits ausgesprochen, dass in Fällen, in denen eine ganze Seite fehlte (3 Ob 511, 512/85), pro Seite jeweils einige Zeilen des Textes fehlten (1 Ob 392/97x) oder längere Passagen unleserlich waren (2 Ob 2115/96h), durch die Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigung eine neue Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt wird. Diese Entscheidungen betrafen aber jeweils unvollständige Ausfertigungen erstinstanzlicher Entscheidungen. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um die (behauptete) Unvollständigkeit der Ausführung einer Berufungsentscheidung. Es fehlte zwar eine ganze Seite des Berufungsurteiles. Aus dem Text der vorangehenden Seite 7 (diese endete mit dem Satz: "Auf den Seiten 4 bis 6 der Urteilsausfertigung festgestellten Sachverhalt wird verwiesen, wobei die Mitteilung der Bundespolizeidirektion Wien vom 4. 5. 1992 wie folgt lautete...") und dem auf der Seite 9 anschließenden Text, der mit der Wiedergabe der rechtlichen Beurteilung durch das Erstgericht fortsetzt, geht jedoch zwingend hervor, dass auf der fehlenden Seite 8 im Original des Berufungsurteiles ausschließlich Teile des Ersturteiles wiedergegeben werden. Die Wiedergabe des Inhaltes des Ersturteiles setzt sich bis zur Seite 13 fort. Erst dann beginnt der für eine Anfechtung der Berufungsentscheidung wesentliche Teil des Berufungsurteiles, der sich mit den einzelnen in der Berufung geltend gemachten Berufungsgründen befasst und worin dargelegt wird, warum der Berufung nicht Folge gegeben wurde. Die fehlende Seite betraf daher, wie auch für die Parteien des Verfahrens eindeutig erkennbar war, bloß einen Teil des Urteilstatbestandes, der für die Entscheidung des Berufungsgerichtes und vor allem für deren Bekämpfung nicht wesentlich war. Selbst wenn das Berufungsgericht lediglich auf die Feststellungen und die rechtlichen Ausführungen des Erstgerichtes verwiesen hätte, ohne diese in seiner Entscheidung zu wiederholen, haftete der Berufungsentscheidung keine Mangelhaftigkeit an, weil die - unter anderem auf der zunächst fehlenden Seite 7 enthaltenen - Ausführungen zum Verständnis der rechtlichen Darlegung der Berufungsentscheidung nicht von Bedeutung waren (§ 500a ZPO). Der Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung musste den Parteien ohnehin bekannt sein, weil ihnen diese längst zugestellt worden war. Ein Zweifel über deren Inhalt war auszuschließen.

Die fehlende Seite in den Ausfertigungen des Berufungsurteiles hatte daher für die Ausführung des Antrages nach § 508 Abs 1 ZPO und der Revision keinerlei Bedeutung und hinderte die Rechtsmittelwerber nicht, ihre Argumente gegen die Berufungsentscheidung darzulegen. Das Berufungsgericht hat daher zu Recht ausgeführt, dass die Frist des § 508 Abs 2 ZPO bereits mit der Zustellung der unvollständigen und nicht erst mit der Zustellung der durch die Seite 7 ergänzten Berufungsentscheidung zu laufen begann.

In der Frage der Verspätung der Eingabe infolge ihrer Adressierung an das unrichtige Gericht ist das Berufungsgericht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gefolgt. Demnach schließt die unrichtige Adressierung einer fristgebundenen Eingabe die Anwendung des § 89 GOG generell aus (SZ 60/192 ua). Die Zeit der Übersendung des Schriftstückes vom unzuständigen Gericht, an das es gerichtet war, an das zuständige Gericht ist in die Frist einzurechnen (RZ 1990/109 ua). Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, ordnet § 508 Abs 2 ZPO ausdrücklich an, dass der Antrag gemäß § 508 Abs 1 leg cit, verbunden mit der ordentlichen Revision, beim Prozessgericht erster Instanz einzubringen ist. Die dieser Bestimmung widersprechende Einbringung des betreffenden Schriftsatzes beim Berufungsgericht hatte zur Folge, dass er erst nach Ablauf der vierwöchigen Frist beim zuständigen Erstgericht einlangte. Eine Gleichheitswidrigkeit (Art 2 StGG) ist in der Beurteilung, dass der Schriftsatz verspätet ist, ebensowenig zu erkennen wie die Verletzung des Grundsatzes des "fair trial" (Art 6 MRK), gilt doch diese Rechtslage gleichermaßen für alle Verfahrensparteien.

Der zurückweisende Beschluss des Berufungsgerichtes ist daher zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Die Rekursbeantwortung ist unzulässig, weil keiner der im § 521a ZPO genannten Ausnahmefälle vorliegt (vgl 7 Ob 146/98s ua).

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