OGH 6Ob253/99w

OGH6Ob253/99w21.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria Helene M*****, vertreten durch Dr. Horst Reitböck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Hans-Jörg Schachner, Rechtsanwalt in Melk, wegen 100.000 S und 7.137,19 DM sowie Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 22. März 1999, GZ 14 R 192/98b-27, womit das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 22. Mai 1998, GZ 4 Cg 13/96d-23, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens werden die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abgeändert, dass das Urteil als Teilurteil lautet:

"Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für ein Drittel aller Schäden haftet, die dieser auf Grund des Unfalles und der Verletzungen, die sie beim Sturz in den Brunnen im Bereich des Stiftes Melk am 28. 3. 1995 erlitten hat, in Zukunft entstehen.

Das Mehrbegehren auf Feststellung der Haftung der beklagten Partei für ein weiteres Sechstel aller aus dem Unfall resultierender Schäden wird abgewiesen.

Die Kostenentscheidung wird dem Endurteil vorbehalten".

Hinsichtlich des Zahlungsbegehrens werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 28. 3. 1995 besuchte die Klägerin mit einer Reisegruppe das Benediktinerstift Melk. Sie nahm an einer bezahlten Führung teil und aß anschließend zu Mittag im Stiftsrestaurant. Unmittelbar nach dem Verlassen des Restaurants wollte sie ein Gruppenfoto machen. Sie machte deshalb einen oder einige Schritte rückwärts und stürzte in das leere Becken eines barocken Springbrunnens. Da das Brunnenbecken nicht mit Wasser gefüllt war, war der Springbrunnenmechanismus nicht in Betrieb.

Der Brunnen befindet sich in der Mitte des Weges, der entlang des Stiftsrestaurants führt, und zwar im Bereich vor dem Gästeeingang des Restaurants. Die Brunneneinfassung ist 20 bis 35 cm hoch. Die Tiefe des Brunnenbeckens beträgt 150 bis 160 cm.

Am Tag des Unfalls wurden Arbeiten am Brunnen durchgeführt. Die Arbeiter entfernten die zunächst vorhandene Abdeckung des Brunnens, die aus schräg aufgelegten Bohlen bestand. Sie ließen den offenen Brunnen zurück, als sie essen gingen. Der Brunnen war durch keinerlei Vorkehrungen abgesichert. Es bestand weder eine Umzäunung des Brunnens noch eine Abschrankung zwischen dem Gehweg und dem Brunnen.

Die Klägerin erlitt durch den Sturz in das Brunnenbecken einen Speichenbruch des rechten Handgelenks mit Abriss des Griffelfortsatzes der Elle, einen Bruch durch und unterhalb des Schienbeinknorrens mit Abriss am Wadenbeinköpfchen, Prellungen an beiden Füßen mit Hautabschürfungen und eine Kopfprellung mit Hautabschürfungen. Sie wurde zunächst im Krankenhaus Melk stationär aufgenommen und am 6. 4. 1995 in das Krankenhaus Gelnhausen verlegt, wo sie bis zum 21. 4. 1995 stationär behandelt wurde. Nach der Entlassung hatte sie noch schwere Mobilisierbarkeitsprobleme, weshalb sie die Zeit vom 3. 5. bis 14. 6. 1995 in einer Rehabilitationsklinik verbrachte. Dort erhielt sie eine physikalische Therapie auf Grund aufgekommener Komplikationen. Es folgten ambulante Kontrollen. Im September 1996 wurde das Osteosynthesematerial entfernt.

Die Krankenstandsdauer betrug vier Monate. Die Klägerin war bis zum 31. 7. 1995 auf Grund der beim Unfall erlittenen Verletzungen nicht in der Lage, die von ihr allein geführte Gastwirtschaft zu betreiben.

Die körperlichen Schmerzen sind mit einer Dauer von 11 Tagen als stark, von 26 Tagen als mittelstark und von 70 Tagen als leicht einzustufen. Eine unfallkausale Verschlechterung sowie Dauerschäden können nicht ausgeschlossen werden.

Die Klägerin begehrte 100.000 S und den Gegenwert in Schilling zu näher bezeichneten Tageskursen von insgesamt 7.137,19 DM und stellte das aus dem Spruch ersichtliche Feststellungsbegehren. Die beklagte Partei habe ihre der Klägerin gegenüber bestehenden Schutz- und Sorgfaltspflichten grob fahrlässig verletzt, weil der Brunnen nicht abgesichert gewesen sei. Die Klägerin habe nicht damit rechnen müssen, dass sich mitten auf dem Weg und noch dazu unmittelbar vor dem Ausgang des Stiftsrestaurants ein derart gefährliches Hindernis wie der ungesicherte und ungefüllte Brunnenschacht befinde. Der Brunnen sei bei der Ankunft der Reisegruppe zugedeckt gewesen. Die beklagte Partei habe insoweit auch für ihre Gehilfen gemäß § 1313a ABGB einzustehen. Der Klägerin stehe unter Anrechnung eines Mitverschuldens zur Hälfte ein Schmerzengeld von 100.000 S, weiters die Hälfte näher aufgeschlüsselter unfallsbedingter Auslagen von insgesamt 4.820 DM und 650,76 DM und die Hälfte des mit insgesamt 8.803,64 DM bezifferten Verdienstentganges zu.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach. Die Klägerin habe den Sturz in den Brunnen selbst zu verantworten. Die beklagte Partei habe keine Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzt. Der Brunnen stelle kein gefährliches Hindernis dar. Er stehe ebenso unter Denkmalschutz wie die gesamte Anlage des Stiftes Melk. Derartige Barockbrunnen befänden sich auch in anderen barocken Stifts- und Gartenanlagen, die aus Gründen des Denkmalschutzes ebenfalls nicht abgeschrankt seien. Die 1979 für die Errichtung des Stiftsrestaurants erteilte Baubewilligung habe auch den Brunnen miteinbezogen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Barockbrunnen bilde keine sicherungsbedürftige Gefahrenquelle. Besucher alter Gartenanlagen könnten oder müssten sogar mit derartigen Brunnenanlagen rechnen. Der Brunnen stelle schon für sich allein eine Sehenswürdigkeit dar. Sein Auffälligkeitswert wäre bei Betrieb des Springbrunnens kaum größer gewesen. Die Klägerin hätte beim Rückwärtsschreiten und Fotografieren besondere Vorsicht walten lassen und sich schon vorher über allfällige Hindernisse auf dem Weg informieren müssen. Zudem sei sie ja vor dem Unfall am Brunnen bereits vorbeigegangen. Sie habe für den durch ihre Nachlässigkeit entstandenen Schaden selbst einzustehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 260.000 S nicht übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Der Brunnen sei gut erkennbar gewesen. Eine Abschrankung des mitten am Weg liegenden Brunnens sei nicht erforderlich. Auch im Rathauspark in Wien befänden sich im Bereich der Gehwege zwei Brunnen mit vergleichbarer Einfassung, die in den Wintermonaten weder mit Wasser gefüllt noch abgedeckt oder abgeschrankt seien. Die von einem derartigen Brunnen ausgehende Gefahr werde von einem Verkehrsteilnehmer routinemäßig bewältigt. Damit, dass ein Besucher ohne zu schauen rückwärts gehen werde, habe die beklagte Partei nicht rechnen müssen. Der Unfall sei daher nur auf eine sehr erhebliche Unachtsamkeit der Klägerin zurückzuführen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Sicherungspflicht eines am Weg befindlichen Barockbrunnens keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die ordentliche Revision der Klägerin ist zulässig und teilweise berechtigt.

Die beklagte Partei traf unabhängig vom Zustandekommen besonderer vertraglicher Beziehungen die Verpflichtung, Gefahrenquellen gegenüber jedem befugten Besucher der Stiftsanlage nach dem Maß des Zumutbaren auszuschalten. Durch das Lösen einer Karte für die Stiftbesichtigung entstand im konkreten Fall ein Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen, dessen vertragliche Nebenpflicht für die beklagte Partei darin bestand, die ihrer Verfügung unterliegenden Anlagen, die sie der Klägerin zum Zweck der Stiftsbesichtigung zur Benützung überließ, in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand zu erhalten. Für die Verletzung dieser Schutzpflicht hat die beklagte Partei also hier nach Vertragsgrundsätzen einzustehen. Sie haftet demnach für das Fehlverhalten eines Gehilfen gemäß § 1313a ABGB und nicht bloß nach § 1315 leg cit (vgl SZ 51/111).

Die beklagte Partei hat daher gegenüber der Klägerin dafür einzustehen, dass Arbeiter die Brunnenabdeckung, die den Sturz der Klägerin in das Brunnenbecken verhindert hätte, entfernt haben und das geöffnete, ungefüllte Becken ohne Aufsicht und ohne Absperrung oder sonstige Sicherungsmaßnahme zurückließen. Zu prüfen bleibt, ob eine ungesicherte, leere Brunnenanlage eine Gefahrenquelle darstellt, gegen die Abhilfe zu schaffen gewesen wäre.

Nach ständiger Rechtsprechung dürfen die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflichten nicht überspannt werden. Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits mehrfach ausgesprochen, dass der Verkehrssicherungspflichtige nur vor ungewöhnlichen und an dieser Stelle nicht zu vermutenden Niveaudifferenzen gesondert zu warnen hat. Von jedem Fußgänger muss verlangt werden, dass er beim Gehen auch "vor die Füße schaut" und der einzuschlagenden Wegstrecke Aufmerksamkeit zuwendet (9 Ob 404/97w; 4 Ob 124/98h je mwN).

Im vorliegenden Fall ist zwar den Vorinstanzen darin beizupflichten, dass die barocke Brunnenanlage, wie sie vom Erstgericht beschrieben wurde, schon wegen ihrer Größe gut zu sehen ist und keineswegs ein nur bei besonders aufmerksamer Betrachtung des Geländes wahrzunehmendes Hindernis darstellt. Der Klägerin ist jedoch zuzugestehen, dass die Aufmerksamkeit von Personen innerhalb einer Personengruppe, die ein bestimmtes Ziel verfolgt, wie etwa eine Reisegruppe bei der Besichtigung einer Sehenswürdigkeit, gegenüber sich am Weg befindlichen Hindernissen aus verschiedenen Gründen abgelenkt ist. Die Revision hebt zutreffend die Suche nach guten Fotomotiven und das Betrachten der Hauptgebäude hervor. Der Brunnen liegt in einem Bereich, von dem anzunehmen ist, dass er von Reisegruppen und sonstigen Stiftsbesuchern besonders frequentiert wird, liegt er doch mitten am Weg zum und vom Stiftsrestaurant und noch dazu im Eingangsbereich desselben. Auch wenn die Brunnenanlage an sich deutlich wahrzunehmen ist, ist doch für einen Besucher des Stiftes und des Stiftsrestaurants nicht von vornherein mit einem derartigen Hindernis an gerade dieser Stelle zu rechnen. Es ist nicht ohne weiteres zu vermuten, dass ein immerhin mindestens 1,5 m tiefes, mit einer relativ niedrigen Steinmauer umfasstes Brunnenbecken auf dem Weg zum Restauranteingang vorhanden ist.

Ein Mauerwerk, das nur 25 bis 35 cm über das sonstige Niveau eines befestigten Weges oder Platzes hinaus ragt, ist besonders dazu angetan, dass unachtsame Wegbenützer darüber stolpern. Gerade an der Stelle, wo sich der Brunnen befindet, war damit zu rechnen, dass die Aufmerksamkeit von Besuchern gegenüber am Weg befindlichen Hindernissen durch die Restaurantnähe und andere Umstände abgelenkt ist. Dadurch, dass das relativ tiefe Brunnenbecken nicht mit Wasser gefüllt war, war vorherzusehen, dass ein Stolpern über den Brunnenrand und ein dadurch ausgelöster Sturz in das Brunnenbecken ein hohes Verletzungsrisiko in sich birgt. Vor allem im Hinblick auf die für derartige Springbrunnen ungewöhnliche Tiefe des Brunnenbeckens ging von ihm im leerstehenden Zustand eine besonders große Gefahr aus.

Ob ähnliche Brunnen in anderen Parkanlagen zu sichern sind, steht hier ebenso wenig zur Entscheidung an wie die Frage, ob der Brunnen abzusichern gewesen wäre, wenn er mit Wasser gefüllt und in Betrieb gewesen wäre. Es liegt aber auf der Hand, dass eine leerstehende und stillgelegte Brunnenanlage die Aufmerksamkeit von Passanten weit weniger auf sich zieht als ein mit Wasser gefüllter, in Betrieb befindlicher Springbrunnen, der nicht nur optisch ansprechender und auffälliger ist, sondern auch akustisch wahrzunehmen ist. Zudem wird die Gefährlichkeit eines Sturzes in ein Brunnenbecken wesentlich reduziert, wenn dieses mit Wasser gefüllt ist. Nicht zuletzt deshalb ist es auch durchaus üblich, selbst historische Brunnen, die über die Wintermonate stillgelegt sind, mit Platten abzudecken. Diese Vorgangsweise wurde ja auch im vorliegenden Fall eingehalten. Ein unzumutbarer Aufwand ist damit jedenfalls nicht verbunden. Ebenso wenig hätte es aber die als Erfüllungsgehilfen der beklagten Partei anzusehenden Arbeiter überfordert, wenn sie nach dem Entfernen der Brunnenabdeckung Vorsichtsmaßnahmen gegen einen möglichen Sturz von Stiftsbesuchern in das leere Brunnenbecken getroffen hätten. Schon das Spannen farblich auffälliger Plastikbänder rund um den Brunnen mit Hilfe einiger Ständer oder das Aufstellen eines Schutzgitters hätte einem unvermittelten Stolpern eines Besuchers über den Brunnenrand vorbeugen können. Denkmalschützerische Erwägungen wären einer solchen auf die Dauer der am Brunnen durchzuführenden Arbeiten begrenzten Maßnahme wohl nicht im Wege gestanden. Der Inhalt der für das Stiftsrestaurant erteilten Baubewilligung ist für die Frage der Verkehrssicherungspflicht nicht wesentlich (7 Ob 555/87 ua).

Ohne jede Absicherung stellte der Brunnen aus den dargelegten Gründen eine vor einem Restaurantzugang ungewöhnliche und dort nicht ohne weiteres von Stifts- und Restaurantbesuchern zu erwartende gefahrenträchtige Veränderung des umliegenden Geländes dar. Im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen ist daher eine die Haftung der beklagten Partei begründende Sorgfaltspflichtverletzung der Arbeiter, die die Brunnenabdeckung entfernten, zu bejahen. Dieser Sorgfaltsverletzung steht das von den Vorinstanzen zu Recht bejahte fahrlässige Verhalten der Klägerin, rückwärts zu gehen, ohne sich über die Geländebeschaffenheit zu informieren, gegenüber. Das Fehlverhalten der Klägerin, das sie selbst einräumt, ist jedoch schwerer zu gewichten als die Sorgfaltsverletzung, für die die beklagte Partei einzustehen hat. Die Verletzung des Gebotes, "vor die Füße zu schauen", wiegt hier umso schwerer, weil die Klägerin bereits vor dem Unfall (am Weg zum Stiftsrestaurant) am Brunnen vorbeikam, aber dennoch im kritischen Bereich rückwärts schritt, ohne sich nach Hindernissen umzusehen. Es erscheint daher eine Verschuldensteilung von 2 : 1 zu Lasten der Klägerin angemessen.

Damit erweist sich das Feststellungsbegehren im Sinne einer teilweisen Stattgebung spruchreif. Zur Beurteilung der Höhe der eingeklagten Forderung fehlen aber insbesondere insoweit Feststellungen, als die Klägerin diverse Auslagen im Zusammenhang mit ihren beim Sturz erlittenen Verletzungen und Verdienstentgang geltend gemacht hat. Zur Prüfung dieser Ansprüche werden daher noch Feststellungen durch das Erstgericht nachzutragen sein, ehe eine abschließende Beurteilung des Leistungsbegehrens möglich ist. In diesem Umfang waren demnach die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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