Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekurses der klagenden Partei sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Bei der am 7. 5. 1966 geborenen Klägerin bestand bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres insbesondere aufgrund ihrer Augenkrankheit Erwerbsunfähigkeit. Sie war schon vor Vollendung des 18. Lebensjahres praktisch blind. Im gesundheitlichen Zustand und in der Behinderung der Klägerin ist seit Vollendung des 18. Lebensjahres keinerlei Veränderung eingetreten. Mit Bescheid vom 19. 3. 1991 wurde der Klägerin aufgrund ihres Antrages vom 24. 1. 1990 die Waisenpension über das 18. Lebensjahr weiter gewährt, da die Kindeseigenschaft für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit nach vollendetem 18. Lebensjahr weiterbestand. Aufgrund mehrerer Mitteilungen der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, wonach die Klägerin seit 27. 7. 1993 zunächst in einem befristeten Dienstverhältnis als Vertragsbedienstete und dann in einem auf unbestimmte Zeit verlängerten Dienstverhältnis stand und dem Schreiben der FLD vom 15. 1. 1998, daß sie als Telefonistin tätig sei, nicht auf die Kontrolle oder Unterstützung ihrer Kollegen angewiesen und eine weitgehende Gewöhnung und Anpassung an ihr Aufgabengebiet gegeben sei, entzog die beklagte Partei mit Bescheid vom 13. 3. 1998 die über das 18. Lebensjahr weiter gewährte Waisenpension mit 1. 5. 1998. Die Klägerin arbeitet auf einem Behindertenarbeitsplatz. Sie ist unverändert so stark sehbehindert, daß sie als praktisch blind anzusehen ist.
Die Klägerin begehrt die Weitergewährung der Waisenpension. Sie sei nach wie vor erwerbsunfähig und nur aufgrund eines besonderen Entgegenkommens des Arbeitgebers beschäftigt.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es führte aus, daß gerichtsbekannt sei, daß die Beschäftigung derart behinderter Personen immer nur mit besonderem Entgegenkommen des Arbeitgebers möglich sei. Im gesundheitlichen Zustand und der Behinderung der Klägerin habe sich keine Veränderung ergeben. Die Klägerin sei daher nach wie vor vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, so daß unverändert Erwerbsunfähigkeit bestehe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Es sei nicht gerichtsbekannt, daß die Beschäftigung von blinden Personen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt immer nur mit besonderem Entgegenkommen des Arbeitgebers möglich und deshalb eine Erwerbsfähigkeit von vornherein zu verneinen sei. Feststellungen zum medizinischen Leistungskalkül der Klägerin seien nicht getroffen worden, ebenso fehle jeglicher Anhaltspunkt, welche Blindenberufe für die Klägerin in Frage kämen bzw inwieweit ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers erforderlich sei.
Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, in Abänderung dieses Beschlusses das erstgerichtliche Urteil zu bestätigen.
Die beklagte Partei stellt den Antrag, dem Rekurs der Klägerin keine Folge zu geben.
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Ob eine die Kindeseigenschaft verlängernde Erwerbsunfähigkeit eines von Geburt an blinden (sehbehinderten) Versicherten oder eines von Geburt an taubstummen Versicherten (SSV-NF 7/119) zu untersuchen ist, macht grundsätzlich keinen Unterschied. Es ist daher wie in dem bereits entschiedenen Fall von Bedeutung, ob die Klägerin trotz ihres schon vor Vollendung des 18. Lebensjahres bestehenden Gebrechens der praktischen Blindheit zum Zeitpunkt der Gewährung der Waisenpension in der Lage war, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen nennenswerten Erwerb zu erzielen, sie also ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten vermochte (SSV-NF 6/102, 7/119; 10 ObS 84/94). Es ist daher nicht entscheidend, ob, was unstrittig ist, in der Behinderung der Klägerin seit Vollendung des 18. Lebensjahres keinerlei Veränderung eingetreten ist, sondern ob zum Zeitpunkt der nach der Vollendung des 18. Lebensjahres gewährten Waisenpension die Klägerin infolge Krankheit oder Gebrechen erwerbsunfähig war und ob sich seit diesem Zeitpunkt die Verhältnisse so wesentlich verändert haben, daß sie die Entziehung der gewährten Leistung rechtfertigten. An der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß entgegen der Ansicht des Erstgerichtes nicht gerichtsbekannt wäre, daß die Beschäftigung von blinden Personen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt immer nur mit besonderem Entgegenkommen des Arbeitgebers möglich sei und deshalb eine Erwerbsunfähigkeit von vornherein gegeben sei, ist nichts auszusetzen. Die praktische Blindheit der Klägerin allein läßt keinen Rückschluß auf die Verwertbarkeit der Arbeitsleistung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu, wie schon ihre nunmehrige Beschäftigung zeigt. Es ist daher denkbar, daß bei der Klägerin, die nach dem Akteninhalt 1991 in einer Behindertenwerkstatt (Blatt 26 des Anstaltsaktes) beschäftigt und daher zum Zeitpunkt der Zuerkennung offensichtlich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht erwerbsfähig war. Ungeachtet der gleichbleibenden Behinderung eine Besserung der Erwerbsfähigkeit infolge Gewöhnung und Anpassung an den Leidenszustand eingetreten ist (SSV-NF 7/2). Ob eine Gewöhnung und Anpassung an ihr berufliches Aufgabenfeld erfolgte und sie nicht mehr auf die Kontrolle oder Unterstützung der Kollegen angewiesen ist, besagt nur, daß ein Entgegenkommen des Dienstgebers nicht mehr notwendig ist.
Es ist daher dem Berufungsgericht beizupflichten, daß zur Beurteilung einer maßgeblichen Besserung die Verhältnisse im Gewährungs- und Entziehungszeitpunkt festzustellen sind, wozu auch die Möglichkeiten der Verwertung der Restarbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gehört. Ob allenfalls die Leistungsvoraussetzungen zum Gewährungszeitpunkt nicht gegeben waren und daher die Rechtskraft des Gewährungsbescheides einer Entziehung entgegensteht (SSV-NF 7/2; 10 ObS 139/98h), läßt sich daher auch noch nicht beurteilen.
Warum eine von Blinden üblicherweise ausgeübte Tätigkeit einer Telefonistin als Blindenberuf die Annahme einer wirtschaftlichen Verwertbarkeit der verbleibenden Leistungsfähigkeit der Klägerin von vornherein ausschließt, ist nicht erkennbar, zumal doch der Beruf der Telefonistin ein gängiger Verweisungsberuf in den Fällen der geminderten Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist und sogar beispielsweise im Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreichs als vollwertiger Beruf angeführt ist. Daß sogenannte Blindenberufe, wie Telefonist, für die Prüfung der wirtschaftlichen Verwertbarkeit des Sehvermögens eines hochgradig Sehbehinderten im Rahmen der Gewährung des Pflegegeldes bis zum BGBl 1998/111, außer Betracht zu bleiben hatten (10 ObS 132/97b), weil dabei überhaupt kein Restsehvermögen erforderlich ist, besagt nicht, daß dieser Beruf nicht als ein auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommender Beruf bei Prüfung der Erwerbsfähigkeit heranzuziehen wäre. Da maßgebliche Tatsachen zur abschließenden rechtlichen Beurteilung fehlen, ist dem Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes nicht entgegenzutreten.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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