OGH 14Os105/99

OGH14Os105/9921.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. September 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mittermayr als Schriftführer, in der Strafsache gegen Zekeriya C***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 und Abs 2 erster und zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Schöffengericht vom 19. Mai 1999, GZ 11 Vr 483/98-63, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Bierlein, und des Verteidigers Dr. Blum, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der türkische Staatsangehörige Zekeriya C***** wurde des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 und Abs 2 erster und zweiter Fall StGB (I.1.) sowie der (damit teilweise in Tateinheit verwirklichten) Vergehen der teils im Versuchsstadium verbliebenen Blutschande nach §§ 211 Abs 1 und 15 StGB (I.2. und II.) und des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 erster Fall StGB (I.3. und III.) schuldig erkannt.

Darnach hat er (zusammengefaßt wiedergegeben) in Neuzeug

(zu I.1.) am 18. September 1998 (außer den Fällen des § 201 StGB) seine am 13. Oktober 1982 geborene Tochter Sinem C***** durch gefährliche Drohung zur Duldung (einer geschlechtlichen Handlung, nämlich) eines Geschlechtsverkehrs gezwungen, indem er ankündigte, sie im Falle ihrer Weigerung ohne Rückkehrmöglichkeit nach Österreich in die Türkei zu schicken, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), und zwar eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine andauernde reaktive Depression zur Folge hatte und das durch die Tat geschwängerte Opfer zudem längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurde;

(zu I.2. und II.) mit seiner Tochter Sinem C*****, sohin mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, durch die unter Punkt I.1. bezeichnete Tat den Beischlaf vollzogen sowie im Juli und August 1998 wiederholt zu vollziehen versucht; sowie

(zu I.3. und III.) durch die unter Punkt I.1. geschilderte Tat sowie zwischen Oktober 1997 und Juli/August 1998 in zahlreichen Angriffen seine minderjährige Tochter Sinem C***** durch Betasten im Brust- und Genitalbereich sowie dadurch, daß er sich von ihr manuell befriedigen ließ, zur Unzucht mißbraucht.

Die gegen das Urteil (nominell) aus § 281 Abs 1 Z 2, 3, 4, 5, 5a, 9 lit a und b, 10 und 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt in keinem Anfechtungspunkt durch.

Rechtliche Beurteilung

Einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 252 Abs 1 Z 2a StPO erblickt der Beschwerdeführer in dem Umstand, daß das Protokoll über die gemäß § 162a StPO vor dem Untersuchungsrichter erfolgte kontradiktorische Vernehmung der (als seine Tochter nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO entschlagungsberechtigten) Zeugin Sinem C***** (ON 13) gegen seinen Widerspruch in der Hauptverhandlung verlesen (S 315) und im Urteil verwertet (US 5 f) wurde, obwohl die Genannte die erforderliche Entschlagungserklärung nicht in der Hauptverhandlung, sondern bloß fernmündlich gegenüber Mittelspersonen abgegeben hat.

Der Beschwerdeführer verkennt, daß die Aussageverweigerung eines (hiezu berechtigten) Zeugen an keine bestimmte Form gebunden ist und auch außerhalb der Hauptverhandlung abgegeben werden kann (14 Os 145/98; Mayerhofer StPO4 E 10; ähnlich Foregger/Kodek StPO7 Anm XI, je zu § 152). Auf Grund des aktenkundigen Berichtes der Leitung des von seiner Tochter Sinem C***** damals bewohnten Heimes über die Inanspruchnahme des Befreiungsgrundes (S 249) im Konnex mit dem von ihr schon zuvor im Rahmen der kontradiktorischen Befragung sinngemäß zum Ausdruck gebrachten Entschlagungswillen in bezug auf die Hauptverhandlung (S 68 und 86) ist das Erstgericht mängelfrei von einer wirksamen und authentischen Willensäußerung im Sinn des § 152 Abs 1 Z 2 StPO ausgegangen, sodaß die Verlesungsvoraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 2a StPO gegeben waren.

Soweit der Angeklagte ferner die Unzulässigkeit der (gleichfalls gegen seine Remonstration vorgenommenen) Verlesung der Angaben seiner Tochter vor dem Landesgendarmeriekommando Oberösterreich (S 23 f, 315) mit der Begründung releviert, daß diese Einvernahme ohne vorangegangene Belehrung über das Entschlagungsrecht vorgenommen worden sei, setzt er sich nicht nur über den Inhalt der die Erteilung einer derartigen Unterweisung ausdrücklich bestätigenden Stellungnahme der vernehmenden Beamtin (S 53) hinweg, sondern auch darüber, daß sicherheitsbehördliche Protokolle von den Nichtigkeitssanktionen nach Z 2 und 3 des § 281 Abs 1 StPO nicht betroffen sind, weshalb die Unterlassung der Belehrung entschlagungsberechtigter Angehöriger durch Gendarmerieorgane die Verlesung der Vernehmungsniederschrift nicht hindert (Mayerhofer aaO § 152 E 44; § 281 Z 2 E 4; RZ 1998/45).

Da neue Tatsachen (oder gar Wiederaufnahmsgründe) im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens nicht berücksichtigt werden können (Mayerhofer aaO § 281 E 16, 18 f), ist auf die erst in der Beschwerdeschrift (unter Vorlage einer eidesstattlichen Bestätigung) vorgebrachte Behauptung, die Heimleitung habe die Bereitschaft der Sinem C*****, zur Hauptverhandlung zwecks Aussage zu erscheinen, ignoriert, nicht näher einzugehen.

Der im Unterbleiben der (neuerlichen) Einvernahme dieser Belastungszeugin vor dem erkennenden Gericht zudem gesehene Verstoß gegen das in Art 6 EMRK garantierte Fairneßgebot ist allein schon aus formaler Sicht nicht unterlaufen, weil es insoweit an der entsprechenden Antragstellung in der Hauptverhandlung (ON 55, 62) - die durch das diesbezügliche schriftliche Beweisbegehren (ON 52) nicht ersetzt werden kann (Mayerhofer aaO § 281 Z 4 E 1, 15, 29a) - mangelt (Mayerhofer aaO E 4; Foregger/Kodek aaO S 420, je zu § 281 Z 4).

Im übrigen ist der Angeklagte darauf zu verweisen, daß dem Gebot der Waffengleichheit nach Art 6 Abs 3 lit d EMRK bereits durch Einräumung der Möglichkeit der Fragestellung an den Belastungszeugen im Vorverfahren Genüge getan wird und der Gesetzgeber gerade durch die (hier zur Anwendung gebrachte) Bestimmung des § 162a StPO die Interessen des Zeugen und der Wahrheitsfindung mit den aus den EMRK erfließenden Verteidigungsrechten akkordiert hat (JUS 1996/6/2459; JUS 1996/6/2178).

Zu der in der Mängelrüge (Z 5) unter dem Prätext einer Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe geforderten Erörterung einzelner, die Aussageunverläßlichkeit der Sinem C***** über den (vom Beschwerdeführer bestrittenen) Einsatz einer gefährlichen Drohung als Tatmittel beim Faktum I.1. vermeintlich belegender Details, aus welchen der Angeklagte nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht eingeräumten Schuldberufung (unter Vernachlässigung der vom Schöffengericht auf der Basis sämtlicher Beweisergebnisse geprüften Glaubwürdigkeit der Zeugin) seiner Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen sucht, waren die Tatrichter in Beachtung des Gebotes zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten.

Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen vermag der Beschwerdeführer mit diesem Vorbringen unter dem subsidiär ins Treffen geführten Nichtigkeitsgrund der Z 5a gleichfalls nicht aufzuzeigen.

Auch die (kumulativ auf Z 9 lit a, 9 lit b und 10 gestützten) Rechtsrügen gehen ins Leere.

Mit der nicht näher substantiierten - zudem aus der Sicht materiellrechtlicher Nichtigkeit unter unzulässigem Rückgriff auf angebliche Verfahrensergebnisse aufgestellten - Behauptung zum Schuldspruch I.1., die ihm angelasteten Äußerungen seien zu Unrecht den Kriterien einer gefährlichen Drohung unterstellt worden, vergleicht die Beschwerde nicht den festgestellten Sachverhalt mit dem darauf angewendeten Gesetz und läßt solcherart die prozeßordnungsgemäße Darstellung vermissen. Negiert der Angeklagte bei diesem Einwand doch jenes ausdrückliche Tatsachensubstrat, demzufolge das minderjährige Opfer nur aus Furcht vor der für den Weigerungsfall angekündigten Entfernung aus dem bisherigen Lebensumfeld durch freiheitseinschränkende Verschickung in die Türkei die Vollziehung des Geschlechtsverkehrs duldete (US 3 f, 6). Die nach objektiv-individuellen Kriterien zu prüfende Besorgniseignung des angedrohten Übels (Leukauf/Steininger Komm3 § 74 RN 21; Kienapfel BT I4 § 107 RN 4; § 105 RN 42) wurde auf Grund des Sinngehaltes der Äußerung und deren Tragweite unter den festgestellten Modalitäten (Kulturkreis der Beteiligten; persönliche und finanzielle Abhängigkeit des damals 15-jährigen - familiär und ausbildungsmäßig seit Jahren in Österreich verwurzelten - Opfers von seinem Vater; psychische Belastung durch eine Vielzahl von dem erzwun- genen Beischlaf vorangegangener gravierender sexueller Übergriffe des Angeklagten) rechtlich einwandfrei bejaht, zumal bei Auslegung einer gegenüber Minderjährigen erfolgten Drohung ein strengerer Maßstab anzulegen ist als bei einer solchen gegenüber Erwachsenen.

In der Subsumtionsrüge (sachlich allein Z 10) moniert der Beschwerdeführer schließlich, daß seine Bestrafung wegen des Tatbestandes der Blutschande zusätzlich zu dem (in Idealkonkurrenz verwirklichten) Delikt des Mißbrauchs eines Autoriätsverhältnisses unter dem Gesichtspunkt der Konsumtion verfehlt sei.

Hiezu ist ihm zu erwidern, daß nach herrschender Lehre und Rechtsprechung eintätiges Zusammentreffen zwischen den in Rede stehenden Vergehen nur unter der (hier nicht aktuellen) Voraussetzung ausgeschlossen wäre, daß die Blutschande an einer mit dem Täter in absteigender Linie verwandten Person durch Verführung (§ 211 Abs 2 StGB) begangen wird, weil nur dann der Unrechtsgehalt des (mit der gleichen Strafdrohung wie § 211 Abs 2 StGB versehenen) Deliktes nach § 212 Abs 1 StGB durch die Verurteilung nach § 211 Abs 1 und Abs 2 StGB (und nicht wie der Angeklagte vermeint, umgekehrt) abgegolten ist (Leukauf/Steininger aaO § 212 RN 23; Mayerhofer/Rieder StGB4 § 28 E 28; § 211 E 4). Hingegen liegt zwischen den Delikten des § 211 Abs 1 StGB und des § 212 Abs 1 StGB (hier zusätzlich zum Verbrechen nach § 202 Abs 1 und Abs 2 StGB - Leukauf/Steininger aaO § 211 RN 16; Mayerhofer/Rieder aaO § 202 E 38) echte Idealkonkurrenz vor (Mayerhofer/Rieder aaO E 4; Pallin im WK1 Rz 9, je zu § 211), sodaß dem Erstgericht bei seiner rechtlichen Subsumtion kein Irrtum unterlaufen ist.

Unbegründet ist letztlich auch die Strafzumessungsrüge (Z 11). Die (isoliert betrachtete) Passage der Urteilsgründe, wonach die nach § 202 Abs 2 StGB unter Anwendung des § 28 (Abs 1) StGB verhängte vierjährige Freiheitsstrafe "am unteren Rande der Strafbandbreite angesiedelt" sei (US 8), legt nämlich im gegebenen Zusammenhang bei gebotener Beachtung sämtlicher für die Ausmessung der Sanktion herangezogener Erwägungen keineswegs die vom Angeklagten angestellte Vermutung eines dem Erstgericht unterlaufenen Irrtums über den (von sechs Monaten bis fünf Jahren reichenden) aktuellen Strafrahmen nahe; vielmehr läuft das Vorbringen zu diesem Beschwerdepunkt im Ergebnis bloß auf die Bekämpfung einer allein mit Berufung anfechtbaren richterlichen Ermessensentscheidung hinaus.

Bei der Strafbemessung wertete das Schöffengericht als erschwerend die Begehung verschiedener strafbarer Handlungen, deren Wiederholung, das Vorliegen einschlägiger Vorstrafen und insbesondere, daß es infolge der strafbaren Handlungen zur Schwängerung der eigenen Tochter und zur Abtreibung der Leibesfrucht gekommen ist; als mildernd hingegen das letztlich vorliegende Geständnis des Angeklagten, wenn dieses auch nur unter dem Druck der Beweislast zustandegekommen sei und keinesfalls als reumütig angesehen werden könne, sowie daß es bei der Blutschande zum Teil beim Versuch geblieben sei.

Vom Widerruf einer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB vom Landesgericht Steyr am 30. Mai 1995 zu AZ 13 E Vr 175/95 ausgesprochenen Geldstrafe von 300 Tagessätzen a 100 S wurde abgesehen.

Der auf Herabsetzung der Strafe unter Gewährung teilweise bedingter Nachsicht antragenden Berufung des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig und vollständig erfaßt. Angesichts des Leugnens der wesentlichen Drohungskomponente kommt dem letztlich geäußerten, bei einer Vaterschaftswahrscheinlichkeit von über 99,9999 % nicht wesentlich zur Wahrheitsfindung beitragenden Geständnis keine besondere Bedeutung zu.

Von einem bisher ordentlichen Lebenswandel kann angesichts zweier spezifisch einschlägiger Vorstrafen (eine wegen Körperverletzung an einer anderen Tochter, eine - wie zitiert - wegen gefährlicher Drohung) nicht ernsthaft die Rede sein.

Die zahlreichen Übergriffe mit neben der Schwangerschaft und strafsatzerhöhenden Traumatisierung für das sich mit Selbstmordgedanken tragende Tatopfer weiteren einschneidenden Konsequenzen (Heimunterbringung mit Lösung aus dem Familienverband) verwehren - auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft - eine Reduktion der zwar nicht "am unteren Rand der Strafbandbreite angesiedelten", aber dem massiven Unrechts- und Schuldgehalt Rechnung tragenden Freiheitsstrafe und damit auch die Gewährung teilweiser bedingter Nachsicht.

Schließlich gebieten auch Rücksichten der Generalprävention mit Blick auf das Ansteigen derartiger, die Dominanz im Kreis der Familie ausnützenden Delikte mit resultierenden schweren Folgen für die Entwicklung der Tatopfer den Ausspruch einer strengen Sanktion.

Bei der Zwischenhaftanrechnung wird darauf zu achten sein, daß im Urteil die Vorhaft irrtümlich nur bis 18. (statt 19.)Mai 1999 angerechnet wurde (§ 400 Abs 2 StPO).

Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.

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