Spruch:
Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha vom 16. November 1998, GZ 2 U 47/98d-5, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des Art XVI lit b des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen in der Fassung des Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung BGBl 1994/801.
Diese Strafverfügung wird aufgehoben und das Strafverfahren gegen Peter Pal H***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB, AZ 2 U 47/98d des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha, gemäß § 451 Abs 2 StPO eingestellt.
Text
Gründe:
Der Gendarmerieposten Bruck an der Leitha erstattete am 14. März 1998 zu AZ 2 U 47/98d des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha gegen den ungarischen Staatsangehörigen Peter Pal H***** Anzeige wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB, weil dieser am 27. Februar 1998 in Bruck an der Leitha als Lenker eines PKWs nach Mißachtung des von der Verkehrsampel für seine Fahrtrichtung gezeigten Rotlichtes mit einem anderen Personenkraftwagen kollidiert sei und dabei der Lenkerin Marianna P***** fahrlässig eine Prellung der Halswirbelsäule, sohin eine leichte Körperverletzung zugefügt habe.
Über Ersuchen des Bundesministeriums für Justiz um Übernahme der Strafverfolgung leiteten die ungarischen Justizbehörden gegen Peter Pal H***** ein Strafverfahren ein, zu dem allerdings die Oberstaatsanwaltschaft des Komitates Györ-Moson-Sopron die Anordnung der Erhebungen gegen den Angezeigten mit der Begründung ablehnte, daß die Tat in Ansehung der bloß leichten Verletzung nach dem geltenden ungarischen Strafgesetzbuch - anders als eine fahrlässig herbeigeführte schwere Körperverletzung - keine gerichtlich strafbare Handlung begründet. Marianna P*****, der dieser Beschluß als Unfallsgeschädigter am 30. Juli 1998 zugestellt wurde, erhob nach der Aktenlage dagegen keine Beschwerde.
Ungeachtet dieser aktenkundigen Verfahrensergebnisse erkannte das Bezirksgericht Bruck an der Leitha Peter Pal H***** aufgrund des vom Bezirksanwalt am 9. November 1998 (ON 4) gestellten Bestrafungsantrages mit Strafverfügung vom 16. November 1998 (ON 5) des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe. Gegen diese Strafverfügung, die dem Beschuldigten bisher nicht zugestellt wurde, erhob der Bezirksanwalt keinen Einspruch.
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend macht, steht die bezeichnete Strafverfügung des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha mit dem Gesetz nicht in Einklang:
Rechtliche Beurteilung
Nach Art XVI lit b des am 1. Dezember 1994 in Kraft getretenen Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen in der Fassung des Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung, BGBl 1994/801, haben die Justizbehörden des ersuchenden Staates (nach Übernahme der Strafverfolgung durch den ersuchten Staat) von weiteren Verfolgungsmaßnahmen wegen der angezeigten Tat abzusehen, wenn im ersuchten Staat aus Beweisgründen oder deshalb, weil die Tat eine strafbare Handlung nicht begründet, ein rechtskräftiger Freispruch ergeht oder aber - wie im konkreten Fall - das Verfahren endgültig eingestellt wird. Eine derartige im ersuchten Staat rechtswirksame endgültige Verfahrenseinstellung begründet somit im ersuchenden Staat nach dem Grundsatz "ne bis in idem" ein Verfolgungshindernis (so bereits die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zum gleichlautenden Art 23 des Vorgängervertrages zwischen der Republik Österreich und der Ungarischen Volksrepublik über die Rechtshilfe in Strafsachen, BGBl 1976/339, 67 BlgNR 14. GP, 11; zuletzt Ebensperger, ÖJZ 1999, 177).
Die in Rede stehende Vertragsbestimmung bezieht sich sowohl nach dem Wortlaut als auch nach ihrem Regelungszweck - das ungarische Strafverfahrensrecht sieht Verfahrenseinstellungen im Vorverfahren nur durch die Staatsanwaltschaft vor - nicht nur auf gerichtliche, sondern auch auf Verfahrenseinstellungen durch die (hier: ungarische) Staatsanwaltschaft (in diesem Sinn bereits zu Art 23 des Vorgängervertrages zwischen der Republik Österreich und der Ungarischen Volksrepublik über die Rechtshilfe in Strafsachen - Müller, AnwBl 1985, 404; zur analogen Bestimmung des Art XIII Abs 5 lit c des Zusatzvertrages zwischen der Republik Österreich und der Schweiz BGBl 1974/716 - Schwaighofer, Auslieferung und internationales Strafrecht, 213; Epp, ÖJZ 1979, 39 und 43).
Da der wegen nach ungarischem Recht nicht gegebener gerichtlicher Strafbarkeit des angezeigten Verhaltens ausgesprochene und nach der Aktenlage unbekämpft gebliebene Einstellungsbeschluß der Oberstaatsanwaltschaft des Komitates Györ-Moson-Sopron vom 30. Juli 1998 gemäß Art XVI lit b des in Rede stehenden Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn für das inländische Strafverfahren ein Verfolgungshindernis bewirkt, war die aus dieser Sicht gesetzwidrig erlassene Strafverfügung des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes aufzuheben und das Strafverfahren dementsprechend gemäß § 451 Abs 2 StPO einzustellen.
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