OGH 7Ob192/99g

OGH7Ob192/99g14.7.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich, Dr. Tittel, Hon-Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf K*****, vertreten durch Dr. Johann Fontanesi, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr. Thomas Lederer und Dr. Franz Thienen, Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen S 300.000,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23. April 1999, GZ 3 R 220/98i-9, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 20. Oktober 1998, GZ 33 Cg 221/98v-5, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben; die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung

Zwischen den Streitteilen bestand am 22. 5. 1998 zu Polizzennummer ***** eine aufrechte Einbruchsdiebstahl-Versicherung mit einer Versicherungssumme von S 1,255.000,-- für das Betriebsobjekt in ***** W*****, H*****gasse *****. Der Versicherungsvertrag enthält - über die sonst vereinbarten allgemeinen Einbruchdiebstahlversicherungsbedingungen (im folgenden AEB) hinaus - eine im individuell gestalteten Vertragstext mit "Vandalismusschäden" übertitelte Klausel nachstehenden Inhaltes:

"Der Versicherer leistet auch dann Entschädigung, wenn der Täter versicherte Sachen ohne Diebstahlabsicht vorsätzlich zerstört oder beschädigt, nachdem er gemäß Art 2 (1) und (2) der AEB in die Versicherungsräumlichkeiten eingedrungen ist.

Bei der Versicherung des gesamten Inhaltes der Versicherungsräumlichkeiten (technische und kaufmännische Betriebseinrichtung und Vorräte) werden Vandalismusschäden auch innerhalb der Versicherungsräumlichkeiten am Gebäude und an Gebäudebestandteilen mitgedeckt (begrenzt mit der Versicherungssumme)

..."

Die Vertragsgrundlagen zur Einbruchsdiebstahlversicherung (im folgenden AEB) in bezug auf Vandalismusschäden lauten:

"Artikel 1: Der Versicherer bietet nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen Versicherungsschutz gegen Schäden durch vollbrachten oder versuchten Einbruchsdiebstahl.

Artikel 2 (1): Als Einbruchsdiebstahl im Sinne der Versicherungsbedingungen gilt ein Diebstahl nur, wenn ein Dieb in die Einbruchsräumlichkeit (Artikel 5)

a) durch Eindrücken oder Aufbrechen der Türen, Fenster, Wände, Fußböden oder Decken eingebrochen hat (...)

Artikel 7: Nur aufgrund besonderer Vereinbarung haftet der Versicherer für Schäden durch

a) Vandalismus ...".

Der Kläger beansprucht unter Hinwies auf obgenanntes Vertragsverhältnis eine Versicherungsleistung in Höhe von S 300.000,-- sA. Am 22. 5. 1998 habe ein unbekannter Täter einen Pflasterstein durch eines der geschlossenen Fenster des versicherten Objektes in den Gastraum geschleudert und habe eine Phiole mit Buttersäure durch die so entstandene Öffnung in den Gastraum geworfen. Der Gestank der Buttersäure habe sich in allen Textilien, aber auch im Holz der Einrichtung und in den Wänden festgesetzt, die dadurch entfernt und ersetzt werden mußten.

Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage und wandte ein, der Versicherungsvertrag decke reine Vandalismusschäden nicht. Er decke nur Vandalismusschäden im Zusammenhalt mit einem Einbruchsdiebstahl. Ein solcher liege im konkreten Fall nicht vor. Auch aus dem Gesamtgefüge der strittigen Versicherungspolizze ergebe sich der (für die Deckungspflicht der beklagten Versicherung erforderliche) Bezug zu einem Einbruchsdiebstahl; auch die Überschrift zur strittigen Klausel "ergänzende Vereinbarung zu den Allgemeinen Einbruchs-Diebstahl-Versicherungs- bedingungen" spreche für die angenommene Haftungsvoraussetzung in Form eines Einbruchsdiebstahls.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Voraussetzung für die Deckung von Vandalismusschäden sei ein Bezug zu einem in Tateinheit begangenen Einbruchsdiebstahl.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es erklärte die Erhebung der ordentlichen Revision für zulässig. Es sei nicht von der Vereinbarung einer uneingeschränkten Vandalismusklausel auszugehen, weil bei Auslegung der im Versicherungsvertrag vereinbarten Klausel, wonach der Versicherer auch dann Entschädigung leiste, wenn der Täter versicherte Sachen ohne Diebstahlsabsicht vorsätzlich zerstöre oder beschädige, nachdem er gemäß Art 2 Abs 1 und Abs 2 der AEB in die versicherten Räumlichkeiten eingedrungen sei, die sonstigen dem Vertrag zugrundegelegten Bestimmungen der AEB nicht außer Betracht bleiben dürften. Wie in der Entscheidung 7 Ob 179/97t ausgeführt worden sei, bedeute der Verweis auf Art 2 AEB im Zusammenhang mit dem Eindringen des Täters lediglich, daß dieser auf eine in Art 2 AEB beschriebene Art in das Gebäude eingedrungen sei. Die fragliche Klausel könne daher nicht aus dem Gesamtzusammenhang des Bedingungswertes gerissen für sich alleine gewürdigt werden. Gerade aus der zitierten Vorentscheidung lasse sich für den vorliegenden Fall nichts gewinnen, da dort durch eine Überschrift zu der fraglichen Bestimmung klargestellt worden sei, daß der Versicherer nur Vandalismusschäden "anläßlich" eines Einbruchsdiebstahles decken wolle. Auch bei der vorliegenden Vertragslage sei der Versicherer bei Vandalismusschäden, die in keinem Zusammenhang mit einem Einbruchsdiebstahl stünden, leistungsfrei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung vom Kläger erhobene Revision ist zulässig und berechtigt.

Unter Vandalismus versteht man die Umschreibung blinder barbarischer Zerstörungswut (vgl 7 Ob 179/97t mwN). Die Vorinstanzen haben übersehen, daß dieser Vorentscheidung eine andere Vertragsgrundlage als die hier vorliegende zugrundelag, weil nach den dort vorliegenden Bedingungen Vandalismusschäden nur dann, wenn sie "anläßlich" eines Einbruchsdiebstahls verursacht worden sind, unter die Deckung der Einbruchsdiebstahlversicherung fallen sollten. Die Deckungszusage der beklagten Versicherung im vorliegenden Fall geht jedoch bedeutend weiter, weil sie eine Entschädigung auch für den Schadensfall verspricht, wenn der Täter versicherte Sachen ohne Diebstahlsabsicht vorsätzlich zerstört oder beschädigt, allerdings nachdem er gemäß Art 2 Abs 1 und 2 der AEB in die versicherten Räumlichkeiten eingedrungen ist. Gerade die in der Entscheidung 7 Ob 179/97 unter Bezug auf Martin SVR3 D XI Rz 27 ff und auf die deutsche Rechtsprechung (BGH in VersR 1976, 529 sowie BGHZ 1966, 137) gepflogenen Erwägungen kommen zufolge der hier anderslautenden Bedingungslage aus folgenden Gründen für die Lösung des vorliegenden Rechtsfalles nicht zur Anwendung.

Soweit der Inhalt von Allgemeinen Versicherungsbedingungen mit dem Versicherungsnehmer nicht besonders besprochen wurde, orientiert sich die Auslegung nicht am Parteiwillen, sondern am erkennbaren Inhalt und Zweck der einzelnen Klauseln, gemessen an der Figur eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers. Dieser Maßstab entspricht weitgehend den Kriterien der §§ 914 f ABGB. Daher sind Unklarheiten zu Lasten des Versicherers auszulegen, der erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen muß aber stets beachtet werden. Risikoeinschränkende Klauseln besitzen daher in dem Maße keine Vertragskraft, als deren Verständnis von einem Versicherungsnehmer ohne juristische Vorbildung nicht erwartet werden kann. Besondere Bedingungen haben Vorrang vor den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (vgl Heiss/Lorenz, VersVG2 § 1 Rz 47, 49, 56 und 60 mwN).

Mit der im individuell gestalteten Vertragstext von der beklagten Versicherung gemachten Zusage - die einer besonderen Bedingung gleichzuhalten ist - , auch ohne Vorliegen eines Einbruchsdiebstahles Vandalismusschäden zu decken, kommt den die Deckungspflicht sehr wohl vom Vorliegen eines Einbruchsdiebstahls abhängig machenden Art 1 f und Art 7 der AEB keine rechtliche Bedeutung zu, weil sie der vorrangigen erstgenannten Deckungszusage zuwiderlaufen. Gegenüber der Vorentscheidung 7 Ob 179/97t wurde im vorliegenden Fall die Klausel, daß Vandalismusschäden "anläßlich" eines Einbruchsdiebstahles von der Deckung mitumfaßt sein sollten, nicht mitvereinbart. Der beklagten Versicherung wäre aber zuzugestehen, daß nach den AEB 1986 - wären diese alleinige Vertragsgrundlage geworden - für die Deckung von Vandalismusschäden ein Zusammenhang mit einem Einbruchsdiebstahl erforderlich ist. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Bedingungswerkes, insbesondere aus Art 1, wonach der Versicherer nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen Versicherungsschutz gegen Schäden durch "vollbrachten oder versuchten Einbruchsdiebstahl" verspricht. Im vorliegenden Fall steht dem aber eine im individuell gestalteten Polizzentext gemachte Zusage für "reine" Vandalismusschäden gegenüber. Die eine solche Deckungszusage wieder einschränkenden durch entsprechenden Verweis ebenfalls zum Vertragsinhalt gewordenen AEB 1986 schaffen, was die Deckung "reiner" Vandalismusschäden betrifft, eine Unklarheit, die zu Lasten des Versicherers zu gehen hat. Der beklagten Versicherung wäre im vorliegenden Fall aber zuzugestehen, daß der Vandalismustäter den Schaden offensichtlich ohne Betreten des Gebäudes verursacht hat. Ebenso wie im § 6 der deutschen Haushaltsversicherungsbedingungen (VHB 1984) bleibt trotz der genauen Umschreibung, durch welche Art und Weise der Täter in die versicherten Räumlichkeiten eingedrungen sein muß, offen, ob er wenigstens mit einem Teil seines Körpers die Umrisse der als Versicherungsort vereinbarten Räume überschreiten muß, oder ob es genügt, wenn er die Außenhaut des Gebäudes beschädigt, um durch die so geschaffene Öffnung von außen auf versicherte Sachen einzuwirken, so zB wie im vorliegenden Fall eine Phiole mit Buttersäure einwirft (so Knappmann in Prölss/Martin VVG26 § 7 VHB 84 Rn 2). Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des zitierten Autors aus folgenden Gründen an: Von einem verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird ein zerstörerischer Gewaltakt, wie es der Einwurf eines Pflastersteines durch ein geschlossenes Fenster nun einmal darstellt, einem Eindringen des Täters durch das Fenster zum gleichen Zweck, nämlich Buttersäure im Inneren zu verbreiten, gleichgesetzt. Der Unterschied wäre nur darin zu erblicken, daß der Täter beim Eindringen in die Räumlichkeiten vermutlich mehr Zeit aufwenden muß, um nicht durch die Geräusche des zerberstenden Glases auf sich aufmerksam zu machen, eben dies umgeht der Vandalismustäter, wenn er mit einem Steinwurf dasselbe Ziel wie durch das körperliche Eindringen in die Räumlichkeiten erreicht. Auch das Hineinwerfen eines Pflastersteines durch die Fenster in die versicherten Räumlichkeiten hinein stellt ein "Eindringen" durch den Täter dar. Es würde einen nicht zu rechtfertigenden Wertungswiderspruch nach sich ziehen, das "Eindringen" des Vandalismustäters mittels eines Steinwurfes um den Vandalismusschaden hervorzurufen, vom Versicherungsschutz gegenüber dem gedeckten körperlichen Eindringen des Vandalismustäters in die versicherten Räumlichkeiten auszunehmen.

Der Revision der klagenden Partei war daher Folge zu geben und waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Bestimmung der Höhe des Vandalismusschadens aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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