OGH 10ObS405/98a

OGH10ObS405/98a1.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Stattmann (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gustav D*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Herbert Prähauser, Faberstraße 6/2, 5020 Salzburg, dieser vertreten durch Dr. Stefan Hornung, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. September 1998, GZ 11 Rs 175/98d-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. März 1998, GZ 20 Cgs 296/97w-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die Begründung des Berufungsgerichtes ist zutreffend, sodaß auf deren Richtigkeit hinzuweisen ist (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers entgegenzuhalten:

Der Revisionswerber geht in der Revision erkennbar - insoweit in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen - davon aus, daß der sonst 150 Stunden monatlich nicht übersteigende Pflegebedarf des Klägers nur bei Berücksichtigung des mit dem Einnehmen von Mahlzeiten und des mit einer "Beaufsichtigung" des Klägers verbundenen Zeitaufwandes eine höhere Pflegestufe als die Stufe 3 rechtfertigt, weil dann der monatliche Pflegebedarf durchschnittlich mehr als 180 Stunden betragen würde.

Voranzustellen ist, daß im Hinblick auf die am 1. 1. 1999 in Kraft getretene Novelle zum BPGG BGBl I 1998/111 und das zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene gerichtliche Verfahren gemäß dessen § 48 Abs 1 für die Zeit bis zum 31. 12. 1998 für die Beurteilung des Anspruches des Klägers die Bestimmungen des § 4 BPGG vor der Novelle samt EinstV BGBl 1993/314 zugrundezulegen sind (10 ObS 372/97x ua). Erst für die Zeit ab dem 1. 1. 1999 ist der Anspruch nach der neuen Rechtslage zu beurteilen, wobei allerdings die zitierte EinstV erst mit Wirksamkeit vom 31. 1. 1999 aufgehoben und durch die neue EinstV BGBl II 1999/37 ersetzt wurde (§ 9 EinstV nF). Auch die Anwendung dieser neuen Rechtslage führt jedoch hier zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis als die Beurteilung durch die Vorinstanzen nach der damals noch alten Rechtslage.

Soweit der Revisionswerber zunächst beanstandet, daß bei der Feststellung des Pflegebedarfes nicht der Betreuungsaufwand für das Einnehmen von Mahlzeiten berücksichtigt worden sei, ist er auf die bindende Tatsachenfeststellung des Erstgerichtes zu verweisen, daß dem Kläger das Einnehmen von Mahlzeiten ohne Hilfestellung möglich ist. Diese Feststellung beruht auf dem vom Erstgericht eingeholten schriftlichen psychiatrischen Gutachten (S. 13 ON 5 = AS 39), das vom Sachverständigen auch insoweit ausdrücklich bei der mündlichen Erörterung des Gutachtens bekräftigt wurde (S. 3 ON 8 = AS 57). Der vom Revisionswerber vermutete Widerspruch in den erstgerichtlichen Feststellungen im Zusammenhang mit dem Erfordernis der ständigen Beaufsichtigung in Gestalt der weitgehenden Anwesenheit einer Aufsichtsperson im selben Raum liegt nicht vor. Das Erstgericht unterschied nämlich genau zwischen jenen Tätigkeiten, die der Kläger überhaupt nicht verrichten kann (zB Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten) und solchen Tätigkeiten, die er verrichten kann, wenn er beaufsichtigt und angeleitet wird (zB An- und Auskleiden), und letztlich eben einer (pflegegeldrelevanten) Tätigkeit, die dem Kläger ausdrücklich ohne fremde Hilfestellung möglich ist, nämlich dem Einnehmen von Mahlzeiten. Die erstinstanzlichen Feststellungen bieten daher keine Grundlage für die Annahme des Revisionswerbers, er bedürfe für das Einnehmen von Mahlzeiten der Fremdhilfe im Sinne des § 4 EinstV aF (und nF). Auch nach den Ausführungen der Revision ist die Beaufsichtigung "bei der" Einnahme von Mahlzeiten nicht bezogen auf diese Tätigkeit, weil ansonst die Mahlzeiten nicht ordnungsgemäß eingenommen werden könnten, sondern vielmehr im Rahmen der allgemeinen, auch sonst notwendigen Beobachtung des Klägers erforderlich. Dies leitet über zum generellen Problem der "Beaufsichtigung", das der Revisionswerber in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellt:

Die Pflegegeldregelungen des Bundes nahmen nach der alten Rechtslage auf die "Beaufsichtigung" in zwei Bestimmungen Bezug. § 4 Abs 2 BPGG aF normierte den Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 6 für Personen, deren Pflegebedarf nach § 4 Abs 1 BPGG durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich betrug, wenn dauernde Beaufsichtigung oder ein gleichzuachtender Pflegeaufwand erforderlich war. Demgegenüber verwendet § 4 Abs 2 BPGG nF den Begriff "Beaufsichtigung" nicht mehr, sondern macht den Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 6 davon abhängig, daß der Pflegebedarf nach § 4 BPGG durchschnittlich mehr als 180 Stunden beträgt, wenn

1. zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen erforderlich sind und diese regelmäßig während des Tages und der Nacht zu erbringen sind oder

2. die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson während des Tages und der Nacht erforderlich ist, weil die Wahrscheinlichkeit einer Eigen- oder Fremdgefährdung gegeben ist.

Während die Z 1 in § 4 Abs 2 Stufe 6 BPGG nF eine Ausweitung gegenüber der alten Rechtslage darstellt, entspricht die Z 2 ("dauernde Anwesenheit ...., weil .... eine Eigen- oder Fremdgefährdung") trotz anderer Wortwahl dem Fall der "dauernden Beaufsichtigung oder einem gleichzuachtenden Pflegeaufwand" nach der alten Rechtslage.

§ 4 EinstV aF bestimmte wie jetzt § 4 Abs 1 EinstV nF, daß die Anleitung sowie die Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger aber psychischer Behinderung bei der Durchführung der in den §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe selbst gleichzusetzen ist. Diese Bestimmung war und ist für die Berücksichtigung des Aufwandes für die Beaufsichtigung bei der Vornahme der in den §§ 1 und 2 EinstV genannten Verrichtungen erforderlich, weil die letztgenannten Bestimmungen nur Werte für den Betreuungs- und Hilfsbedarf bei tatsächlicher Verrichtung der Tätigkeit durch eine vom Pflegebedürftigen verschiedene Personen vorsehen und es sich bei der Beaufsichtigung bei der Durchführung dieser Verrichtungen durch den Pflegebedürftigen selbst um etwas anderes handelt als bei der Vornahme der Verrichtungen durch eine Betreuungsperson. Die Regelung zeigt aber, daß dem (alten und neuen) Verordnungsgeber die Problematik der notwendigen Beaufsichtigung einer behinderten Person bekannt war. Daß er nur für den dort genannten Fall die Berücksichtigung des Zeitwaufwandes für die Beaufsichtigung vorsah, spricht dafür, daß er im übrigen die für eine notwendige Beaufsichtigung erforderliche Zeit bei der Ermittlung des Betreuungs- und Hilfsaufwandes nicht einbeziehen wollte.

Das Erfordernis der dauernden Beaufsichtigung oder eines gleichzuachtenden Pflegeaufwandes (bzw zeitlich unkoordinierbarer Betreuungsmaßnahmen oder dauernder Anwesenheit einer Pflegeperson) wird nur dann entscheidend, wenn der Pflegebedarf schon ohne diesen Aufwand durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich beträgt; abgesehen davon ist die Anleitung sowie die Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in den §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe selbst gleichzusetzen, sofern sie zur Abwicklung einer dieser konkreteren Verrichtungen erforderlich ist, nicht aber darüberhinaus gesondert zu veranschlagen (ebenso 10 ObS 374/97s zum Wiener Pflegegeldgesetz; 10 ObS 235/98a, 10 ObS 255/98t und 10 ObS 389/98y zum BPGG; siehe Judikaturübersicht in RIS-Justiz RS0190571).

§ 4 EinstV nF enthält einen neuen Abs 2, der einen zeitlichen Richtwert von 10 Stunden pro Monat vorsieht, wenn mit geistig oder psychisch behinderten Menschen zur selbständigen Durchführung von in den §§ 1 und 2 angeführten Verrichtungen Motivationsgespräche zu führen sind. Auch diese neue Regelung - in Kenntnis der bisherigen Rechtsprechung - läßt erkennen, daß der Verordnungsgeber keine Anleitung oder Beaufsichtigung bei der Durchführung nicht in den §§ 1 und 2 angeführter Verrichtungen berücksichtigen wollte.

Im vorliegenden Fall ergibt sich daraus, daß bei einem Pflegebedarf des Klägers nach § 4 Abs 1 BPGG aF bzw nF von durchschnittlich mehr als 120 Stunden monatlich, jedoch nicht durchschnittlich mehr als 180 Stunden bzw 160 Stunden monatlich (= Stufe 4 nach § 4 Abs 2 BPGG nF) weiterhin nur ein Anspruch auf Pflegegeld in Höhe der Stufe 3 besteht. Ein darüber hinausgehender Pflegebedarf durch das Erfordernis der "Beaufsichtigung" ist aus den oben dargelegten rechtlichen Gründen nicht zu berücksichtigen.

Zu dem zwar noch in der Berufung, nicht mehr jedoch in der Revision relevierten Aufwand für die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial sei der Vollständigkeit halber noch angemerkt, daß schon aufgrund der Unterbringung des Klägers in einer Landesnervenklinik davon auszugehen ist, daß der Pflegegeldansprecher diese Verrichtungen nicht vornehmen muß (Pfeil, BPGG 89; SSV-NF 9/83; 10 ObS 331/98v, 10 ObS 24/99y ua). Ein diesbezüglicher Hilfsbedarf ist daher nicht zu berücksichtigen. Aber selbst bei Berücksichtigung auch dieses Aufwandes würde sich zwar der relevante Pflegebedarf des Klägers von 150 Stunden auf 160 Stunden monatlich erhöhen, würde aber demnach nicht ausreichen, um einen Anspruch des Klägers auf ein Pflegegeld der Stufe 4 nach § 4 Abs 2 BPGG nF zu begründen, weil hiefür der Pflegebedarf, wie schon oben erwähnt, durchschnittlich mehr als 160 Stunden monatlich betragen muß.

Der Revision war damit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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