OGH 4Ob154/99x

OGH4Ob154/99x1.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Jörg H*****, vertreten durch Böhmdorfer-Gheneff OEG, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei V***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Gabriel Lansky und Dr. Stefan Prochaska, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 440.000 S), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 9. März 1999, GZ 1 R 34/99y-10, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs der beklagten Partei wird gemäß §§ 78, 402 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Tatsachen im Sinn des § 1330 Abs 2 ABGB sind - unabhängig von der im Einzelfall gewählten Formulierung - Umstände, Ereignisse oder Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm an Hand bekannter oder zu ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit nachprüfbaren Inhalt (stRsp ua ÖBl 1994, 220 - Zeitungs-Hauszustellung mwN; SZ 69/113 = JBl 1996, 789 = MR 1996, 146

Bei der Beurteilung der Frage, ob "Tatsachen" verbreitet wurden oder ein Werturteil vorliegt, kommt es immer auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck an, den die beanstandeten Äußerungen hinterlassen; dabei ist auf das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers oder -hörers, nicht aber auf den subjektiven Willen des Erklärenden abzustellen (ÖBl 1993, 163 - Kelomat-Druckkochtopf mwN; SZ 68/97 = MR 1995, 57 - Rößlwirtin [Korn]; MR 1998, 269 - Schweine-KZ [Korn]; MR 1998, 328 - Trivial Pursuite uva). Im Zweifel hat der Äußernde die für ihn ungünstigste Auslegung zu vertreten (MR 1994, 111 mwN; ÖBl 1995, 219 - Klasse statt Masse uva). Der Schutz des § 1330 Abs 2 ABGB kommt auch Politikern zu; das in Art 10 Abs 2 MRK normierte Recht auf freie Meinungsäußerung rechtfertigt die Herabsetzung von Politikern durch unwahre Tatsachenbehauptungen, die sie eines verwerflichen Verhaltens bezichtigen, nicht (MR 1993, 14 - Spitzelakt; SZ 70/180; ÖBl 1998, 197 - Luxuswohnung).

Die angefochtene Entscheidung wendet diese Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung richtig auf den Einzelfall an, wenn sie die von der Beklagten auf der Titelseite ihrer Zeitung neben einem Lichtbild des Klägers verbreitete isolierte Schlagzeile "H*****

Die 200-Millionen-Pleite" nicht als zulässige politische Kritik an finanziellen Vorgängen in der FPÖ Niederösterreich im Sinne eines politischen Debakels des Klägers, sondern als Behauptung der unrichtigen Tatsache, der Kläger persönlich sei in einen wirtschaftlichen Mißerfolg größten Ausmaßes verwickelt, beurteilt hat. Daß ein derartiger Vorwurf geeignet ist, den wirtschaftlichen Ruf des Klägers zu schädigen, der ebenso wie die Ehre vom Schutz des § 1330 ABGB umfaßt ist (SZ 60/117; SZ 63/1; WBl 1993, 29), bedurfte - entgegen der Ansicht der Rechtsmittelwerberin - keiner weiteren Begründung.

Der Schutz der Ehre ist umfassend und nicht auf die strafgerichtlichen Tatbestände beschränkt (SZ 56/63; EvBl 1991/61; ÖBl 1992, 278 - Riedel-Gläser). Um Ansprüche wegen rufschädigender Äußerungen in einem Medium aus dem bürgerlichen Recht ableiten zu können, bedarf es daher nicht zwingend der Verwirklichung des Tatbildes des § 111 Abs 2 StGB, weil auch herabsetzende Verhaltensformen, die strafrechtlich nicht zu ahnden sind, rechtswidrig iSd § 1330 ABGB sein können (SZ 64/182 = ÖBl 1992, 51 - Opernball-Demo II; SZ 68/97), und abweisende Entscheidungen in Medienstrafsachen entfalten keine Bindungswirkung in Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche. Die von der Beklagten erwünschte Entscheidungsharmonie in den genannten Rechtsgebieten ist daher nicht zu erreichen.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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