OGH 11Os13/99

OGH11Os13/9927.4.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vielhaber als Schriftführerin, in der Strafvollzugssache des Ralph B***** wegen bedingter Entlassung aus einer Freiheitsstrafe, AZ 18 c BE 492/98 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 1. Oktober 1998, AZ 23 Bs 331/98 (= ON 13 des BE-Aktes), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Wasserbauer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Ralph B***** verbüßt derzeit in der Justizanstalt Wien-Simmering eine zweieinhalbjährige Freiheitsstrafe, deren urteilsmäßiges Strafende auf den 23. August 1999 fällt. Die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach § 46 Abs 2 StGB lagen am 23. Oktober 1998 vor.

Über Antrag des Strafgefangenen fand am 11. August 1998 seine Anhörung vor dem Vollzugsgericht gemäß § 152a Abs 1 StVG statt (S 27). Der die begehrte bedingte Entlassung ablehnende Beschluß wurde in Gegenwart des Strafgefangenen mündlich verkündet, der nach erteilter Rechtsbelehrung Bedenkzeit erbat (vgl S 35). Die beim Erstgericht am 24. August 1998 eingelangte Beschwerde des Ralph B***** wurde mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 1. Oktober 1998, AZ 23 Bs 331/98 (= ON 13 des BE-Aktes), als verspätet zurückgewiesen.

In der Begründung seiner Entscheidung vertrat das Beschwerdegericht die Auffassung, daß der Beschluß des Vollzugsgerichtes infolge unterbliebener Beschwerdeanmeldung durch den Strafgefangenen innerhalb der in § 152a Abs 3 StVG vorgesehenen dreitägigen Frist nach Einsicht durch die (bei der Anhörung nicht vertreten gewesene Staatsanwaltschaft) am 21. August 1998 in Rechtskraft erwachsen sei.

Nach Ansicht des Generalprokurators steht der Beschluß des Oberlandesgerichts Wien vom 1. Oktober 1998, AZ 23 Bs 331/98, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

"Die die (allgemeine) Vorschrift des § 17 Abs 4 StVG im Falle der mündlichen Verkündung ergänzende Sonderregelung des § 152a Abs 3 StVG eröffnet - ersichtlich wegen der Bedeutung der Entscheidung über die bedingte Entlassung - dem Strafgefangenen und dem Staatsanwalt die Möglichkeit, durch Beschwerdeanmeldung eine Ausfertigung des Beschlusses (in ungekürzter Form) und deren Zustellung zu erwirken, und dehnt hiezu den im § 17 Abs 4 StVG nur für den Verteidiger vorgesehenen Fristenlauf zur Erhebung der Beschwerde vom Tage der Zustellung an auch auf den Verurteilten selbst und den Staatsanwalt aus, die ohne diese Sonderregelung der 14-tägigen Rechtsmittelfrist des § 17 Abs 4 StVG ab Bekanntmachung des Beschlusses (§ 17 Abs 3 StVG) unterlägen.

Bei Unterlassung einer Anmeldung der Beschwerde kann demgegenüber vom Strafgefangenen und dem Staatsanwalt gemäß § 77 Abs 2 StPO - ohne jede Auswirkung auf die Rechtsmittelfrist - nur eine Abschrift des Protokolls, das eine gekürzte Ausfertigung des Beschlusses zu enthalten hat, verlangt werden; das Verlangen des Verurteilten, gemäß § 17 Abs 3 StVG eine Ausfertigung der Verfügung seinem Verteidiger zuzustellen, läßt nur die Rechtsmittelfrist "für den Verteidiger" vom Tag dieser Zustellung an laufen.

Weder aus dem Gesetzestext noch aus den Materialien zur Strafvollzugsnovelle 1993 (vgl Justizausschußbericht 1253 BlgNR XVIII. GP 9), mit der in Anlehnung an die Neufassung des § 498 Abs 2 StPO die Regelungen des § 152a Abs 3 erster und zweiter Satz StVG über die Möglichkeit der Anmeldung einer Beschwerde gegen einen mündlich verkündeten Beschluß des Strafvollzugsgerichtes über die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe und die damit verbundenen prozessualen Verfolgungen neu eingeführt wurden, ist abzuleiten, daß der Gesetzgeber für den Beschwerdeführer bei sonstigem Verlust des Beschwerderechtes eine Pflicht zur Anmeldung (oder Einbringung) der Beschwerde binnen drei Tagen ab mündlicher Verkündung der Entscheidung statuieren wollte (gleiches gilt im übrigen auch für die Regelung des § 498 Abs 2 StPO, vgl RV 924 BlgNR XVIII. GP 44). Vielmehr hat der Gesetzgeber in jenen Fällen, bei denen er (anders als in § 152a Abs 3 erster und zweiter Satz StPO sowie in § 498 Abs 2 StPO) tatsächlich eine Pflicht zur Anmeldung eines Rechtsmittels als Voraussetzung dessen späteren Ausführungen nach Verstreichung der Anmeldungsfrist vorgesehen hat, dies jeweils ausdrücklich statuiert (vgl "ist anzumelden" in §§ 284 Abs 1, 294 Abs 1, 466 Abs 1 StPO).

Daraus folgt, daß auch in Fällen mündlicher Verkündung der Entscheidung über die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe nach § 152a Abs 1 StVG prinzipiell die im § 17 Abs 4 StVG allgemein normierte 14-tägige Beschwerdefrist gilt und bei Einbringung der Beschwerde innerhalb dieser Frist deren Anmeldung nicht erforderlich ist.

Die vom Oberlandesgericht Wien vertretene, gegenteilige Auffassung, derzufolge mit der Unterlassung rechtzeitiger Beschwerdeanmeldung das Beschwerderecht verwirkt wäre, kann nicht auf § 152a Abs 3 letzter Satz StVG in der geltenden Fassung gestützt werden, weil diese offensichtlich auf einen im Strafrechtsänderungsgesetz 1987 unterlaufenen Redaktionsversehen (terminologisch richtig wäre im Gesetzestext die Einbringung der Beschwerde und nicht das Unterlassen der Anmeldung als Voraussetzung für die Abstandnahme von einer Protokolls- und Beschlußausfertigung anzuführen gewesen) beruht."

Demgemäß beantragt der Generalprokurator die Feststellung, daß der genannte Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 17 Abs 4, 152a Abs 3 StVG verletze, die Aufhebung dieses Beschlusses und die Beauftragung des Oberlandesgerichtes, unter Bindung an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes neuerlich über die Beschwerde des Ralph B***** zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Ausgangspunkt der Überlegungen hat das Strafrechtsänderungsgesetz 1987 (BGBl 1987/605) zu bilden, mit welchem die Möglichkeit der mündlichen Verkündung der Entscheidung über die bedingte Entlassung durch das Vollzugsgericht unmittelbar nach der Anhörung des Strafgefangenen erstmals eröffnet sowie gleichzeitig das Verfassen eines das Vernehmungsprotokoll und die Beschlußausfertigung ersetzenden Vermerks für den Fall gestattet wurde, daß der Staatsanwalt und der Verurteilte auf Rechtsmittel gegen den Beschluß verzichten oder innerhalb der hiefür offenstehenden Frist kein Rechtsmittel anmelden (§ 152a Abs 1 und Abs 3 StVG a.F.). Weitere Vorschriften über die Anmeldung von Rechtsmitteln waren damals im Bereich des Strafvollzugsgesetzes nicht enthalten.

Entgegen der Meinung, wonach sich aus den Gesetzesmaterialien keine näheren Aufschlüsse über die Intentionen des Gesetzgebers über den Wortlaut hinaus ableiten ließen, ist dem Justizausschußbericht 359 der BlgNR XVII. GP doch deutlich dessen Absicht zu entnehmen, dem durch die Anhörungen entstehenden Mehraufwand durch die Schaffung einer "in Anlehnung an die Vorschriften über die Ersetzung des Hauptverhandlungsprotokolls und des Urteils im strafgerichtlichen Erkenntnisverfahren durch einen nach den bisherigen Bestimmungen der Strafprozeßordnung so bezeichneten Protokolls- und Urteilsvermerk (§§ 458, 488 Z 7 StPO)" ähnlichen Vereinfachung zu begegnen, somit eine Regelung einzuführen, die dem System bei mündlich verkündeten Urteilen in Strafverfahren vor dem Bezirksgericht oder dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz angeglichen ist.

Diesem Programm entsprechend übernahm der Gesetzgeber als Voraussetzung für einen Beschlußvermerk weitgehend den Wortlaut des § 458 Abs 2 StPO ("... verzichten die Parteien auf alle Rechtsmittel oder melden sie innerhalb der hiefür offenstehenden Frist keine Rechtsmittel an, ...") in die neue Bestimmung des § 152a Abs 3 StVG, unterließ es allerdings, für das Strafvollzugsgesetz eine eigene Rechtsmittelanmeldefrist zu normieren. Eine solche ist im Bereich der Strafprozeßordnung zwar nicht in § 458, aber in den Vorschriften über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung zu finden.

Das Strafvollzugsgesetz enthält jedoch als Beschwerderegelung nur § 17 Abs 4 StVG, worin (offenbar wegen der bis dahin nicht mündlich zu verkündenden Beschlüsse) keine Differenzierung zwischen Anmeldung und Ausführung des Rechtsmittels vorgenommen wird.

Auf die unklare Situation, wie die Bestimmung des § 152a Abs 3 StVG in bezug auf das Institut der Rechtsmittelanmeldung zu verstehen sei, reagierte der Gesetzgeber in der Strafvollzugsnovelle 1993 (BGBl 1993/799) mit einer Ergänzung dieses Absatzes. Dabei wird als Voraussetzung für das Verfassen (bloß) eines (Protokolls- und Beschluß-)Vermerks weiterhin - neben dem Rechtsmittelverzicht - am Unterlassen der Anmeldung eines Rechtsmittels festgehalten, obwohl es sich - nach Ansicht des Generalprokurators - im Strafrechtsänderungsgesetz 1987 um ein "Redaktionsversehen" gehandelt habe und es eigentlich terminologisch richtig Unterlassen der "Einbringung" eines Rechtsmittels heißen müsse (vgl vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde; ebenso OLG Wien 19 Bs 370/97).

Die Regelung der Novelle 1993 nähert sich durch die Einführung der dreitägigen Anmeldefrist vielmehr im Sinne der bereits aufgezeigten erklärten Tendenz des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987 noch mehr dem System der Strafprozeßordnung bei Rechtsmittelerklärungen nach mündlich verkündeten Urteilen an. Zieht man dazu ins Kalkül, daß der Gesetzgeber grundsätzlich eine gekürzte Entscheidungsausfertigung ohne Protokollübertragung nur ausnahmsweise bei eingetretener Rechtskraft (und auch in diesem Falle nur eingeschränkt) zuläßt, um das Vorhandensein einer entsprechend nachvollziehbaren Grundlage für die Rechtsmittelausführung und die Überprüfung durch das Instanzgericht zu gewährleisten, ist davon auszugehen, daß auch im konkreten Fall das Verstreichenlassen der dreitägigen Frist zur Beschwerdeanmeldung die Rechtskraft des verkündeten Beschlusses (hinsichtlich der anwesenden Parteien) nach sich zieht.

Demnach kann - der in der Nichtigkeitsbeschwerde vertretenen Auffassung zuwider - aus der gesamten Konzeption des (novellierten) § 152a Abs 3 StVG nicht abgeleitet werden, daß zusätzlich die auf die schriftlich ausgefertigten Beschlüsse zugeschnittene Bestimmung des § 17 Abs 4 StVG auch auf die in Rede stehenden, mündlich verkündeten Entscheidungen über die bedingte Entlassung anwendbar sei. Demgemäß kann der Argumentation der Generalprokuratur, durch die Anmeldung der Beschwerde werde (bloß) die Beschlußzustellung in unverkürzter Form und eine Verlagerung der vierzehntägigen Ausführungsfrist nach dem Zustellungszeitpunkt auch für den Verurteilten selbst und den Staatsanwalt erwirkt, während daneben (ohne Anmeldung) auch die Rechtsmittelmöglichkeit nach § 17 Abs 3 und Abs 4 StVG (und somit ein Rechtsmittelverfahren auf der Basis eines Protokolls- und Beschlußvermerks) bestünde, nicht gefolgt werden.

Was die in den Gesetzesmaterialien (BlgNR XVIII. GP AB 1253) betonte Anlehnung an die Neufassung des § 498 Abs 2 StPO durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993 (BGBl 1993/526) anlangt, bezieht sich diese wohl nur auf das gleichartige System, daß dem Rechtsmittelwerber durch die Beschwerdeanmeldung die Möglichkeit eingeräumt wird, sein Rechtsmittel noch binnen vierzehn Tagen nach der Zustellung der Beschlußausfertigung näher ausführen zu können. Die Vergleichbarkeit beider Gesetzesbestimmungen stößt aber auf Grenzen; sieht doch die Regelung bei Beschlüssen nach § 498 StPO keinen Protokolls- und Beschlußvermerk vor.

Es ist aber darauf hinzuweisen, daß es auch bei der Einführung einer Beschwerdeanmeldung gegen letztgenannte, mündlich verkündete Beschlüsse erklärtes Ziel des Gesetzgebers war, ein dem "zur Erhebung von Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen ähnliches Verfahren" zu schaffen (vgl RV 924 BlgNR XVIII. GP 44; Einführungserlaß des BMfJ vom 22. Dezember 1993, S 53; Foregger/Kodek StPO6 Anm I zu § 498).

Ferner bleibt anzumerken, daß aus der Redewendung im Justizausschußbericht zur Strafvollzugsnovelle 1993 (S 9 zweiter Absatz), wonach die Beschwerde im Falle der mündlichen Verkündung der Entscheidung binnen drei Tagen angemeldet werden "könne" (was nicht dem Gesetzestext entspricht), kein der bisherigen Argumentation gegenteiliger Sinn abzuleiten ist; wird doch damit bloß zum Ausdruck gebracht, daß nunmehr auch für den Bereich des § 152a StVG die (hier bisher nur mangelhaft geregelte) Möglichkeit der Beschwerdeanmeldung innerhalb einer klaren Frist eröffnet wird. Im selben Absatz verweist der Bericht überdies darauf, daß "der eingangs erwähnte (Protokolls- und Beschluß-)Vermerk genüge, wenn beide Parteien auf eine Beschwerde verzichten oder die Frist zur Anmeldung ungenützt verstreichen lassen", was nach den obigen Darlegungen systemkonform nur als Zeitpunkte des Eintritts der Rechtskraft zu verstehen ist.

Abschließend sei noch ein Vergleich mit den (völlig unbestrittenen) Vorschriften der Rechtsmittelanmeldung bei mündlich verkündeten Urteilen angestellt, welchen eine parallel laufende Rechtsmitteleinbringungsfrist ab Urteilsverkündung fremd ist. Es wäre nicht einzusehen, daß der Gesetzgeber bei mündlich verkündeten Beschlüssen nach § 152a StVG (abgesehen von der Systemwidrigkeit und dem bisher Gesagten) eine über die dreitägige Anmeldefrist hinausgehende (zusätzliche) Beschwerdemöglichkeit einräumt, die er nicht einmal beim gravierendsten Einschnitt einer Verurteilung zuläßt.Insgesamt war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

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