OGH 1Ob359/98w

OGH1Ob359/98w27.4.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Andreas König, Rechtsanwalt, Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 13, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der R***** OEG, wider die beklagte Partei K*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Walter Sarg, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 34.859,67 S sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgerichts vom 13. Oktober 1998, GZ 1 R 232/98x-31, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 11. Mai 1998, GZ 14 Cg 107/97y-23, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.058,88 S (darin 676,48 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit Beschluß des Landesgerichts Innsbruck vom 31. Jänner 1997 wurde über das Vermögen einer näher bezeichneten Baugesellschaft in der Rechtsform einer OEG der - noch anhängige - Konkurs eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt. Die spätere Gemeinschuldnerin führte über Auftrag der beklagten Partei an einem näher bezeichneten Bauprojekt unter anderem Vollwärmeschutz- und Innenputzarbeiten durch. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Frage, ob die beklagte Werkbestellerin bei zwei Werkaufträgen für die Dauer der Gewährleistungsfrist einen Haftrücklaß von 3 % einbehalten darf. Es werden daher nur die dazu maßgeblichen Parteienvorbringen, Feststellungen und Rechtsauffassungen der Vorinstanzen wiedergegeben.

Je mit schriftlichem Werkvertrag vom 8. August 1996 beauftragte die beklagte Partei die spätere Gemeinschuldnerin als Werkunternehmerin mit den Gewerken Vollwärmeschutzarbeiten und Verputzarbeiten. Die insoweit übereinstimmenden schriftlichen Werkverträge statuieren ua:

... 6. Auftragsgrundlagen: Folgende Vertragsgrundlagen, die

integrierender Bestandteil des Vertrages sind, haben in nachstehender

Reihenfolge Gültigkeit: a) Der Werkvertrag mit allen darin

enthaltenen Abmachungen. b) Die Allgemeinen Vorbemerkungen. c) Der

amtliche Baubescheid ... d) Das Leistungsverzeichnis mit den

technischen Vorbemerkungen und allen Ausführungsunterlagen des

Auftraggebers. e) Das Angebot des Auftragnehmers. f) Die ÖNormen in

ihrer jeweils neuesten Fassung ... g) Die gesetzlichen Bestimmungen

zB in ABGB, in BRD: BGB. ... Die "Allgemeinen Vorbemerkungen"

statuieren ua: "1. Allgemeines: .... 1.13. Gewährleistung 1.13.3. Der

AG (Auftraggeber) ist berechtigt, für die Dauer der Gewährleistungsfrist einen Haftrücklaß als Prozentsatz der Brutto-Abrechnungssumme einzubehalten, siehe 2.7.2. bzw 3.6.2. ..."

Die genannten Vertragspunkte 2.7.2. bzw 3.6.2. sind in den Vorbemerkungen, die mit Vertragspunkt 2.3. "Schlußbestimmungen" enden, nicht enthalten. Die Vertragsparteien sprachen auch weder dem Grunde noch der Höhe nach über einen Haftrücklaß; demgemäß wurde auch die entsprechende Zeile in den beiden Werkvertragsformularen nicht ausgefüllt. Punkt 2.27. der ÖNorm B2110 (Ausgabedarum 1. Jänner 1983) lautet: Die Höhe des Haftrücklasses im Sinne von ÖNorm A2060, Abschnitt 2.25.3. beträgt 3 %.

Der Kläger begehrte von der beklagten Partei zuletzt die Zahlung von 296.480,93 S sA als offener Restwerklohn und brachte vor, ein Haftrücklaß sei weder in den Werkverträgen selbst noch in den "Allgemeinen Vorbemerkungen" vereinbart worden.

Die beklagte Partei wendete ein, die korrigierten und freigegebenen Rechnungssummen seien nach Abzug des vereinbarten Haftrücklasses von 5 % fristgerecht bezahlt worden. Ein Haftrücklaß von 5 % gelte als branchenüblich vereinbart, auch wenn die Höhe des Haftrücklasses im Werkvertrag nicht ausdrücklich festgelegt sei. Hilfsweise werde unter Berufung auf die vereinbarten ÖNormen A2060 und B2110 geltend gemacht, daß der Haftrücklaß 3 % betragen habe.

Das Erstgericht erachtet die Klageforderung mit 217.891,89 S und die von der beklagten Partei eingewendete Gegenforderung mit 15.817,20 S als zu Recht bestehend und verhielt die beklagte Partei zur Zahlung von 200.409,09 S sA; das Mehrbegehren wies es ab. Die beklagte Partei habe vertragswidrig einen Abzug für den Haftrücklaß vorgenommen. Auch wenn die ÖNorm B2110 die Höhe des Haftrücklasses iSd ÖNorm A2060, Abschnitt 2.25.3, mit 3 % festlege, müsse im Hinblick auf die widersprüchlichen Bestimmungen in den "Allgemeinen Vorbemerkungen" - deren Punkt 1.13.3. verweise auf die Berechtigung des Auftragsgebers, für die Dauer der Gewährleistungsfrist einen Haftrücklaß einzubehalten, doch fehlten die bezugnehmenden Vertragspunkte 2.7.2. bzw 3.6.2. - und angesichts des Fehlens einer ausdrücklichen Vereinbarung in den beiden Werkverträgen die Berechtigung zur Einbehaltung eines Haftrücklasses verneint werden. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, einander widersprechende und in sich unklar formulierte Bestimmungen auszulegen. Da der von der beklagten Partei (sub)beauftragte Architekt das strittige Vertragsformular aufgelegt und verwendet habe, fielen die darin enthaltenen unklaren Vertragsbestimmungen der beklagten Partei zur Last.

Das Berufungsgericht erachtete die Klageforderung mit 199.326,16 S zu Recht und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend, verhielt die beklagte Partei zur Zahlung von 199.326,18 S sA und wies das Mehrbegehren von 97.154,77 S sA ab. Zwar habe die beklagte Partei die von ihr behauptete Branchenüblichkeit eines Haftrücklasses im Ausmaß von 5 % nicht unter Beweis gestellt, jedoch stehe ihr für die Dauer der Gewährleistungsfrist ein Haftrücklaß von 3 % nach den einbezogenen ÖNormen zu. Die vom Erstgericht angenommenen Widersprüche in dem von den Vertragsteilen geschaffenen Vertragswerk seien nicht zu erkennen. Es ergebe sich demnach beim Gewerk Vollwärmeschutz unter Abzugs eines 3 %igen Haftrücklasses von 17.189,73 S ein Restwerklohn von brutto 53.222,04 S und beim Gewerk Innenputz unter Abzugs eines 3 %igen Haftrücklasses von 13.206,36 S ein Restwerklohn von 16.982,84 S, somit eine Überzahlung (Guthaben) der beklagten Partei in dieser Höhe, die aber wegen Vorliegens teilbarer Leistungen und mangels entsprechender Aufrechnungserklärung der beklagten Partei nicht zu berücksichtigen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der zweiten Instanz zugelassene Revision der klagenden Partei, die bei den beiden Gewerken weitere Zusprüche, und zwar von 20.627,67 S bzw 14.232 S jeweils incl. 20 % Umsatzsteuer anstrebt, ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Gemäß Punkt 1.13.3. der einen Bestandteil beider Werkverträge bildenden "Allgemeinen Vorbemerkungen" ist der Auftraggeber berechtigt, für die Dauer der Gewährleistungsfrist einen Haftungsrücklaß als Prozentsatz der Bruttoabrechnungssumme einzubehalten. Die Höhe des Haftrücklasses ist weder in den schriftlichen Vertragsoperaten enthalten, zumal die beim Haftrücklaß genannten Punkte 2.7.2. bzw 3.6.2. in den "Allgemeinen Vorbemerkungen" gar nicht enthalten sind, noch wurden dazu mündliche Abreden getroffen. Es stellt sich daher die Frage, ob im Rahmen der Vertragsauslegung auf den maßgeblichen Punkt der ÖNorm B2110 über die Höhe des Haftrücklasses zurückgegriffen werden kann, obwohl - auch dazu - in den schriftlichen Auftragsoperaten nur allgemein auf die "ÖNormen in der jeweiligen neuesten Fassung" verwiesen wird.

Die "Österreichischen Normen" (ÖNormen) werden vom Österreichischen Normungsinstitut, einem privatrechtlich konstituierten Verein, dem die ausschließliche Befugnis dazu bescheidmäßig aufgrund des NormenG 1971, BGBl 1971/240, verliehen wurde, herausgegeben. Soweit ÖNormen durch Rechtsvorschriften (Gesetz oder auf gesetzlicher Ermächtigung beruhender Verordnung) gemäß § 4 Abs 6 NormenG 1971 für verbindlich erklärt wurden, kommt ihnen der Charakter einer generellen Norm zu, sonst sind sie nur Richtlinien (Allgemeine Geschäftsbedingungen), die als Bestandteile von Einzelverträgen gelten sollen (SZ 59/101, SZ 68/35, je mwN ua, zuletzt 3 Ob 79/98k; Rummel in Rummel2, § 861 ABGB Rz 12; Apathy in Schwimann2, § 861 ABGB Rz 5; vgl auch Larcher, Die neuen ÖNORMEN des Verdingungswesens A2060 und B2110 in RdW 1984, 166 ff; Thienel, Verweisungen auf ÖNormen, 14 mwN aus dem Schrifttum in FN 6), was im besonderen für die ÖNormen des Verdingungswesens - um solche handelt es sich bei der hier interessierenden ÖNorm B2110 - gilt. Einzelpunkte von ÖNormen können aber durch tatsächliche Übung der beteiligten Verkehrskreise zum Handelsbrauch oder zur Verkehrssitte erstarken und damit zur ergänzenden Auslegung heranzuziehen sein (Apathy aaO mwN). Ob eine bestimmte ÖNorm als Ganzes oder Teile davon - auch konkludent (JBl 1972, 569) - zum Vertragsbestandteil wurden, richtet sich nach den allgemeinen Regeln des § 914 ABGB (Inhalt gültig zustandegekommener Rechtsgeschäfte).

Die zweite Instanz vertrat unter Hinweis auf Larcher (aaO 167) die Auffassung, die ÖNorm B2110 stelle seit langem das in der Bauwirtschaft häufigst verwendete Werkvertragsmuster dar und habe für die Bauwirtschaft die Bedeutung eines "Quasigesetzes" erlangt. Wenn auch in Punkt 6 f der beiden Werkverträge lediglich auf "die ÖNormen in ihrer jeweils neuesten Fassung" als Auftragsgrundlage verwiesen werde, ohne die ÖNorm B2110 ausdrücklich zu zitieren oder mit ihrer näheren Bezeichnung anzuführen, ergebe sich doch bei verständiger Auslegung dieser Vertragsbestimmungen unter Bedachtnahme auf die Art der zwischen der (späteren) Gemeinschuldnerin und der beklagten Partei abgeschlossenen Verträge, daß sie damit jedenfalls auch die Anwendung der zitierten Verdingungsnorm auf die für die beiden Gewerke begründeten werkvertraglichen Rechtsverhältnisse vereinbaren wollten. Da somit die einen integrierenden Bestandteil der beiden Werkverträge bildenden "Allgemeinen Vorbemerkungen" eine Bestimmung über die grundsätzliche Möglichkeit des Einbehalts eines Haftrücklasses enthielten und die einen 3 %-igen Haftrücklaß vorsehende ÖNorm B2110 Grundlage des Werkverträge gewesen sei, sei beim Restwerklohnanspruch der Gemeinschuldnerin für die beiden Gewerke zu Recht ein (für die Dauer der Gewährleistungsfrist geltender) Haftrücklaß von 3 % in Abzug gebracht worden.

Ob eine konkrete in einer ÖNorm enthaltene Bestimmung zwischen Vertragsparteien vereinbart wurde, ist eine nicht revisible Tatfrage (3 Ob 70/98k; vgl auch RdU 1997, 140 zur Verkehrssitte). Ob aber mangels ausdrücklicher Vereinbarung eine bestimmte Regelung einer ÖNorm als zumindest stillschweigend bedungener Vertragsbestandteil anzusehen ist, ist wegen der Abhängigkeit von der konkreten Vertragsgestaltung und von der Reichweite und der Bedeutung des entsprechenden Punkts der ÖNorm eine solche des Einzelfalls. Generelle Aussagen dahin, daß schon jeder Verweis auf ÖNormen des Verdingungswesens diese immer vollinhaltlich zum Vertragsbestandteil mache, lassen sich nach Auffassung des erkennenden Senats nicht treffen. Im konkreten Fall war ein Haftrücklaß zwischen den Parteien vereinbart; dessen Höhe ergab sich hinreichend deutlich aus der maßgeblichen ÖNorm des Verdingungswesens. Dem Gericht zweiter Instanz ist somit keine Fehlbeurteilung - auch nicht bei der Lösung der Frage, daß eine undeutliche Äußerung nicht vorliege - unterlaufen, weil mit dem Hinweis in den Verträgen auf die "ÖNormen in ihrer jeweils neuesten Fassung" - wie im folgenden darzulegen sein wird - nur eine ganz bestimmte ÖNorm in Frage kam:

Richtigzustellen ist nämlich folgendes: Zum 1. Jänner 1983 wurde die ÖNorm B2110 aF durch die ÖNorm A2060 und die neugefaßte ÖNorm B2110 ersetzt. Letztere mußte wegen eines Druckfehlers in der Jänner-Ausgabe am 1. März 1983 neu herausgegeben werden. Mit dem Ausgabedatum 1. März 1995 erschien sodann die ÖNorm B2110 neu, diese ist im vorliegenden Fall anzuwenden, weil die Werkverträge zeitlich nachher, nämlich im August 1996, geschlossen wurden und die Anwendung der ÖNormen in der jeweils neuesten Fassung vereinbart war. Die ÖNorm B2110; Ausgabedatum 1. März 1995, ersetzte die ÖNorm B2110; Ausgabedatum 1. Jänner 1983 sowie die ÖNorm A2060 (Allgemeine Vertragsbestimmungen für Leistungen) und stellt seither die Verdingungsnorm für Bauwerks- und Haustechnikleistungen dar ("allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen), neben der allerdings noch die technischen Normen, jene mit vornormierten Vertragsinhalten und die ÖNormen B2111, 2112, 2113 und 2114 zu beachten sind, die mit Vereinbarung der B2110 kraft der dort enthaltenen Verweisung nunmehr automatisch - außer bei Verbrauchergeschäften - ebenfalls Vertragsinhalt werden (Wilhelm, ÖNorm B2110 neu - Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen in ecolex 1995, 241 f). Die Ausführungen im Rechtsmittel, es sei unklar, auf welche ÖNormen nun verwiesen werde, gehen damit fehl, weil die maßgebliche Verdingungsnorm nun die ÖNorm B2110 ist und es schon deshalb nicht an der Bestimmtheit bzw Bestimmbarkeit der entsprechenden Vertragserklärung fehlt (§ 869 ABGB). Nach Punkt

1.2.14 wird unter Haftrücklaß die Sicherstellung für den Fall verstanden, daß der Auftragnehmer die ihm aus der Gewährleistung obliegenden Pflichten nicht erfüllt. Im Detail ist in der genannten ÖNorm nun der Haftrücklaß wie folgt geregelt:

2.47.3.1 Von der Schluß- bzw. Teilschlußrechnungssumme (Gesamtpreis zuzüglich Umsatzsteuer) ist ein Haftrücklaß in der Höhe von 3 % einzubehalten, soweit er nicht durch eine unbare Sicherstellung gemäß

2.47.4 abgelöst ist.

2.47.3.2 Bei Verträgen, bei denen der Natur des Rechtsgeschäftes nach keine Gewährleistungsansprüche gegeben sind, ist kein Haftungsrücklaß einzubehalten. 2.47.3.3 Der Auftraggeber hat das Recht, sich aus dem Haftungsrücklaß für seine Ansprüche aus der Gewährleistung schadlos zu halten. ...

Ungeachtet der erheblichen Änderungen in der neuen ÖNorm B2110 blieb somit die Höhe des Haftrücklasses gegenüber der ÖNorm B2110, Ausgabedatum 1. Jänner 1983, unverändert.

Aus all diesen Erwägungen ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels ausdrücklich hingewiesen.

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