Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden so abgeändert, daß das Scheidungsbegehren des Klägers abgewiesen wird.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten binnen 14 Tagen die mit S 25.141,36 (darin enthalten S 6.690,-- Barauslagen und S 3.078,56 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 25. 2. 1960 geborene Kläger und die am 7. 6. 1961 geborene Beklagte sind seit 30. 8. 1985 in beiderseits erster Ehe verheiratet. Beide sind österreichische Staatsbürger. Ihrer Ehe entstammen zwei Kinder, und zwar die am 28. 5. 1986 geborene Daniela sowie der am 22. 9. 1991 geborene Roman.
Die Ehe ist aus dem alleinigen Verschulden des Klägers tiefgreifend und unheilbar zerrüttet. Der Kläger hat am 26. 3. 1995 eine Lebensgemeinschaft mit Monika J***** aufgenommen und beabsichtigt, diese so bald wie möglich zu heiraten. Seit diesem Zeitpunkt ist die häusliche Gemeinschaft der Streitteile aufgehoben.
Der Kläger verdient derzeit einschließlich Sonderzahlungen rund S 50.000,-- monatlich netto. Er hat der Beklagten auf Grund einer einstweiligen Verfügung des Erstgerichtes vom 2. 5. 1997 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag vom S 9.130,-- zu leisten; für die Mj. Daniela trifft ihn nach dem derzeitigen Stand eine mit monatlich S 8.200,-- bemessene Geldunterhaltspflicht, für den Mj. Roman eine solche von S 6.600,--. Seine Lebensgefährtin verfügt über ein Eigeneinkommen von rund S 20.000,-- monatlich netto.
Die Beklagte leidet an multipler Sklerose. Diese Erkrankung nimmt einen sekundär progredienten Verlauf, tritt also in Schüben auf und erfährt zwischen den Schüben ständige Verschlechterungen. Derzeit benötigt sie noch keine fremde Hilfe und erhält auch kein Pflegegeld. Sie wird von ihren Kindern bei der Haushaltsführung unterstützt. Seit 1. 4. 1997 bezieht sie eine Berufsunfähigkeitspension der PV der Angestellten von rund S 9.770,-- monatlich zuzüglich Sonderzahlungen. Aus den ihr zur Verfügung stehenden Einkünften (Berufsunfähigkeitspension und Unterhaltsleistungen des Klägers) hat sie monatlich S 13.875,-- zur Abstattung des Darlehens zu leisten, das auf dem von ihr bewohnten Reihenhaus (der Ehewohnung) lastet.
Nach Abweisung einer auf § 49 EheG gestützten Scheidungsklage begehrt nunmehr der Kläger die Scheidung seiner Ehe gemäß § 55 Abs 1 EheG. Diesem Begehren ist die Beklagte mit dem Einwand entgegentreten, daß sie die Scheidung härter träfe als den Kläger die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Den Härtefall erblickt sie - vor dem Hintergrund ihrer schweren Erkrankung - vor allem darin, daß sie bei sofortiger Scheidung die Voraussetzungen für die Gewährung einer Witwenpension in voller Höhe, also losgelöst von der Höhe ihres Unterhaltsanspruchs gegen den Kläger, nicht erfüllen würde.
Das Erstgericht gab dem Scheidungsbegehren mit dem Ausspruch, daß der Kläger die Zerrüttung der Ehe verschuldete, statt. Es verneinte den von der Beklagten unter Berufung auf § 55 Abs 2 EheG geltend gemachten Härtefall im wesentlichen mit der Begründung, daß die Beklagte auf absehbarer Zeit durch ihre Unterhaltsansprüche gegen den Kläger und ihre Eigenpension, zu der bei Verschlechterung ihrer Krankheit noch ein Pflegegeld kommen könnte, ausreichend abgesichert sei. Durch die Erfüllung der Voraussetzungen für eine volle Witwenpension durch Fortsetzung der Ehe bis 30. 8. 2000, allenfalls bis 7. 6. 2001 könne sich ihre Lage, wenn überhaupt, kaum verbessern.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung aus folgenden (hier auf die pensionsrechtliche Problematik reduzierten) Erwägungen:
Die Ehescheidung wäre pensionsrechtlich mit einer besonderen Härte für die Beklagte verbunden, wenn die im Falle der Scheidung nach 15-jähriger Ehedauer und Zurücklegung des 40. Lebensjahres der Beklagten gebührende Pension höher wäre als die Unterhaltsleistung, auf deren Höhe die Witwenpension sonst zu begrenzen wäre.
Dabei sei festzuhalten, daß eine Witwenpension höchstens 60 % der durch die Höchstbemessungsgrundlage möglichen Höchstpension ausmachen kann. Die höchstmögliche Pension betrage derzeit ca. S 29.000,-- monatlich brutto. 60 % davon wären rund 17.400,-- monatlich brutto. Auf Grund des Bezugs einer Berufsunfähigkeitspension von rund S 9.000,-- netto ergäbe sich ein zusätzlicher Nettobezug von rund S 13.000,-- somit um knapp S 4.000,-- mehr als der derzeitige Unterhaltsbeitrag.
Dazu komme, daß für die Erlangung einer Witwenpension im Ausmaß der theoretisch möglichen Höchstpension vorauszusetzen wäre, daß der Kläger im Zeitpunkt seines Ablebens eine ausreichende Anzahl von Versicherungsmonaten aufzuweisen kann, um einen entsprechenden Pensionsbemessungssatz auszulösen. Verringert sich künftig sein Einkommen, sänke zwar auch seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Beklagten, gleichzeitig aber auch die Bemessungsgrundlage für die Pensionsversicherung. Sobald die Unterhaltsverpflichtung für die beiden ehelichen Kinder, die derzeit rund S 15.000,-- monatlich ausmacht, wegfällt, steige die Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber der Beklagten um ca. S 4.000,--, ohne daß sich die Umstände für die Bemessung einer hypothetischen Witwenpension veränderten. In ca. 10 bis 12 Jahren, wenn beide Sorgepflichten voraussichtlich weggefallen sein werden, werde der Kläger erst 50 Jahre alt sein und hätte daher selbst bei einem ununterbrochenen Versicherungsverlauf z. B. bei Berufsunfähigkeit einen deutlich unter der Höchstpension liegenden Eigenpensionsanspruch.
Die höchstmögliche Witwenpension könne die Beklagte nur erwarten, wenn der Kläger die dafür notwendige Wartezeit erfüllt. Bei einem Ableben vor dem 60. Lebensjahr müsse mit einer deutlich niedrigeren Witwenpension gerechnet werden, sodaß diese Gesamtschau zum Ergebnis führt, daß die Beklagte aus einer möglichen Witwenpension im günstigsten Fall etwa ein Einkommen zu erwarten hätte, das ungefähr dem Unterhaltsbeitrag entspricht, in allen denkbaren anderen Fällen außer diesem günstigsten Fall sei sie durch Unterhaltszahlungen aber besser gestellt als durch den Bezug einer Witwenpension, insbesondere dann, wenn sie vor Erreichung der Altersgrenze des Klägers anfiele. Einer genauen Nettoberechnung der Pension bedürfe es dazu nicht. Es sei daher nicht erkennbar, worin die besondere Härte für die Beklagte bei Ausspruch einer Scheidung vor Zurücklegung ihres 40. Lebensjahres oder vor einer Ehedauer von 15 Jahren läge.
Der Hinweis der Beklagten in der Berufung, daß sich ihr Unterhaltsanspruch durch die Annahme eines Behindertenarbeitsplatzes auf rund S 5.000,-- monatlich vermindert habe, sei eine unzulässige Neuerung. Es sei aber darauf hingewiesen, daß selbst dann, wenn eine hypothetische Witwenpension den Unterhaltsbeitrag überstiege, dies im vorliegenden Fall erst in vielen Jahren und der Aufbringung ausreichender Versicherungsmonate durch den Kläger möglich wäre, während gerade eine Gegenüberstellung der derzeitigen Umstände seitens des Klägers und seitens der Beklagten mit Sicherheit nur eine deutlich niedriegere Witwenpension für die Beklagte ergeben würde als selbst einen Unterhaltbeitrag von nur S 5.000,-- im Monat, weil der Kläger aufgrund seines Lebensalters jetzt erst weit weniger als die Hälfte der Wartezeit zurückgelegt haben könne. Gerade durch die von der Beklagten herausgestellte zu erwartende Verschlechterung ihrer Erkrankung müsse außerdem wieder mit der Aufgabe ihrer Berufstätigkeit und daher mit einer Erhöhung ihres Unterhaltsanspruches gerechnet werden. Die von der Beklagten befürchtete Kürzung des Unterhaltsanspruches aus Billigkeitsgründen infolge der geplagten Wiederverehelichung durch den Kläger spreche im vorliegenden Fall gerade gegen die von ihr befürchtete Minderung des Unterhaltsanspruches, da eine Gegenüberstellung ihrer Situation und jener der künftigen Ehegattin des Klägers wohl eindeutig zugunsten der Beklagten ausfallen müßte. Die in durchschnittlichen Fällen mögliche besondere Härte durch das Fehlen einer Anwartschaft auf eine volle Witwenpension erscheine daher im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Diese Entscheidung enthält den Ausspruch, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil sich keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO umschriebenen Qualität gestellt habe.
In der jetzt vorliegenden ao Revision macht die Beklagte ein Abweichen des Berufungsgerichtes von der einschlägigen Judikatur geltend; zumindest fehle eine höchstgerichtliche Judikatur, die in einem Fall wie dem gegenständlichen die Anwendung der Härteklausel versage. Der Oberste Gerichtshof hat zwar ausgesprochen, daß nicht jeder pensionsrechtliche Nachteil eine für die Abwägung nach § 55 Abs 2 EheG beachtliche besondere Härte sein kann. Diese Einschränkung habe sich aber regelmäßig auf solche Nachteile bezogen, die sich nicht oder nicht mit der notwendigen Bestimmtheit innerhalb der Frist des § 55 Abs 3 EheG beseitigen ließen, etwa das Fehlen eines für die Gewährung einer Witwenpension notwendigen Unterhaltsanspruchs. Im konkreten Fall könnten pensionsrechtliche Nachteile ohne weiteres dadurch abgewendet werden, daß die Ehe zumindest bis 30. 8. 2000 aufrecht bleibt. Sinn der Härteklausel des § 55 Abs 2 EheG sei es, dem schuldlosen Ehegatten eine Anpassungsfrist zu gewähren (4 Ob 542/94). Wenn konkrete Umstände vorliegen, aus denen im Einzelfall eine gegenüber dem Normalfall besondere Härte abgeleitet werden kann, sei das Scheidungsbegehren auch nach Ablauf der Frist des § 55 Abs 1 EheG abzuweisen (EFSlg 75.547 ua). Ein diesbezüglich im Gesetz selbst als maßgeblich hervorgehobener Grund sei die Gesundheit des der Scheidung widersprechenden Ehegatten. Darauf sei vom Berufungsgericht zu wenig Bedacht genommen worden. Indem es dem Scheidungsbegehren trotz der schweren Krankheit der Beklagten und der Vermeidbarkeit pensionsrechtlicher Nachteile durch ein nur noch verhältnismäßig kurzes Aufrechterhalten der Ehe stattgab, habe es sich in Widerspruch zur einschlägigen Judikatur gesetzt. Ohne auf die vom Berufungsgericht angestellten Berechnungen näher einzugehen, mache es, nachdem der Kläger aller Wahrscheinlichkeit nach die höchstmögliche Pension beziehen werde, doch einen eklatanten Unterschied, ob die Beklagte einmal 33 % dieser Pension oder aber - bei einem verhältnismäßig kurzen Zuwarten mit der Scheidung - 60 % erhalte. Diese Verschlechterung der Anwartschaft auf den Witwenversorgungsanspruch durch eine sofortige Scheidung sei grob unbillig. Weitere Argumente der Revision beschäftigen sich mit dem der Beklagten bei einer sofortigen vermögensrechtlichen Auseinandersetzung drohenden Streß. Der Revisionsantrag geht dahin, das Urteil des Berufungsgerichtes so abzuändern, daß das Scheidungsbegehren des Klägers abgewiesen wird oder aber aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an eine der Vorinstanzen zurückzuverweisen.
Dem Kläger wurde die Beantwortung der Revision freigestellt. Er hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und vor allem mit dem Argument, die Berufung auf drohender pensionsrechtliche Nachteile durch eine sofortige Scheidung laufe auf eine sittenwidrige Spekulation auf sein vorzeitiges Ableben hinaus, die Bestätigung der berufungsgerichtlichen Entscheidung beantragt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist, weil ausreichende Judikatur zur Auslegung der Härteklausel des § 55 Abs 2 EheG fehlt, zulässig; sie ist im Sinn ihres Abänderungsbegehrens auch berechtigt.
Richtig ist, daß mögliche pensionsrechtliche Nachteile der Witwe aus der Scheidung nach § 55 Abs 1 EheG (mit einem Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG) für sich allein keinen Einwand nach § 55 Abs 2 EheG rechtfertigen können, weil derartige Nachteile den Normalfall darstellen und nur eine besondere, über die typischen Scheidungsfolgen hinausgehende Härte tatbestandsmäßig ist (vgl RIS-Justiz RS0057346). Die Verschlechterung bei der Anwartschaft auf die Witwenpension wird jedoch von der Judikatur dann als besonderer Härtefall anerkannt, wenn die der Scheidung widersprechende Ehefrau durch die einvernehmliche eheliche Lebensgestaltung gehindert war, eine entsprechende Vorsorge für ihre Altersversorgung zu treffen (EFSlg 42.252/5; SZ 67/104). Nichts anderes kann für den hier vorliegenden Fall gelten, in dem die der Ehescheidung widersprechende Frau durch eine schwere Erkrankung auf Dauer an der Ausübung einer Berufstätigkeit gehindert ist, die ihr den Erwerb bzw die Verbesserung eigener Pensionsansprüche ermöglichen würde. Immerhin ist die Gesundheit der Ehegatten in § 55 Abs 2 EheG ausdrücklich als ein Umstand angeführt, der bei der Abwägung, ob den scheidungswilligen Ehegatten die Abweisung des Scheidungsbegehrens oder den beklagten Ehegatten die Scheidung härter träfe, mitberücksichtigt werden muß. Im konkreten Fall lassen sich die Voraussetzungen für die Gewährung einer von der Höhe des Unterhaltsanspruchs unabhängigen Witwenpension an die Beklagte durch ein den Kläger durchaus zumutbares Zuwarten mit der Scheidung bis zum 30. 8. 2000, längstens bis zum 7. 6. 2001 erreichen (§ 264 Abs 10 ASVG), weshalb dem auf die Härteklausel des § 55 Abs 2 EheG geschützten Einwand der Beklagten stattzugeben und das Scheidungsbegehren abzuweisen war. Auf weitere Argumente der Revisionswerberin ist nicht einzugehen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
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