Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 26. 4. 1996 lehnte die Beklagte den Antrag des am 19. 7. 1955 geborenen Klägers auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension mit der Begründung ab, der Kläger wäre noch imstande, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen.
Dagegen richtet sich die Klage auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension mit der Begründung, der Kläger sei infolge einer sich im Laufe der Zeit verschlechternden psychischen Behinderung aufgrund eines am 12. 7. 1975 erlittenen schweren Verkehrsunfalls nunmehr dauernd außerstande, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Der Kläger sei über 18 Jahre in einem geschützten Bereich tätig gewesen. Unter Mithilfe von Familienangehörigen sei er in der Lage gewesen, eine regelmäßige Erwerbstätigkeit zu entfalten. Die bisherige Rechtsprechung zur Erwerbsunfähigkeit hätte sich immer auf Umgehungstatbestände bezogen. Bei ihm wäre jedoch kein Umgehungsfall gegeben.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, der Kläger sei seit Beginn seiner selbständigen Erwerbstätigkeit ab 1. 10. 1977 durchgehend erwerbsunfähig gewesen. Ein von Anfang an im wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand könne nicht zum Eintritt des Versicherungsfalles führen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach den wesentlichen Feststellungen besteht beim Kläger nach einem Verkehrsunfall vom 12. 7. 1975 mit einem schweren Schädeltrauma und fokalen Hirnschädigungen eine ausgeprägte neuropsychologische Störung mit schwerer Beeinträchtigung der kognitiven Leistungen und einer schweren Persönlichkeitsveränderung, wobei die Verlangsamung in allen körperlichen und geistigen Bereichen im Vordergrund steht.
Die Familie des Klägers leitete über viele Jahre die H***** Sportgesellschaft mbH. Der Kläger war vom 2. 5. 1977 bis 30. 11. 1977 in diesem Unternehmen in R***** angestellt. Am 1. 10. 1977 wurde in O***** ein Sportgeschäft eröffnet, um für den Kläger eine Beschäftigungsmöglichkeit zu schaffen. Der Kläger führte seither dieses Geschäft im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit. Dies war ihm allerdings nur unter Mithilfe seiner Familienmitglieder und anderer Arbeitnehmer möglich. Die selbständige Tätigkeit des Klägers endete am 30. 6. 1995.
Bereits ab 1. 11. 1994 bis 14. 7. 1995 war der Kläger auch wieder bei der H***** Sportgesellschaft mbH angestellt. Dabei war er in einem geschützten Bereich unter ständiger Aufsicht seines Bruders und eines Mitarbeiters tätig. Im Jahr 1995 wurde über das Vermögen dieses Unternehmens der Konkurs eröffnet. Seither ist der Kläger arbeitslos.
Die neuropsychologischen Störungen des Klägers als Folge des Verkehrsunfalles vom 12. 7. 1975 waren von Anfang an vorhanden und sehr deutlich ausgeprägt. Der Kläger war daher bereits ab Oktober 1977 nicht in der Lage, ohne fremde Hilfe eine selbständige Tätigkeit durchzuführen. Bereits ab Beginn seiner selbständigen Erwerbstätigkeit war der Kläger "nicht erwerbsfähig".
Während der Dauer seiner selbständigen Beschäftigung ist beim Kläger keine wesentliche Verschlechterung der neuropsychologischen Störung eingetreten. Erst mit Beginn der Arbeitslosigkeit ist es zu einer wesentlichen Verschlechterung der geistigen Leistungsfähigkeit des Klägers gekommen. Die selbständige Tätigkeit stellte für ihn eine Art Therapie dar, weil er durch die ständigen Anforderungen ein gewisses geistiges Leistungstraining durchmachte. Durch den Wegfall dieses Trainings hat sich seine Leistungsfähigkeit im neuropsychologischen Bereich wesentlich verschlechtert.
Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß auch die Versicherungsfälle der Erwerbsunfähigkeit nach dem BSVG und GSVG zur Voraussetzung haben, daß ursprünglich eine Erwerbsfähigkeit bestanden habe und diese erst durch eine nachfolgende Entwicklung beeinträchtigt worden sei. Im vorliegenden Fall sei jedoch der Kläger von Beginn an erwerbsunfähig gewesen, also zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen, eine selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben. Auf den Wegfall der selbständigen Tätigkeit zufolge Konkurses könne nicht Bedacht genommen werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht Folge. Es trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei. Selbst wenn ein Versicherter trotz bestehender Behinderung, die ihn vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließe, Versicherungszeiten erwerbe, könne er sich nicht darauf berufen, daß er ohne Änderung seines körperlichen oder geistigen Zustandes nunmehr wegen dieser Behinderung erwerbsunfähig sei. Die Annahme des Klägers, die bisherige Rechtsprechung zum Vorliegen einer bereits von Anfang an gegebenen Erwerbsunfähigkeit hätte sich nur auf sogenannte Umgehungstatbestände bezogen, sei unbegründet.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird die Aufhebung begehrt.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist im Ergebnis im Sinne des Eventualantrages berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, handelt es sich auch bei den Versicherungsfällen der Erwerbsunfähigkeit nach dem BSVG und GSVG um Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit. Der zu den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG entwickelte Grundsatz, daß ein bereits vor Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das Versicherungsverhältnis mitgebrachter, im wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand bei Leistungen aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit nicht zum Eintritt des Versicherungsfalles führen kann, ist daher auch auf die Versicherungsfälle der Erwerbsunfähigkeit nach dem BSVG und GSVG anwendbar (SSV-NF 2/87; SVSlg 33.715, 36.213). Insofern ist daher die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen richtig.
Diese Grundsätze gelten entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht nur für "Umgehungstatbestände", worunter er Fälle versteht, in denen der Versicherte erst kurz vor Antragstellung auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension angemeldet wurde. Derartiges kann auch nicht aus den vom Revisionswerber zitierten Entscheidungen abgeleitet werden.
Die Vorinstanzen ließen jedoch bisher einen anderen wesentlichen Aspekt unberücksichtigt. Als erwerbsunfähig gilt gemäß § 133 Abs 1 GSVG der Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Nur die gänzliche Unfähigkeit, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, kann zur Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension führen. Dabei sind alle auf dem gesamten Arbeitsmarkt, selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeiten zu berücksichtigen. Maßgeblich ist nur, ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Berufe gibt, die der Versicherte aufgrund seiner noch vorhandenen körperlichen und geistigen Fähigkeiten zumutbar ausüben kann (SSV-NF 3/91, 3/152, 4/81 ua).
Hieraus folgt aber, daß beim Versicherten, der dem GSVG unterliegt, von einer von vornherein mitgebrachten Erwerbsunfähigkeit nur dann gesprochen werden kann, wenn er bereits bei Aufnahme der Erwerbstätigkeit gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, irgendeinem selbständigen oder unselbständigen regelmäßigen Erwerb auf dem gesamten Arbeitsmarkt nachzugehen. Demgegenüber beschränken sich die Vorinstanzen auf die Prüfung der Frage, ob der Kläger von Beginn an in der Lage war, eine selbständige Tätigkeit auszuüben. Für die Annahme, daß der Kläger bei Aufnahme der versicherten Erwerbstätigkeit noch nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 133 Abs 1 GSVG war, würde es jedoch genügen, wenn er zumindest für bestimmte einfache Tätigkeiten, für die unter Umständen nur bestimmte Handgriffe und Handreichungen erforderlich sind, unterweisbar war (vgl SSV-NF 4/81). Da erst die gänzliche Unfähigkeit, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, zum Versicherungsfall des § 133 Abs 1 GSVG führen kann, kann auch erst beim Ausschluß jeder wie immer gearteten Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt von einer in das Erwerbsleben mitgebrachten Erwerbsunfähigkeit gesprochen werden.
Die vom Erstgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen reichen nicht aus, um den vorliegenden Fall abschließend zu beurteilen, wobei auch darauf hinzuweisen ist, daß die "Feststellung", der Kläger sei bereits bei Beginn seiner selbständigen Erwerbstätigkeit "nicht erwerbsfähig" gewesen, in Wahrheit eine Vorwegnahme der rechtlichen Beurteilung darstellt, die jedoch nicht von ausreichenden Tatsachenfeststellungen getragen wird.
Bleibt es im fortgesetzten Verfahren nach Ergänzung der Tatsachengrundlage bei der Beurteilung, daß der Kläger die Erwerbsunfähigkeit bereits in das Erwerbsleben mitbrachte, so ist der Revisionswerber darauf hinzuweisen, daß sich an der Beurteilung des Falles nichts ändert, wenn der Versicherte trotz einer von Anfang an bestehenden Erwerbsunfähigkeit über viele Jahre hindurch Versicherungszeiten erwirbt. Entscheidend ist, daß die Erwerbsunfähigkeit nur "eintreten" kann, wenn während der versicherten Tätigkeit Erwerbsfähigkeit bestanden hat (SSV-NF 2/87). Der Revisionswerber ist auch darauf hinzuweisen, daß der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit gemäß § 133 GSVG nur durch eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Versicherten begründet werden kann; wirtschaftliche Probleme des Versicherten (zB Konkurs) vermögen diesen Versicherungsfall nicht zu begründen (10 ObS 248/98p; vgl SSV-NF 5/114).
Stellt sich im fortgesetzten Verfahren heraus, daß der Kläger bei Einsicht in das Versicherungsverhältnis nicht erwerbsunfähig in diesem Sinne war, dann wird im Hinblick auf die spätere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu prüfen sein, ob diese Verschlechterung die Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 133 Abs 1 GSVG herbeiführte, worüber derzeit ebenfalls noch präzise Tatsachenfeststellungen fehlen, die eine Beurteilung erlauben würden, ob der Kläger auf dem gesamten Arbeitsmarkt noch verweisbar ist.
Da demnach wesentliche, für die Entscheidung relevante Fragen ungeprüft geblieben sind und Tatsachenfeststellungen nicht getroffen wurden, ist die Sache noch nicht reif zur Entscheidung. Um die Sache spruchreif zu machen, bedarf es insoweit einer Verhandlung erster Instanz, weshalb die Entscheidung der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht spruchgemäß zurückzuverweisen war.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)