Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das zweitinstanzliche Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 17.745,61 (darin S 2.350,77 USt und S 3.641 Barauslagen) bestimmten Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 20. 11. 1995 ereignete sich gegen 11.40 Uhr im Gemeindegebiet von Schalchen im Kreuzungsbereich Unterlochner Gemeindestraße - Feldweißstraße - Straße nach Furth ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker (und Halter) seines PKWs und die Erstbeklagte als Lenkerin und Halterin ihres, bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs beteiligt waren. Die im Freiland gelegene Unfallstelle wird durch die nachstehende Skizze (eine Teilablichtung aus ON 12 mit Skizzierung der eingehaltenen und beabsichtigten Fahrtrichtungen der beteiligten Lenker) maßstabsgetreu (1:250) wiedergegeben: Danach ist die Straße nach Furth durch das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" gegenüber dem Querverkehr abgewertet und befindet sich ein weiteres derartiges Vorschriftszeichen (aus der Annäherungsrichtung des Klägers von der Feldweißstraße aus gesehen) zwischen (nach) der Straße nach Furth und (vor) der Unterlochner Gemeindestraße.
Die Erstbeklagte lenkte ihren PKW auf der Unterlochner Gemeindestraße mit einer Geschwindigkeit im Bereich von 50 km/h und eingeschaltetem Abblendlicht in Richtung Unterlochen, bog im Kreuzungsbereich Unterlochner Gemeindestraße - Feldweißstraße, ohne den Blinker zu setzen, nach rechts ab, um in weiterer Folge geradeaus auf die Straße nach Furth weiterzufahren. Sie ging dabei davon aus, daß sie gegenüber dem von rechts kommenden PKW des Klägers im Vorrang sei. Der Kläger näherte sich mit seinem PKW der Kreuzung auf der Feldweißstraße mit einer Geschwindigkeit von ca 30 km/h und eingeschaltetem Abblendlicht, um in die Unterlochner Gemeindestraße nach rechts in Richtung Pischelsdorf abzubiegen. Als der Kläger den PKW der Erstbeklagten erstmals wahrnahm, befand sich dieser noch zur Gänze auf der Unterlochner Gemeindestraße. Er ging davon aus, daß dieser auf der Unterlochner Gemeindestraße geradeaus weiterfahren werde. Als er jedoch bemerkte, daß der PKW der Erstbeklagten die Unterlochner Gemeindestraße verließ und nach rechts abbog, leitete er unverzüglich eine Bremsung ein, konnte aber dadurch die Kollision der beiden Fahrzeuge nicht mehr verhindern. Im Kollisionszeitpunkt befanden sich beide Fahrzeuge zur Gänze außerhalb der "Fluchtlinie" der Unterlochner Gemeindestraße. Durch die Kollision wurden beide Fahrzeuge beschädigt.
Der Kläger begehrte den Zuspruch seines - der Höhe nach nicht strittigen - Schadens, weil die Erstbeklagte wegen Verletzung des ihm zukommenden Rechtsvorranges das Alleinverschulden treffe.
Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens. Das Alleinverschulden treffe den Kläger, weil sich das in seiner Fahrtrichtung im Bereich der Unfallstelle angebrachte "negative Vorrangzeichen" auf den gesamten Kreuzungsbereich und damit auch auf die von der Erstbeklagten benützte Fahrbahn beziehe. Im übrigen wandten sie eine Gegenforderung in Höhe von mindestens S 25.000 aufrechnungsweise ein.
Das Erstgericht gab - ausgehend vom Alleinverschulden der Erstbeklagten - dem Klagebegehren (nach Fassung eines mehrgliedrigen Spruches) statt. Die Erstbeklagte habe gegen die Rechtsregel des § 19 Abs 1 StVO verstoßen, weil eine zwischen den Streitteilen geltende (andere) Vorrangregelung nicht bestehe. Das vor der Unterlochner Gemeindestraße aufgestellte Vorschriftszeichen "Vorrang geben" gelte für einen Benützer der Feldweißstraße erst gegenüber der Unterlochner Gemeindestraße, sobald er dieses Vorschriftszeichen erreicht habe. Im vorliegenden Kreuzungsbereich (der Unterlochner Gemeindestraße mit der Feldweißstraße) sei der Vorrang ungeregelt, weshalb zwischen Fahrzeugen in diesem Bereich, soweit sie die Fahrbahn der bevorrangten Unterlochner Gemeindestraße zur Gänze verlassen hätten, die Rechtsregel gelte. Ein Mitverschulden des Klägers sei nicht hervorgekommen.
Das Gericht zweiter Instanz änderte dieses Urteil - ausgehend von einer Vorrangverletzung des Klägers und einer Verschuldensteilung im Verhältnis 2:1 zulasten des Klägers - dahin ab, daß es die Klagsforderung mit einem Drittel, die - näher festgestellte - Gegenforderung mit zwei Dritteln für zurecht bestehend erkannte, dem Kläger sohin S 13.251 sA zusprach und das Mehrbegehren von S 39.502 sA abwies, und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es beurteilte die Unfallskreuzung als eine einheitliche Kreuzung, weil keine straßenbaulichen Einrichtungen (wie Verkehrsinseln, Sperrlinien usw) auf eine Ausgestaltung von zwei Kreuzungen hinwiesen. Vielmehr sei eine einheitliche Trichterausgestaltung zwischen der Feldweißstraße einerseits und der Straße nach Furth sowie der Unterlochner Gemeindestraße andererseits gegeben. Als von der Feldweißstraße kommender Verkehrsteilnehmer habe daher der Kläger gemäß § 19 Abs 4 StVO seine Wartepflicht gegenüber dem von der Unterlochner Gemeindestraße kommenden Fahrzeug der Erstbeklagten verletzt, weil er diese weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken nötigen hätte dürfen (§ 19 Abs 7 StVO). Diese Wartepflichten bezögen sich auf den gesamten Kreuzungsbereich, dessen Beginn dort anzunehmen sei, wo die durch die Einmündung bedingte Verbreiterung der Fahrbahn deutlich sichtbar werde. Bezogen auf die Feldweißstraße bedeute dies, daß die Verbreiterung und damit der Kreuzungsbereich deutlich mehr als eine Wagenlänge vor der gedachten Fluchtlinie zwischen dem rechten Fahrbahnrand der Unterlochner Gemeindestraße und der Straße nach Furth (aus Fahrtrichtung der Erstbeklagten gesehen) beginne. Ab diesem Bereich hätte daher der Kläger seine Wartepflicht erfüllen müssen. Der Vorrang der Erstbeklagten sei auch nicht dadurch verloren gegangen, daß sie abgebogen sei, zumal der Vorrang dem abbiegenden Vorrangberechtigten solange zustehe, bis er sein Abbiegemanöver zur Gänze abgeschlossen, also die vorrangige Verkehrsfläche mit der ganzen Länge seines Fahrzeuges verlassen habe. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes, welches offenbar das Vorliegen einer einheitlichen Kreuzung verneint habe, habe sich daher aufgrund des vor der Unterlochner Gemeindestraße angebrachten (zweiten) Vorschriftszeichens "Vorrang geben" der Kläger gegenüber der Erstbeklagten, die ihren Vorrang auch im Zuge des Einbiegevorgangs nicht verloren habe, im Nachrang befunden. Weil jedoch die Erstbeklagte das Abbiegemanöver nicht durch Blinkzeichen angezeigt habe, treffe auch sie ein Mitverschulden von einem Drittel.
Die Revision sei zulässig, weil zur Frage, inwieweit beim Zusammentreffen mehrerer Straßen, wenn - wie hier - zunächst zwei Straßen(-züge) aufeinander träfen und nach einigen Metern in einem gemeinsamen Trichter in eine dritte (bevorrangte) Straße einmündeten, noch eine einheitliche Kreuzung vorliege, gesicherte Rechtsprechung fehle und eine Abklärung (der Vorrangverhältnisse) dieser Kreuzung, an der sich schon mehrere Unfälle mit der gleichen Vorrangproblematik ereignet hätten, durch den Obersten Gerichtshof zweckmäßig erscheine.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das zweitinstanzliche Urteil erhobene Revision des Klägers ist berechtigt:
Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, kann die Frage, ob das Zusammentreffen mehrerer Straßen als einheitliche Kreuzung anzusehen ist, nur im Einzelfall nach der gesamten (straßenbaulichen) Situation beurteilt werden (ZVR 1987/121 ua so auch VwGH 1989/42). Ob nun die vorliegende Unfallskreuzung aufgrund der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen (der Unfallsskizze) als einheitliche Kreuzung im Sinne der Auffassung des Berufungsgerichtes oder als knappe Aufeinanderfolge zweier (selbständig "geregelter") Kreuzungen anzusehen ist, kann hier aus folgenden Gründen dahingestellt bleiben:
Die aus der integrierten maßstabsgetreuen Skizze hervorgehenden Vorrangverhältnisse lassen erkennen, daß die Straße nach Furth zunächst gegenüber der Feldweißstraße und in der Folge gegenüber der Unterlochner Gemeindestraße abgewertet ist, während dies für die vom Kläger benutzte Feldweißstraße nur gegenüber der Unterlochner Gemeindestraße selbst der Fall ist. Da das Vorrangzeichen des § 52 Abs 1 Z 23 StVO "Vorrang geben" nach dieser Gesetzesstelle vor einer Kreuzung mit einer ... Straße mit starkem Verkehr anzubringen ist, und demgemäß der Vorrang nach § 19 Abs 4 StVO nur dann besteht, wenn dieses Zeichen vor einer Kreuzung angebracht ist, kommt im vorliegenden Fall der Aufstellung dieses für den Kläger bestimmten Vorrangzeichens erst knapp vor der Unterlochner Gemeindestraße (und nicht etwa schon beim Beginn des Einmündungstrichters der Feldweißstraße, rechts zur Straße nach Furth hin bzw links zum weiter entfernt führenden Verlauf der Unterlochner Gemeindestraße) die Bedeutung und Wirkung zu, daß ein von diesem Verkehrszeichen betroffener Verkehrsteilnehmer dieses, erst "im Bereich einer (einheitlichen oder auch aufeinanderfolgenden) Kreuzung" angebrachte Vorschriftszeichen erst nach dessen Passieren zu beachten hat, und sich dieses Vorrangzeichen erst auf die Unterlochner Gemeindestraße allein - und nicht auch auf den aus der Annäherungsrichtung des Klägers davorliegenden Bereich der (allfälligen einheitlichen) Kreuzung - bezieht. Da Vorrangzeichen gemäß § 51 Abs 2 StVO ebenfalls (höchstens 20 m) vor der Kreuzung anzubringen sind, das für den Kläger bestimmte Vorrangzeichen hier aber nicht etwa noch im Bereich der Feldweißstraße (für welchen Fall wohl zur Vermeidung von Mißverständnissen von Verkehrsteilnehmern auf der Straße nach Furth das Vorrangzeichen "Halt" anzubringen gewesen wäre) angebracht wurde, war es vom Kläger erst für die nach seiner Aufstellung folgende Kreuzung mit der Unterlochner Gemeindestraße verbindlich. Zutreffend hat daher das Erstgericht für den festgestellten tatsächlichen Unfallsbereich zwischen den Fahrzeugen der Streitteile einen Vorrangverstoß des Klägers verneint und dem Klagebegehren zufolge des der Erstbeklagten anzulastenden Verstoßes gegen die Rechtsregel des § 19 Abs 1 StVO zur Gänze stattgegeben.
Diese Erwägungen führen zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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