OGH 11Os178/98

OGH11Os178/982.3.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. März 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Gutschi als Schriftführer, in der Strafsache gegen Andreas L***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 zweiter Fall StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 21. September 1998, GZ 24 Vr 772/98-38, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas L***** (1) des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2, Abs 3 zweiter Fall StGB und der Vergehen (2) der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und (3) der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 10. April 1998 in Linz Muna A*****

(1) dadurch, daß er sie beim Genick packte und aufforderte, sich auszuziehen, wobei er äußerte, wenn sie brav sei, dürfe sie in ein paar Tagen gehen, weiters androhte, er bringe sie um, wenn sie nicht tue, was er wolle, mit ihr einen Geschlechtsverkehr durchführte, sie anschließend ins Schlafzimmer zerrte, aufs Bett drückte und mit ihr einen Analverkehr durchführte, nach einer Pause wiederum ins Schlafzimmer zerrte und mit ihr einen Geschlechtsverkehr durchführte und sie durch die angeführten Mittel dazu zwang, seinen Penis in den Mund zu nehmen, mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung des Beischlafes und Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, wobei die vergewaltigte Person durch die Tat längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzte wurde;

(2) mit Gewalt zur Unterlassung der Verständigung anderer Personen vom unter 1 beschriebenen Geschehen genötigt, indem er auf die Hörergabel (des Telefons) drückte, das Kabel aus dem Stecker zog und ihr mit der Faust mehrmals ins Gesicht schlug;

(3) durch Versetzen von Faustschlägen ins Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt, wodurch sie Hämatome im Bereich des rechten Augenlides sowie oberhalb der rechten Augenbraue und Nasenbluten, verbunden mit Kopfschmerzen erlitt.

Dagegen richtet sich die auf die Z 1, 3, 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die sich als nicht zielführend erweist.

Rechtliche Beurteilung

Unter Verweis auf die Ausführungen zur Z 10 moniert die Beschwerde unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 1 die nicht gehörige Besetzung des Gerichtshofes, da der Tatbestand zum Faktum 1 des Urteilssatzes unter § 201 Abs 1 StGB und nicht unter Abs 2 zu subsumieren sei und - im Hinblick auf das Vorliegen der Qualifikation des zweiten Falles des Abs 3 - somit die Zuständigkeit des Schwurgerichtshofes gegeben wäre.

Abgesehen davon, daß das im Urteil des Schöffengerichtes zum Faktum 1 inkriminierte Geschehen unmißverständlich als minderschwere Vergewaltigung nicht in die Zuständigkeit des Geschworenengerichtes fällt (§ 14 Abs 1 Z 11 StPO), rechtfertigt die Behauptung, daß die als erwiesen angenommene Tat den Tatbestand einer schwerer strafbaren, vor das Geschworenengericht gehörenden Handlung darstelle, nicht den Vorwurf einer nicht gehörigen Besetzung des Gerichtshofes (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 1 E 10). Denn mit dem Einwand, die Hauptverhandlung habe zu Unrecht vor einem Schöffengericht statt vor dem Geschworenengericht stattgefunden, wird lediglich die Unzuständigkeit des erkennenden Gerichtes behauptet, ohne daß damit ein Nichtigkeitsgrund zur Darstellung gebracht wird (vgl Mayerhofer StPO4 aaO Z 1 E 15). Ebensowenig wird damit Nichtigkeit nach Z 10 geltend gemacht, kann doch aus diesem Nichtigkeitsgrund die Zuständigkeit des erkennenden Gerichtes nicht angefochten und nach § 282 Abs 2 StPO die Nichtigkeitsbeschwerde zum Nachteil des Angeklagten nur vom Staatsanwalt oder Privatankläger ergriffen werden. Die Erwägung, daß der Angeklagte von den Geschworenen eher einen Freispruch erwarten könne, ist eine spekulative Überlegung rein praktischer Natur, die an dieser Rechtslage nichts ändern kann (Mayerhofer aaO § 281 Z 10 E 32).

Wie der Beschwerdeführer selbst ausführt, ist nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs ein Schöffengericht nur dann nicht gehörig besetzt, wenn die Berufs- oder Laienrichter nicht die für das Richteramt erforderliche Befähigung haben, nicht in der vorgeschriebenen Zahl und Zusammensetzung anwesend sind oder wenn die Beiziehung eines Schriftführers unterblieben ist (SSt 35/7, RZ 1966/201; 15 Os 100, 103/92), weshalb die Nichteinhaltung der Dienstliste (Tätigwerden einer Ersatzschöffin anstelle eines Hauptschöffen) - der Beschwerdeauffassung zuwider - den angezogenen Nichtigkeitsgrund nicht herzustellen vermag (Mayerhofer aaO Z 1 E 1, SSt 59/16).

Eine nähere Darlegung, inwieweit diese "Judikatur im Hinblick auf die Entscheidungen der Straßburger Instanzen" nicht aufrecht zu erhalten sein wird, läßt die Beschwerde vermissen und erweist sich in diesem Umfang als nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt.

In der Rüge nach Z 3 moniert die Beschwerde, daß der Urteilsspruch nach § 201 Abs 3 zweiter Fall StGB eine Konkretisierung der als qualvollen Zustand qualifizierten Begleitumstände der Vergewaltigung vermissen lasse und sich lediglich auf die Wiedergabe der verba legalia beschränke, somit gegen § 260 StPO verstoße, verkennt dabei jedoch, daß das Gesetz eine erschöpfende Beschreibung des Tatgeschehens im Urteilssatz nicht verlangt (Mayerhofer aaO § 260 E 21). In richtiger Betrachtung des Urteilsspruches und der - mit diesem eine Einheit bildenden - Entscheidungsgründe (Mayerhofer aaO § 260 E 2a) ergeben sich keine Zweifel an der Annahme der Tatrichter, daß der qualvolle Zustand der vergewaltigten Person - in einer Gesamtschau betrachtet - dadurch herbeigeführt wurde, daß der Angeklagte das ihm bis dahin unbekannte Opfer während eines zwei bis drei Stunden dauernden mehrphasigen Tatgeschehens wiederholt nachhaltig mit dem Umbringen bedroht und in vier Angriffen zur Duldung verschiedener Beischlafshandlungen (Vaginal-, Oral- und Analverkehr) gezwungen hat, womit der mit vielfältigem körperlichen Ungemach verbundene peinvolle Zustand des Tatopfers in zureichender Weise umschrieben ist.

In der Verfahrensrüge (Z 4) reklamiert der Beschwerdeführer die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 21. September 1998 gestellten Antrages (S 267) auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, "daß so eine brutale Art der Vergewaltigung im Anal- und Vaginalbereich Verletzungen hervorgerufen hätte, die aber tatsächlich nicht konstatiert wurden".

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht konnte - wie das Erstgericht in seinem abweislichen Zwischenerkenntnis (S 269) zutreffend dargelegt hat - die Aufnahme dieses Beweises ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsinteressen des Angeklagten unterbleiben, weil das Fehlen von Verletzungen in den erwähnten Körperbereichen (S 133) nicht auf die (vom Angeklagten behauptete) Freiwilligkeit des durch massive Drohungen eingeschüchterten Tatopfers (das dann letztlich gegen die Beischlafshandlungen keinen körperlichen Widerstand mehr leistete) zur Duldung der von ihm zugegebenen Beischlafshandlungen schließen läßt. Dem - offensichtlich auf die Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin abzielenden - Beweisantrag fehlt daher mangels grundsätzlicher Tauglichkeit von vornherein die Eignung, eine Erweiterung der Beurteilungsgrundlage herbeizuführen.

In der Mängelrüge (Z 5) behauptet die Beschwerde in Ansehung des Schuldspruches zum Urteilsfaktum 3 insofern eine unzureichende Begründung, als die Widersprüche in dem den Konstatierungen zugrunde gelegten Angaben der Verletzten unerörtert und der ursächliche Zusammenhang zwischen den festgestellten Tätlichkeiten und dem Verletzungserfolg unbegründet geblieben sei, vermag damit jedoch keinen formalen Begründungsmangel in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes darzutun, sondern begehrt unter der Vorgabe urteilskonträrer bzw für ihn günstigere Feststellungen (dahingehend, daß die bei Muna A***** festgestellten Gesichtsverletzungen nicht von ihm herbeigeführt worden seien) eine Lösung der Beweisfrage zu seinen Gunsten. Das Schöffengericht hat jedoch - im Sinn der Vorschrift gedrängter Darstellung nach § 270 Abs 2 Z 5 StPO - unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Beweisergebnisse und unter Verwertung des von der Person gewonnenen Eindrucks schlüssig und denkmöglich begründet, aus welchen Gründen es den belastenden Angaben der Zeugin Muna A***** über den äußeren Geschehensablauf in allen entscheidungswesentlichen Punkten gefolgt ist und warum es als erwiesen angenommen hat, daß die Gesichtsverletzungen auf die Mißhandlungen des Angeklagten zurückzuführen sind (US 6).

In der Tatsachenrüge (Z 5a) behauptet die Beschwerde, die ärztlich festgestellten Hämatome im Gesicht der A***** (S 133) könnten auf Grund ihrer (gelblich-grünlichen) Verfärbung nicht von den Tätlichkeiten des Angeklagten herrühren, weshalb die gegenteiligen Urteilsannahmen bedenklich seien. Dabei übersieht sie, daß zum einen der Angeklagte nicht einmal behauptet hat, daß das Tatopfer davor Gesichtsverletzungen erlitten hat und zum anderen nach allgemeiner Lebenserfahrung Blutergüsse bereits kurze Zeit nach ihrer Entstehung wahrgenommen werden können. Die weiteren, zum Teil die Argumentation der Mängelrüge wiederholenden Einwände gegen die Annahme der Täterschaft des Angeklagten zum Faktum 3 bekämpfen mit ihrem gesamten Vorbringen nach Art und Zielsetzung einer (auch) unter diesem Nichtigkeitsgrund nicht vorgesehenen Schuldberufung ausschließlich die zu seinem Nachteil ausgefallene sachgerechte und plausible Beweiswürdigung der Tatrichter. Insgesamt vermag die Beschwerde sohin keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Die Rechtsrügen (Z 9 lit a und 10) lassen eine gesetzmäßige Darstellung vermissen. Hiefür wird nämlich nach ständiger Judikatur nicht nur ein striktes Festhalten (auch) am gesamten objektiven Urteilssachverhalt gefordert, sondern auch der ausschließlich auf dieser Basis geführte Nachweis vorausgesetzt, daß dem Erstgericht ein Rechtsirrtum oder Feststellungsfehler unterlaufen ist, der die Anwendung des (konkreten) Strafgesetzes darauf ausschließt. Soweit Feststellungsmängel zur subjektiven Tatseite bezüglich des Verbrechens der Vergewaltigung (Z 9 lit a) behauptet werden, vernachlässigt der Angeklagte die bezüglichen Urteilsannahmen in ihrer Gesamtheit, aus denen mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, daß sich der Vorsatz des Angeklagten auf den Einsatz des beschriebenen Nötigungsmittels und - sinngemäß - auch darauf bezog, daß der Widerstand des Tatopfers zur Duldung der geschlechtlichen Handlungen überwunden wird (US 5).

Insoferne die Subsumtionsrüge (Z 10) eine Beurteilung des unter 1 inkriminierten Tatgeschehens nach § 201 Abs 1 StGB fordert, ist sie - wie bereits einleitend in Erledigung der Einwände zum Nichtigkeitsgrund der Z 1 dargelegt wurde - nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt. Bei der Behauptung von Feststellungsmängeln zur objektiven und subjektiven Tatseite zur Deliktsqualifikation des Abs 3 des § 201 StGB orientiert sie sich gleichfalls nicht am Urteilssubstrat, wonach das Schöffengericht jene schwerwiegenden Begleitumstände der Vergewaltigung und den sich darauf beziehenden Vorsatz des Angeklagten festgestellt hat (US 4 f), die die Annahme der bekämpften Qualifikation rechtfertigt (EvBl 1990/119).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Über die Berufung wird demzufolge der hiefür zuständige Gerichtshof zweiter Instanz zu befinden haben (§ 285i StPO).

Zu der in der Äußerung (§ 35 Abs 2 StPO) erhobenen Kritik, die Generalprokuratur trete in ihrer Stellungnahme zwar für eine Beschlußfassung im Sinn des § 285d StPO ein, begründe aber diese Ansicht nicht, genügt der Hinweis auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl ua Bulut gegen Österreich 59/1994/506/588), der eine (gleichartige) nicht begründete Stellungnahme der Generalprokuratur mit keinem Wort zu beanstanden fand, sondern bloß - aus dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit - deren Zustellung an die Verteidigung verlangt, welcher anheimgestellt wird, in die Überlegungen einzutreten, ob und welche Reaktion darauf erforderlich ist (15 Os 21,22/98, 15 Os 97/98).

Der darin zudem vertretenen Meinung des Angeklagten L*****, die Geltendmachung der Nichtigkeitsgründe der Z 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO schließe die Anwendung des § 285d StPO aus, ist verfehlt, denn nur prozeßordnungsgemäß ausgeführte Rechtsrügen führen zur Anordnung eines Gerichtstages (Mayerhofer aaO § 258a E 61, EvBl 1997/154 uam).

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