Spruch:
Aus Anlaß des Revisionsrekurses des Masseverwalters werden der Beschluß vom 20. März 1998, 8 S 22/98s-4, sowie das daran anschließende Verfahren einschließlich der Prüfungstagsatzung bis zur Bestellung des Masseverwalters mit Beschluß vom 14. Mai 1998, 8 S 22/98s-11, als nichtig aufgehoben.
Text
Begründung
Über Antrag eines Gläubigers wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 20. 3. 1998 über das Vermögen der als unselbständige Ärztin tätigen Gemeinschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet und gleichzeitig festgestellt, daß der Gemeinschuldnerin die Eigenverwaltung der Konkursmasse zustehe.
Die Konkursgläubigerin brachte in ihrem Eröffnungsantrag vor, daß die Gemeinschuldnerin ihr gegenüber für eine GmbH, über deren Vermögen am 7. 12. 1993 der Konkurs eröffnet worden sei, wechselmäßig unterlegte Garantiehaftungen für insgesamt S 19,705.913,34 übernommen habe und darüber hinaus einen weiteren Betrag von S 1,333.001,29 schulde. Die aufgrund eines über einen Teilbetrag ergangenen Anerkenntnisurteiles gegen die Gemeinschuldnerin geführte Exekution sei erfolglos geblieben. Die Gemeinschuldnerin sei zahlungsunfähig. Es würden gegen sie Gehaltsexekutionen zur Hereinbringung von rund S 16 Mio geführt. Zwei weitere Banken betrieben Exekutionsverfahren zur Hereinbringung von Beträgen von S 3 Mio und S 9,559.039,20. Bei ihrer Vernehmung am 19. 3. 1998 gab die Gemeinschuldnerin zu, die geforderten Beträge nicht zahlen zu können. Sie beziehe ein, allerdings nur mit einem Betrag von S 11.656,44 zur Auszahlung gelangendes Bruttoeinkommen von S 36.212 monatlich zuzüglich der Familienbeihilfe. Auch das Pensionseinkommen ihres Gatten werde nur mit S 11.773 ausgezahlt. An Vermögen sei eine Liegenschaft in Klosterneuburg vorhanden, auf welcher eine Höchstbetragshypothek von S 11,900.000 verbüchert sei. Der Schätzwert der Liegenschaft sei im Jahre 1995 in einem Exekutionsverfahren mit ca S 8,500.000 festgestellt worden. Der bei der Vernehmung anwesende Vertreter der antragstellenden Konkursgläubigerin gab dazu an, daß dieses Pfandrecht angefochten werde, da der aufgrund eines Belastungs- und Veräußerungsverbotes Berechtigte der Verbücherung in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit zugestimmt habe.
Ohne daß ein entsprechender Antrag vorgelegen wäre, faßte das Erstgericht am 20. 3. 1998 den Beschluß ON 4, mit welchem es den der Gemeinschuldnerin zugeschriebenen Hälfteanteil an der Liegenschaft in Klosterneuburg dieser zur freien Verfügung überließ. Auf der Liegenschaft hafte eine Höchstbetragshypothek von ca S 11,900.000. Aus einem Exekutionsakt ergebe sich ein Schätzwert von ca S 8,500.000. Diese Schätzung habe bereits im Jahre 1995 stattgefunden, weshalb davon ausgegangen werden müsse, daß sich der Schätzwert weiter verringert habe. Außerdem sei zugunsten des Sohnes der Gemeinschuldnerin ein Belastungs- und Veräußerungsverbot eingetragen. Eine Verwertung zugunsten der Konkursmasse würde somit keinen Erlös erbringen. Diesen Beschluß stellte das Erstgericht der Gemeinschuldnerin und der antragstellenden Konkursgläubigerin zu.
Nach Einlangen einer Anregung des KSV, wegen der Höhe der Verbindlichkeiten und der eventuell notwendigen Verwertungsschritte einen Masseverwalter zu bestellen, und nach Durchführung einer Prüfungstagsatzung, in welcher diese Anregung von der antragstellenden Konkursgläubigerin wiederholt wurde, bestellte das Erstgericht schließlich mit Beschluß vom 14. 5. 1998, ON 11, die nunmehrige Rekurswerberin zum Masseverwalter. Diese erhob innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung an sie gegen den Beschluß ON 4 Rekurs.
Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Gericht zweiter Instanz diesen Rekurs zurück, sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000 übersteige und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Der vom Erstgericht gemäß § 119 Abs 5 iVm § 90 KO gefaßte Ausscheidungsbeschluß sei rechtskräftig geworden, weil die Gemeinschuldnerin dagegen keinen Rekurs erhoben habe. Eine Rechtsmittellegitimation der Konkursgläubiger bestehe nicht. Der zu einem späteren Zeitpunkt bestellte Masseverwalter habe die Masse in jenem Zustand zu übernehmen, wie sie sich im Zeitpunkt seiner Bestellung darstelle. Er habe daher keine Möglichkeit, eine inzwischen rechtskräftig erfolgte Vermögensausscheidung zu bekämpfen.
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlaß des dagegen erhobenen zulässigen Revisionsrekurses des Masseverwalters ist die Nichtigkeit des Beschlusses ON 4 und des sich daran anschließenden Verfahrens bis zur Bestellung des Masseverwalters wahrzunehmen.
Es ist - zumindest für den Bereich des ordentlichen Konkursverfahrens (vgl § 181 KO) - gesicherte Rechtsprechung, daß ein gemäß § 119 Abs 5 KO gefaßter Ausscheidungsbeschluß für den einzelnen Konkursgläubiger nicht bekämpfbar ist (8 Ob 33/90; 8 Ob 10/92; SZ 69/124; 8 Ob 7/94; 3 Ob 44/97k). Auch wenn es an einem Gläubigerausschuß mangelt und das Konkursgericht daher gemäß § 90 KO die dem Gläubigerausschuß zugewiesenen Obliegenheiten, zu welchen auch die Ausscheidung gemäß § 119 Abs 5 KO zählt, hat, besteht ein Rekursrecht der einzelnen Konkursgläubiger nicht, weil dies - wie der erkennende Senat in SZ 69/124 begründet hat - zu unabsehbaren Verfahrensverzögerungen führen würde. Ob wegen der Besonderheiten des Verfahrens gemäß §§ 181 ff KO Fälle denkbar sind, in denen diese Rechtsprechung neuerlich zu überdenken wäre, muß hier mangels Gläubigerrekurses nicht erörtert werden.
Dem Rekursgericht ist insoweit zu folgen, als dem Masseverwalter gegen einen Ausscheidungsbeschluß grundsätzlich das Rekursrecht zusteht (RdW 1993, 246). Dies ist auch sachgerecht, ist doch der Masseverwalter bei Fehlen eines Gläubigerausschusses das für die Freigabe primär zuständige Konkursorgan. Ihm kommt auch in dieser Frage gemäß § 81 Abs 2 KO die Pflicht zu, gegenüber den Sonderinteressen einzelner Beteiligter die gemeinsamen Interessen zu wahren (EvBl 1987/196; Nunner, Die Freigabe von Konkursvermögen, 214 f).
Gemäß § 186 Abs 1 KO steht im Schuldenregulierungsverfahren dem Schuldner, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt, die Verwaltung der Konkursmasse zu (Eigenverwaltung). Gemäß Abs 2 der genannten Gesetzesstelle hat das Gericht dem Schuldner die Eigenverwaltung zu entziehen und einen Masseverwalter zu bestellen, wenn die Vermögensverhältnisse des Schuldners nicht überschaubar sind, insbesondere wegen der Zahl der Gläubiger und der Höhe der Verbindlichkeiten (Z 1), oder Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, daß die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (Z 2). Die im § 186 Abs 1 KO als Regelfall gestaltete Eigenverwaltung mag aus prozeßökonomischer Sicht begrüßenswert sein (vgl RV, 1218 BlgNR 18. GP, 21), bietet jedoch zahlreiche Probleme, die der Reformgesetzgeber im einzelnen offenbar nicht bedacht hat (Deixler-Hübner, Privatkonkurs2, 71; Konecny "Eigenverwaltung im Konkurs privater Schuldner", Beiträge zum Zivilprozeßrecht V). Die gesetzlichen Bestimmungen müssen daher, will man nicht erhebliche Rechtsschutzdefizite entstehen lassen, entsprechend ihrem Zweck und den Verfahrenszielen angewendet werden.
Das bedeutet bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 186 Abs 2 KO, daß die Wirkungen einer verspäteten Bestellung des Masseverwalters auf jenen Zeitpunkt rückzubeziehen sind, zu dem - objektiv betrachtet - das Erfordernis der Bestellung gegeben war, weil anderenfalls der vom Gesetz bezweckte Schutz der Gläubiger nicht gewährleistet wäre. Lagen im Zeitpunkt der Beschlußfassung über die Vermögensausscheidung in Wahrheit die Voraussetzungen für die Entziehung der Eigenverwaltung und Bestellung eines Masseverwalters vor, dann ist die Rekurslegitimation eines nachträglich bestellten Masseverwalters zu bejahen und beginnt für diesen die Rekursfrist mit der Zustellung des Beschlusses an ihn zu laufen. In einem derartigen Fall des gesetzwidrigen Fehlens eines nicht nur zur Antragstellung, sondern auch zum Rekurs legitimierten Konkursorgans kann der Beschluß zu einem früheren Zeitpunkt nicht in Rechtskraft erwachsen. Trotz der in § 173 Abs 5 KO normierten amtswegigen Prüfpflicht des Konkursgerichtes darf nicht übersehen werden, daß dem Gericht gegenüber einem Masseverwalter bei den vom Gesetz genannten komplizierten Sachverhalten wesentlich geringere Prüfungs- und Erkundungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, sodaß es sachgerecht ist, die gesetzwidrig unterbliebene Bestellung eines Masseverwalters in Ansehung der Rechtskraft von Beschlüssen nicht anders zu beurteilen als die unterbliebene Zustellung an einen bereits verfahrensbeteiligten Masseverwalter.
Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Masseverwalters gemäß § 186 Abs 2 Z 2 KO waren spätestens nach Vernehmung der Gemeinschuldnerin gegeben. Abgesehen davon, daß sich schon aus dem Konkurseröffnungsantrag das Bestehen von Forderungen mehrerer Gläubiger in Höhe von zweistelligen Millionenbeträgen ergab, wurde durch die Stellungnahme des antragstellenden Konkursgläubigers in der Vernehmungstagsatzung ausdrücklich auf bestehende Anfechtungsrechte hingewiesen. Beachtet man nun, daß im Eröffnungsantrag im Zusammenhang mit den Garantiehaftungen der Gemeinschuldnerin auf die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen einer GesmbH im Jahre 1993 verwiesen wurde, mußte die Einsicht in den Grundbuchsauszug nicht nur die Möglichkeit der Anfechtbarkeit des im Jahre 1997 verbücherten Pfandrechtes, sondern auch des im Jahre 1993 für einen nahen Angehörigen eingeräumten Belastungs- und Veräußerungsverbots nahelegen, zumal jedenfalls die Anfechtungsfrist des § 28 Z 1 KO in keinem der beiden Fälle bereits abgelaufen war. Daß bei dieser Sachlage die Eigenverwaltung des Schuldners schon wegen der offenliegenden Interessenkollision ausgeschlossen war, bedarf keiner weiteren Erörterung. Es wäre daher zwingend gemäß § 186 Abs 2 KO ein Masseverwalter zu bestellen gewesen, sodaß nach der oben dargelegten Rechtsansicht der Beschluß ON 4 vor Zumittlung an den Masseverwalter nicht in Rechtskraft erwachsen konnte.
Wie bereits dargestellt, kommt der Funktion des Masseverwalters im Konkurs schon deshalb besondere Bedeutung zu, weil er gemäß § 81 Abs 2 KO die gemeinsamen Interessen gegenüber Sonderinteressen einzelner Beteiligter zu wahren hat und ihm dazu im allgemeinen auch bessere Möglichkeiten (wie etwa Sondierungen über die jeweils für die Gesamtabwicklung des Verfahrens wirtschaftlich effizientesten Verwertungsmöglichkeiten) zur Verfügung stehen. Gemäß § 119 Abs 5 KO kann der Gläubigerausschuß bei natürlichen Personen mit Genehmigung des Konkursgerichts beschließen, daß von der Veräußerung von Forderungen, deren Eintreibung keinen ausreichenden Erfolg verspricht und von der Veräußerung von Sachen unbedeutenden Wertes abzusehen sei und daß diese Forderungen und Sachen dem Gemeinschuldner zur freien Verfügung überlassen werden. Entsprechend der dargestellten Bedeutung der Stellung des Masseverwalters sieht das Gesetz im § 95 KO vor, daß die Beschlüsse des Gläubigerausschusses vom Masseverwalter dem Konkursgericht unverzüglich mitzuteilen seien (Abs 1) und daß das Gericht die Ausführung eines Beschlusses des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung aus bestimmten Gründen von Amts wegen oder auf Antrag des Masseverwalters untersagen kann (Abs 3). Daraus ist zu schließen, daß dem Masseverwalter unter anderem auch bei der Ausscheidung von Vermögensstücken ein gesetzliches Mitwirkungsrecht zukommt. Es wäre nun grob wertungswidersprüchlich, dieses Mitwirkungsrecht des Masseverwalters dann zu verneinen, wenn ein Gläubigerausschuß nicht bestellt ist und daher dessen Obliegenheiten gemäß § 90 KO vom Konkursgericht ausgeübt werden. Vielmehr besteht auch in diesem Falle das Recht des Masseverwalters, in die Entscheidungsfindung einbezogen zu werden. Ob etwa bei Gefahr im Verzug Fälle denkbar sind, in denen die vorherige Anhörung des Masseverwalters entfallen kann (vgl Nunner aaO 218), muß hier nicht weiter erörtert werden, weil aus dem gesamten Akt keinerlei Anhaltspunkt für besondere Eile ersichtlich ist, sodaß die grob sorgfaltswidrige Vorgangsweise des Erstgerichtes, das einzige beachtliche Vermögensobjekt ohne jede Überprüfung der schon in Anbetracht der bestehenden Anfechtungsmöglichkeiten bedenklichen Angaben der Gemeinschuldnerin aus dem Verfahren auszuscheiden, schlechthin unverständlich ist.
Die Gewährung des rechtlichen Gehörs stellt einen derart fundamentalen Grundsatz des Verfahrensrechts dar, daß dessen Verletzung regelmäßig als Nichtigkeit im Sinne des gemäß § 171 KO anwendbaren § 477 Abs 1 Z 4 ZPO zu beurteilen ist (9 Ob 382/97k; 1 Ob 305/98d; Kodek in Rechberger ZPO § 477 Rz 7). Von dieser Nichtigkeit ist nicht nur der Beschluß ON 4 erfaßt, sondern das daran bis zur Bestellung des Masseverwalters anschließende Verfahren, das im wesentlichen in der Vorbereitung und Abhaltung der Prüfungstagsatzung bestand. Gemäß § 105 Abs 1 KO hat das Gericht zur Prüfungstagsatzung unter anderem den Masseverwalter zwingend beizuziehen.
Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
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