OGH 1Ob325/98w

OGH1Ob325/98w19.1.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin L*****gesellschaft mbH in Liquidation mit dem Sitz in M***** wider die Antragsgegnerin Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 15,533.920,53 S sA (hier: Delegierung der Rechtssache an das Landesgericht Salzburg) infolge Rekurses der Antragstellerin gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Linz vom 19. März 1998, GZ 5 Nc 12/98y-4, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Über das Vermögen der Antragstellerin wurde vom Landesgericht Wels am 26. Juni 1985 zu AZ S 40/85 der Konkurs eröffnet und Rechtsanwalt Dr. Ernst Chalupsky zum Masseverwalter bestellt; das Verfahren ist noch anhängig. Über das Vermögen des auch im nunmehrigen Rechtsmittel als Gesellschafter und Liquidator bezeichneten Ernst S***** wurde vom Landesgericht Wels am 1. Dezember 1997 zu AZ 20 S 831/97z der Anschlußkonkurs eröffnet und Rechtsanwalt Dr. Heinrich Oppitz zum Masseverwalter bestellt; das Verfahren ist gleichfalls noch anhängig.

Die Antragstellerin beabsichtigt die Erhebung von Amtshaftungsansprüchen wegen Verjährung ihres Anspruchs auf Hallenmiete ab dem 1. April 1990, weil der Konkursrichter die entsprechenden rechts- und gesetzwidrigen Handlungen und Unterlassungen des Masseverwalters toleriert und sogar noch gefördert habe. Ihnen (erkennbar gemeint: beiden) falle grobes Verschulden als Amtsträger iSd § 1 Abs 2 AHG zur Last. Während des Konkursverfahrens angezeigte strafbare Tatbestände seien weder von der Staatsanwaltschaft Wels noch von der Oberstaatsanwaltschaft Linz „zielführend verfolgt“ worden, weshalb die Delegierung an das Landesgericht Innsbruck beantragt werde.

Mit dem angefochtenen Beschluß bestimmte das Oberlandesgericht Linz gemäß § 9 Abs 4 AHG das Landesgericht Salzburg als das zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache (Bewilligung der Verfahrenshilfe und Amtshaftungsprozeß) zuständige Gericht.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Antragstellerin, „vertreten durch den Liquidator Ernst S*****, ... „, mit dem Antrag auf Delegierung an das Landesgericht Innsbruck ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Auch Delegierungsbeschlüsse nach § 9 Abs 4 AHG sind innerhalb der Grenzen der §§ 517 und 528 ZPO anfechtbar (1 Ob 2194/96w = Jus-Extra OGH-Z 2196; 1 Ob 2232/96h, je mwN; RIS-Justiz RS0105631, RS0106758). Der Rechtsmittelausschluß des § 528 Abs 1 Z 4 ZPO („über die Verfahrenshilfe“) kommt hier nicht zum Tragen, weil Gegenstand der angefochtenen Entscheidung nicht die Bewilligung oder Versagung der Verfahrenshilfe ist, sondern die Frage der Zuständigkeit zur Verhandlung und Entscheidung über die Verfahrenshilfe und (bei Bewilligung) auch über das weitere Amtshaftungsverfahren; die angefochtene Entscheidung erfolgte somit nur aus Anlaß eines Verfahrenshilfeantrags (1 Ob 2194/96w mwN).

Der anwaltlichen Fertigung bedurfte das Rechtsmittel zufolge § 72 Abs 3 erster Satz ZPO nicht. Um „zumindest praktische, wenn nicht gar logische Friktionen auszuschließen“, ist in Verfahrenshilfefragen keinerlei Anwaltspflicht vorgesehen (Fucik in Rechberger, § 72 ZPO Rz 3). Auch die nach § 9 Abs 4 AHG zu lösende Frage, welches Gericht zur Bewilligung oder Versagung der Verfahrenshilfe und zu einem allfälligen weiteren Verfahren zu delegieren ist, zählt zu den von der Anwaltspflicht befreiten „Verfahrenshilfefragen“. Ein Wertungswiderspruch zur Nichtanwendung des § 528 Abs 1 Z 4 ZPO besteht zufolge des unterschiedlichen Regelungscharakters nicht.

Das Rechtsmittel wurde nach den vorgenommenen Erhebungen auch rechtzeitig erhoben und zutreffend bei dem Gericht eingebracht, das über den Delegierungsantrag entschied (1 Ob 2194/96w ua; RIS Justiz RS0046243).

Inhaltlich kommt ihm aber keine Berechtigung zu:

Die Rekurswerberin wendet sich gegen die Delegierung des Landesgerichts Salzburg, weil dessen Oberbehörde wiederum das Oberlandesgericht Linz sei und in dessen Sprengel „die Straftaten der in der causa L***** Beteiligten bis zum heutigen Tage nicht zielführend verfolgt worden“ seien. Zum Beweis dieses Vorbringens beruft sich die Rekurswerberin auf vier Vr- und Ur-Akten der Landesgerichte Linz und Wels aus den Jahren 1985 bis 1987 sowie sechs Akten der Staatsanwaltschaften Linz und Wels aus den Jahren 1990 bis 1997.

§ 9 Abs 4 AHG als Fall notwendiger und der Parteiendisposition entzogener (RZ 1990/108 ua) Delegierung soll gewährleisten, daß auch nur der Anschein der Befangenheit von Richtern nicht entstehen kann, wenn der Anspruch aus der Verfügung des Präsidenten eines Landesgerichts oder eines Oberlandesgerichts oder aus einem kollegialen Beschluß eines dieser Gerichtshöfe abgeleitet wird, die nach § 1 Abs 1 AHG unmittelbar oder im Instanzenzug zuständig wären. Der rechtspolitische Grund des § 9 Abs 4 AHG liegt darin, daß alle betroffenen Gerichte, aus deren Verhalten ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet werden soll, von der Entscheidung über den Anspruch ausgeschlossen sein sollen. Daher wird auch § 9 Abs 4 AHG in Lehre und Rechtsprechung durch die im Gesetz nicht enthaltene Wendung „oder eines Einzelrichters des Gerichtshofs erster Instanz“ ergänzt: Richter eines Gerichtshofs sollen nicht über Amtshaftungsansprüche erkennen, die ein Verhalten auch nur irgendeines Mitglieds desselben Gerichtshofs zum Gegenstand haben (EvBl 1963/211; 1 Ob 26/93; 1 Ob 2232/96h ua; RIS-Justiz RS0056449; Schragel, AHG2 Rz 261; Vrba/Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht, 232 f; Fasching, Lehrbuch2 Rz 208; vgl auch Mayr in Rechberger, § 31 JN Rz 1). Ein amtshaftungsbegründendes Verhalten des Präsidenten oder von Richtern des Oberlandesgerichts Linz wird aber von der Antragstellerin nicht behauptet.

Dem Rechtsmittel kann daher kein Erfolg beschieden sein.

Die Frage, ob der Amtshaftungswerberin, die sich im Konkurs befindet und der die behaupteten Amtshaftungsansprüche nicht nach § 119 Abs 5 KO überlassen wurden, die prozessuale Verfügungsfähigkeit zukommt, sofern sie nur die Leistung an die Masse begehrt (vgl dazu aus der jüngsten Rspr 4 Ob 2306/96p = ÖBA 1997, 562 = ZIK 1997, 19 [Shamiyeh aaO 3], 8 Ob 161/97b = SZ 70/170; Hierzenberger/Riel in Konecny/Schubert, Kommentar zu den Insolvenzgesetzen, §§ 81, 81a KO Rz 30 ff, jeweils mwN), kann vom Obersten Gerichtshof bei der Prüfung einer Delegierungsentscheidung eines Oberlandesgerichts gemäß § 9 Abs 4 AHG im Rechtsmittelverfahren nicht geklärt werden, weil ihm insoweit keine funktionelle Zuständigkeit zukommt; diese Frage wird erst in dem über das Klagebegehren selbst anhängig gemachten Verfahren zu prüfen sein.

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