OGH 7Ob164/98p

OGH7Ob164/98p23.12.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schalich, Dr. Tittel und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Reinhard P*****, vertreten durch Rechtsanwaltssozietät Eisenberger - Herzog - Nierhaus - Forcher & Partner in Graz, wider die beklagte Partei Dr. Manfred R*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 619.722 sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 9. September 1997, GZ 5 R 109/97g-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 28. April 1997, GZ 21 Cg 136/96h-11, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 619.722 samt 4 % Zinsen aus S 481.740 vom 10. 10. 1989 bis 30. 4. 1993, 4 % Zinsen aus S 588.722 vom 15. 3. 1993 bis 1. 8. 1996 und 4 % Zinsen aus S 619.722 ab 2. 8. 1996 zu zahlen, wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die in allen Instanzen mit insgesamt S 123.803,60 (darin enthalten S 17.320,60 Umsatzsteuer und S 19.880,-- Barauslgen) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt bei einem Schiunfall am 13. 2. 1987 eine Verletzung des linken Kniegelenks. Hinsichtlich derartiger Unfälle bestand eine Unfallversicherung bei der M***** (nunmehr W*****) *****-Aktiengesellschaft, der AUVB 1965 zugrunde lagen. Die Versicherungssumme betrug S 10,136.250. Nach den Versicherungsbedingungen beträgt der "Beinwert" (Invaliditätsgrad bei Verlust bzw völliger Gebrauchsunfähigkeit eines Beines bis zur Mitte des Oberschenkels) 60 % der Vollinvalidität. Gemäß Art 14 AUVB 1965 entscheidet im Fall von Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallsfolgen oder darüber, in welchem Umfang der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ferner über die Beeinflussung der Unfallsfolgen durch Krankheit oder Gebrechen eine Ärztekommission. Die Feststellung, die die Ärztekommission im Rahmen ihrer Zuständigkeit trifft, ist verbindlich, wenn nicht nachgewiesen wird, daß sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht.

Am 29. 7. 1987 erstattete DDDr. Erich D***** im Auftrag des Klägers ein Gutachten, in dem er eine Minderung des Beinwertes um ein Drittel (20 % der Vollinvalidität) feststellte.

Im Auftrag des Versicherers erstellte Dr. Rudolf W***** am 5. 2. 1988 ein Gutachten, in dem er eine Beinwertminderung von 8 % bis 10 % (4,8 % bis 6 % der Vollinvalidität) ermittelte. Am 20. 7. 1988 bestätigte der von der klagenden Partei bestellte Sachverständige Dr. Eduard L***** das Ergebnis des Gutachtens des DDDr. D*****.

Der Versicherer akzeptierte dieses Gutachten nicht und verlangte die Einleitung eines Verfahrens gemäß Art 14 AUVB 1965. Er benannte seinerseits Dr. Rudolf W***** als Mitglied der vorgesehenen Ärztekommission. Seitens des durch den nunmehrigen Beklagten vertretenen Klägers wurde Dr. Eduard L***** als Gutachter namhaft gemacht. Dieser wurde im Schreiben des Versicherers vom 9. 9. 1988 auf Art 14 Punkt 3 AUVB und die darin normierte Obmannbestellungspflicht hingewiesen. Diesem Schreiben lagen die AUVB 1965 bei.

Am 13. 12. 1988 einigten sich Dr. Rudolf W***** und Dr. Eduard L***** auf eine Minderung des Beinwertes von 12 % (7,2 % der Vollinvalidität), ohne einen dritten Arzt als Obmann bestellt zu haben. Sie verfaßten über ihre Einigung einen Aktenvermerk, der mit dem Satz schließt: "Die Anrufung einer Ärztekommission wird derzeit von beiden Herren nicht ins Auge gefaßt".

Der Kläger beauftragte sodann noch Dr. Z***** mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens. Dieser ermittelte eine Minderung des Beinwertes um ein Drittel.

Mit Schreiben vom 21. 7. 1989 teilte der Beklagte als damaliger Vertreter des Klägers Dr. Eduard L***** das Ergebnis des Gutachtens von Dr. Z***** mit. Er führte weiters aus, daß nunmehr eine Fortsetzung des Ärztekommissionsverfahrens erforderlich sei.

Auch das für den Kläger verfaßte weitere Gutachten des Sachverständigen Dr. Z***** wurde vom Versicherer nicht anerkannt. Eine Fortsetzung des Sachverständigenverfahrens wurde vom Versicherer verweigert, weil der Versicherer der Meinung war, daß die Einigung zwischen Dr. Rudolf W***** und Dr. Eduard L***** eine Entscheidung der Ärztekommission im Sinn der AUVB darstelle und daher bindend sei.

Der Beklagte brachte daraufhin als Vertreter des Klägers zu 9 Cg 422/89 des Erstgerichtes gegen den Versicherer eine Klage auf Zahlung einer Versicherungsleistung von S 1,183.915 sA ein, wobei er von 18 % der Vollinvalidität abzüglich erhaltener S 722.610 für 7,2 % der Vollinvalidität ausging. In diesem Verfahren stellte der nunmehrige Beklagte in der Tagsatzung vom 3. 5. 1990 außer Streit, daß der Aktenvermerk vom 13. 12. 1988 die Entscheidung der Ärztekommission betreffend die streitgegenständliche Invalidität des Klägers darstelle.

In diesem Verfahren wurde in weiterer Folge Dr. Hannes P***** als Sachverständiger von Amts wegen bestellt. Dieser bekannte dem Kläger eine Minderung des Beinwertes von 20 % als Folge des Unfalles zu.

Aufgrund dieses Gutachtens wurde dem Kläger im Verfahren 9 Cg 422/89 in erster Instanz ein Betrag von S 481.740 sA zugesprochen. Das Erstgericht war der Ansicht, daß die Entscheidung der außer Streit gestellten "Ärztekommission" erheblich von der wirklichen Sachlage abweiche.

Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne einer Klageabweisung ab, weil eine Abweichung "zwischen einem Invaliditätsgrad von 12 % und einem solchen von 20 %" keinen erheblichen Unterschied darstelle. Der Kläger wurde verpflichtet, dem Versicherer Prozeßkosten von S 106.982 zu ersetzen. In der gegen dieses Urteil vom Beklagten als Rechtsvertreter des Klägers erhobenen außerordentlichen Revision relevierte der Beklagte die Frage, ob die Entscheidung der "Ärztekommission" von der Wirklichkeit erheblich abweiche. Der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurück.

Der Kläger begehrte daraufhin von Dr. L***** im Verfahren 16 Cg 340/93 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz Schadenersatz von S 741.294,60, weil Dr. L***** ein unrichtiges Privatgutachten erstattet und gegen den Auftrag des Klägers verstoßen habe, sein Gutachten in der Ärztekommission durchzusetzen. Dem Kläger sei dadurch die zusätzliche Versicherungsleistung von S 481.740 entgangen. Weiters habe der Beklagte die vom Kläger zu begleichenden Prozeßkosten im Verfahren 9 Cg 422/89 verursacht. In erster Instanz wurde dieser Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht änderte das Urteil jedoch im Sinn einer Klageabweisung ab. Die dagegen erhobene Revision des Klägers wurde mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen.

Nunmehr begehrt der Kläger S 619.722 sA vom Beklagten als seinen ehemaligen Vertreter, wobei sich dieser Betrag wie folgt zusammensetzt: S 481.740, die der Kläger aufgrund eines Anwaltsfehlers des Beklagten im Verfahren 9 Cg 422/89 in der Hauptsache verloren habe; S 67.190,40 und S 39.791,60 an Prozeßkosten im genannten Verfahren, die der Kläger dem Beklagten und letztlich obsiegenden Versicherer zu ersetzen gehabt habe; sowie weiters an den Beklagten im Zuge seiner Vertretungstätigkeit geleistete Kostenvorschüsse von S 15.000 und von S 16.000.

Der Vertretungsfehler des Beklagten liege darin, daß er im betreffenden Verfahren außer Streit gestellt habe, daß der Aktenvermerk vom 13. 12. 1988 die Entscheidung der Ärztekommission über die Invalidität des Klägers darstelle. Der Beklagte hätte erkennen müssen, daß keine verbindliche Entscheidung der Ärztekommission vorgelegen sei. Ohne die unrichtige Außerstreitstellung hätte der Kläger im Verfahren 9 Cg 422/89 mit S

481.740 obsiegt. Die im Instanzenzug verneinte Frage, ob die Beurteilung des Invaliditätsgrades durch die "vermeintliche" Ärztekommission erheblich von der wirklichen Sachlage abweiche, wäre nicht entscheidungsrelevant gewesen. Dem Beklagten hätte der strenge Standpunkt der Rechtsprechung, der die Wirksamkeit von Schiedsgutachterentscheidungen begünstige, bekannt sein müssen. Die Nichtdurchführung des Verfahrens vor der Ärztekommission hätte höchstens den Einwand des Versicherers, daß die begehrte Entschädigung nicht fällig sei, zur Folge haben können. Ein solcher Einwand sei jedoch nie erhoben worden, habe doch der Versicherer den Standpunkt vertreten, daß der Aktenvermerk die Entscheidung einer Ärztekommission beinhalte. Der Beklagte habe die ihm zur Last gelegte Außerstreitstellung auch nach Vorliegen des vom Gericht eingeholten medizinischen Gutachtens nicht widerrufen. Er habe es unterlassen, in der außerordentlichen Revision darauf hinzuweisen, daß eine Außerstreitstellung einer Rechtsfrage wie jener, ob der Aktenvermerk vom 13. 12. 1988 die Entscheidung einer Ärztekommission beinhalte, keinesfalls verbindlich sein könne, so daß die Gerichte ungeachtet der Außerstreitstellung die Rechtsnatur des Aktenvermerkes zu prüfen gehabt hätten. Der Oberste Gerichtshof hätte jedenfalls einem solchen Rechtsmittel Folge geben müssen.

Der Beklagte stellte das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit, bestritt aber dem Grunde nach und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.Die vom Beklagten für den Kläger eingeleiteten rechtlichen Schritte seien richtig, zumindest aber sachlich und fachlich vertretbar gewesen, wie die im Instanzenzug jeweils divergierenden Entscheidungen zeigten. Der letztlich negative Ausgang des Verfahrens 9 Cg 422/89 sei nicht vorhersehbar gewesen. Die ihm nunmehr vorgeworfene Außerstreitstellung habe eine Rechtsfrage betroffen, die das Gericht nicht an einer anderen rechtlichen Beurteilung gehindert hätte. Das Verhalten des Beklagten im Verfahren 9 Cg 422/89 sei nicht schadenskausal gewesen, weil sich die beiden als Schiedsgutachter bestellten Ärzte bereits auf einen Invaliditätsgrad geeinigt gehabt hätten. Durch die Bestellung eines Obmannes sei eine andere Beurteilung nicht mehr in Frage gekommen.

Das Erstgericht entschied im Sinne des Klagebegehrens. Die Außerstreitstellung durch den Beklagten, daß es sich beim Aktenvermerk vom 13. 12. 1988 um eine Entscheidung der Ärztekommission gehandelt habe, habe zu einer Bindung des Gerichtes geführt, weil mit dieser Außerstreitstellung ein einvernehmliches Abweichen von der in den AUVB 1965 vorgesehenen Verfahrensvorschriften zugestanden worden sei. Mangels einer bindenden Entscheidung der Ärztekommission hätte das Gericht ohne die vorgenommene Außerstreitstellung im Sinne des Gutachtens des von ihm beigezogenen Sachverständigen entscheiden und dem Kläger die eingeklagte Versicherungsleistung zusprechen können. Es wäre zu keiner Abweisung des Klagebegehrens und zu keiner Kostenersatzpflicht des Klägers gekommen. Der Beklagte habe seine vertragliche Verpflichtung, den "sicheren Weg" zu wählen, nicht erfüllt, weil er durch die Außerstreitstellung die bestehende Erfolgschance verringert habe. Ein sorgfältiger Anwalt hätte diese den Kläger schlechter stellende Prozeßhandlung nicht vorgenommen, sondern auf die Durchführung des Ärztekommissionsverfahrens gedrungen und bei dessen Scheitern den seiner Meinung nach dem Kläger zustehenden Betrag ohne Rücksicht auf den Aktenvermerk und ohne Berufung auf § 164 VersVG eingeklagt. Der Kläger hafte daher gemäß §§ 1295, 1299 ABGB für den aus seiner fehlerhaften Prozeßhandlung entstandenen Schaden.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Versicherer auf das Verfahren vor der Ärztekommission schlechthin verzichtet habe. Es sei daher noch zu prüfen, zu welchem Ergebnis das Ärztekommissionsverfahren, auf das der Kläger hätte dringen sollen, geführt hätte oder ob es gescheitert wäre. In letzterem Fall sei zu klären, ob eine ohne Berufung auf § 184 VersVG erhobene Klage ein anderes Ergebnis gebracht hätte. Das Ersturteil sei somit zufolge unrichtiger Rechtsansicht des Erstgerichtes hinsichtlich der Kausalität mit sekundären Feststellungsmängeln behaftet, die zur Aufhebung des Ersturteiles führen müßten. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof gegen diesen aufhebenden Beschluß sei zulässig, weil die vom Berufungsgericht bejahte Frage, ob das Vorbringen, der Aktenvermerk vom 13. 12. 1988 sei als Entscheidung der Ärztekommission anzusehen, einer Außerstreitstellung zugänglich sei, eine erhebliche Rechtsfrage darstelle.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Kläger erhobene Rekurs ist zulässig und - allerdings nicht im Sinn des Klägers - insoweit berechtigt, als bereits eine abschließende Beurteilung des Rechtsstreites möglich ist.

Die im Rekurs geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der im Rekurs umfangreich dargelegte Umstand, daß der Kläger in den Verfahren gegen den Versicherer und gegen den Gutachter Dr. L***** jeweils in erster Instanz obsiegt hat, in den höheren Instanzen aber jeweils unterlegen ist, kann seinen Prozeßstandpunkt ebensowenig stützen wie der Verweis auf die jeweilige Entscheidungsbegründungen des Berufungsgerichtes, mit denen er das behauptete anwaltliche Fehlverhalten für den Prozeßverlust im Verfahren 9 Cg 422/89 begründen will. Eine Bindungswirkung dieser Entscheidungen für den hier vorliegenden Rechtsstreit ist schon aufgrund der mangelnden Parteiidentität zu verneinen.

Dem Kläger ist zwar beizupflichten, daß die im Verfahren 9 Cg 422/89 vom Beklagten aufgestellte Prozeßbehauptung, es liege ein bindendes Schiedsgutachten für den Invaliditätsgrad des Klägers vor, aus rechtlicher Sicht nicht richtig war. Eine Einigung über den Invaliditätsgrad zwischen zwei zu Gutachtern bestellten Ärzten, die ohne ein den Vorschriften des Art 14 Z 3 bis 5 AUVB 1965 entsprechendes Verfahren zu einer gemeinsamen Meinung über den Invaliditätsgrad zustande kam, stellt (schon mangels Obmannbestellung) keine Entscheidung der Ärztekommission im Sinne der zitierten Bestimmung dar. Daran konnte insbesondere auch der ausdrückliche Hinweis der Ärzte, daß ihrerseits "die Anrufung der Ärztekommission derzeit nicht ins Auge gefaßt wird", keinen Zweifel offenlassen (vgl die diesbezüglichen Ausführungen in 7 Ob 42/95).

Der Beklagte konnte auch nicht davon ausgehen, daß das Gericht die Außerstreitstellung, der Aktenvermerk vom 13. 12. 1988 stelle die Entscheidung der Ärztekommission betreffend die Invalidität des Klägers dar, nicht beachten und dennoch davon ausgehen werde, daß keine solche Entscheidung vorliege. Denn selbst die nicht bedingungsgemäß - unter Mißachtung der in den Versicherungsbedingungen festgelegten Verfahrensregeln - erfolgte Feststellung des Invaliditätsgrades durch Sachverständige kann im Fall der Billigung der Verfahrensabweichungen durch beide Parteien verbindliche Wirkung entfalten, sofern sie nicht offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht (SZ 54/167). Der Beklagte mußte daher davon ausgehen, daß sich das Gericht an diese Außerstreitstellung gebunden erachten werde. Denn sie konnte nur dahin aufgefaßt werden, daß beide Parteien ungeachtet dessen, daß die Verfahrensvorschriften der AUVB nicht eingehalten wurden, im Rahmen ihrer Dispositionsfähigkeit von der grundsätzlichen Beachtlichkeit der Einigung der beiden Gutachter über den Invaliditätsgrad ausgehen (vgl VersR 1995, 607) und daß somit nur mehr strittig ist, ob die damit als grundsätzlich bindend im Sinn des § 184 Abs 1 VersVG und Art 14 Z 1 AUVB zu betrachtende Feststellung des Invaliditätsgrades offenbar unrichtig ist.

Der Rechtsanwalt ist aufgrund des Bevollmächtigungsvertrages zur sachgemäßen Vertretung seines Klienten verpflichtet (AnwBl 1990, 42 ua). Er haftet für den Mangel der besonderen Kenntnisse bei der Ausführung des übernommenen Geschäftes (5 Ob 613/82). Er hat alles vorzukehren, um die Rechte seines Klienten zu schützen und alles zu vermeiden, was die Stellung seines Klienten zu gefährden geeignet sein kann (AnwBl 1982, 313). Handeln unter Zugrundelegung einer vertretbaren Rechtsansicht ist jedoch auch bei der Unrichtigkeit an sich keine Verletzung der gebotenen Sorgfalt (vgl Reischauer in Rummel2 II, Rz 15 mit zahlreichen Judikaturnachweisen).

Diese zur Anwaltshaftung entwickelten Grundsätze führen im vorliegenden Fall zu folgenden Erwägungen:

Der Beklagte hat offenbar selbst erkannt, daß die Einigung der beiden Schiedsgutachter auf eine Minderung des Beinwertes von 12 % ohne Billigung des Klägers keine Entscheidung der Ärztekommission im Sinn der Versicherungsbedingungen darstellt, wies er doch zunächst in einem Schreiben an Dr. L***** auf die Notwendigkeit der Fortsetzung des Ärztekommissionsverfahrens hin. Durch die Weigerung des Versicherers, dieses Sachverständigenverfahren fortzusetzen, war das Schiedsgutachterverfahren aber noch nicht endgültig gescheitert. Der Beklagte hätte ungeachtet dieser Weigerung die beiden bereits bestellten Gutachter zu einem Vorgehen im Sinn des Art 14 Z 3 AUVB, somit zur Bestellung eines weiteren Arztes als Obmann veranlassen und im Fall der Uneinigkeit hierüber eine Obmannbestellung durch die zuständige Landesärztekammer veranlassen können. Bei pflichtwidrigem Verhalten der bereits bestellten Gutachter wäre auf die Bestellung anderer Ärzte durch die Landesärztekammer im Sinn des Art 14 Z 3, dritter Absatz AUVB 1965 zu dringen gewesen.

Dieses Vorgehen wäre allerdings mit einem nicht unbeträchtlichen Aufwand verbunden gewesen, hätte zu weiteren Verzögerungen bei der Schadensabwicklung geführt und wäre zudem mit dem Risiko verbunden gewesen, daß der Invaliditätsgrad mit einem noch niedrigeren Wert als 12 % festgesetzt werde. Zudem war die Erwägung naheliegend, daß aller Wahrscheinlichkeit nach die Obmannwahl, die Fortsetzung des Schiedsverfahrens und die Entscheidung der dann bedingungskonform zusammengesetzten Ärztekommission kein von der Einigung der beiden Schiedsgutachter abweichendes Ergebnis gebracht hätte.

Demgegenüber war die Einbringung einer Leistungsklage - ohne vorherige Fortsetzung und bedingungsgemäßen Abschluß des Schiedsverfahrens - insoweit mit einem Prozeßrisiko behaftet, als dem Versicherer der Einwand der mangelnden Fälligkeit offenstand, sollte der Beklagte auf dem Standpunkt beharren, daß - noch - keine Entscheidung der Ärztekommission vorliege. Denn nach ständiger Rechtsprechung kommt dem Schiedsgutachtervertrag, der gemäß Art 14 der AUVB 1965 zwischen dem Kläger und dem Versicherer geschlossen wurde, zwar keine prozeßhindernde Wirkung zu, doch ist der Anspruch in materiellrechtlicher Hinsicht grundsätzlich nicht fällig, solange das Schiedsgutachterverfahren nicht durchgeführt wurde (SZ 62/167; VersRdSch 1993/317 ua). Es entspricht zwar weiters auch der Rechtsprechung, daß die Einrede der mangelnden Fälligkeit keinen Erfolg haben kann, wenn der Versicherer auf die Durchführung des Schiedsgutachterverfahrens - wenn auch bloß schlüssig - verzichtet hat (ebenfalls VersRdSch 1993/317 mwN). Ob allerdings im hier vorliegenden Fall die Ansicht des Versicherers, daß das Schiedsgutachterverfahren nicht fortzusetzen sei, seitens des Gerichtes als schlüssiger Verzicht auf die Einholung einer Entscheidung der Ärztekommission aufgefaßt werde, war nicht mit Sicherheit abzusehen, weil nach der Rechtsprechung an die Annahme eines solchen Verzichtes ein strenger Maßstab anzulegen ist (VersR 1995, 607). Die Begründung des Versicherers, daß bereits eine Entscheidung der Ärztekommission vorliege, könnte auch dahin ausgelegt werden, daß der Versicherer gerade nicht auf eine solche Entscheidung verzichten wolle. Die Einschätzung, daß die Leistungsklage wegen mangelnder Fälligkeit abgewiesen werde, war somit zumindest vertretbar.

Die dritte Möglichkeit, für die sich der Beklagte letztlich entschieden hat, lag darin, eine Leistungsklage mit der Behauptung einzubringen, daß der bereits vorliegende "Schiedsspruch" offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweiche, wie dies in Art 14 Abs 1 letzter Halbsatz und § 184 VersVG vorgesehen ist. Diese Vorgangsweise hatte zwar den Nachteil, daß das Gericht nur mehr auf letztere Frage einzugehen hatte und nicht allein ausschlaggebend sein konnte, ob ein vom Gericht beigezogener Sachverständiger und der erkennende Richter einen höheren Invaliditätsgrad als zustehend ansehen werde. Daß das Gericht letztlich entscheiden werde, daß eine offensichtliche Unrichtigkeit des "Schiedsspruches" nicht vorliege, obgleich der Gerichtsgutachter von einer 20 %igen Minderung des Beinwertes ausging und die sich in Geld niederschlagende Differenz S

481.470 betrug, war für den Beklagten auch als sachkundigen Vertreter des Klägers keineswegs mit Bestimmtheit vorhersehbar. Die einzelfallbezogene Rechtsprechung zu den §§ 64 und 184 VersVG ließ keinen Rückschluß auf den Ausgang der eingebrachten Leistungsklage zu. Die Ansicht, daß die auf die Behauptung der offensichtlichen Unrichtigkeit des "Schiedsgutachtens" gegründete Leistungsklage zielführend sein werde, war zumindest vertretbar.

Der Kläger wirft dem Beklagten auch nicht vor, die Leistungsklage erhoben zu haben, anstatt das Schiedsgutachterverfahren fortzusetzen. Er erblickt den Anwaltsfehler vielmehr darin, daß der Beklagte das Vorliegen einer Entscheidung der Ärztekommission außer Streit gestellt, diese Außerstreitstellung nicht widerrufen und in der außerordentlichen Revision nicht releviert hat, ob die Außerstreitstellung für das Gericht bindend oder als bloße Rechtsmeinung unbeachtlich sei.

Der Beklagte hat zwar, nachdem er bereits in der Klage behauptet hatte, daß die Einigung der Gutachter "an und für sich schon als Entscheidung der Ärztekommission anzusehen" sei, in einer Replik zur Klagebeantwortung davon abweichend behauptet, daß es sich dabei "lediglich um eine unverbindliche Absprache" gehandelt habe und nicht um eine Entscheidung der Ärztekommission, so daß diese Einigung auch nicht verbindlich im Sinn des Art 14 Abs 1 AUVB (und § 184 VersVG) sei. Auf dieses Vorbringen reagierte der dort beklagte Versicherer aber umgehend mit dem Einwand der mangelnden Fälligkeit, sollte die Übereinkunft nicht als Entscheidung der Ärztekommission anzusehen sein (ON 6 in 9 Cg 422/89).

Mangels der daraufhin vorgenommenen Außerstreitstellung, daß der Aktenvermerk vom 13. 12. 1988 "die Entscheidung der Ärztekommission" darstelle, hätte der Beklagte daher riskiert, daß dem Einwand der mangelnden Fälligkeit entsprechend das Klagebegehren abgewiesen werde und damit der bis dahin aufgelaufene Prozeßaufwand im Verfahren 9 Cg 422/89 vergeblich gewesen wäre. Zudem war, wie bereits ausgeführt, die Einschätzung, daß die im Fall der Abweisung des Klagebegehrens aus dem Grund der mangelnden Fälligkeit vorzunehmende Fortsetzung des Schiedsgutachterverfahrens kein besseres Ergebnis als die bereits erfolgte Einigung der Schiedsgutachter bringen werde, zumindest nicht unrealistisch. Es kann deshalb dem Beklagten auch nicht vorgeworfen werden, daß er von einem Widerruf der Außerstreitstellung nach dem Vorliegen des Gutachtens des vom Gericht im Verfahren 9 Cg 422/89 bestellten Sachverständigen Abstand nahm und die Frage, ob die Außerstreitstellung rechtswirksam gewesen sei, in der außerordentlichen Revision nicht aufgeworfen hat.

Daß sich der Beklagte von den aufgezeigten Möglichkeiten, entweder das Schiedsgutachterverfahren fortzusetzen oder die Leistungsklage einzubringen und darauf zu vertrauen, daß der vom Versicherer erhobene Einwand der mangelnden Fälligkeit vom Gericht infolge schlüssigen Verzichtes auf die Durchführung des Schiedsgutachterverfahrens als wirkungslos beurteilt werde, oder sein Leistungsbegehren auf die Behauptung zu stützen, es liege eine Entscheidung der Schiedsgutachter vor, die allerdings infolge ihrer offenkundigen Unrichtigkeit nicht verbindlich sei, für letzteres Vorgehen entschieden hat, kann ihm daher bei Abwägung aller Umstände nicht als schuldhaft unsachgemäßes Vorgehen angelastet werden. Auch die beiden anderen Möglichkeiten hätten für den Kläger bestimmte, oben aufgezeigte Risken und mögliche Nachteile mit sich gebracht. Eine auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die einzuschlagende Vorgangsweise abstellende Betrachtung führt zu dem Ergebnis, daß nicht mit entsprechender Sicherheit abzuschätzen war, welche Art der Durchsetzung der behaupteten Ansprüche des Klägers am ehesten zum Ziel führen und welche am ehesten zum Scheitern verurteilt sein werde. Es war auch bei der vom Kläger zu fordernden Rechtskundigkeit insbesondere nicht eindeutig vorherzusehen, daß die Einklagung des Differenzbetrages unter Berufung auf die offenbare Unrichtigkeit des "Schiedsgutachtens" die geringsten Erfolgchancen haben werde.

Der Umstand, daß im Vorverfahren 16 Cg 340/93t des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz der vom Kläger gegen den Schiedsgutachter Dr. L***** erhobene Schuldvorwurf am Prozeßverlust verneint wurde, bildet hiezu keinen Widerspruch. Die Verneinung der Anwaltshaftung ist vielmehr darin begründet, daß dem Beklagten wegen der aufgezeigten Unsicherheit der Rechtslage im Zusammenhang mit Schiedsgutachterverträgen weder eine unvertretbare Rechtsansicht noch eine von vornherein als unsachgemäß zu qualifizierende Vorgangsweise beim Versuch, die behaupteten Ansprüche des Klägers durchzusetzen, vorgeworfen werden kann. Eine Haftung des Beklagten für den Prozeßverlust im Verfahren 9 Cg 422/89 ist daher zu verneinen.

Wegen Spruchreife war der Beschluß des Berufungsgerichtes aufzuheben und in der Sache selbst zu entscheiden (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO), wobei ungeachtet dessen, daß über einen Rekurs des Klägers zu erkennen war, ein Urteil auf Abweisung der Klage gefällt werden konnte (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 5 zu § 519 ZPO mwN).

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und Rekursverfahrens auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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