OGH 4Ob286/98g

OGH4Ob286/98g10.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG *****, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Helene S*****, vertreten durch Dr. Herwig Medwed, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert S 510.000,--), infolge Revisionsrekurses der Beklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 16. September 1998, GZ 6 R 45/98d-16, mit dem der Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt vom 3. Februar 1998, GZ 21 Cg 163/97y-12, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird in seinem abändernden Teil dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes insoweit wiederhergestellt wird.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 21.402,-- bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin S 3.567,-- USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, zu Zwecken des Wettbewerbs gegen Bestimmungen des Öffnungszeitengesetzes zu verstoßen, insbesondere im Zeitrahmen von Montag bis Freitag jeweils von 6.00 bis 19.30 Uhr und Samstag von 6.00 bis 17.00 Uhr, insgesamt mehr als 66 Stunden ihre Verkaufsstelle in P*****, geöffnet zu halten. Die Klägerin stellt weiters ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Zur Sicherung ihres Unterlassungsanspruches beantragt sie eine inhaltsgleiche einstweilige Verfügung.

Klage, Sicherungsantrag, Aufforderung zur Klagebeantwortung und Äußerung wurden der Beklagten am 20. 8. 1997 durch Hinterlegung zugestellt. Die Beklagte brachte weder eine Äußerung noch eine Klagebeantwortung ein. Am 8. 9. 1997 erließ das Erstgericht die einstweilige Verfügung; am 15. 9. 1997 das Versäumungsurteil.

Die Zustellerin Maria H***** wollte das Versäumungsurteil am 22. 9. 1997 im Geschäftslokal zustellen. Üblicherweise kommt sie zwischen 9.30 Uhr und 10.30 Uhr in das Geschäft der Beklagten. Maria H***** fragt immer an der Kassa, ob die Chefin anwesend ist. Ist dies nicht der Fall, so gibt sie die Post nicht vorne bei der Kassa ab, sondern legt sie hinten auf ein Pult. Sind Postsendungen der Beklagten zu eigenen Handen zuzustellen, so übergibt sie die Post einer Angestellten, sofern diese nicht gerade Kunden bedient oder im Lager ist. Hat keine der Angestellten Zeit, so legt Maria H***** die Hinterlegungsanzeige mit der übrigen Post auf das Pult und hinterlegt das Schriftstück. Am 22. 9. 1997 war das Geschäft jedenfalls offen. Von den Angestellten muß jemand anwesend gewesen sein. Eine Ersatzzustellung wurde nicht versucht; Maria H***** hat das Versäumungsurteil hinterlegt.

Die Beklagte beantragt, die Vollstreckbarkeitsbestätigung aufzuheben und das Versäumungsurteil neuerlich zuzustellen. Sie stellt weiters einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Klagebeantwortung, zum Widerspruch gegen das Versäumungsurteil und zur Äußerung. Gleichzeitig bringt sie Klagebeantwortung und Berufung ein und erhebt gegen das Versäumungsurteil Widerspruch. Das Versäumungsurteil hätte an einen Ersatzempfänger zugestellt werden müssen. Die Hinterlegung sei gesetzwidrig erfolgt. Die Beklagte habe die Klagebeantwortungsfrist, die Widerspruchsfrist und die Äußerungsfrist wegen Arbeitsüberlastung versäumt.

Das Erstgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag ab; es hob die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteils auf und ordnete dessen neuerliche Zustellung an. Berufliche Überlastung sei kein unabwendbares oder unvorhersehbares Ereignis. Durch Hinterlegung dürfe nur zugestellt werden, wenn vergeblich versucht wurde, einem Ersatzempfänger zuzustellen. Die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung seien vorgelegen; die Zustellung durch Hinterlegung sei rechtswidrig.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung abwies und die Anordnung der neuerlichen Zustellung des Versäumungsurteils ersatzlos aufhob. Aufgehoben wurde auch der Beschluß, mit dem das Erstgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist abgewiesen hatte; im übrigen bestätigte das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes des abändernden Teils seiner Entscheidung S 260.000,-- übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs insoweit nicht zulässig sei. Der Revisionsrekurs gegen den bestätigenden Teil sei jedenfalls unzulässig. Das Versäumungsurteil sei zu Recht durch Hinterlegung zugestellt worden, weil die Angestellten der Beklagten nicht bereit gewesen seien, die Sendung zu übernehmen. Das Erstgericht habe die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist nicht begründet. Arbeitsüberlastung sei kein tauglicher Grund für die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Klagebeantwortungsfrist; im Provisorialverfahren gebe es keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Der gegen den abändernden Teil der Entscheidung des Rekursgerichtes gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil die angefochtene Entscheidung aktenwidrig ist; der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, daß nach den Feststellungen eine Ersatzzustellung nicht versucht wurde. Hat die Zustellerin aber gar nicht versucht, die Sendung einer Angestellten zu übergeben, so fehlt auch jede Grundlage für die Annahme, daß die Angestellten zur Annahme der Ersatzzustellung nicht bereit gewesen wären. Ein Ersatzempfänger ist nicht nur dann zur Annahme bereit, wenn er schon "bereitsteht" oder von sich aus initiativ wird, sondern auch dann, wenn er eine entsprechende Frage des Zustellers bejaht. Eine solche Frage hätte die Zustellerin an die Angestellten auch richten können, wenn diese gerade beschäftigt waren. Auch eine Angestellte, die Kunden bedient oder im Lager ist, wird im Regelfall die für die Übernahme einer Sendung erforderliche Zeit erübrigen können und kommt daher als Ersatzempfängerin in Frage.

Ist aber an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so muß an ihn zugestellt werden, wenn der Empfänger dort nicht angetroffen wird (SZ 57/141 = EvBl 1985/24 mwN). Durch Hinterlegung darf - wie sich aus § 17 Abs 1 ZustG ergibt - erst zugestellt werden, wenn weder dem Empfänger noch einem Ersatzempfänger zugestellt werden kann. Andernfalls ist, wie im vorliegenden Fall, die Hinterlegung gesetzwidrig und die Zustellung rechtsunwirksam. Da das Rechtsmittel der Beklagten schon aus diesem Grund berechtigt ist, braucht auf ihre weiteren Ausführungen nicht weiter eingegangen zu werden.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1, § 52 Abs 1 ZPO (SZ 17/29). Eine Pauschalgebühr ist im Revisionsrekursverfahren nicht zu entrichten.

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